Leidenschaft und Selbstfindung – der Auftritt Thomas Wypiors beim Klavier-Festival Ruhr

Thomas Wypior, mehrfacher Preisträger und Gast des Klavier-Festivals. Foto: KFR

Thomas Wypior, mehrfacher Preisträger und Gast des Klavier-Festivals. Foto: KFR

Wenn er Franz Schuberts 14. Sonate beginnt, mit ihren akkordischen Fortgängen, den Generalpausen und einem schwarzen, schweren Grollen, dann scheint’s, als wolle uns der Pianist Thomas Wypior in eine düstere Trauermarschwelt führen. Er musiziert das so starr wie markant, gibt jeder Phrase Gewicht und zeichnet so den Komponisten als einen Zerrissenen. Dass die aufgehellten, sanglichen Passagen des 2. Satzes entsprechend gebrochen klingen – dieses Risiko geht der Solist mutig ein. Um desto heftiger in die vermeintliche Idylle dreinzufahren.

Keine Frage: Wypior hat ein Konzept, das so aufregend wie des Diskutierens würdig ist. Doch dies erklärt sein Spiel nicht allein. Das nämlich mit technischen Problemen behaftet ist, sich also mischt aus der Gedanken Stärke und einer bisweilen manuellen Schwäche. So ist seine Schubert-Interpretation auch ein Spiegel für des Solisten Befindlichkeiten.

Der Auftritt beim Klavier-Festival Ruhr in der Reihe „Die Besten der Besten“ zeugt von gewisser Nervosität, gespeist wohl von einer Sensibilität, die ihn zum Suchenden, ja Zweifelnden macht. Daraus leitet sich, im Dortmunder Harenberg-Haus, einerseits Wypiors Hang zum Zelebrieren ab, auf der anderen Seite der Drang, Selbstbestätigung in kantig-markanten Ausbrüchen zu suchen.

Die Sensiblen, sie haben oft das Glück, Liebling der Zuhörer zu werden. Das brachte dem 1985 geborenen Künstler 2013 den Publikumspreis beim Deutschen Pianistenpreis in Frankfurt ein, sowie beim Bonner Beethoven-Wettbewerb einen Favoritenpreis. Thomas Wypior ist ja auch, trotz aller Sturm-und-Drang-Mentalität, beileibe kein Kraftprotz, was etwa bei den Rasereien in Beethovens „Appassionata“ nur allzu deutlich wird. Vielmehr gleicht das wilde Figurieren einem dramatischen Drahtseilakt – und noch sind kleine Fehltritte, die der Pianist indes wieder auszubalancieren weiß, nicht zu überhören.

Wenn dann aber Robert Schumanns „Kreisleriana“ erklingt, teils fiebrig nervös, teils sich in dunkler Schwärmerei ergehend, wenn Wypior zum leidenschaftlichen Gestalter wird, uns aufs Schönste die Wirkmacht von Modulationen beweist, dann scheint der Interpret ganz seiner selbst sicher. Des Komponisten Poesie mag auch hier aufgebrochen sein, oder durch ein herb expressives Klangbild überlagert, anderes jedoch zeugt von bestechend reflektierendem Zugriff. Viel Applaus.




Gefangen in der Furcht vor Beethoven – Pianist Yundi als Gast des Klavier-Festivals Ruhr

Der chinesische Pianist Yundi. Foto: Uli Weber/DG

Der chinesische Pianist Yundi. Foto: Uli Weber/DG

Wo Yundi, Pianist aus der chinesischen Flinkfingerschule, sich die Ehre des Auftritts gibt, sind die Fans aus fernöstlichen Landen nicht weit. Sie pilgern in Gruppenstärke zu seinen Konzerten, stehen Schlange für ein Autogramm, kaufen die CD’s des Künstlers auf. Wie jetzt in der Mülheimer Stadthalle.

Yundi als Popstar, als erster und einziger Chinese, der den Warschauer Chopin-Preis gewinnen konnte, als Deuter dreier so berühmter wie beliebter Klaviersonaten Ludwig van Beethovens. Eines Komponisten, dessen Name und Musik bei vielen Asiaten eine Mischung aus Begeisterung, Bewunderung, ja großer Ehrfurcht auslöst. Mehr Anreiz geht kaum.

Volles Haus also bei diesem Konzert des Klavier-Festivals Ruhr. Mit einem Pianisten, dessen Respekt vor dem Feuerkopf Beethoven, vor der so wütenden wie empfindsamen Musik, übermächtig sein muss. Warum sonst sollte der Chinese seinem virtuosen Können nicht recht trauen, sich in mancher Figuration unsicher verheddern, Sangliches allzu brav aufklingen lassen. Es scheint, als schlage des Pianisten Ehrfurcht bisweilen in Furcht um. Er spielt nicht frei, will dann mit Gewalt den Knoten zum Platzen bringen. Ja, Yundi hat es schwer mit Beethoven.

Nehmen wir nur die „Appassionata“: Da werden drohende Bassakkorde teils mit übertriebener Vehemenz ins Instrument gestanzt, werden Legato-Linien plötzlich porös, und virtuoses Losstürmen hat nahezu sportiven Charakter. Kein Wunder, dass Yundi gelegentlich aus der Kurve fliegt. Wie im schnellen Satz der „Mondscheinsonate“: Es erklingt ein Bravourstück, wirkmächtig zwar, aber kaum im Dienste von Beethovens heiligem Furor. Hier erlaubt sich der Solist zudem die große Geste, eine Art körperliches Triumphieren.

Yundi kann anders. Wenn er zur souveränen Kontrolle der Materie findet. Wenn er im „Grave“ der „Pathétique“-Sonate plötzlich durch weit atmende Generalpausen wunderbar Spannung erzeugt, oder ihm im berühmten Mondscheinsonatenthema ruhevolles Gleiten gelingt. So wie er in zwei Chopin-Nocturnes Melancholie zumindest durchschimmern lässt. Doch die Akkuratesse des Pianisten, auch hier Ausdruck von Unfreiheit, zerrt diese Nachtstücke allzu sehr aus ihrer Traumverlorenheit ans Licht.

Yundi, so scheint’s, steht sich selbst im Wege. Er ringt mit der Musik, verkrampft sich im Virtuosen. Ihn ehrt, dass er es vermeidet, mit  Manierismen und Marotten manches zu überspielen. Und doch ist sein Können von Tragik umrankt.

(Der Beitrag ist zuerst in der WAZ Mülheim erschienen.)