Trauriger Mond und lustiger Urwald: Ballett am Rhein lässt das Barometer steigen

Foto: Gert Weigelt/Ballett am Rhein

Foto: Gert Weigelt/Ballett am Rhein

Erst scheint nur ein kleiner, fahler Mond in die Szenerie hinein, in der sich die Tänzer des Ballett am Rhein zu Skrjabins Sonate Nr. 6 bewegen: Melancholisch klingt diese Musik und dazu entwickelt sich ein Liebesdrama zwischen zwei Männern (Marcos Menha und Chidozie Nzerem), in das sich immer wieder andere Tänzer einmischen und so das Beziehungsgefüge noch störanfälliger machen.

Die Uraufführung unter dem Titel „Verwundert seyn – zu sehn“, kreiert von Martin Schläpfer für Düsseldorf und Duisburg, wird von dem Pianisten Denys Proshayev live am Klavier begleitet und lässt tatsächlich beinahe so etwas wie Weltuntergangsstimmung aufkommen. Denn wie in Lars von Triers Katastrophenfilm „Melancholia“ wird der kleine Mond im Laufe des Stückes zu einem immer größeren Planeten, der am Ende fast den ganzen Bühnenhintergrund einnimmt. Wird er mit der Erde kollidieren und die Menschheit auslöschen?

Die Tänzer wiederum scheinen dies gar nicht wahrzunehmen, so verstrickt sind sie in ihre Beziehungsgeflechte. Frauen versuchen, die mal innige, mal gewalttätige Variante der Männerliebe zu stören, zu heilen, zu sprengen. Zustände von Einsamkeit und Schmerz wechseln mit solchen von Trost und Hingabe. Musikalisch hellt sich die Stimmung mit Liszts „Le bal de Berne“ etwas auf und mündet dann mit Skrjabins Sonate Nr. 10 wieder in den undurchdringlichen Mysterien des Weltalls.

Foto: Gert Weigelt/Ballett am Rhein

Foto: Gert Weigelt/Ballett am Rhein

Ungleich heiterer beginnt der zweite Teil des Abends unter der Überschrift „Moves“, was auch die bunten Trikots der Tänzer anzeigen. Und doch ist Jerome Robbins Choreographie von 1959 ungewöhnlich, weil sie eines der wenigen Ballette ohne Musikbegleitung ist. Der Grund war profan, wurde doch der Komponist Aaron Copland mit der Musik nicht rechtzeitig fertig, also machte Robbins aus der Not eine Tugend und ließ sie einfach weg.

So knarzen die Sitze im Opernhaus, das Publikum hustet und die Füße der Tänzer scharren über den Boden. Die Geräusche des Tanzes entwickeln dabei aber einen ganz eigenen Rhythmus und die Bewegungssprache der Tänzer ist derart fesselnd, dass man nach einiger Zeit vergisst, dass etwas fehlt. Hier spricht der Tanz tatsächlich für sich selbst!

Foto: Gert Weigelt/Ballett am Rhein

Foto: Gert Weigelt/Ballett am Rhein

Der letzte Teil des Abends bildet dann eine Synthese. Hier gehören Musik und Tanz zusammen und Lebensfreude ist auch mit dabei. „Ein Wald, ein See“ heißt die Choreographie von Martin Schläpfer aus 2006, die damals in Mainz uraufgeführt wurde.

Der Wald klingt dabei eher nach einem Urwald, obwohl eine Eule über der Szene sitzt. Doch Instrumente wie Fujara, Wassertrommel oder Darabuka erzeugen beschwingte Klänge, die die Assoziation an südlichere Breitengerade hervorrufen.

Die Tänzer können ihrem Temperament freien Lauf lassen; sie zeigen nicht nur Natur, sie sind es: Manche Bewegungen wirken, als kräusele sich das Ensemble wie Wasser, andere erinnern an das Gebaren von Tieren. Es ist Raum für traumhafte Soli, leidenschaftliche Pas de deux und kraftvolle Sequenzen in der Gruppe. So steigt das Barometer dieses Tanzabends von melancholisch bis beschwingt stetig an und entlässt einen heiter in die Nacht.

