Superbes Duett: Degas und Rodin im Wuppertaler Museum

Edgar Degas: "Drei Tänzerinnen" (blaue Röcke, rote Mieder), um 1903. Pastell auf Papier und Karton (Fondation Beyeler, Riehen/Basel - Sammlung Beyeler, Foto Peter Schibli, Basel)

Edgar Degas: „Drei Tänzerinnen“ (blaue Röcke, rote Mieder), um 1903. Pastell auf Papier und Karton (Fondation Beyeler, Riehen/Basel – Sammlung Beyeler, Foto Peter Schibli, Basel)


Nun, beste Freunde waren diese Herren nicht. Aber man kannte sich natürlich in Pariser Künstlerkreisen. Edgar Degas und Auguste Rodin, haben mindestens einmal, das ist erwiesen, bei Monet zusammen diniert. Und es wurde ein undatiertes Briefchen gefunden, das Edgar Degas an „mon cher Rodin“, seinen lieben Rodin, schickte, um ihn um eine Empfehlung zu bitten („Das wäre nett von Ihnen“). Kein Museum der Welt kam bisher auf die Idee, ausgerechnet „Degas & Rodin“, den Maler duftiger Tänzerinnen und den Schöpfer markanter Mannsbilder, in einem superben Duett zu präsentieren. Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum verschafft uns jetzt das Vergnügen.

Gerhard Finckh, der gewandte Direktor des Museums, weiß, dass er große Namen braucht, um das Publikum von nah und fern in seine Stadt zu locken. Und es gelingt ihm immer wieder. Noch bevor Degas und Rodin, die zufällig beide 1917 starben, nächstes Jahr zu ihren 100. Todestagen ganz groß in Paris und den USA abgefeiert werden, lenkt Finckh die Aufmerksamkeit schon mal nach – Wuppertal.

Edgar Degas: "Kleine Tänzerin", 1888, Bronze (Städel Museum, Frankfurt/Main, Artothek)

Edgar Degas: „Kleine Tänzerin“, 1888, Bronze (Städel Museum, Frankfurt/Main, Artothek)

100 Rodin-Werke und 80 von Degas, darunter elf aus der eigenen Sammlung, kann Finckh zeigen, dazu leicht lesbare Texte und opulent inszenierte Fotografien. Ein Coup, ohne Zweifel. Finckh macht den Anfang, sein imponierender Katalog liegt zuerst vor. Und sein Konzept ist überaus originell. Denn er hat, ohne die Sache zu forcieren, tatsächlich erstaunliche Parallelen im Oeuvre der beiden Großmeister der Moderne herausgearbeitet.

Beide schweiften nicht, wie die lichtvernarrten Kollegen der Impressionisten-Liga, durch Wiesen und Felder, um die Sonne zu suchen. Landschaft interessierte sie nur am Rande. Beide waren interessiert an der Figur und ihrer natürlichen Bewegung. Sie zeichneten sehr genau und schätzten, wie zarte Studien zeigen, die Vorbilder der Antike und Renaissance. Gleichzeitig nutzten sie das moderne Medium der Fotografie als Vorlage, um noch wahrhaftiger zu arbeiten. Beide waren bemüht, die Delikatesse der Malerei in die Skulptur umzusetzen – wobei nur Rodin als Bildhauer reüssierte. Damit wären wir schon bei den Unterschieden.

Rodin, ein imponierender Kerl und Frauenheld, 1840 als Sohn eines Polizeibeamten geboren, wurde dreimal von der Pariser Akademie abgelehnt und arbeitete sich über das Stukkateurhandwerk hinauf in den Olymp der Kunst. Rückschläge ließen ihn nur schlauer vorgehen. Als die lebensgroße Statue eines verwundeten Soldaten („Der Besiegte“) 1877 nichts als Genörgel auslöste, präsentierte er die nackte Figur eines stehenden jungen Mannes, der sich an den Kopf fasst, noch einmal ohne Lanze und mit dem allegorischem Titel „Das eherne Zeitalter“. Und siehe da: Das lebensgroße Bildnis wurde 1880 vom Staat gekauft, und Rodin hatte gleich den nächsten Auftrag in der Tasche – ein „Höllentor“ für das Kunstgewerbemuseum. Er avancierte zum Superstar der Bildhauerei, porträtierte Balzac, setzte ein Denkmal für „Die Bürger von Calais“, machte einen Boxer zum Modell für seinen „Denker“ und rückte auf in der Ehrenlegion. Die Kunden standen Schlange.

