Onkel Dagoberts Traum: Deutschlands größter Geldspeicher steht neuerdings in Dortmund

Aus der Distanz besehen: der (fast fertige) größte Geldspeicher Deutschlands. (Foto: Bernd Berke)

Aus der Distanz betrachtet: der (fast fertige) größte Geldspeicher Deutschlands. Was man hier nicht sieht, ist der Wassergraben rings um die Gebäude. (Foto: Bernd Berke)

Wo wird in Kürze der größte Geldspeicher Deutschlands eröffnet (wobei „öffnen“ eigentlich nicht das richtige Wort ist)? Gewiss doch in Frankfurt am Main. Nein, falsch. Dann aber in Berlin, Hamburg oder München? Auch nicht. Er steht in einer Stadt, bei deren Nennung man nicht gleich an ungeheure Bargeldmassen denkt: Dortmund.

Hier, genauer an der verkehrsreichen Bundesstraße B 1 (Kreuzung Marsbruchstraße), hat die Deutsche Bundesbank in den letzten Jahren ein Bauensemble hochziehen lassen, das Phantasien weckt: Immer wieder heißt es, hier würde Dagobert Duck seine helle Freude haben, weil er in riesigen Geldhaufen baden könnte.

Auch zeigen sich etliche Medien elektrisiert von der Vorstellung, hier sei ein deutsches „Fort Knox“ aus dem westfälischen Boden gewachsen, ein Pendant zum berühmten US-Goldspeicher also. Da wir nun einmal im Ruhrgebiet sind, fand sich flugs das Kosewort „Pott Knox“. Auch hat die überaus gewitzte Journaille schon den Spruch geprägt, es komme bald endlich wieder „Kohle aus dem Pott“. Hahaha, im übertragenen Sinne, ihr versteht… Zwinker, zwinker! Sozial Bedürftige können sich allerdings nichts dafür kaufen.

Kläglich nüchterne Baulichkeit

Architektonisch ist das ganze, rund 300 Millionen Euro teure Projekt wahrlich kein großer Wurf geworden. Die nicht gerade bitterarme Bundesbank hat es schmählich versäumt, hier – am östlichen Entrée der Stadt – ein Zeichen zu setzen und womöglich renommierte Architekten zum Zuge kommen zu lassen. Wir reden hier nicht von Protzerei, sondern von stilistisch zeitgemäß ansprechender Baulichkeit. Statt dessen wirkt die elf Fußballfelder große Anlage wie ein x-beliebiger Ingenieursbau, geradezu kläglich nüchtern und funktional. Gerade diese Stadt hätte anderes gebrauchen können, als eine solche Wucherung aus Beton.

Natürlich ist alles dem Sicherheitsaspekt untergeordnet. Geradezu überdeutlich steht dafür der rund 1 Kilometer lange Wassergraben, der die Hauptgebäude umschließt wie eine mittelalterliche Trutzburg. Man kann davon ausgehen, dass es viele, viele weitere Sicherheitsmaßnahmen gibt, denn hier werden Abermillionen Euro lagern und umgeschlagen werden.

Prüfen, sortieren, schreddern, neu austeilen

Vor allem Maschinen neuester Bauart sollen in der 10.000 Quadratmeter großen Zentralhalle das angelieferte Geld prüfen, sortieren und dann entweder schreddern oder neu in den Verkehr bringen – auch in Zeiten des anwachsenden elektronischen Zahlungswesens eine keineswegs überflüssige Aufgabe. Der Zuständigkeitsbereich umfasst weite Teile von NRW, rund 12 Millionen Menschen (und zahllose Firmen) befinden sich im Einzugsgebiet, wie man hie und da nachlesen kann.

Apropos Sicherheit: Es wird partout nicht verraten, wo auf dem Gelände sich jener Tresor ungefähr befindet, der mit 23 Metern Höhe und mit einem Volumen, das 25 Einfamilienhäusern entspricht, wahrhaft imposante Ausmaße haben soll. Mag sein, dass da auch manche Ganoven ihre Phantasien spielen lassen. Um indirekt auf Onkel Dagobert zurückzukommen: Die Panzerknacker („Harr, harr!“) sollen an und erst recht in diesem Geldbunker jedoch keine Chance haben.




Trotzige Betonburgen, verspielte Swimmingpools – Architekten schauen respektvoll auf die Baukunst der jungen Republik

Das ehemalige Schuman-Kolleg an der Dortmunder Sckellstraße zeigt nach Jahren des Leerstands Zeichen von Verwahrlosung. Doch immerhin ist es jetzt ein Baudenkmal (Foto: Bund Deutscher Architekten BDA)

Büsche und Bäume stehen in üppiger Pracht. Der Baukörper hingegen, den das Grün geradezu verbirgt und den in unterschiedlichen Stadien der Ausgeblichenheit die Farbe Blau prägt, schwächelt. Man sieht ihm an, dass er seit einigen Jahren ohne Funktion ist, auch wenn die Fensterscheiben noch heil sind.

Kunst im Kolleg

Schiefe Schilder mit Hinweisen auf Lehrer- und Schülerparkplätze rühren an in ihrer Sinnlosigkeit. Das Robert-Schuman-Kolleg gibt es hier nicht mehr, es ist vor Jahren schon umgezogen in einen Neubau neben dem Dortmunder Kulturzentrum „U“. Doch die Agonie des Baukomplexes aus den 60er Jahren, den „Dornröschenschlaf“ zu nennen einem widerstebt, soll bald ihr Ende haben. Denkmalschutz wird dem Kolleg zuteil, zum architektonischen Sahnehäubchen einer neuen Wohnbebauung soll es geadelt werden. Bevor es aber so weit ist, gibt es hier Kunst zu sehen, die selbstverständlich mit Bauen und Bauten zu tun hat. Und die in größeren Zusammenhängen begriffen sein will. Das ehemalige Robert-Schuman-Kolleg gehört nämlich zu den „Big Beautiful Buildings“ (BBB), denen sich der Bund deutscher Architekten (BDA) jetzt mit ganz besonderer Aufmerksamkeit zuwendet – den „großen schönen Gebäuden“.

Von links: die Künstler EVOL und Alekos Hofstetter aus Berlin sowie der Dortmunder Architekt und Schwimmbadbuchautor Richard Schmalöer. Die „Plattenbauten“ sind eigentlich Blechspinde, die täuschend echt bemalt wurden. (Foto: rp)

Schönheit?

Schön? An großen Gebäuden herrscht im Revier kein Mangel. Aber nicht jeder wird, beispielsweise, die Marler Innenstadt („Marler Stern“) schön finden. Oder das Rathaus dort. Oder die Ruhr-Universität in Bochum. Oder vielleicht sogar, wenngleich es weitaus weniger betonhaltig anmutet, das alte Schuman-Kolleg. Kommt die Rede auf Gebäude wie diese, so ist schnell von Bausünden die Rede, von einer Betonwüste, von entmenschlichter Architektur, vom Verlust der Maßstäblichkeit und so fort. Doch Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters. Und so gibt es heutzutage ebenfalls etliche Menschen, Fachleute zumal, die die großen, funktionalen Gebäude aus der Zeit des wirtschaftlichen Aufbruchs nach dem Krieg, grob also aus den 1950er bis 1970er Jahren, mögen, die sie erhalten wollen.

Big Beautiful Buildings

Sie preisen, je nachdem, den „Brutalismus“ von Bauten, die trotzig das Material herzeigen aus dem sie gemacht wurden, loben die Helligkeit von Schulräumen, deren Konstruktion unter reicher Verwendung von Einfachglas und Aluminiumprofilen Aspekte der Wärmedämmung noch gänzlich vernachlässigte, verneigen sich gar vor dem brachialen Gestaltungswillen mancher Altvorderer, die sich um Harmonie und Milieubezug wenig scherten. Auf einer umfangreichen Internetseite hat der Bund der Architekten eine Vielzahl solcher „Big Beautiful Buildings“ im Ruhrgebiet aufgelistet. Sie können besichtigt werden, und die meisten kennt man schon. Außerdem findet in den nächsten Wochen eine Reihe von Veranstaltungen statt, Vorträge, Filmvorführungen, Kunstausstellungen.

Ein Porzellanfisch von Peter Lechner ziert die Wand hinter einem privaten Swimmingpool. Auch er kann besichtigt werden – im Keller eines Einfamilienhauses in der Sckellstraße, gegenüber vom Schuman-Kolleg. (Foto: rp)

Kunst und Künstler

Zurück in das Dortmunder Schuman-Kolleg und zur kongenialen Architekturkunst. Aleko Hofstetter, um mit ihm zu beginnen, hat Bilder gemalt, die Details von Dortmunder „großen schönen Bauten“ verarbeiten, beispielsweise Innen- und Außenansichten des „Centrums für Medizin & Gesndheit (DOC)“, das früher einmal Commerzbank und West-LB war, oder des alten Volkswohlbund-Hauses aus den 80er Jahren, das mittlerweile schon wieder gesprengt und abgerissen wurde. In seinen Bildern kombiniert er diese wiedererkennbaren Details mit Texturen und Raumandeutungen, erschafft phantastische Landschaften, irritiert sein Publikum mit formalen Umdeutungen und Verunsicherungen. Das Gros der Arbeiten entstand in diesem Jahr, in einer Mischtechnik, die auch den Filzstift nicht verachtet.

