Empörung auf der Bühne, Verärgerung im Parkett: „Ariadne auf Naxos“ an der Rheinoper

Der Komponist (Maria Kataeva) sieht die Uraufführung seines neuen Werks in Gefahr (Foto: Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein)

Der Komponist (Maria Kataeva) sieht die Uraufführung seines neuen Werks in Gefahr (Foto: Hans Jörg Michel)

Selten so ein dämliches Gesicht gesehen. Schon gar nicht auf einer Opernbühne. Dabei hat „Ariadne auf Naxos“ doch gerade erst begonnen. In der Titelpartie verzehrt sich die Primadonna vor Kummer über den Verrat des Theseus, kehrt sich in bitterem Schmerz von der Welt ab – und Truffaldin, ein Komödiant aus der Gruppe der leichtlebigen Zerbinetta, glotzt dumpf verständnislos wie ein RTL II-Fan, der versehentlich 3sat eingeschaltet hat. Womöglich hielt er Ariadne bislang für eine Meerjungfrau. Und Theseus für ein Wörterbuch.

Mit derlei Unvereinbarkeiten spielt Dietrich Hilsdorf in seiner ersten Strauss-Inszenierung, die er jetzt an der Rheinoper in Düsseldorf realisiert hat. Es ist, als habe der Regisseur mit „Ariadne auf Naxos“ ein ideales Gefäß für seine reiche Theater-Erfahrung gefunden. Das unbequeme Zwitter-Werk, das seine eigene Entstehung zum Thema erhebt und wie ein Irrlicht zwischen Schauspiel, Buffa-Komödie und Opera Seria schwankt, bietet ihm eine perfekte Vorlage für eine Persiflage über das Theater am Theater.

Natürlich ist das schon oft versucht worden, aber zickende Primadonnen, eitle Tenöre, renitente Orchestermusiker und herrschsüchtige Intendanten sind als Stoff zumeist rasch erschöpft. Hilsdorf hingegen eröffnet ein viel weiter gefasstes Panorama. Genüsslich spießt er auf, was uns auch heute sattsam bekannt vorkommt: solvente Geldgeber mit geringem Kunstverstand, erstaunlich unversöhnliche Verfechter der ernsten und der unterhaltenden Muse, sowie ein Publikum, dem ein Feuerwerk und ein feines Dinner ungleich wichtiger sind als die Musik, ohne die es ein sehr netter Abend hätte werden können.

Um die aus wenigen Holzbrettern zusammen gezimmerte Stehgreifbühne herum, die auf die italienische Commedia dell’arte verweist, bringt die Regie die Figuren mit Lust zur Weißglut (Bühne: Dieter Richter). Bis auf den blasierten Haushofmeister, Sprachrohr des mächtigen Geldgebers, ärgern sich eigentlich alle über die Zumutungen, die sie beim Einstudieren der Oper ertragen müssen. Der Haushofmeister seinerseits scheucht das reale Publikum der Rheinoper mehrfach von den Sitzen hoch, um den Willen seines Herrn über ein mitten im Parkett platziertes Mikrophon zu verkünden. Da heben sich Augenbrauen, da gibt es genervte Blicke, da reagieren die realen Operngäste mit genau der mühsam unterdrückten Empörung, die auf der Bühne schon längst dominiert. Also wirklich. Muss denn das sein?

Der Harlekin (Dmitri Vargin) tröstet die Primadonna (Karine Babajanyan. Foto: Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein)

Der Harlekin (Dmitri Vargin) tröstet die Primadonna (Karine Babajanyan. Foto: Hans Jörg Michel)

Es ist erstaunlich, mit welch leichter Hand Hilsdorf das dissoziative Gesamtkunstwerk der Ariadne plausibel macht. Mit Hilfe der Beleuchtung (Volker Weinhart) trennt er Vorspiel und Oper, um sie später kunstvoll ineinander zu weben. Der Charakter des unvollendeten Meisterwerks inspiriert ihn zu einem quirligen Spiel, dessen Details hier nicht alle verraten werden sollen.

Gesungen wird nämlich auch noch, und das exzellent. Karine Babajanyan ist eine wunderbare Primadonna, die uns Ariadnes Schmerzen ebenso tief und glutvoll fühlen lässt wie ihren Jubel über die Begegnung mit Bacchus. Elena Sancho Pereg zeigt nicht nur stimmliche Artistik: Als lebenslustige Zerbinetta schraubt sie sich mit soubrettenleichtem Sopran in den Koloraturhimmel, schlägt auf der Bühne Rad und rutscht nach ihrer Bravourarie flugs noch in den Spagat. Maria Kataeva bringt uns die Bedrängnis des Komponisten mit Ausbrüchen nahe, die vor Zorn beben, während ihrem Parlando zuweilen eine gewisse Spröde anhaftet. Heldisch helle Kraft verströmt der Tenor von Roberto Saccà, der die gefürchtete Partie des Bacchus mit Bravour meistert. Ariadnes Najaden, Zerbinettas Harlekine und viel Theaterpersonal wuseln in steter Geschäftigkeit um diese Hauptfiguren herum.

