Knickstellen, Übersäuerung, Datenflut – Archivare haben’s auch nicht leicht

Archivalien und Archivare gelten den Medien offenbar nicht als sonderlich „sexy“. Ganze zwei Journalisten (meine Wenigkeit inbegriffen) waren heute zugegen, als beim 68. Westfälischen Archivtag in Lünen eine Zwischenbilanz skizziert wurde. Die hiesige Presselandschaft ist arg überschaubar geworden. Hier also ein nahezu exklusiver Bericht:

Die Leute vom Fach sind jedenfalls zahlreich erschienen. Über 280 Archiv-Expert(inn)en aus Westfalen und darüber hinaus treffen sich am 15. und 16. März im Lüner Hansesaal. Als sich die Fachwelt vor 25 Jahren hier einfand, waren es nur 170. Würde es nicht so albern klingen, könnte man schlussfolgern, Archivieren liege doch im Trend. Jedenfalls ist es eine durch mancherlei Gesetze geregelte öffentliche Aufgabe von wachsender Bedeutung. Und das Metier hat sich zunehmend ausdifferenziert.

Das dürftige Lokalteil-Foto kann man bei uns auch kriegen (von links): Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns, LWL-Archivamtsleiter Dr. Marcus Stumpf, Lünens Stadtarchiv-Leiter Fredy Niklowitz und Michael Pavlicic (stellv. Vorsitzender der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe), versammelt um eine Stellwand mit alten Lüner Plakaten. (Foto: BB)

Ein Lokalteil-Aufsteller-Foto landesüblicher Machart kann man bei uns auch kriegen (von links): Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns, LWL-Archivamtsleiter Dr. Marcus Stumpf, Lünens Stadtarchiv-Leiter Fredy Niklowitz und Michael Pavlicic (stellv. Vorsitzender der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe) – neben einer Stellwand mit alten Lüner Plakaten. (Foto: BB)

Schwerpunktthema ist diesmal der sachgerechte Umgang mit Plänen, Karten und Plakaten. Fredy Niklowitz, Leiter des Stadtarchivs Lünen, beschreibt die spezifischen Probleme. Sie bestehen vor allem in der schieren Größe dieser Archivobjekte. So sammelt sein Archiv z. B. auch kommunale Wahlplakate bis zur Größe DIN A0 (841 x 1189 mm).

Pläne und Karten können durchaus ähnliche Größen erreichen. Früher wurden sie in Akten eingenäht, so dass man sie heute kaum noch unbeschadet aufblättern kann. An den Knickfalten sind mit der Zeit meist Bruchstellen entstanden. Dennoch: Um ihnen Informationen abzugewinnen, muss man sie aufklappen und auf Dauer flach und eben auslegen. Solche großen Dokumente muss man erst einmal liegend unterbringen.

Wir reden nicht von Petitessen. Zahlreiche Inhalte, etwa von Bauplänen und Katastern (einst häufig aus empfindlichem Pergamin), sind noch heute rechtsverbindlich. Also sucht man sie nach Kräften zu restaurieren und zu digitalisieren, wobei man die Originale natürlich behält, um selbst bei einem elektronischen Datenverlust abgesichert zu sein.

Der Landschaftverband Westfalen-Lippe (LWL) steht den Stadtarchiven beratend zur Seite. Gegen Gebühr übernimmt er auch kompliziertere Teile der Digitalisierung. Ein Scanner, der das genannte Format A0 schonend und berührungslos verarbeiten kann, kostet leicht über 100000 Euro, gibt Dr. Marcus Stumpf, Leiter des LWL-Archivamtes, zu bedenken. Das übersteigt die Finanzkraft vieler Gemeinden, deren Archive übrigens auch lohnende Bestände von Unternehmen und Vereinen, zuweilen auch von Privatleuten sichten und ordnen.

