Was die Alten Römer konnten – eine Mitmachausstellung für Kinder in Hamm

Ach, wie gediegen geht es doch gemeinhin bei Ausstellungsterminen für die Presse zu: eine überschaubare Anzahl von Menschen, daher recht freier Blick auf die Exponate. Dazu in der Regel kein ungebührlicher Lärm, sondern zumeist gepflegte Konversation.

Hätte ich die Hammer Ausstellung „Hightech Römer“ zur Pressekonferenz gesehen, dann hätte ich also einen völlig falschen Eindruck bekommen. So aber empfängt uns als zahlende Besucher (drei Erwachsene, zwei Kinder) im Gustav-Lübcke-Museum ein ordentlicher Krach, zu dem unsere Sechs- und Siebenjährigen sogleich selbst kräftig beisteuern werden. Und das ist in gewissen Grenzen auch erwünscht. Es geht ja ums lustvolle Entdecken.

Katapultieren nach altrömischem Vorbild... (Foto: Bernd Berke)

Katapultieren nach altrömischem Vorbild… (Foto: Bernd Berke)

Eingangs läuft ein Einführungsfilm, der das Interesse an Erfindungen der Alten Römer wecken soll, indem er jene längst vergangene Welt zwischen Kolosseum und Pantheon dreidimensional „auferstehen“ lässt. Doch der Kino-Bereich ist leider nicht schallisoliert, deshalb versteht man die Tonspur kaum. Denn in den Räumen dahinter dürfen und sollen Kinder an insgesamt 35 Stationen alles selbst ausprobieren – inklusive Schussapparaturen wie Katapult und Balliste. Auch wenn da nur Plastikbällchen fliegen, klackert der Mechanismus doch ganz erheblich. Ich appelliere an die akustische Vorstellungskraft der Leserinnen und Leser und rate zum Besuch an ganz normalen Werktagen.

Wie hält der Triumphbogen?

Für Leute ab etwa 5 Jahren (happiger Eintrittspreis für die Kleinen: auch schon 7 Euro) ist die anregende Ausstellung mit einigen Themenschwerpunkten (Architektur, Militär, Handwerk, Rechnen, Straßen, Reisen, Luxus, Maschinen, Kommunikation) gedacht. Tatsächlich vermittelt sie allererste Eindrücke von manchen technischen Leistungen der Römer – vom Flaschenzug bis zur Fußbodenheizung und zum ausgeklügelten System der Wasserleitungen (Stichwort Aquädukt). Letztere kann man im einfachen Modell ebenso nachbauen wie eine Brücke oder einen Triumphbogen. Wie kriegt man bloß den obersten Stein so hingesetzt, dass der ganze Bogen hält?

Dachdecken auf antike Art (Foto: © Museum Het Valkhof Nijmegen)

Dachdecken auf antike Art (Foto: © Museum Het Valkhof Nijmegen)

Nur noch ein paar weitere Beispiele: Kinder dürfen sich hier als Dachdecker nach Art der Antike betätigen, sie können ein Bodenmosaik legen, frühe Entfernungsmesser erproben, mit Holz bauen, altrömische Statuen per Bildschirm bunt anmalen und einander zwischen zwei Türmen mit Flaggen Signale senden. Zwischendurch sieht man wenige originale Fundstücke in Vitrinen. Sie werden hier eher zur Nebensache. Weitaus empfänglicher sind Kinder für anschauliche Details aus der römischen Sklavenhaltergesellschaft.

Selbst auf der Galeere rudern

Besonders belagert sind der Schießstand, an dem man mit althergebrachter Technik auf Scheiben zielen kann, und die „Galeere“. Vom Bildschirm her gibt ein fieser Trommler die rhythmischen Kommandos, die natürlich allesamt auf „Schneller, schneller“ hinauslaufen. Gerudert wird freilich nicht virtuell, sondern schweißtreibend analog. Am Ende kann das jeweilige Vierer-Trüppchen vom Bildschirm ablesen, welche Strecke es geschafft hat. Der Rekord (Highscore) lag an unserem Besuchstag schon bei unfassbaren 61,5 Seemeilen. Was wir geschafft haben? Och, das tut nichts zur Sache.