Auguste Rodin: "Das eherne Zeitalter", 1877. Bronze, Sandguss. (Musée Rodin, Paris)

Auguste Rodin: „Das eherne Zeitalter“, 1877. Bronze, Sandguss. (Musée Rodin, Paris)

Degas hingegen, eigentlich de Gas, 1834 geborener und exzellent ausgebildeter Spross einer Bankiersfamilie, endete als grämlicher Hagestolz. Er reagierte stets beleidigt auf Enttäuschungen. Nachdem die Kritik 1881 die Wachsfigur einer „Kleinen vierzehnjährigen Tänzerin“ mit echtem Tüllrock gehässig kommentiert und deren Physiognomie als verdorben bezeichnet hatte, zeigte er nie mehr wieder eine Skulptur öffentlich vor und handelte nur noch mit Malerei. Alle existierenden Bronzefiguren wurden posthum aus Wachs- und Tonmodellen gegossen. Umso berührender ist es, ihre gerettete Qualität zu sehen.

Finckh kann von der weltberühmten „Kleinen Tänzerin“ aus dem Musée d’Orsay zwar nur eine Leuchtfotografie zeigen, aber er hat eine ganze Compagnie kleinformatiger Degas-Ballerinnen zusammengestellt, die nackt und stolz posieren: Arabèsque und Attitude – das wirkt erstaunlich kraftvoll und wesentlich erotischer als die pastellfarbenen Bilder von Ballettmädchen in Tüllkostümen, die man sonst von Degas kennt und liebt. Und tatsächlich ergänzen die Bronzeabgüsse von Rodins kühnen Studien des modernen Ausdruckstanzes ganz ausgezeichnet dieses stumme Degas-Theater.

Auguste Rodin: "Tanzstudien F", um 1911 (Bronze, Guss 1952). (Musée Rodin, Paris, Foto Christian Baraja)

Auguste Rodin: „Tanzstudien F“, um 1911 (Bronze, Guss 1952). (Musée Rodin, Paris, Foto Christian Baraja)

Zugleich sieht man an der ungleichmäßigen Oberfläche der Skulpturen, dass hier wie dort ein malerischer Sinn am Werke war. Weder Degas noch Rodin mochten das Glatte, sie drückten ihre Figuren aus dem Ton oder Wachs mit Gesten, die differenziert waren wie Pinselstriche. Hier wurde zur festen Form, was Rodin in seinen Aktzeichnungen und Degas in seinen intimen Bildern von Frauen bei der Toilette festgehalten hatten. Das Museum zeigt etliche exquisite Beispiele dafür.

Rodins aquarellierte Zeichnungen sind auch für heutige Augen noch freizügig. Der Künstler lebte zwar bis ans Ende mit seiner Rose zusammen, malte und liebte aber auch andere Frauen ungeniert. Nicht nur seine hochbegabte Schülerin und Kollegin Camille Claudel machte er mit Treulosigkeit unglücklich. Degas hingegen mied persönliche Ausschweifungen. Er geisterte als korrekt gekleideter Gast durch die Hinterzimmer der Theater und Bordelle. Dort durfte er die Frauen bei ihrer Körperpflege beobachten und zeichnen, so lange es sein schwindendes Augenlicht erlaubte. Es ist nicht bekannt, ob er je ein Verhältnis zu ihnen hatte.

Auguste Rodin: "Tänzerin aus Kambodscha", Juli 1906. (Musée Rodin, Paris, Foto Jean de Calan)

Auguste Rodin: „Tänzerin aus Kambodscha“, Juli 1906. (Musée Rodin, Paris, Foto Jean de Calan)

Edgar Degas hütete seine Geheimnisse. Er wahrte die Fassade. Und auch in der Kunst war er mehr an der flirrenden Oberfläche, am Zauber der flüchtigen Geste interessiert. Auguste Rodin hingegen wollte das Verborgene offenbaren. Er erforschte den individuellen Ausdruck des Menschen in Schmerz, Sehnsucht, Liebe. Von ihm stammt der Satz: „Die Kunst beginnt erst bei der inneren Wahrheit.“ Insofern sind die Pariser Zeitgenossen Degas & Renoir keineswegs als Brüder im Geiste zu betrachten. Aber das macht die Ausstellung eher noch reizvoller.