Mit Plakaten, die auch für Ausstellungen taugen, hat man die Aufarbeitung begonnen. Derweil liegen viele Karten noch brach. Da wartet Arbeit für Jahrzehnte, denn nach der Digitalisierung müssen Findbücher erstellt und systematisch mit Schlagworten versehen werden. Diese Findbücher werden allgemein im Internet zugänglich sein, das Einstellen von Abbildungen scheitert hingegen in der Regel an Urheberrechtsfragen.

Unterdessen hat sich das Berufsbild des Archivars grundlegend verändert. Etliche Dokumente werden heute ausschließlich digital und gar nicht mehr auf Papier erstellt. Sie müssen freilich „im Original“ aufbewahrt werden. Dass dieser Begriff seine Tücken hat, kann man sich als Computernutzer denken. Es gilt, Metadaten und den Modus der Übernahme genau festzuhalten, um möglichen Manipulationen vorzubeugen. Der pensionierte Studienrat, der in etlichen ländlichen Orten fleißig archiviert, ist damit wohl heillos überfordert. Es sollten sich schon hauptamtliche Fachkräfte darum kümmern.

Noch einmal kurz zurück zum Papier. Welcher Laie weiß schon, dass die alten Papiersorten von vor 1840 sich als ungleich haltbarer erweisen als jene neueren Datums. Seit Papier aus Holz und nicht mehr aus leinenen Lumpen gefertigt wird, seit es also vielfach übersäuert ist, bereitet es den Archivaren Sorgen. Auch Umweltpapier neigt zum zeitigen Zerfall.

Entsäuerungsmaßnahmen allein reichen nicht. Alles spricht für zügige Digitalisierung, die freilich ein weiteres Problem birgt. Jeder, der schon einige Zeit mit PCs arbeitet, kennt es auch: Ständig wechseln die Systeme, Dateiformate und Datenträger. Schon heute ist es kaum noch möglich, manche Disketten zu lesen, denn irgendwann gibt auch der letzte alte Computer seinen „Geist“ auf.

Lünens Stadtarchivar Fredy Niklowitz nennt ein berüchtigtes Beispiel für Datenschwund durch Systemwechsel: „Die Daten der ersten Mondlandung von 1969 kann heute kein Mensch mehr entziffern. Auch nicht bei der NASA.“ Mag sein, dass dieses Manko auch zu den Verschwörungstheorien (die Mondlandung wurde demnach „nur im Studio nachgestellt“ und ist niemals wirklich erfolgt) beigetragen hat. Es war allerdings wohl auch eine Art Initialzündung modernen Archivierens. Im Gefolge ist man hellhöriger und vorsichtiger geworden.




Damit die alten Filme nicht zerbröseln – Archivare stemmen sich gegen den Verfall von historischen Dokumenten in NRW

Von Bernd Berke

Duisburg. Kaum zu glauben, dass dies einmal Filme gewesen sein sollen: Eine Dose enthält nur noch ein seltsam bräunliches Pulver, aus einer anderen riecht es übel nach Essigsäure. Was immer auf den Streifen drauf gewesen sein mag – sie sind unwiederbringlich dahin!

Gegen derlei optischen Gedächtnisverlust stemmt sich der „Arbeitskreis Filmarchivierung NRW“. Federführend ist Sabine Lenk, Leiterin des einzigen Filmmuseums im Lande. Sie hat die zerbröckelten Filme zur Anschauung mit nach Duisburg gebracht. In ihrem Düsseldorfer Institut befindet sich das größte Filmlager von NRW, das sich über 1000 Quadratmeter erstreckt und laut Lenk „noch Platz für neue Fundstücke bietet.“ Dort lagern bereits Tausende Spulen bei konstanter Temperatur und einer idealen Luftfeuchtigkeit von nur 25 Prozent. Filme könnten auf diese Weise – so eine erstaunliche Schätzung – theoretisch bis zu 1000 Jahre überdauern.