Arbeiterschließfächer

Von EVOL kommen die Plattenbauten. Ebenso wie Hofstetter stammt er aus Berlin, heißt eigentlich Tobe Ringfeld und besorgte sich die rostigen alten Blechspinde aus Italien. Mit einer aufwendigen Schablonen-Drucktechnik hat er ihnen die Optik täuschend echter Plattenbauten verliehen. Weder Sattelitenschüsseln noch Graffiti fehlen. Ganz unübersehbar fungieren Spind wie Platte als „Arbeiterschließfächer“, sehr sinnhaft und eindrucksvoll. Eigentlich, erzählt EVOL, sei er Sprayer, und eine Zeit lang habe er bevorzugt Schaltkästen im öffentlichen Raum mit seinen Bildern versehen. Schaltkästen aber sind meistens aus Stein und für den Transport ins Museum ungeeignet, daher lieber Blechspinde. Der Berliner Stasi-Stadtteil Lichtenberg diente als eine Art städtebaulicher Vorlage. „Doppelplusmodern“ wurde diese kleine,aber gut passende Ausstellung getauft, die der BDA, Gruppe Dortmund Hamm Unna, ausrichtet.

Hallenbäder im Wirtschaftswunder

Und dann sind da noch die Swimmingpools. Immer wieder hat Richard Schmalöer mit ihnen zu tun, wenn er als Architekt alte Häuser renoviert. In der Zeit des Wirtschaftswunders, relativ kurze Zeit nach dem Krieg, bestellten sich viele Bauherren Bäder für ihre Keller, oft aufwendig dekoriert von Künstlerhand, es war ein regelrechter Boom. Schmalöer ließ fotografieren und begab sich ans Schreiben – „Schwimmen im Geld – private Hallenbäder des deutschen Wirtschaftswunders“ lautet der Titel des Buches, das so entstand.

Alles wie neu

Ein Bad kann sogar besichtigt werden. Es befindet sich im Keller unter dem Flachbungalow gegenüber vom Robert-Schuman-Kolleg, wo Schmalöer aufwuchs und wo heute eine Senioren-WG residiert. Die lustigen Fische, die vor einem Wellenrelief geradezu zu schweben scheinen, stammen von dem Künstler Peter Lechner. Vor einigen Jahren hat er die Wand restauriert, denn etliche Porzellanfische, erzählt Schmalöer, waren zu Bruch gegangen, wenn er und sein Bruder sich im Pool heftige Wasserballduelle lieferten. Jetzt ist wieder alles wie neu.

Und dann kam die Ölkrise

Bilder weiterer Bäder hängen an den Wänden, so dass auch von einem Ausstellungsprojekt gesprochen werden kann. Abgesehen davon haben die Bäder mit den „Big Beautiful Buildings“ eigentlich nichts zu tun – außer vielleicht, dass sie in etwa zur gleichen Zeit entstanden.

Man sieht: Privat hatten es die Besserverdiener der ersten Nachkriegsjahrzehnte doch lieber überschaubar, kuschelig, intim. Genehm war zudem die Bar gleich nebenan – manches Mal in einer Ausdehnung, die nach mehrköpfigem Personal verlangte. Die „Ölkrise“ in den 70er Jahren war für die großen Häuser wie für die kleinen Bäder eine Zäsur. Teure Energie machte sie alle unwirtschaftlich.

  • Ausstellungen:
  • „Doppelplusmodern“ im Robert-Schuman-Kolleg, Dortmund, Sckellstraße 5-7
  • Hallenbad, Dortmund, Sckellstraße 12
  • Bis 21. September. Geöffnet freitags, samstags, sonntags 14 – 18 Uhr
  • „Big Beautiful Buildings“ (BBB) im Internet: www.bigbeautifulbuildings.de



Gebäude und Gesichter: Das Museum Ludwig Köln wirft einen Blick auf den Fotografen Werner Mantz

Gesichter und Fassaden: Für Werner Mantz waren sie künstlerisch einander ähnliche Herausforderungen. Der 1901 geborene Fotograf begann seine Laufbahn 1921 in Köln als Porträtist.

Werner Mantz Porträt einer jungen Frau, Familie Huyben, Maastricht, 1968. Gelatinesilberpapier. Nederlands Fotomuseum, Rotterdam. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Werner Mantz/Nederlands Fotomuseum. Foto: Nederlands Fotomuseum, Rotterdam.

Werner Mantz Porträt einer jungen Frau, Familie Huyben, Maastricht, 1968. Gelatinesilberpapier. Nederlands Fotomuseum, Rotterdam. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Werner Mantz/Nederlands Fotomuseum. Foto: Nederlands Fotomuseum, Rotterdam.

Bald kamen Aufträge zum Fotografieren von Architektur hinzu. Mantz lichtete Bauten von Wilhelm Riphahn, Peter Franz Nöcker, Caspar Maria Grod und anderen bekannten Protagonisten modernen Bauens ab und wurde so zum Chronisten der architektonischen Avantgarde im Köln der Zwanziger und beginnenden Dreißiger Jahre.

1932 eröffnete Mantz in Maastricht ein zweites Atelier, wohin er 1938 auch umsiedelte. Dort kam er auf die Porträtfotografie zurück und spezialisierte sich auf Kinderbildnisse. Für ihn waren seine Porträts ebenso bedeutend wie seine Architekturaufnahmen.

Erstmals ermöglicht nun das Museum Ludwig in Köln mit einer Ausstellung, beide Aspekte des Schaffens des 1983 verstorbenen Fotokünstlers zusammen zu sehen: In der bis 21. Januar 2018 gezeigten Schau werden Architekturfotos und bisher nie ausgestellte Porträts miteinander in Bezug gesetzt.

Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Nederlands Fotomuseum in Rotterdam, das den Bestand von Mantz‘ Aufnahmen in den Niederlanden bewahrt.

Werner Mantz: Haus Am Botanischen Garten, Köln, um 1929. Bromsilberdruck. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln.

Werner Mantz: Haus Am Botanischen Garten, Köln, um 1929. Bromsilberdruck. © VG Bild-Kunst, Bonn 2017. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, herausgegeben von der Werner Mantz Foundation. Die 151 Abbildungen mit Texten in Deutsch, Englisch und Niederländisch ergänzt ein Gespräch zwischen den Kuratoren Frits Gierstberg und Miriam Halwani. Der Katalog kostet 19,50 Euro.

Die Ausstellung „Werner Mantz. Architekturen und Menschen“ ist im Museum Ludwig in Köln bis 21. Januar 2018 zu sehen. Geöffnet ist das Museum von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr und an jedem ersten Donnerstag im Monat bis 22 Uhr. Der Eintritt kostet 11 Euro, ermäßigt 7,50 Euro.

 




Eröffnung für März 2018 geplant – Aus dem früheren Ostwallmuseum wird das Baukunstarchiv NRW

Das ehemalige Mueum Ostwall soll zukünftig das Baukunstarchiv NRW beherbergen. (Foto: rp)

So leer war dieses Gebäude nur selten. Das ehemalige Dortmunder Ostwall-Museum wartet auf seine Renovierung. Etwas poetischer spricht die städtische Bauplanung von einer Revitalisierung, und im Englischen hieße dies „Refurbishment“.

Gemeint ist immer dasselbe: Das alte Gemäuer an prominenter Stelle, errichtet 1872 bis 1875 als Landesoberbergamt, soll fit gemacht werden für die Aufnahme des Baukunstarchivs NRW. Die Fertigstellung wird für den März 2018 angekündigt. Und wenn es so läuft wie geplant, sieht nachher alles fast genau so aus wie vorher. Denn schöner kann der Bau mit seinem lichtdurchfluteten Innenhof kaum werden. Nur moderner, sicherer, energieeffizienter.

„Wir wollen so wenig wie möglich machen“, bekräftigt Architekt Michael Schwarz von Spital-Frenking und Schwarz Architekten aus Lüdinghausen. Auch in Zukunft sollen sich die Räume gleichsam wie eine Perlenkette um die imposante Gebäudemitte legen. Eins allerdings wird man doch deutlich sehen: „Das Blau wird eliminiert.“ Also keine blauen Fensterrahmen mehr, kein blaues Maßwerk im gläsernen Vorbau.