„Degas & Rodin – Giganten der Moderne“: 25. Oktober 2016 bis 26. Februar 2017. Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8 (Fußgängerzone). Di./Mi. 11 bis 18 Uhr, Do./Fr. 11 bis 20 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr. Katalog (432 Seiten, Verlag Kettler) 25 Euro. DVD „Giganten der Moderne“ 17,50 Euro.
www.degas-rodin-ausstellung.de




Die Kunst braucht eine Seele – Ausstellung über Auguste Rodin und seine Wirkung im Marler „Glaskasten“

Von Bernd Berke

Marl. Das ist Gruppen-Dynamik im ganz elementaren Sinn: Umrundet man Auguste Rodins berühmte Skulptur „Die Bürger von Calais“ (1895), so ergeben sich immer wieder völlig neue, stets aber ausdrucksstarke Ansichten dieser sechs verzweifelten Menschen, die anno 1347 die Schlüssel der Stadt Calais an die englischen Belagerer abgeben mußten.

Von der einen Seite aus sieht man zum Beispiel ein veritables Gebirge von Körperteilen, von einer anderen – höchst filigran – das Spiel einzelner Muskeln.

Das grandiose Jahrhundert-Denkmal hat zahllose Bildhauer beeinflußt und ist jetzt erstmals in Deutschland zu sehen. Im Marler Skulpturenmuseum „Glaskasten“ wird einer von vier tonnenschweren Abgüssen gezeigt, die zu Rodins Lebzeiten entstanden sind. Auch weitere Schlüsselwerke des Franzosen gehören zur teuren Schau, die sich erst ab 50000 Besuchern rentiert. Falls das Ziel nicht erreicht wird, steht der Dortmunder Energiekonzern VEW mit einer sechsstelligen Ausfallbürgschaft für Verluste gerade.

Bis hin zu Bodenplatten und einer versenkten Säule

Konzept der Ausstellung: Rund 60 Skulpturen anderer Künstler (u. a. Lehmbruck, Hoetger, Kollwitz, Giacometti, Hrdlicka) lassen die Kraft- und Wirkungslinien hervortreten, die von Rodins Oeuvre bis in die Gegenwart reichen. Am Schluß des Rundgangs wird deutlich, wie die Skulpturen tendenziell Volumen verlieren und sich schließlich in die flache Ebene ducken. Carl Andre legt nur  noch Bodenplatten aus, Jochen Gerz versenkt gar eine Säule auf Nimmerwiedersehen in einer Erdöffnung. Damit ist wahrlich einNullpunkt erreicht.

Doch zurück zum Ursprung der Moderne und zum Zentrum der Ausstellung: Rodin, der zweimal von der Pariser Akademie abgelehnt wurde und sich daraufhin zugute hielt, dort nie „verbildet“ worden zu sein, durchbrach die herrschende Tradition seelenloser klassizistischer Glätte. Er beseelte das Material. Die Büste „Mann mit gebrochener Nase“, für die ein Stadtstreicher Modell saß, steht bereits für die Auflösung idealer und intakter Körperlichkeit. Figuren wie „Johannes der Täufer“ oder „Adam“ versetzte Rodin in derart expressive Bewegungen, daß die Zeitgenossen geradezu davor erschraken.

Das erste demokratische Denkmal

Auf die Spitze getrieben hat Rodin das dynamische Prinzip im vielfältigen Zusammen- und Widerspiel jener „Bürger von Calais“, die zugleich als erstes demokratisches Denkmal gelten. Denn sie erheben sich nicht mehr auf einem Ehrfurcht gebietenden Sockel. Der Betrachter, Bürger wie die Dargestellten, soll die Plastik „von gleich zu gleich“ anschauen.

Rodin verfuhr zwar konsequenter als andere, aber er war nicht etwa der radikalste Neuerer seiner Ära. Medardo Rosso („Konversation im Garten“, um 1896) löst die redenden Gestalten bereits fast zur Unkenntlichkeit auf. Die Skulptur wird zur zerklüfteten Landschaft, auf der sich das Licht impressionistisch brechen und streuen kann. Für die damalige Zeit eine unerhört abstrakte Schöpfung.