Die Wanderschau ist eine Koproduktion des LVR-Landesmuseums Bonn mit Museen in Den Haag und Nijmegen (Holland) sowie Mechelen (Belgien). Den Einführungsfilm und die Beschriftungen gibt’s denn auch auf Deutsch, Niederländisch, Englisch und Französisch. Doch damit nicht genug. Themengerecht kann man die Ausstellungstexte via Homepage auch auf Lateinisch herunterladen.

Was von all dem emotional und gedanklich andauern wird, lässt sich scherlich vorhersagen. Vielleicht erinnern sich die Kinder später an einzelne Anstöße, wenn sie etwas übers Altertum lesen oder hören. Vielleicht wird der gar eine oder andere Besucher (Besucherin) später einmal hochgelahrter Antike-Spezialist. Und wenn dann jemand fragt, wie alles begonnen hat, dann heißt es womöglich: „Damals in Hamm…“

„Hightech Römer“. Mitmachausstellung im Gustav-Lübcke-Museum, Hamm, Neue Bahnhofstraße 9. Bis 30. Oktober 2016, geöffnet Di-Sa 10-17, So 10-18 Uhr, montags geschlossen..
Am Sonntag, 22. Mai (Internationaler Museumstag), ist das ganze Haus kostenlos zugänglich. Sonst: Erwachsene 9 Euro, Kinder ab 5 Jahren 7 Euro, Familienkarte (bis 2 Erwachsene und 3 Kinder) 22 Euro.




Der Grieche ist mein Bruder

Es ist nicht meine Aufgabe, Experte zu sein, nicht meine Aufgabe, alles wissen zu müssen, speziell, wenn es um das globale Finanzsystem geht. Niemand kennt es. Seit Monaten verfolge ich aber die Berichterstattung zu Griechenland und seiner unabwendbaren Pleite. Und – wie immer – gibt es in jeder Talkshow Experten, wie es Experten in jeder Zeitung gibt und weitere bei weiteren Medien. Alle wissen: Der Grieche muss umrüsten. Die Europäer bezahlen die Abwrackprämie, aber nicht an die Griechen, sondern an das Gebilde Staat. Da kommt niemand mit einem Koffer, holt ihn aus dem Kofferraum und übergibt Bargeld an einen anderen auf einem einsamen Parkplatz. Es sind naturgemäß Banken, die das abwickeln. Und abgewickelt ist durch diese kriminelle Soße vor allem der „kleine Grieche samt seiner Griechin“.
Wenn etwas von niemandem richtig durchdrungen werden kann, dann ist alles möglich und die Politik muss politische Maßnahmen ergreifen. So war und ist das auch mit ETEC.

Schlechte Geschäfte

Natürlich gibt es in Griechenland reiche Kerle. Das wissen wir doch alle, mindestens seit Onassis und seiner Sonnenbrille. Und es gibt eine ganze Reihe berühmter Griechen, die wir alle aus Theaterstücken kennen oder als geflügelte Worte mit uns rumschleppen. Odysseus, ja klar. Bei Zeus! Und alle die Anverwandten und Geblendeten. Wer hat da jemals genau durchgeblickt? Da fing die Verwirrung an.
Das Volk, das gemeine, leidet unter den international vorgeschriebenen Leistungseinschnitten. Die Kultur, die Renten, die Mieten, das Leben. Die Reichen verlegen ihr Geld ins Ausland. Der kleine Angestellte oder der Tänzer, sie müssen den Dreck ausbaden. „Es ist eine Karussell, das niemals mehr anhält“, sagt mein Grieche.

Ich bin nach Griechenland gereist, in den Schuldenolymp, habe Athens Orakel befragt, habe mich mit Zeus und Hades, seinem Bruder, dem Gott der Unterwelt, zusammengesetzt und bei einigen Ouzos die Weltordnung umgekrempelt.
Der Ort der alt-europäischen Dekadenz, das Land der Verschwender und Schuldenmacher.
Das Land der Griechen mit der Seele suchend, schweifte ich umher. Ich, der Retter der hellenischen Nation, der Steuerzahler, der seinen letzten Cent in die Antike steckt, damit sie nicht zusammenbricht. Ich hab das alles mit meinem Griechen vorbesprochen.