Honoratiorenfoto mit (vordere Reihe von links) Prof. Dr. Ursula Gather, Rektorin der TU Dortmund, Dortmunds OB Ullrich Sierau, Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer NRW und Vorsitzender der Baukunstarchiv-Gesellschaft, Architekt Michael Schwarz von Spital-Frenking und Schwarz Architekten, die die „Revitalisierung“ des Gebäudes planen und durchführen, und Walter Bruhne vom Förderverein für das Baukunstarchiv NRW. (Foto: rp)

Sammlung der Universität

Ein offizieller Start mit leeren Räumen hätte im kommenden Jahr gewiß seinen Reiz. Doch es wird ihn nicht geben. Das spartenbezogene Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst, das seit 20 Jahren an der Technischen Universität Dortmund (TU) existiert, wird von Anfang an eine Art Grundstock im Baukunstarchiv bilden. TU-Rektorin Ursula Gather überbrachte die frohe Kunde und rechnete gleich mal nach: Bisher stehen für die Sammlung um die 600 Quadratmeter zur Verfügung, zukünftig werden es 3000 sein.

Viel weiteres Archivmaterial, Pläne, Briefe, Modelle und anderes mehr, wirft sozusagen seine Schatten voraus. Wolfgang Sonne, Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der Dortmunder Uni und zukünftig wissenschaftlicher Leiter des Baukunstarchivs, spricht von um die 80 Nachlässen von Architekten und Bauingenieuren, die ihren Platz im neuen Archiv finden sollen. Darunter jener des 2008 verstorbenen Harald Deilmann, dem Münster sein Stadttheater verdankt, oder auch der von Josef Franke, der sich 1904 in Gelsenkirchen selbständig machte und mit seinen expressiven Backsteinbauten nach wie vor in der Stadt präsent ist. Auch das renommierte Dortmunder Büro Gerber, das für den Umbau des Dortmunder „U“ zur Kulturstätte verantwortlich zeichnet, hat aus früheren Zeiten wertvolles Archivmaterial abzugeben.

Das Schild kündet von den bevorstehenden Umbaumaßnahmen. (Foto: rp)

Das Schild kündet von den bevorstehenden Umbaumaßnahmen. (Foto: rp)

Nachlaß von Josef Paul Kleihues

Und last not least ist von Josef Paul Kleihues zu reden, der lange an der Dortmunder Uni lehrte und 2004 in Berlin starb. Mit seinem Namen verbindet sich die Internationale Bauausstellung (IBA) in Berlin, 1984, deren Planungsdirektor er war. Im Dortmunder Baukunstarchiv sei sein Nachlaß gut aufgehoben, versichert Ernst Uhing, seines Zeichens Präsident der Architektenkammer NRW.

Gefördert wird das Baukunstarchiv NRW als „Maßnahme im Rahmen des Städtebauförderungsprogramms ,Aktive Stadtzentren’“. Doch ist, ketzerisch gesprochen, ein Lagerhaus mit alten Plänen nicht zwingend der Hort pulsierenden urbanen Lebens. Oder? Dortmunds OB Ullrich Sierau sieht das naturgemäß anders. Er erwartet lebhafte Vorträge und Diskussionen im großen Lichthof, gerne auch mit elektronisch zugeschalteten Teilnehmern aus anderen Teilen der Welt, holographisch oder in 3D. Auch für Kinder und Jugendliche könne das Archiv ein attraktiver Ort werden, findet er, wenn es geeignete Veranstaltungen für sie gibt, und TU-Rektorin Gather pflichtet ihm bei.

Die „Ertüchtigung“ des Gebäudes für seine neue Aufgabe soll 3,5 Millionen Euro kosten, von denen das Land im Zuge der Städtebauförderung 80 Prozent trägt. 10 Prozent kommen von der Stadt, die Eigentümerin des Baus bleibt, 10 Prozent vom Förderverein für das Baukunstarchiv NRW. Wird das Geld reichen? Die Renovierung von Altbauten hat stets ihre Tücken. Aber man soll nicht unken.

Kleine Randbemerkung: Wäre es umgekehrt nicht viel besser? Wäre es vom Raumangebot her nicht sinnvoller, die Kunstwerke des Museums Ostwall wieder im großzügig geschnittenen „alten“ Sitz am Ostwall zu zeigen und das Baukunstarchiv im architektonisch kleinteiliger gehaltenen „U“? Klar, daraus wird nichts werden. Der Status quo hat viel Geld gekostet, und ob sich ein politischer Wille für andere Lösungen überhaupt bilden würde, ist zumindest ungewiß. Trotzdem macht das Gedankenspiel Spaß. Und Schluß.

 




Buchtipps zum Fest: Peter Rühmkorf, Christa Wolf, Wembley-Tor, Krimi und Architektur

Ist da draußen noch jemand auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken in Buchform? Hier ein paar empfehlende Hinweise in verschiedenen Geschmacksnoten:

Zunächst die so genannte Hochliteratur, wie es sich konservativ-feuilletonistisch gehört:

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Rühmkorfs funkelnde Lyrik

Das ist wahrlich kein Geheimnis mehr: Der 1929 in Dortmund geborene, später freilich aus hanseatischer Überzeugung in Hamburg ansässige Peter Rühmkorf gehört zu den wichtigsten Lyrikern der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Insofern ist eine Gesamtausgabe seiner Gedichte ein besonderes, vielfach funkelndes Juwel der Sprachkunst. Rühmkorfs Tod im Jahr 2008 bedeutet einen immensen Verlust für die Literatur, der immer noch schmerzt.

Er war (ähnlich wie der mit ihm befreundete Robert Gernhardt) einer, der die Überlieferung von Reim und Metrik wach und lebendig gehalten hat – und er hat die althergebrachten Formen mit neuen Inhalten reich gefüllt. Im souveränen Spiel mit gebundenen und freien Versen kommt ihm im hiesigen Sprachraum wohl keiner aus seiner Generation gleich.

Die von Bernd Rauschenbach sorgfältig edierte Ausgabe „Sämtliche Gedichte“ enthält alle Lyrikbände von 1956 bis 2008 und (in Auswahl) ganz frühe Schöpfungen, die ab 1947 im Selbstverlag erschienen sind.

Dies ist ein Buch, das einen Ehrenplatz im Regal verdient und das man als Vademecum stets griffbereit halten sollte. Hier wird ein wesentlicher Teil des Lebenswerks ausgebreitet; hier kann man Sprachfeinheiten geradezu genießerisch schlürfen und wird überdies noch mit luziden Erkenntnissen belohnt. Rühmkorf hat ja nicht nur die ewigen Themen Liebe und Tod bedichtet, sondern war auch ein eminent politischer Kopf mit links geschärften Sinnen. Legendär wurde diese lyrische Essenz: „Bleib erschütterbar – und widersteh.“

Für den unverwechselbaren Klang (in Rühmkorfscher Diktion „einmalig / wie wir alle!“), in dem auch Alltagssprache aufgehoben ist, nur mal ein Beispiel, das Rühmkorf selbst als Bagatelle bezeichnet hat:

Abschiede, leicht gemacht

Denen, die vor Gier nach Ewigkeit entbrennen,
geb ich mich geniert
als sterblich zu erkennen.

Lieber als verhaunen Bällen nachzusinnen,
zieh ich vor,
nochmal von vorne zu beginnen.

Allerdings, statt bieder vor mich hinzuwerkeln,
scheint mir lustiger,
freischaffend loszuferkeln.

Dies als Kunstgesetz gesamt gesehen:
Ein Gedicht, das auf sich hält,
das läßt sich gehen.

Und je tiefer ich empfinde, um so seichter
schmiere ich mich aus,
dann fällt der Abschied leichter.

Da haben wir es also mal wieder: das Leichte, das so schwer zu machen ist. In der Nachfolge von Heine, Benn und Ringelnatz (unter anderen) hat Rühmkorf beileibe nicht nur höheren Jux getrieben, sondern auch die Vergänglichkeit besungen wie nur je einer seit barocken Zeiten. Doch auch die Fährnisse zwischen Geilheit und Vögeln wusste er in sprühend wohlgesetzte Worte zu fassen. Der Mann, der sich zuweilen als (erotischer) Filou gefiel, war intellektuell ein Ausbund an Unbestechlichkeit. An seinem lyrischen Zuspruch konnte und kann man sich nicht nur ergötzen, sondern aufrichten.

Noch ein Zitat, ein vermeintlich unscheinbares, das aber zu denken gibt. Aus dem Gedicht „Zum Jahreswechsel“:

Diese Welt kann doch nicht so gemeint sein
Wie sie aussieht, oder?

Peter Rühmkorf: „Sämtliche Gedichte“ (Hrsg.: Bernd Rauschenbach). Rowohlt Verlag. 621 Seiten. 39,95 €

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Briefe von Christa Wolf

Nun zu einer literarischen Protagonistin, ja Repräsentantin aus dem östlichen Teil Deutschlands, die im selben Jahr geboren wurde wie Rühmkorf: Christa Wolf (1929-2011), Autorin von Büchern wie „Kindheitsmuster“, „Der geteilte Himmel“, „Nachdenken über Christa T.“, „Kassandra“, „Kein Ort. Nirgends“ und „Störfall“, hat auch umfangreiche Konvolute von Briefen hinterlassen, um die es hier geht.