Auch Alltagsszenen auf „Super 8″ gesucht

Zahlreiche Filmschätze im Lande sind allerdings bedroht, darunter rare Dokumente zur Vergangenheit Westfalens und des Ruhrgebiets. Selbst in städtischen Depots werden sie oft nur unzureichend verwahrt. Um zu retten, was zu retten ist, bieten die Institutionen, die hinter dem Archivkreis stehen (siehe Infos am Schluss), sachkundige Hilfe an. Und sie suchen nun verstärkt nach verborgenen Kleinoden auf Zelluloid. Auch Alltagsszenen aus dem privaten Bereich sind gefragt. Hans Hauptstock vom WDR-Archiv: „Der Badeausflug der Dortmunder Familie zum Sorpesee kann auf seine Art ein historisches Belegstück sein.“ Also: Alle mal nachschauen, was sich seinerzeit (beispielsweise auf „Super 8″) so angesammelt hat…

Der Archivkreis wurde vor 15 Jahren auf Anregung des damaligen Kulturministers Hans Schwier gegründet und meldete sich gleich mit einer „Bielefelder Erklärung“ zu Wort, die zur Erhaltung filmischer Werte aufrief. Jetzt erneuert eine „Düsseldorfer Erklärung“ den Appell und bittet um finanzielle Förderung durchs Land. Denn schon die Restaurierung eines einstündigen Streifens kann leicht um die 10 000 Euro kosten.

Immerhin: Seit 1991 ist einiges geschehen. Der Archivkreis hat systematisch rund 400 wichtige Fundorte für Filme aufgespürt – vom Wirtschafts- und Polizeiacrhiv bis hin zu kirchlichen Sammlungen. Fast überall gammelten regionale Bestände vor sich hin. Farbtöne waren verblasst, ganze Filme zerbröselten allmählich, waren bereits  unauflöslich verklebt oder brüchig geworden. Einiges hat man bewahrt und teilweise auf neuere Medien umkopiert. Anfangs war Nordrhein-Westfalen mit solchen Aktionen bundesweit Vorreiter, inzwischen hat Baden-Württemberg gleichgezogen.

Ein ständiger Kampf mit der Zeit

Beim Sichten und Bewahren historischer Filme führen die Experten seit jeher einenKampf mit der Zeit, sprich: vor allem mit technischen Neuerungen. Nachdem der Tonfilm aufkam, sind etliche Stummfilme verrottet. 1957 wurden Nitratfilme verboten, weil sie so leicht entflammbar sind. Folglich interessierte sich kaum noch jemand für das Material, es wanderte häufig in die Mülltonne. Ähnlich erging’s der Normal-8- und der Super-8-Schmalfilmtechnik, als die Videokassette aufkam. Die wiederum wird von digitalen Speichermedien verdrängt: CD-ROM, DVD, Festplatte. Deren Verfallszeiten liegen bei wenigen Jahrzehnten. Zudem kommt ständig neue Software heraus, so dass bald niemand mehr mit früheren Varianten umgehen kann. Probleme genug.

Was aber geschieht mit den glücklich geretteten Filmen? Sie sollen nicht nur im Archiv schlummern, sondern wissenschaftlich ausgewertet und möglichst oft gezeigt werden. So manche TV-Dokumentation hat schon Honig aus diesem Fundus gesogen, so etwas Paul Hofmanns nostalgischer WDR-Dreiteiler „Als der Ruhrpott noch schwarz-weiß war“, der derzeit im „Dritten“ wiederholt wird (Teil 2 am 27. November).

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HINTERGRUND

Universitäten der Region ins Boot holen

  • Zum 1991 gegründeten NRW-Arbeitskreis Filmarchivierung gehören u. a. folgende Einrichtungen:
  • Das Filmmuseum Düsseidorf (Schulstraße 4, 40213 Düsseldorf, Tel.: 0211/899-3788).
  • Das NRW-Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf.
  • Das Archiv des Westdeutschen Rundfunks (WDR).
  • Die „Kinemathek im Ruhrgebiet“.
  • Das Medienzentrum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL).
  • Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen.
  • Das Duisburger Filmforum.
  • Das Wirtschaftsarchiv der Firma Mannesmann.
  • Dringend erwünscht, aber noch nicht verwirklicht ist eine engere Kooperation mit den regionalen Universitäten.