Eine open-air Bar. Der Kellner braucht Dekaden, bevor er sich sehen lässt. Fehlt mir die Geduld eines Sisifos? Ich sehe Zeus und Dionysos – mir gegenüber und sie lachen mich aus.
„Du bist zu spät“, singen sie.
„Angenehmes Wetter“, sage ich.
„Die Akropolis ist montags geschlossen“, sage ich.
„Das ist skurril“, singen sie.
„Die sind ja bekloppt“, sage ich.
Und wir enden alle drei in einer Bar, wo man mir Aphrodite vorstellt. Ich bin entzückt, falle aber vom Hocker und wache als Esel wieder auf.

Was hat Griechenland mit dem Ruhrgebiet zu tun? Sehr viel. Mein Grieche kommt zum Beispiel aus Griechenland, andere Griechen auch, ob „Poseidon“, „Akropolis“ oder „Mykonos“.
Otto Rehakles kommt aus Essen. Eine Griechin hat die Kulturhauptstadt erfunden. Wir sind auch pleite. Was will man mehr? Sehr viel Verbindendes also.

Die Choreographin Mariela Nestora war bereits mal auf PACT Zollverein. Sie sagt zu unserer Region „Ruhr“. „Ich war in Ruhr“, sagt sie. Und der Hund von Iris Karayan (Ja) heißt Tarmund und alle nennen ihn Dortmund, niemand weiß warum.

Die Griechen sollen sich ihr Leben nicht vermiesen lassen. Hier entstünde ein Land, das sich unter dem Jubel der Unschuldigen zu einem Paradies der globalen Verweigerung entwickelt. Hier würden die Menschen das tun, was ihnen lieb ist und nicht das, wozu sie verpflichtet werden. Ich wache auf, bin kein Esel mehr, sehe wieder aus wie vorgesehen. An der Wand vor mir sehe ich den verschwindenden Traumnebel an einem Strand. Mein Grieche steht dort und winkt mir zu. „Kalinichta“.

Ich erinnere hier an das Stück „Herkules und der Stall des Augias“ von Friedrich Dürrenmatt.

„Aufgrund des ständig anwachsenden Mistes wird das Leben in Elis immer unerträglicher. Deshalb beschließt Augias, Präsident von Elis, zusammen mit seinem Parlament, dem griechischen Nationalhelden Herkules ein ansehnliches Honorar und Reisespesen anzubieten und ihm den Auftrag zur Säuberung von Elis zu übertragen. Sein Sekretär Polybios erinnert ihn an seine gewaltigen Schulden und die Kosten, die die repräsentativen Pflichten eines Helden mit sich bringen.
… Kommissionen beraten in endlosen Sitzungen. Man weist darauf hin, dass unter dem Mist immense Kunstschätze verborgen sein könnten, die durch das Ausmisten verloren gingen. Die Beratungen verschleppen sich so lange, bis Herkules schließlich den ihm gewährten Vorschuss aufgebraucht hat. Herkules, der zudem von Gläubigern bedrängt wird, sieht sich gezwungen, im Zirkus des Tantalos aufzutreten. In dieser aussichtslosen Lage beschließen Herkules und Deianeira gemeinsam, das Land unausgemistet zu verlassen.“ (Quelle Wikipedia)

 




Varusschlacht: Phantombild der Antike

Das ist nun mal wirklich ein „runder“ Gedenktag: Vor 2000 Jahren (also 9 n. Chr.) schlug der germanische Cheruskerfürst Arminius („Hermann“) den römischen Feldherrn Varus – irgendwo in den heute niedersächsischen oder westfälischen Gegenden rings um den Teutoburger Wald.

Das heißt: Es war selbstverständlich kein bloßer Zweikampf, sondern eine massenhafte Schlacht zwischen den jeweiligen Gefolgsleuten, vulgo Soldaten (die ja immer dran glauben müssen, wenn mächtige Herrschaften ihren Namen „für alle Zeit“ vergolden wollen). Womit der erforderlichen political correctness halbwegs Genüge getan wäre.

Unerhört für die damalige Weltmacht Rom: Gegen die vermeintlich wüsten „Barbaren“ aus dem Norden verlor man gleich drei Legionen – eine Schmach, die man südlich der Alpen und westlich des Rheins nicht wahrhaben wollte.