Insgesamt enthält die vorliegende Auswahl der „Briefe 1952-2011“ genau 483 Schriftstücke, die sich an rund 300 Adressaten richten. Abgedruckt sind nur die Briefe von Christa Wolf, nicht aber die Schreiben ihrer Briefpartner. So wirkt das Ganze gelegentlich etwas monologisch, man muss sich einiges hinzu denken. Immerhin sind rund 90 Prozent der abgedruckten Briefe bislang noch nicht veröffentlicht worden. Auch das gibt dieser Sammlung, bei aller wohlweislichen Beschränkung im Einzelnen, einiges Gewicht.

Der Obertitel lautet „Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten“ und könnte als Zitat auch etwas sarkastisch gemeint sein. Denn gar so bequem kann es nicht immer gewesen sein für Christa Wolf. Vielfach ereilte sie der Vorwurf, dem SED-Staat doch etwas zu sehr auf den Leim gegangen zu sein.

Über sehr lange Zeit hinweg ist sie zumindest von naiver Gutgläubigkeit gewesen. Spätestens im Gefolge der Biermann-Ausbürgerung aus der DDR (1976) hat auch sie Farbe bekannt. Freilich hielt sie damals immer noch Erich Honecker für eine ansprechbare Instanz: „Sehr geehrter Genosse“ lautete ihre Anrede, und sie bat ihn brieflich darum, inhaftierte Autoren zu begnadigen. Hat sie damit das Menschenmögliche versucht, oder hat sie gar zu sehr laviert? Darüber könnte man noch heute lange streiten. Doch allmählich verblassen die Meinungskämpfe jener Tage.

In der ausgewählten Korrespondenz (insgesamt hat Christa Wolf wohl um die 15.000 Briefe verfasst) tauscht sie sich nicht nur mit Schriftstellern (u. a. Grass, Frisch, Sarah Kirsch, mit der sie sich später heillos überworfen hat) aus, sondern auch mit „ganz normalen“ Lesern. Dafür hat sie viel Geduld aufgebracht. Nur ganz selten wurde sie zornig, so etwa, als sie den Schülerinnen eines Deutsch-Leistungskurses barsch deren absolute Unkenntnis ihres Werkes vorwarf und sich über „absurde“ und „verletzende“ Fragen beschwerte. Wie gesagt, das war eine Ausnahme.

Man muss wissen, dass Christa Wolf wegen der Stasi-Briefzensur häufig nicht offen schreiben konnte, sondern ihre Botschaften und Anliegen allenfalls sprachlich verschlüsselt übermitteln konnte, was der verbalen Kunstfertigkeit mitunter zuträglich war. Besonders ehrlich klingen manche der Briefe, die sie seinerzeit nicht abgeschickt hat, die aber erhalten geblieben sind. Dass Wolfs Werke und Briefe zudem von grundsätzlicher Sprachskepsis durchzogen sind, lässt dieses Zitat aus „Nachdenken über Christa T.“ ahnen: „Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen“.

Christa Wolf: „Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten – Briefe 1952-2011“. Suhrkamp Verlag. 1040 Seiten, 38 €

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Ein einziges Tor

Dass über eine Mannschaft oder ein Turnier ganze Bücher entstehen, mag angehen. Aber über ein einziges Tor?

Ganz klar, es gibt aus deutscher Sicht nur einen Treffer, der buchfüllend ist: das wohl für alle Ewigkeiten umstrittene 3:2 beim Endspiel der Fußball-WM 1966. Bekanntlich wurde das Tor für England gegeben, obwohl der Latten-Abpraller mutmaßlich vor der Linie aufschlug. So jedenfalls die deutsche Lesart.

Dass man diesen fußballhistorischen Moment in tausend Facetten ausbreiten und anreichern kann, beweist Manuel Neukirchner, Chef des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund, mit dem Band „Wembley 1966“, der vor allem von der vielfältigen und großzügigen Bebilderung lebt.

Das 50 Jahre zurück liegende Ereignis spiegelt natürlich auch längst den damaligen Zeitgeist wider, so dass das Match über das rein Fußballerische hinaus interessant ist. Also war es auch dem Deutschen Fußballmuseum eine Sonderausstellung wert. Hier haben wir das Begleitbuch dazu.

Wie simpel die Sache damals im Grunde gewesen ist, formuliert treffsicher der damals beteiligte (und vom 4:2-Endergebnis für England tief enttäuschte) Mittelstürmer Uwe Seeler im Interview für den vorliegenden Band: „Für die Engländer war er drin, für uns Deutsche nicht. So einfach ist das.“

Man darf ergänzen: einfach kompliziert. So, dass man ganze Bücher darüber machen kann… Und somit hätten wir auch ein passendes Geschenk für altgediente Fußballfans.

Manuel Neukirchner: „Wembley 1966. Der Mythos in Momentaufnahmen“. Deutsches Fußballmuseum, Dortmund/Klartext Verlag, Essen. 160 Seiten, großformatiger Bildband (Broschur) mit zahlreichen Abbildungen (Farbe und schwarzweiß). 14,95 Euro.

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Ruhrgebietskrimi

Wer für Ruhrgebietskrimis zu haben ist, freut sich vielleicht über dieses etwas kleinere Geschenk: „Am Boden“ von Lucie Flebbe dreht sich zunächst u.a. um den riskanten Kletter-Trendsport „Roofing“.

Ein Student wird verdächtigt, einem Freund bei einer Klettertour einen Stoß versetzt zu haben – mit tödlichen Folgen. Lucie Flebbes schon mehrfach erprobte Privatdetektivin Lila Ziegler und ihr Partner Ben Danner wollen den Fall aufklären – ein Unterfangen mit ungeahnten Weiterungen. Alsbald geht es auch um häusliche Gewalt (Lila zeigt ihren eigenen Vater an), und schließlich kommt es zu einem spektakulären Showdown im Bochumer Opel-Werk. Merke abermals: Aufgegebene Industrie-Standorte des Reviers (vgl. auch Phoenix West und ähnliche Locations in Dortmunder „Tatort“-Folgen) eignen sich oft bestens als Krimischauplätze.

Lucie Flebbe: „Am Boden“. Kriminalroman. Grafit Verlag, Dortmund. Paperback, 251 Seiten, 11 Euro (als E-Book 9,99 €)

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Architektur der Region

So. Und nun hätten wir noch etwas für die an Kunst und Architektur Interessierten.

Christoph Rauhut und Niels Lehmann stemmen ein wahrhaft ambitioniertes Projekt. Seit einigen Jahren widmen sie sich eingehend der Architektur des Expressionismus, ein Band über herausragende Beispiele in Berlin und Brandenburg hatte den Anfang einer groß angelegten Reihe gemacht. Jetzt liegt ein weiterer Band vor, der sich den einschlägigen Baubeständen an Rhein und Ruhr zuwendet.

Zur ersten Orientierung schaue man am besten gleich ganz hinten nach, nämlich im reichhaltigen Gebäuderegister, das nicht nur Geschäfts-, Büro und Industriebauten auflistet, sondern auch öffentliche Gebäude, Sakralbauten und Wohnhäuser.

Auch wenn so vieles im Krieg zerstört worden ist, so gibt es doch auch in NRW noch eine imponierende Fülle von oftmals monumentaler expressionistischer Architektur (manches freilich nur noch in fragmentarischer Form), wobei gerade im Ruhrgebiet jede Stadt ihr eigenes Profil ausgebildet hat.

Die Textbeiträge in diesem Band (jeweils auf Deutsch und Englisch) sind sehr überschaubar, es handelt sich zwar um ein Ergebnis, nicht aber um die Wiedergabe einer fundierten wissenschaftlichen Aufarbeitung. Den weit überwiegenden Teil des Buches machen Fotografien und Lagepläne aus. Das darf sicherlich auch als Ermunterung verstanden werden, sich das eine oder andere der insgesamt 155 Gebäude einmal selbst anzusehen.

Um nicht ins Uferlose zu geraten, hier nur ganz wenige Beispiele aus dem Ruhrgebiet: Bogestra-Verwaltung (Bochum), Hans-Sachs-Haus (Gelsenkirchen), Union-Brauerei/Dortmunder „U“, Hauptpost (Essen), Polizeipräsidium (Oberhausen), Volkshochschule (Gladbeck), Gebäudeensemble Hauptfriedhof (Dortmund).

Im Vorwort heißt es, die vorgestellten Bauten (vorwiegend aus den 1920er Jahren) ließen samt und sonders künstlerischen Gestaltungswillen erkennen und stünden einer auch damals schon drohenden Banalisierung des Metiers entgegen. Und wie sieht’s damit heute aus? Eine Frage, bei der man unwillkürlich seufzt.

Christoph Rauhut/Niels Lehmann: „Fragments of Metropolis – Rhein & Ruhr. Das expressionistische Erbe“. Hirmer Verlag. 256 Seiten (Format 15,5 x 24,5 cm). 156 Farbabbildungen, 30 Pläne und Karten. 29,90 Euro.