Der Rundgang führt an etlichen Kleinoden vorbei. Vom sonst nur als Maler bekannten Edgar Degas sieht man (posthum gegossene) Tänzerinnen-Figuren, von Henri Matisse zwei weibliche Akte. Die Leiber sind so geformt, als wären sie im Nu aus einem einzigen Block hervorgegangen.

Ganz anders das Verfahren von Auguste Rodin: Der hat vor den „Bürgern von Calais“ einzelne Kopf- oder Handstellungen erprobt, die er hernach In die Gruppe „einbaute“. Zudem hat er die Figuren erst nackt modelliert, bevor er sich an den Faltenwurf der Gewänder wagte. Auch so entsteht also Avantgarde: Schritt für Schritt.

Auguste Rodin – Werk und Wirkung. Skulpturenmuseum Glaskasten, Marl (Creiler Platz). Bis 1. März 1998. Di-So 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Eintritt 10 DM, Katalog 40 DM.




Rodin und die Inszenierung des Körpers

Von Bernd Berke

Münster. Für eine Skulptur des Schriftstellers Honoré de Balzac nahm sich Auguste Rodin viel Zeit. 1891 bekam er den Auftrag, bis 1898 fertigte er zahllose Skizzen und Entwurfsstudien. Rodin recherchierte genau. Sogar den Schneider des berühmten Toten suchte er auf und entlockte ihm exakte Angaben über die KörpermaBe des Dichters – Kunst, mit wissenschaftlicher Akribie betrieben. Auch darin war Rodin ein Kind seiner Zeit.

Daß Rodin (1840-1917) d e r stilbildende Bildhauer des späten 19. Jahrhunderts war, ist fast ein Gemeinplatz. Daß er auch als Zeichner zu kaum weniger vollendete Formen fand, kann jetzt – umfassend wie nie zuvor – im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte nachvollzogen werden. Eine Reihe von Architekturzeichnungen wird erstmals außerhalb Frankreichs gezeigt.

Die meisten Exponate, darunter die Balzac-Studien, stammen aus den Magazin-Beständen des „Musée Rodin“ in Paris. Die Ausstellung verschafft mit etwa 180 Zeichnungen und Aquarellen einen Überblick zu Rodins Lebenswerk (insgesamt 8000 Blätter). Die Zeichnungen sind nicht etwa bloß Vorstufen zu den Skulpturen, sondern bilden einen durchaus autonomen Strang in Rodins Schaffen.

Es beginnt mit Arbeiten aus den 1860er Jahren, die noch deutliche Kennzeichen akademischer „Fingerübungen“ tragen. Besonders gilt dies für einige Akte im Geiste des Klassizismus, die ebensogut von David oder Ingres stammen konnten. Über die zeichnerische Wiedergabe von Michelangelo-Statuen und die Darstellung antiker Szenen entwickelt Rodin immer entschiedener „seinen“ Stil.

Ausführlich werden die Entwürfe für das „Höllentor“ (inspiriert von Dantes ,,Göttlicher Komödie“) dokumentiert. Ähnlich wie „Faust“ Goethe sein Lebtag beschäftigte, so das ,,Höllentor“ Rodin. Ein schon unverwechselbarer Gestus kennzeichnet die Höllenstudien mit ihren dunkeldramatischen Tönungen.

Rodin bildet nicht einfach Körper ab, er bringt gleichsam die Kraftlinien zu Papier, die diese Körper in Bewegung setzen. Wenn er Figuren zu Gruppen zusammenstellt, so fügen sie sich zu ungeheuer dynamischen ,,Körper-Inszenierungen“. Spitzenstücke der Ausstellung sind die hauchzarten, schier „verfließenden“ Zeichnungen kambodschanischer Tänzerinnen, die 1906 in Frankreich gastierten und Rodin durch die Natürlichkeit ihrer Bewegung faszinierten.

Im Spätwerk nähert sich Rodin zeitweise dem Stil von Henri Matisse, zuweilen überschreitet er auch bereits die Grenzen der Gegenständlichkeit, indem etwa eine kniende Frauengestalt, die den Kopf zurückwirft, auf einem weiteren Bild zur Vasen-Form umgestaltet wird. Beide Arbeiten hängen in Münster nebeneinander, der Abstraktionsprozeß kann exemplarisch verfolgt werden.

Auguste Rodin – Zeichnungen und Aquarelle. Münster, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Bis 20. Januar. Katalog 40 DM.