Jetzt soll ein schier unüberschaubarer Ausstellungsreigen gleich an drei Orten (Haltern am See, Detmold und Kalkriese) das historische Ereignis wachrufen, so gut es eben geht. Eine leitende These richtet sich gegen altgediente Klischees. Ganz knapp und knackig gefasst: Varus war beileibe kein Depp oder geborener „Loser“, und Arminius war zwar offenkundig listenreich (bis hinterhältig), doch keinesfalls ein makelloser Held nach Art eines „David gegen Goliath“.

Überhaupt zogen die Germanen gegen die überlegenen Römer immer wieder nur deshalb zu Felde, um schlichtweg Beute zu machen, um zu plündern und zu brandschatzen. Sie betrieben – wie man heute weiß – eine „Raub-Ökonomie“. Kein schmeichelhafter Zug der Altvorderen, fürwahr.

Haltern skizziert mit hochinteressanten Funden und sonstigen Schaustücken das ungeheure Anschwellen und Aufblühen des altrömischen Imperiums („vom Dorf zur Weltmetropole“) und behält dabei nach Möglichkeit stets die Biographie des Publius Quinctilius Varus (geboren 47 v. Chr.) im Blick. Dies kann allerdings – trotz aller Ausgrabungserfolge und Deutungsschläue – buchstäblich nur in Bruchstücken geschehen.

Die rund 300 aufwändig inszenierten Exponate in der gründlich umgebauten Seestadthalle (Seitenaspekte sind zudem im örtlichen Römermuseum zu finden) führen zurück in ein „Goldenes Zeitalter“ Roms unter dem Kaiser Augustus.

Varus war Augustus eng verbunden, er absolvierte damals eine fulminante Karriere im Römischen Reich, war 13 v. Chr. Konsul und begleitete Augustus auf heikler diplomatischer Mission (u. a. Verhandlungen mit den Parthern, die im heutigen Iran herrschten).

Münzfunde aus Nordafrika lassen zumindest vage auf Varus’ Physiognomie schließen. Populäre Weiterung: Daraus hat das Landeskriminalamt von NRW gar im Museumsauftrag ein Phantombild erstellt, das nun die Ausstellung ziert. Ganz so, als würde hierzulande noch nach Varus gefahndet.

Dieser Varus war zeitweise römischer Statthalter in Syrien. Als solcher regierte er auch ins angrenzende Judäa hinein, wo er Unruhen niederschlug, indem er ungefähr 2000 Aufständische kreuzigen ließ. Davon zeugt ein auf den ersten Blick unscheinbares Vitrinenobjekt. Es ist das Fragment eines Fersenbeins, durch das seinerzeit ein Nagel getrieben wurde. Aus all dem kann man wohl folgern: Varus war durchaus ein mehr als harter Widersacher, wenn es darauf ankam.

Noch so ein verräterisches Detail: Anhand der Inschrift auf einer Bleischeibe (die als eine Art persönlicher „Gepäckanhänger“ diente) konnten Experten nachweisen, dass Varus schon 15 v. Chr. im Alpen-Feldzug jene Legion kommandiert hatte, mit der er rund 20 Jahre später im Teutoburger Wald vernichtend geschlagen wurde.

Funde aus Haltern selbst wiederum bezeugen, dass die Legion 19 (Inschrift auf einem Bleibarren: L XIX) eben hier wenigstens teilweise stationiert war. Jedenfalls wurden auf der Lippe nachweislich auch Luxusgüter wie Wein und Austern zu den römischen Truppen geliefert. Weitere Fundstücke wecken neuerdings Spekulationen, dass Haltern das sagenumwobene Aliso gewesen sein könnte – die wohl letzte rechtsrheinische Bastion der Römer.

In Kalkriese stehen unter dem Schlagwort „Konflikt“ die eigentlichen militärischen Auseinandersetzungen im Brennpunkt, die sich mit Ausläufern bis etwa 16 n. Chr. hinzogen. Man scheut sich auch nicht, nebenher zur fassbaren Verdeutlichung ganze Legionen aus Playmobil-Figuren aufzubieten. Und man glaubt recht felsenfest, in Kalkriese inzwischen genügend Beweise gesammelt zu haben, um einigermaßen schlüssig zu belegen, dass die Varus-Schlacht just hier stattgefunden habe; ein altes Streitthema, das sich (etwa wegen heikler Datierungsfragen) immer noch nicht völlig erledigt hat.