Wenn markante Gebäude nicht mehr ohne Weiteres fotografiert werden dürfen…

Ich behaupte ja gern mal, dass manchen Politikern von Berlin bis Brüssel ein gewisser Hang zur realitätsfernen Naivität nicht abgesprochen werden kann. Bei Kommissären der Europäischen Union ist das nicht anders – oder sogar noch ausgeprägter? Ein Urheberrecht ist nicht nur eine feine und absolut zu befürwortende Sache, gerade in Zeiten der Weltweitnutzung von Bildern via facebook und anderer sozialer Netzwerke. Aber man kann bei Anpassungen dieser Rechtsvorschriften an aktuelle Medialität auch derartig übers Ziel hinaus schießen, dass es absurd wird.

Künftig ein urheberrechtlich geschütztes Panorama? Dortmunder Innenstadt mit Bibliothek und RWE Tower. (Foto vom 29.10.2010 - Bernd Berke)

Künftig ein urheberrechtlich geschütztes Panorama? Dortmunder Innenstadt mit Bibliothek und RWE Tower. (Foto vom 29.10.2010 – Bernd Berke)

Angenommen, nur mal angenommen, die in Deutschland übliche „Panoramafreiheit“ würde aufgrund der EU-diskutierten Vorschriftsänderung fallen, dann wird es aber kritisch für jeden, der gern fotografiert und schon gar für alle, die das hauptberuflich unternehmen. Alle urheberrechtlich geschützten Fassaden neuerer Provenienz, jede urheberrechtlich geschützte achitektonische Leistung innerhalb eines Stadtgebildes, jede Beleuchtungsinstallation, die einen solchen Schutz für sich in Anspruch nehmen kann, birgt dann Abmahn-Gefahren ohne Ende. Die einschlägigen Kanzleien würden entzückt sein und eigene Abteilungen einrichten, die das Netz nach „Sündenfällen“ absuchen und flugs strafbewehrte Forderungen an jegliche Übertreter solcher Vorschriften versenden.

Auch bei Selfies wäre dann Vorsicht geboten. Schon heute gilt das beim Eiffelturm (Frankreich kennt keine Panoramafreiheit). Grinst man urlaubsfröhlich in die Linse und hat die ehrwürdige Stahlkonstruktion im Hintergrund, ist das tagsüber unproblematisch. Macht man das aber bei Nacht, wird’s kritisch. Denn die aktuelle Erleuchtung der Tour Eiffel ist nicht etwa seit dem 31. März 1889 (Eröffnungstag zur Pariser Weltausstellung) an Gustav Eiffels epochalem Werk installiert, sondern erst seit 2008. Wenn man solch ein Selfie dann postet, müssten streng genommen Gebühren an die Betreibergesellschaft SETE gezahlt werden.

Setzte sich die EU mit dieser schrägen Nummer durch, wäre dies eine praktische Folge: Das Foto mit der Dortmunder Reinoldikirche im Hintergrund stellt kein Problem dar. Wäre aber beispielsweise die Landesbibliothek im Vordergrund zu sehen, könnte Unbill drohen. „Die Zentralbibliothek der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, ein markantes Gebäude aus der Ideenwerkstatt des Schweizer Architekten Mario Botta, ist ein architektonisches Ereignis, ein Blickfang und ein ,Tor zur Stadt‘.“ So steht es im Webauftritt der Stadt Dortmund. Und in der Schweiz könnte man Urheberrechte vermuten.

Also, Finger weg in Bälde von Bildern mit solchen „Eingangstoren“ in eine Stadt. Sobald eine wirtschaftliche Nutzung aus dem Ablichten von dessen Formen resultiert, träte das Urheberrecht auf den Plan. Und da man mit dem Posten auf facebook jedes Nutzungsrecht an Mister Zuckerman abtritt… Auch das Atomium in Brüssel ist geschützt, das Guggenheim-Museum in Bilbao, das Empire State Building in New York, der Louvre in Paris – nur ein paar Exempel, an denen Urheberrechtsinhaber ein solches statuieren könnten.

Vielleicht gesellen sich nächstens zahllose neue Stätten dazu. Ich überlege, ob ich schnell mal Gebrauchsmusterschutz auf Klohäuschen mit eingesägtem Herzchen anmelde. Oder auf Fotografien, die ich von Schlaglöchern auf bundesdeutschen Straßen gemacht habe. Ehe mir da jemand zuvor kommt und mir Chancen nimmt, all‘ die Abmahnverfahren der Zukunft bezahlbar zu halten.

Aber mal im Ernst, ich frage mal so ganz naiv: Wie wird die Welt zukünftig davon erfahren, dass es großartige Gebäudearchitektur gibt, wenn sich keiner mehr traut, Bilder von ihr zu veröffentlichen? Nur aus autorisierten Katalogen?




Was Architekten gut finden: „Ausgezeichnete“ Bauten im Raum Dortmund – Hamm – Unna

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Die nach den Geschwistern Scholl benannte Gesamtschule in Lünen (hier eine Innenansicht) ist ein Werk des Star-Architekten Hans Scharoun. Der sorgfältigen Renovierung des Baus wurde jetzt eine „Anerkennung“ des Architektenbundes zuteil. (Foto: BDA)

Wenn der Bund deutscher Architekten, Abteilung Dortmund Hamm Unna, gute Architektur und somit in der Regel gute Architekten ehren will, dann finden sich auf der Vorschlagsliste Büros aus Berlin, Nürnberg, Hagen oder Senden, wo lebendige Architekten unermüdlich an der Verschönerung der Welt werkeln.

Will man aber einen großen Toten der Zunft ehren, Fachleute wissen das natürlich, muß man nach Lünen fahren. Das dortige ehemalige Mädchengymnasium, nach den Geschwistern Scholl benannt und heute Gesamtschule, hat nämlich Ende der 50er Jahre Stararchitekt Hans Scharoun entworfen, dem unter anderem Berlin seine Philharmonie und Bremerhaven sein Schiffahrtsmuseum verdankt.

Als Lünen Scharoun und keinen anderen beauftragte, war die Stadt noch eine reiche Stadt; das änderte sich, und lokale Armut spiegelte sich bald auch im Erhaltungszustand des Gebäudes, das im übrigen ja, alte Lüner wissen das, nie ganz dicht war. Mit viel Geld aus der Wüstenrot-Stiftung haben die Architekten Spital-Frenking und Schwarz den Bau jetzt sorgfältig durchsaniert und auf Vordermann gebracht, und dafür gab es warme Worte (und Urkunde, aber kein Geld).

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Stimmig eingepapte Bürobauten neben der Hörder Burg. (Foto: BDA)

Mit der Renovierung wurde das Gebäude auch recht bunt angestrichen, was das Erstaunen Uneingeweihter hervorrief. Denn eigentlich war die Mädchenpenne immer weiß. Doch gab es nun vor der Renovierung einen Putzbefund, der auf einem Prüffeld der Fassade Reste bunter Farben zeigte; und tatsächlich finden sich die auch in Scharouns Entwurfsplanung, wenngleich er ja gegen das Weiß nichts gehabt zu haben scheint. Nun denn, also jetzt Scharoun in Ocker, Grün, Rot…

Kommen wir zu den Projekten, bei denen lebende Architekten ihre Kreativität ausleben konnten. Preiswürdig war der Jury an derSchule Am Eierkamp (Dortmund-Hombruch) die Einbeziehung einer Außenfläche in den Baukörper. Eigentlich, so könnte man meinen, keine große fachliche Herausforderung. Doch das sah die BDA-Jury anders, zumal diese Baumaßnahme richtungweisend für Umbauten von Schulgebäuden in den kommenden Jahren sei.

Auch einem Einfamilienhaus wurde die BDA-Auszeichnung zuteil. Geplant hat es das in Dortmund recht bekannte Büro Schamp und Schmaloer. Richard Schmaloer, dies nur anbei, ist amtierender Vorsitzender der hiesigen BDA-Gruppierung. Das Haus könnte ein Kubus sein, doch sein Dach ist schräg. Des Rätsels Lösung liegt in der Bauherrschaft Wunsch: Sie wollte ein Haus mit Flachdach in einem Neubaugebiet, in dem die Stadt Pult- und Satteldächer forderte. Das Haus steht, der städtischen Auflage ist Genüge getan; doch trägt die Dachschräge nicht unbedingt zur Schönheit des, wie gesagt, von Konzept her eher kubischen Baukörpers bei, und abhängig vom Blickwinkel wird er in der Siedlung wohl auch ein Fremdkörper bleiben. Die Maßnahme ist ein schöner Beitrag zum Thema Sinn und Unsinn behördlicher Vorgaben. Architektonische Kreativität erscheint hier in einem ganz neuen Licht.

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Die Dortmunder Liebfrauenkirche wurde – stilvoll – in ein Kolumbarium umgewandelt. (Foto: BDA)

Der Umbau der Dortmunder Liebfrauenkirche zu einem Kolumbarium durch das Berliner Büro Staab Architekten ist ohne Einschränkung gelungen. Hier ist jetzt Platz für 4000 Urnengräber, deren diskrete Anordnung an die vormalige Möblierung mit Kirchbänken erinnert. Ein guter, starker Ort.