Einige akustische Probleme bereitet die Platzierung der Düsseldorfer Symphoniker, die hinter einem Gazevorhang im hinteren Teil der Bühne musizieren. Unter der Leitung von Axel Kober gewinnt das Kammerensemble nach und nach einen glänzenden, elegant-biegsamen Klang.

(Termine und Informationen: http://www.operamrhein.de/de_DE/events/detail/12278019/)




„Und in dem ‚Wie‘, da liegt der ganze Unterschied“: Camilla Nylund singt Richard Strauss in Essen

Camilla Nylund. Foto: Markus Hoffmann

Camilla Nylund. Foto: Markus Hoffmann

So etwas nennt sich Pech: Zum zweiten Mal musste Anja Harteros, „Residence“-Künstlerin der Philharmonie Essen, ein Konzert absagen. Eine hartnäckige Krankheit hat ihren Auftritt unmöglich gemacht. Als Einspringerin kam Camilla Nylund an die Ruhr – und die blonde Finnin als „Ersatz“ anzusprechen, wäre mehr als ungerecht.

Im Gegenteil: Häufiger als Harteros, die sich auf das italienische Fach und 2013 fast ausschließlich auf Verdi konzentriert hat, singt Nylund seit Jahren Strauss: Ariadne in Frankfurt, Salome und Feldmarschallin in Wien, Chrysothemis in Amsterdam, Daphne in Dresden. In der Region war Nylund 2010 in Köln im „Rosenkavalier“ zu erleben; demnächst singt sie Salome in Philadelphia und Arabella in Hamburg – unter Essens Ex-GMD Stefan Soltesz.

An ihn musste bei dem Konzert öfter denken, auch wer keine Nostalgie pflegt: Unter Friedrich Haider waren die Essener Philharmoniker ziemlich weit weg von den raffiniert polierten Klängen, die Soltesz bei Strauss zu modellieren pflegte. Schon in der Szene der Ariadne „Ach, wo war ich? … Es gibt ein Reich, wo alles rein ist…“ nahm Haider wenig Rücksicht auf die eher mit lyrischer Innigkeit als mit dramatischer Attacke agierende Sängerin, ließ sie mit expansiver Energie zudecken.

Das Orchesterzwischenspiel aus der leider auch im Strauss-Jahr 2014 nicht gespielten launigen Miniatur „Intermezzo“ mag in dem verschmolzenen Klangbild, das Haider pflegt, noch hingehen. Aber im Schlussmonolog der Gräfin aus „Capriccio“ gewinnt das Orchester kein Profil, erstickt die leuchtende Finesse der Instrumentation in dickem Schwall, treten die harmonischen Spannungen nicht hervor, die Strauss vor allem durch die Holzbläser erzeugen will. Und Camila Nylund scheint sich im Konversationston dieser Partie auch nicht wohl zu fühlen: die Artikulation ist unscharf, der Stimme fehlen die Farben, um dieses Selbstgespräch plausibel und beredt zu gestalten.

Auch nach der Pause bleibt’s eher wuchtig als elegant. Die „Rosenkavalier“-Walzer poltern lieber lerchenauisch aufgebläht als in silbriger Eleganz zu schweben. In den Finalszenen aus „Arabella“ bleiben die Holzbläser wieder unterbelichtet. Und unter den Ausschnitten aus Opern von Ermanno Wolf-Ferrari erreicht nur das Vorspiel zu den „Vier Grobianen“ diskrete Eleganz; die Suite aus der Oper „Der Schmuck der Madonna“ – die man auch gerne einmal auf der Bühne kennenlernen würde – war weniger in die glühende Schärfe des italienischen Verismo gekleidet als in einen breiig aufgetriebenen Klang.

Camilla Nylund präsentiert sich vor allem im Lyrischen als exquisite Strauss-Sängerin. Ihre Stimme gebietet nicht über die klangliche Expansion, die für dramatische Zuspitzung nötig wäre, aber sie hat eine leuchtende Mittellage, eine natürlich wirkende Noblesse im Ton und eine funkelnde Höhe. So singt Nylund eine beredte Feldmarschallin und eine jugendlich strahlende Arabella, der man abnimmt, dass ihre Liebe über alle spießigen Niederungen ihrer Umgebung erhaben ist.