In Detmold schließlich thematisiert man unter der Überschrift „Mythos“ die vielfältigen, nicht selten auch gefährlichen Phantasien, die aus der Schlacht hergeleitet worden sind. Schon der antike Autor Tacitus hatte ja die „deutschen Tugenden“ mutmaßlich zugespitzt und übertrieben, um die dekadenten Römer aufzurütteln.

Oft genug handelte es sich bei uns später um „Helden“-Verehrungen mit arg deutschnationaler („germanischer“) Schlagseite oder sogar mit faschistischer Prägung. So sieht man sich jetzt auch in Detmold veranlasst, den heutigen Frieden im vereinten Europa zu beschwören und gleichzeitig besondere Sicherheitsmaßnahmen gegen einen etwaigen Missbrauch der Schau zu ergreifen. Traurig genug, dass so etwas nötig zu sein scheint.

Viel lieber reden die Veranstalter des 12 Millionen Euro teuren Dreifach-„Events“ (Schirmherrin: Kanzlerin Angela Merkel, die morgen nach Detmold und Kalkriese zur Eröffnung kommen will) von den touristischen Vermarktungs-Chancen, die sich aus der geballten Kooperation ergeben. An allen Orten insgesamt rechnet man mit exorbitanten 500 000 Besuchern. Allein im doch recht kleinen Haltern kalkuliert man mit mindestens 150 000 Gästen. Damit geriete die Kapazität der Stadt an manchen Tagen an ihre Grenzen. Beinahe schon beängstigend: Schon jetzt sind weit über tausend Gruppenführungen vorgebucht.

Und um also auch diesen Kalauer des Anklangs noch schnell loszuwerden: Ein wahres Fieber, dieses Varus-Fieber.

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Daten und Fakten:

„Imperium – Konflikt – Mythos“. 2000 Jahre Varusschlacht.

Haltern, Seestadthalle (Lippspieker 25) und LWL-Römermuseum (Weseler Straße 100). 16. Mai bis 11. Oktober. Di-Fr 9-18 Uhr, Sa 10-20 Uhr, So 10-18 Uhr. Eintritt 9 € (ermäßigt 6 €).
Kombikarte für alle drei Ausstellungsorte 18 €. Dreibändiger Katalog, Museumsausgabe 59,90 €. Weitere Infos, Buchungen von Führungen: 02364/93 76-38 (Führung oder Audio-Führung unbedingt empfehlenswert).
Internet (auch mit Daten für Detmold und Kalkriese) http://www.imperium-konflikt-mythos.de




Das süße Leben bis zum Wahnsinn – Die Ausstellung „Luxus und Dekadenz – Römisches Leben am Gold von Neapel“ in Haltern

Dass die alten Römer in Luxus und Dekadenz geschwelgt haben, hat man schon gehört. Wenn man jetzt die neue Antikenschau im Römermuseum Haltern besucht, kann man es sich lebhaft ausmalen.

Toll trieben es die alten Römer, jedenfalls die Reichsten. An der Spitze stand unangefochten Crassus mit einem Vermögen von 400 Millionen Sesterzen. Umrechnung zwecklos, doch der Mann dürfte einem heutigen Milliardär vergleichbar sein.

Die Ausstellung „Luxus und Dekadenz” fasst speziell das 2. Jahrhundert v. Chr. in den Blick. Besonders begüterte Römer ließen sich seinerzeit in prächtigen Villen am Golf von Neapel nieder. Tanz beim Vulkan: So manches Bankett am Fuße des Vesuv steigerte sich hier zum Gelage oder zur Orgie mit willigen Hetären und Lustknaben. Opulente Wandmalereien aus Pompeji zeugen davon.

Kulinarisch beladene Schiffchen dümpelten bei solcher Gelegenheit auf Wasserbecken zwischen den „Fress-Liegen”. Da standen auch schon mal so exquisite Leckerbissen wie Siebenschläfer im Honigmantel oder (dies wohl erst in späterer Zeit) Flamingozungen und Papageienhirn auf dem Speiseplan. Auch der sprichwörtlich gewordene Lukullus zählte zu den Villenbesitzern an jenen Gestaden. Er soll einmal bei einem einzigen Bankett 200 000 Sesterzen verprasst haben. Dass sich die Teilnehmer Vogelfedern in den Hals steckten, um hernach den Magen unverdrossen neu zu füllen, ist aber nur eine Legende, die sich freilich hartnäckig gehalten hat. Es war kein Usus, sondern geschah höchstens im Einzelfall.