Das nächste Objekt, das den Architekten anerkennenswert erschien, liegt nur einige hundert Meter Luftlinie von der Liebfrauenkirche entfernt. An der zu einem „Boulevard“ rückgebauten Dortmunder Kampstraße steht das ehemalige Verwaltungsgebäude der West-LB, das zu einem Ärztehaus umfunktioniert wurde. Ein Betonklotz aus den 70er Jahren, den umlaufende, meterbreite weiße Plastikwülste prägen und den schön zu finden doch einige Anstrengung erfordert.

Auch wenn Baudenkmäler definitionsgemäß nicht nach Schönheit, sondern nach architektur- und städtebaugeschichtlicher Bedeutung ausgesucht werden sollen, hätte man diesen Bau nicht zwingend erhalten müssen, denn ganz so einzigartig ist er gewiß nicht. Das wesentlich jüngere Volkswohlbund-Haus aus den Achtzigern, nur wenige hundert Meter weiter am Wall gelegen und von weitaus erträglicherem Äußeren, entsorgte man vor einigen Jahren kurz und schmerzlos mit Hilfe einiger Sprengladungen. Die West-LB aber steht jetzt unter Denkmalschutz und trägt angeblich zur Schönheit der Dortmunder Innenstadt bei. Lol.

Munter geht die Reise weiter. Wir erreichen Dortmunds prominentestes Ziergewässer, den Phoenix-See. Hier haben Drahtler Architekten einen Verwaltungsgebäudekomplex neben die so genannte Hörder Burg gestellt, der sich ausgesprochen harmonisch dem baulichen Bild einfügt, gleichermaßen in Materialität und Proportionen. Angenehm fällt insbesondere der Verzicht auf modischen Zierat auf, läßt man die in die Ecken der Gebäudekörper gesetzten Fenster auf einigen Etagen einmal außer Acht. Die Auflockerung des Fassadenbildes durch versetzte horizontale Fensterreihen vermeidet Langeweile. Eine derart gleichermaßen anspruchsvolle wie unaufdringliche Architektur hätte man sich am Phoenixsee häufiger gewünscht. Ist jetzt aber zu spät.

Unna Busbahnhof

Busbahnhof in Unna. (Foto: BDA)

Wir kommen nach Unna, und zwar mit Bahn und Bus. Hier gibt es ein großes Dach über dem Busbahnhof, damit die Fahrgäste beim Umsteigen trocken bleiben. Das wird wohl auch gelingen; doch hätte die Konstruktion nicht etwas filigraner ausfallen können? Das wuchtige Dach sieht aus wie eine plattgedrückte Betonbratwurst auf Stelzen. Darunter ist es düster, weil Beton bekanntlich kein Licht durchläßt. Deshalb gibt es ein Lichtkonzept, das im Wesentlichen aus Strahlern besteht, die von unten das Betondach erhellen. Nachts braucht man die natürlich, aber nicht bei Sonnenschein. Es bricht sich der Gedanke Bahn, daß flächendeckend eingesetztes Glas auch ein schöner Baustoff gewesen wäre.

In Hamm gefiel den Architekten der Neubau einer Sparkassenfiliale, über dessen bauliche Qualität wenig zu sagen ist; einfach gegliederter Baukörper aus Beton und dezent sandsteinfarbenem Klinker mit modischer Entrée-Situation. Eine so uneitle Zweckarchitektur ist oft das Schlechteste nicht!

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Sparkassenneubau in Hamm (Foto: BDA)

Neben den mit einer „Anerkennung“ geehrten Objekten gibt es auf der Vorschlagsliste noch etliche weitere. Viele Neubauten der letzten Jahre, Bürohäuser zumal, tauchen hier auf, daneben aber auch gravierende Umbauten innerhalb bestehender Objekte, wie beispielsweise im Dortmunder Johanneshospital.

Auffällig schließlich ist, daß der jüngst umgebaute und erweiterte Baukörper der Städtischen Musikschule in Hamm es nicht von der Vorschlagsliste in die Liga der Anerkannten schaffte. Ein bißchen Ähnlichkeit hat er mit dem Fußballmuseum, das vor dem Dortmunder Hauptbahnhof im Werden ist. Aber das ist wohl Zufall und hat nichts zu bedeuten.

Eine Ausstellung im Gebäude des ehemaligen Dortmunder Ostwall-Museums, Ostwall 7, präsentiert auf Schautafeln ausführlich die ausgezeichneten und vorgeschlagenen Bauobjekte. Bis 30.11. Geöffnet Freitag, Samstag, Sonntag 15 – 19 Uhr.

 




Dortmund damals: Beim Betrachten alter Bilder aus der Heimatstadt

Manchmal entdecke ich im Internet Vorlieben wieder, die zwischendurch geschlummert haben. Da gibt es z. B. intelligente Schwärme, die schöne, noch schönere oder gezielt hässliche Worte aufspüren, was sich mitunter als Hauptspaß, seltener auch als Tiefsinn erweist. Doch hier und jetzt geht es um alte, zuweilen nostalgische Fotos aus meiner Heimatstadt Dortmund.

Bei Facebook und wohl auch in anderen Netzwerken tummelt sich dazu die eine oder andere Interessengruppe, die mit Fleiß und Akribie bei der Sache ist. Eine hat sogar rund viertausend Mitglieder: Man kann dort quasi keinen Pflasterstein oder Grashalm aus der Stadt posten, den nicht irgend jemand wiedererkennen, exakt benennen und mit historischen Hintergrundinfos anreichern könnte.

Da gibt es Leute, die sich mit lokalen Details offenbar mindestens ebenso gut auskennen wie Stadtarchivare, Regionalhistoriker oder Fachleute vom Katasteramt – und das nicht aus Pflicht, sondern aus Leidenschaft, die bekanntlich bei jeder Anstrengung Flügel verleiht. Amateure, so kann man hier mal wieder sehen, sind keineswegs Dilettanten. Sie heben denn auch ungeahnte Bilderschätze.

Ich selbst habe als Kind kaum fotografiert – und erst recht nicht als Jugendlicher. Das galt damals als „uncool“. Schade drum, sonst hielte man heute die eine oder andere Erinnerung mit städtischem Kolorit in den Händen. Von digitaler Dauerknipserei ahnte man noch nichts.

Nicht nur, aber auch wegen dieses Defizits habe ich heute ein Faible für historische Fotos aus der Stadt – ungefähr zwischen 1860 und 1980 ist so manches An- und Aufregende zu finden. Den jeweiligen Zeitgeist kann man geradezu einatmen oder aus den Bildern trinken.

Wie sich die Straßen und ganze Stadtteile gewandelt haben! Welche (hie und da noch dörfliche) Beschaulichkeit oder Pracht in der oder jener Ecke früher geherrscht hat! Wie glanzvoll war ehedem die Kaiser-Wilhelm-Allee, die heute als Hainallee vergleichsweise kümmerlich wirkt. Wie schmuck war die Hohenzollernstraße in der östlichen Innenstadt. Auch da zeugen nur noch Restbestände von damals. Wie weh wird einem zumute, wenn man all die tiefen Wunden sieht, die dann die Bomben des elenden Weltkrieges gerissen haben. Von den Menschenleben natürlich ganz zu schweigen.

Danach war Dortmund – ehedem freie Reichsstadt und Hansestadt – zwar keine geschichtslose, doch in weiten Teilen eine gesichtlose(re) Stadt: Die sozialdemokratische Abrisswut zur Schaffung von Verkehrsschneisen tat nach 1945 ein übriges. Und heute wanken manche denkmalgeschützten Bauten, wenn ein Großinvestor winkt.

Über lange Zeiträume betrachtet, blieben im Stadtplan lediglich Grundstrukturen wie etwa der Wallring, der Hellweg oder (bedeutend kleinteiliger) das Rund des Borsigplatzes erhalten. Auch die Westfalenhalle und die großen Sportstätten haben immerhin über einige Jahrzehnte nicht ihre Gestalt, wohl aber ihren Platz behauptet.

Ein besonders eigentümliches Gefühl beschleicht einen dann, wenn man alte Fotos aus dem Viertel sieht, in dem man aufgewachsen ist; womöglich gar noch aus der passenden Zeit. Häuser, die man damals gar nicht richtig beachtet hat (als Kind hat man ja auf „Jugendstil“ und dergleichen gepfiffen), wirken da auf einmal wie Persönlichkeiten oder gar wie Freunde, die über all die Jahre hinweg immer da gewesen sind. Es ist, als könnte das Spiel von neuem beginnen.

Man kann den historischen Bildern schon beim flüchtigen Hinsehen einige generelle Erkenntnisse entnehmen, die so ähnlich für viele Städte gelten dürften. Man vergleiche: Nicht nur die Autos haben die ehedem unverstellten Straßen schrecklich überwuchert, auch das Fernsehen hat zwischenzeitlich verheerend gewirkt, weil seither abends weniger Menschen die Stadt bevölkert haben.