Vitrine war gestern. Für die aufwändige Schau hat man die 180 Exponate vorwiegend szenisch aufbereitet. Helle und dunkle Zonen gestalten den Rundgang abwechslungsreich. Computergenerierte 3-D-Animationen geleiten den Betrachter kreuz und quer durch die prunkvollen Paläste. Kein fauler Zauber, wie Ausstellungsleiter Herwig Kenzler versichert. Die archäologischen Eckdaten seien stimmig umgesetzt. Allerdings haben die italienischen Trickschöpfer auch Zucker gegeben – bis hin zum romantischen Mondaufgang wie aus dem Fantasy-Film.

An den Wänden prangen mahnende Zitate der altrömischen Intelligenz, die den schamlos zur Schau gestellten Luxus als unmoralisch brandmarkten. Der Philosoph Seneca, der selbst 300 Mio. Sesterzen anhäufte, formulierte zeitlos gültig: „Luxus braucht Bewunderer und Mitwisser.”

Und so ergossen sich wahre Geldströme in künstlerische Gartengestaltung, griechische Plastiken oder sündhaft teures Geschmeide. Nicht nur für Menschen. Betuchte Römer legten riesige Meerwasserbecken zur Fischzucht an. Ökonomisch ein Wahnsinn. Egal. Der Redner Hortensius soll jedenfalls beim Tod seiner Lieblings-Muräne bitterlich geweint haben. Seine Gattin Antonia war derweil nicht knauserig. Sie legte ihrem Favoriten-Fisch Perlenohrringe an. Wie das ausgesehen hat? Ein virtuelles Wasserbecken lässt es ahnen. Darin schwimmt ein bizarres Tier, als wäre es lebendig.

Zahlreiche Originalfunde (Statuen, Brunnenfiguren, Schmuck usw.) wurden eigens restauriert und sind teilweise erstmals außerhalb von Italien zu sehen. Etliches schlummerte bislang in den Depots von Neapel, so etwa ein raffiniertes Badezimmer mit Boiler und Mischbatterie.

Ein „Sklavenbalken” erinnert daran, dass breite Schichten der Bevölkerung die Spesen zahlten. Die Vorrichtung wurde in einer Villa gefunden und diente dazu, unbotmäßige Dienerschaft anzuketten. Die größten Geldscheffler hatten übrigens derart viele Sklaven, dass sie sich abstruse Sonderaufgaben für sie ausdenken mussten. Einige fristeten ihr Dasein sogar als sprechende Terminkalender.

„Luxus und Dekadenz – Römisches Leben am Golf von Neapel”. 16. August bis 25. November.
LWL-Römermuseum, Haltern am See, Weseler Straße 100. Tel.: 02364/93 76-0. Führungen/Museumspädagogik: 02364/93 76-38.
Verlängerte Öffnungszeiten: Di-Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10-19 Uhr.
Eintritt: Erwachsene 5 Euro, Kinder/Jugendliche (6 bis 17 Jahre) 2,50 Euro, Familienkarte 10 Euro.
Katalog 24,90 Euro.
Internet-Informationen: http://www.luxus-ausstellung.de/
Die Schau startet in Haltern. Spätere Stationen: Bremen, Nijmegen (Holland) und München.




Toll trieben es die alten Römer – Schneller, größer, weiter: „Das Buch der antiken Rekorde“ verzeichnet Unglaubliches

Von Bernd Berke

Das musste ja so kommen: Es war nur eine Frage der Zeit, dass Hitparaden-Sucht und Listen-Wahn sich auch des Altertums bemächtigen würden. Jetzt liegt das „Das Buch der antiken Rekorde“ vor. Und siehe da: Es ist bei aller Kurzweil ein recht seriöses Werk geworden.

Cecilia und Allan Klynne sind Altertumsforscher am Schwedischen Archäologischen Institut in Rom. Sie sitzen somit gleichsam an einer „Quelle“ bzw. an wichtigen Grabungsstätten. Der Band ist denn auch ein wenig Rom-lastig geraten, die Griechen und andere kommen etwas kürzer.

Aus sämtlichen Bereichen des antiken Lebens haben die emsigen Schweden allerhand Kuriosa zusammengetragen. Für jede Behauptung nennen sie die Quelle und melden selbst so manches Mal Zweifel am Wahrheitsgehalt an.

Die böseste Stiefmutter

Längst nicht alles geht als lupenreiner „Rekord“ durch. Viele Mitteilungen sind dem subjektiven Empfinden anheimgegeben, etliches lappt ins Sagenhafte hinein. Wer will schon mit Bestimmtheit sagen, welches das seinerzeit „seltsamste Pferd“ (es hatte angeblich menschenähnliche Zehen und gehörte Caesar) oder wer die „böseste Stiefmutter“ gewesen ist?

Verblüffend genug: Es gab zu jenen Zeiten ein Volk (die Dardaner), dessen Angehörige sich insgesamt nur dreimal wuschen bzw. gewaschen wurden (Geburt, Hochzeit, Tod), während der römische Kaiser Comodus täglich acht Bäder zu nehmen pflegte.

Eine Frau soll gleich viermal jeweils Fünflinge geboren haben. Ein Sizilianer konnte der Überlieferung zufolge bis zu 210 Kilometer weit spähen, ein anderer heimlicher Heros des Altertums ist angeblich an einem Tag 238 Kilometer zu Fuß gerannt. Beim „Weitsprung“ sollen antike Athleten 16 bis 17 Meter geschafft haben. Man nimmt daher an, dass es sich um eine Art Dreisprung gehandelt hat. Aber selbst dann wär’s eine famose Leistung.

Orgie mit rund 7000 Menschen

Weitaus wüstere „Höchstgrenze“: An der größten Orgie im dekadenten Rom sollen rund 7000 Menschen teilgenommen haben. Danach verschärfte der Senat die Gesetze.

Schier Unglaubliches auch im Pflanzenreich: In Nordafrika reiften damals Weintrauben von der Größe eines Säuglings. Und die Tiere? Es tobte mal ein blutiger „Krieg“ zwischen Delphinen und Krokodilen, den Letztere kläglich verloren haben sollen.

Unter der Rubrik Schauspieler/Künstler findet man diesen Wahnwitz: Caesar zahlte einem Darsteller namens Laberius für einen einzigen Auftritt eine Millionengage, der bedankte sich mit härtester Staatskritik von der Bühne herab. Ein reicher Römer ließ derweil 100 Männer kastrieren, damit sie seiner Tochter ebenso hellstimmigen wie gezwungenermaßen sittsamen Musikunterricht erteilen konnten. Ein wahrhaft schmerzlicher Rekord…

Ein Glas Landwein gab es für 2 Euro

Literaturkritik muss übrigens im 3. Jhdt. vor Christus ein gefährliches Geschäft gewesen sein. Als ein gewisser Zoilos in der Bibliothek von Alexandria seine Lyrik vorlas und dabei den Dichter Homer schmähte, wurde er auf Herrscher-Geheiß hingerichtet. Da haben es heutige Rezensenten gelegentlich leichter.

Nach bestem Wissen und Gewissen haben die Autoren Maße, Gewichte und sogar Währungen umgerechnet. Das Durchschnittsvermögen römischer Senatoren taxieren sie demnach auf rund 6 MillionenEuro. Unteres Enden der Skala: Ein Glas einfachen Landweins mag etwa 2 Euro gekostet haben. Prosit!

Allan & Cecilia Klynne: „Das Buch der antiken Rekorde“, C. H. Beck, 288 Seiten, 18 Euro.

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FAKTEN

250 000 konnten beim Pferderennen zusehen

  • Der Circus Maximus in Rom fasste bei Pferderennen 250 000 Zuschauer. Damit verglichen sind heutige Fußballstadien intime Versammlungsstätten.
  • Natürlich wird auch der größte Vulkanausbruch der Antike erwähnt: Im Jahr 79 n. Chr. zerstörte der Vesuv-Auswurf Pompeji und Herculaneum.
  • Die größte Bibliothek befand sich seinerzeit in Alexandria und hortete 700 000 Textrollen.
  • Ein Kapitel behandelt die „Sieben Weltwunder“.