Staunenswert war allein schon die Vielzahl der Dortmunder Caféhäuser und Amüsierbetriebe, etwa in den 20er Jahren. In den 50ern hatte dann nahezu jeder Vorort sein eigenes Kino – und nun schaue man sich die heutige Situation an. Bis in die 1960er Jahre hinein gibt es Bilder, die von einer vollen Innenstadt zeugen, in der ganz offensichtlich mehr Betrieb war als heute.

Speziell in Dortmund und dem Ruhrgebiet zeigen sich selbstverständlich die Monumente der alten Industrie – Zechen, Stahlwerke, Brauereien. Doch nicht nur das. Welch ein imposantes Theater hat es einst in dieser Stadt gegeben, welch einen prächtigen Amüsierpalast am Fredenbaum, welch einen repräsentativen Hauptbahnhof! Und welch eine großartige Synagoge, die 1938 von braunen Horden ruchlos zerstört wurde!




Fußgänger sehen mehr von der Welt – An der Uni Kassel existiert der einzige Lehrstuhl zur Spaziergangswissenschaft

Von Bernd Berke

Dortmund/Kassel. Heute schon spazieren gegangen? Ganz entspannt im Hier und Jetzt des Waldes? Gut so. Aber haben Sie gewusst, dass es eine Spaziergangswissenschaft gibt? Kein Scherz. Im hiesigen Fachjargon heißt sie Promenadologie, im englischen Sprachraum strollology.

Es begann in den 1980er Jahren. Damals beackerte der Soziologe Lucius Burckhardt (1925-2003) wohl als erster das neue Forschungsfeld. Typisch deutsch: Nicht einfach gehen, sondern übers Gehen nachdenken? Jedenfalls wollte er „die Umgebung in die Köpfe der Menschen zurückholen“. Sein Nachfolger als Dozent an der Uni Kassel war der Berliner Martin Schmitz. Er ist überzeugt: „Spaziergänge können helfen, unsere Städte bewusster zu planen.“

Promenadologie hilft Raumplanern und Architekten

Worum geht’s den Spazierforschem also? Um unsere Wahrnehmung, unseren Blick auf Landschaften, Städte und Dörfer. Mit den schnellen Verkehrsmitteln, so eine Grundannahme, hat sich unser Hinschauen verändert. Indem wir mit Autos oder Billigfliegern durch Gegenden hindurch oder über sie hinweg sausen, bemerken wir viele Details gar nicht und ignorieren hässliche Ecken.

So sehen Stadtplanungen denn auch häufig aus: kein Gespür mehr für Übergänge, Abstände, Nuancen und Details. Schmitz: „Selbst Architektur-Studenten sind auf diesem Gebiet oft unterbelichtet. Sie kennen nicht einmal das Umfeld ihrer Unis.“ Die Spaziergangswissenschaft will für „Entschleunigung“ sorgen. Wer langsam und entspannt geht, sieht mehr. Kurzum: Man will gezielte Hilfestellung geben für Architekten, Stadt- und Raumplaner. Schmitz: „Daraus können neue Impulse entstehen.“

Wie auch immer: Die Spazierforschung dürfte ein Neben- und Hilfsfach bleiben – mit allenfalls mittelfristigen, unterschwelligen Wirkungen. Es gibt Ansätze in der Forschung, den „Spazierwert“ von Regionen auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten. Schmitz hält nicht viel von solchen Hitlisten. Sie verstellen vielleicht den Blick dafür, was man verändern kann.

Wenn der Weg gar nicht mehr zählt

Dabei ist genaues Hinsehen nötiger denn je. Denn neuere Entwicklungen, so Schmitz, lassen den genauen Blick noch mehr vergehen. Seit Navigationsgeräte weit verbreitet sind, interessiert meist nur noch die Ankunft am Ziel, nicht mehr der Weg – der wird ja schon ohne eigenes Zutun berechnet. Von Computer-Programmen wie Google Earth ganz zu schweigen, mit denen man virtuell blitzschnell an jeden Punkt der Erde gelangt. Wahrscheinlich kein Zufall, dass kürzlich der Kinofilm „Jumper“ so erfolgreich war: Da geht es just um „Teleportation“, also die Fähigkeit, sich sofort in jede Weltecke zu beamen. Gegenbewegungen gibt es freilich auch. Zu nennen wäre die Pilger-Mode im Gefolge von Hape Kerkelings Dauerbestseller „Ich bin dann mal weg“.

Die globale Mobilisierung hat weit reichende Folgen: Wenn man jederzeit überall sein kann, sieht es irgendwann überall ähnlich aus. Besonders die gleichförmigen Fußgängerzonen gefallen den Spazierwissenschaftlern nicht. Es klingt paradox, aber gerade diese Gehflächen wollen sie teilweise wieder durch Autoverkehr beleben.

„Durchmischung“ heißt das Zauberwort, mit dem Wohnen, Einkaufen und Arbeiten wieder näher zueinander rücken sollen. Solche Maßnahmen seien wirksamer, als wenn man (wie in Frankfurt oder Berlin) historische Häuserzeilen oder Stadtschlösser nachbaut, findet Schmitz.

Ihre Grundlagen holt die Promenadologie nicht zuletzt aus der Literatur. Vor allem im Roman sind Orte und Landschaften reine Kopfgeburten. Dieser Befund macht klar, dass auch Stadtbilder in erster Linie mit Phantasie zu tun haben. Sprich: Man kann sie sich für die Zukunft eben auch ganz anders vorstellen.

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HINTERGRUND

Lucius Burckhardt, Martin Schmitz

  • Der spätere „Erfinder“ der Spaziergangswissenschafft, Lucius Burckhardt (1925-2003) war in den 50er Jahren in der Sozialforschungsstelle in Dortmund tätig.
  • Er betrieb intensive Feldstudien zur Wohnsituation im Ruhrgebiet.
  • 1955 veranstaltete er in Dortmund den Kongress „Der Stadtplan geht uns alle an“.
  • In den 80ern entwickelte er an der Gesamthochschule Kassel das neue Fach.
  • Martin Schmitz  (1956 in Hamm geboren) studierte bei Burckhardt und verlegte später dessen Buch. In Kassel hat er den einzigen deutschen Lehrstuhl für Spaziergangswissenschaft inne.
  • Auch an der Uni Leipzig gibt es Seminare zur Spaziergangswissenschaft.
  • Der Künstler Gerhard Lang hat Aktionen im Sinne des Fachs veranstaltet: „Spazieren als künstlerischer Akt“.
  • Lucius Burckhardts Standardwerk: „Wer plant die Planung?“ Martin Schmitz Verlag, Berlin. 360 Seiten. 18,50 Euro.



Monumente einer milden Harmonie – Claus Bury zeigt seine architektonischen Visionen in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Es sieht aus wie das Modell einer Stadt für die „Ewigkeit“. Da hat einer allerlei architektonisches Vokabular zwischen Babylon und Altägypten, Azteken-Bauten und so genannter Postmoderne durchgespielt.

Der Modellbauer, dessen Einzel-Entwürfe hin und wieder realisiert werden, heißt Claus Bury, wurde 1946 geboren und lehrt Grundlagen architektonischer Gestaltung an der Gesamthochschule Wuppertal. Jetzt stellt er seine zwischen 1980 und 2001 entstandenen Kreationen im Von der Heydt-Museum aus.

Damit man sich die vom Künstler imaginierten Dimensionen vorstellen kann, stehen im Museum Menschenfigürchen vor und zwischen all den Modellen von Torbögen, Pyramiden, Brücken, Säulen und Treppen. Manchmal wirken diese Menschlein ganz verloren im Monumentalen, oft aber auch gleichsam aufgehoben im großen Ganzen. Vielleicht stehen ja gar religiöse Vorstellungen dahinter. Zumindest spürt man eine Aura, die über den Zeiten und Individuen schwebt. Geometrische Maßverhältnisse wie der Goldene Schnitt oder baulich umsetzbare mathematische Zahlenreihen sind halt nicht an Tag und Stunde gebunden.

Gemeinschaftstaugliche Skulptur

Doch die Visionen sollen auch im Hier und Heute verankert sein: Bury begreift Architektur nicht zuletzt als soziales Phänomen, als gemeinschaftstaugliche Skulptur, die nicht nur frommen, sondern auch nutzen möge. Davon zeugt u. a. das Modell eines in viele Kammern gegliederten Theater- und Kinozentrums, das in Duisburg entstehen könnte. Wer glaubt, Bury ergehe sich in prekärer Imponier-Architektur nach Art des NS-Baumeisters Albert Speer, der irrt. Für friedliche, gelassene Anmutung sorgt schon das Material, nämlich mild duftendes Holz. Das Naturprodukt ist vergänglich, es verwittert. Schon manche Bury-Schöpfung, die sich im Freien erhob, musste alsbald wieder demontiert werden. Also doch kein Ewigkeits-Anspruch…

Überhaupt hat’s Bury auch mit der Natur. Baut er eine Brücke, so denkt er beispielsweise an die Form eines Fisches. Oder er schmiegt seine Konstruktionen in Gartenlandschaften ein. Bury erstrebt eine Kontemplation und Harmonie, die weit über den Moment hinaus weist.

Vom Heuhaufen zur dorischen Säule

Wahrhaft grandios der Eindruck jenes Raumes, in dem die meisten der insgesamt 59 Holz-Modelle (Maßstäbe von 1:10 bis 1:200) den erwähnten Eindruck einer Stadt vermitteln. Da ergeben sich zahllose Blickachsen. Monumentales wirkt bei Bury stets gefällig, niemals aggressiv, verstörend oder auch nur befremdlich. Gerade das macht jene Kunstkenner, die sich gerne irritieren lassen, misstrauisch. Rasch erheben sie den Vorwurf, hier liefere einer lediglich hübsches Design. Schaut man genauer hin, so nimmt man freilich fragile Balancen und Stufungen wahr. Die architektonischen Phantasien erweisen sich denn doch als sinnreich ausgeklügelt.

Auch die Mühen der Vorbereitung werden dokumentiert: Man sieht penible Skizzen sowie Burys Fotografien, die auf einige Inspirationsquellen hindeuten – vom traditionellen bäuerlichen Heuhaufen bis dorischen Säule, vom Schornstein bis zur Pyramide. Wie Burys Arbeiten auf freiem Felde wirken, kann man nun gleichfalls in Wuppertal (Südstraße) ermessen. Hier entstand die dreieinhalb Tonnen schwere, 12 Meter lange Lärchenholz-Brückenplastik „Elastisch – Schwebend“. Sie greift Formen der Umgebung auf und versetzt sie zugleich in ungeahnte Schwingungen.

Claus Bury -Spannungsbogen. Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Elberfeld, Turmhof 8). Bis 22. Juli, Di-So11-18, Do 11-20 Uhr. Katalog 48 DM.




Frühe Blütezeit der Stadtplanung im Revier – Start einer Architektur-Ausstellungsreihe in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Die Avantgarde der Architekten war schon um 1920 in Dortmund nicht zu Hause. Die Herren der Schwerindustrie legten Wert auf massive Repräsentationsbauten und auch die Arbeiterschaft im Revier war, was die Künste anging, eher traditionell eingestellt.

In einem solchen Umfeld konnte ein Architekturbüro wie „D & K Schulze“ nicht nach den hohen Sternen der Stilgeschichte greifen. Solides Handwerk war angesagt. Dennoch mögen zahlreiche der von 1900 bis 1930 in und um Dortmund entstandenen (und vielfach erhaltenen) Bauten bis heute als beispielhaft gelten – vielleicht gar als neu zu entdeckende Vor-Bilder einer gegenwärtig nur mäßig profilierten Architektur?

Bemerkenswert, daß gerade ein Mann des Dortmunder Planungsamtes, der Städtische Baudirektor Michael von der Mühlen, eine Ausstellung über das Büro Schulze anregte, die im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte eine ganze architekturhistorische Reihe begründen soll – ein bisher ziemlich unbeackertes Feld, das man ja auch nicht nur dem Frankfurter Architekturmuseum überlassen muß.

„K & D“ (das sind: Karl und Dietrich) Schulze haben auch außerhalb von Dortmund steinerne Spuren hinterlassen. Die bauliche Gestalt des Selmer Ortsteils Beifang etwa basiert zu großen Teilen auf Karl Schulzes Entwürfen (Dietrich kümmerte sich immer mehr ums Geschäftliche), in Lünen stehen noch heute Schulze-Siedlungen mit weit über 2000 Wohnungen, in Bork wurde das Amtshaus, in Winterberg das Kurhaus nach Dortmunder Plänen gebaut. In der Westfalenmetropole selbst zeugen besonders die Gartenstadt-Bauten von dauerhafter Qualität. Und vorzugsweise im waldreichen Cappenberg ließen sich Honoratioren der Region schmucke Villen errichten. Auch hier hieß der Architekt oft Karl Schulze.

Die Dortmunder Ausstellung, die ausschließlich noch auffindbare Gebäude vorstellt, dokumentiert mit Fotos, Daten, Plänen und Modellen auch verschiedene Stilphasen — von expressionistischen Anklängen (Siedlung „Lenteninsel“ in Dortmund) bis hin zu den späten, nüchtern-funktionalistischen Versuchen in der Nachfolge des berühmten „Bauhauses“, zu dem die Schulzes freilich keine direkten Kontakte pflegten.

Die Ausstellung erfaßt einen Zeitraum, in dem überhaupt erst von Stadtplanung im Ruhrgebiet die Rede sein kann. Vorher waren die Häusermeere völlig planlos rund um Zechen und Stahlwerke gewuchert.

(Bis 10. September; bebildertes Werkverzeichnis des Büros Schulze 29 DM)




Künstler beklagen sich: Die neuen Museen sind zu teuer und verfehlen ihren Zweck – Diskussion mit NRW-Kultusminister Schwier

Von Bernd Berke

Münster. Mit den bejubelten neuen Museumsbauten sind Künstler offenbar gar nicht einverstanden. Ob Mönchengladbach (Abteiberg), Essen (Folkwang), Düsseldorf (Kunstsammlung NRW), Frankfurt oder Stuttgart – wirklich ausstellungstauglich seien diese Kunsttempel mitnichten.

Diese Auffassung vertraten jedenfalls einige handverlesene Künstler aus NRW, die jetzt mit dem Kultusminister des Landes, Hans Schwier (SPD), in Münster über Aspekte der Kunstförderung diskutierten. Preiswertere und gleichwohl zweckmäßigere Museen hätte man errichten sollen, so die vorherrschende Meinung. Ulrich Rückriem, Konrad-von-Soest-Preisträger und wohl bekanntester Diskussionsteilnehmer auf Künstlerseite: „Vier Wände und ein Oberlicht, das würde reichen!“ Die Architekten aber hätten wohl vergessen, daß der Museumsbau der Kunst zu dienen, nicht aber sie zu überwältigen habe.

Ulrich Rückriem: Förderung schwemmt schlechte Kunst nach oben

Rückriem, Bildhauer und Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, war der vehementeste Diskutant. Gegen seinen Wortschwall kam Minister Schwier kaum an. In Sachen Kunstförderung ließ Rückriem den diskussionswilligen Minister glatt „auflaufen“. Er, Rückriem, wolle für sein Teil gar keine Förderung; ein jeder Kunstler müsse sich auf eigene Faust durchkämpfen, und überhaupt sollten staatliche Stellen die Kunst „in Ruhe lassen“. Schon jetzt könne man 90 Prozent der Kunst vergessen (Rückriem benutzte ein schlimmeres Wort), bei verstärkter Förderung werde immer noch mehr „Mist“ hochgeschwemmt. Mit dieser fast sozialdarwinistischen Position eines international Arrivierten, vertrat Rückriem das Extrem.

Rolf Glasmeier aus Gelsenkirchen hingegen verwies auf das beachtliche Kunst-Potential im Ruhrgebiet, das jenem in Köln oder Düsseldorf durchaus ebenbürtig sei, das aber eben noch nicht ausreichend gefördert werde. Dies habe sich ganz deutlich bei der Revier-Kunstaktion „Grenzüberschreitung“ gezeigt. Glasmeiers Vorstellung: Das von „Horror-Designern“ geprägte Schreckbild unserer Städte könne von Künstlern korrigiert werden. Im übrigen gehöre unbedingt eine Kunst-Akadamie ins Revier.

Den Architekten auf die Finger sehen

Eine Möglichkeit verstärkter Kunstförderung ergibt sich – kurios genug – aus den Umstand, daß die Schülerzahlen im Lande beständig sinken. Alte Schulgebäude werden Verfügbar, die Künstlern kostengünstig als Atelierhäuser überlassen werden könnten; eine Möglichkeit, die Minister Schwier ausdrücklich guthieß.

Bei allem Geldbedarf: Als Sozialhilfeempfänger möchten sich die Künstler nicht abstempeln lassen. Statt dessen halten sie Ausschau nach alternativen Berufsfeldern. So wurde zum Beispiel der Vorschlag laut, „in jedes Architektenbüro“ einen Künstler oder eine Künstlerin als Aufpasser zu setzen, der/die – auf Honorarbasis – schlimme Bausünden verhindern solle.

Architekten, die (historisch gesehen) zuerst Autonomie und Freiheit der Kunst erstritten haben, schienen denn auch für die anwesenden Künstler in vielen Punkten die Haupt-Widersacher zu sein. Jammerschade, daß kein Vertreter der geschmähten Zunft an dem Gesprach teilnahm.

Statt Künstler zu Freizeit-Animateuren oder Sozialtherapeuten zu machen, müsse der Eigenwert der Kunst gewahrt werden. Unter anderem könne man hilfreiche Dienste bei Restaurationen von Gebäuden leisten, indem man das „Umweltverbrechen“ (Rolf Glasmeier) notorischer Stilbrüche vermeidet. Dazu freilich – so Ulrich Rückriem – fehlt es den Künstlern oft an rein handwerklichem Verständnis. Rückriem: „Die sollten beim Steinmetz oder in der Schlosserei anfangen, nicht in einer Akademie“.