Karten und Termine:
www.ballettamrhein.de




„Ein Deutsches Requiem“: Abschied von einem bewegenden Ballett in Duisburg

Die Spielzeit 2013/2014 der Theater und Opern im Ruhrgebiet ist größtenteils vorbei und wird mancherorts mit einem Wiederholungs-Höhepunkt verabschiedet. So auch in der Duisbuger Dependance der Deutschen Oper am Rhein, die zum (leider) vorerst letzten Mal das großartige Ballett „Ein Deutsches Requiem (b.09)“ zeigte.

Unter jubelndem Applaus und Bravo-Rufen wurde die Choreographie vom Publikum entlassen. Nicht wenige sahen diese einzigartige, bewegende Inszenierung zum wiederholten Male. Das Requiem war nicht nur in Duisburg/ Düsseldorf, sondern auch bei vielen Gastspielen und als ZDF-Fernsehproduktion ein großer Erfolg.

Mit der Choreographie zu Brahms Totenmesse „Ein Deutsches Requiem“ Opus. 45 nach Worten der heiligen Schrift schuf Ballettdirektor Martin Schläpfer ein überraschendes und überzeugendes aufwändiges Werk, dass alle Ensembles der Deutschen Oper am Rhein (Ballett, Solisten, Chor und die Duisbuger Philharmoniker) auf der Bühne vereinte.

Schläpfer wagt eine tänzerische Annäherung an das letzte Mysterium unserer abgeklärten Welt, an den Tod. Getanzte Ängste und mensch-bewegende Fragen zeigen nicht nur das Ringen um einen würdigen Abschied, sondern auch das Ringen um ein würdiges Dasein im Jetzt. Meisterhaft dargeboten, technisch ausgefeilt bis ins kleinste Detail, nimmt das Ensemble das Publikum mit auf eine Reise, getragen von stärksten Emotionen. Sie zeigen Zweifel, Trotz und Widerstand und lassen daraus eine ganz besondere melancholische Schönheit erwachsen.

Brahms Opus 45 wurde schon immer für seine Vollkommenheit gerühmt, Martin Schläpfers Choreographie hingegen zeigt ganz bewusst einen Gegenentwurf. Die Kostüme sehen aus wie zerfetzt, eine Solistin muss einen sehr schwierigen Part mit nur einem Spitzenschuh meistern. Abgesehen von diesem einen Spitzenschuh sind die Tänzer barfuß und beziehen ihre Kraft auch aus der schieren Masse der auftretenden Tänzer, die das Erhöhende ihrer oft akrobatisch anmutenden Sprünge genauso schnell wieder in den Boden stampfen. Selten agieren die Tänzer unisono, fast immer sind die Linien asymmetrisch. Meistens treten sie wellenartig auf. Wellen, die sich ganz langsam aufbauen und vorne am Rand der Bühne mit einer manchmal erschreckenden Kraft brechen.

Was es bei soviel kraftvoll getanztem Ausdruck nicht gebraucht hätte: die offensichtliche Symbolik des Schlussbildes, in dem sich die Tänzer in Ketten gelegt, jeder auf andere Art in eben diesen winden. Dass jeder Mensch in anderen Ketten liegt und anders mit diesen umgeht, das war auch vorher schon zu verstehen. Schade, dass Schläpfer da der Kraft seiner Choreographie nicht traut, es relativierte die fein austarierte Interpretation des Requiems ein wenig ins Banale.

Dennoch: es bleibt die erfreuliche Feststellung, dass das Ballett der Deutschen Oper am Rhein sich seit der Übernahme von Martin Schläpfer 2009 deutlich verbessert hat und mittlerweile auch weit über die Grenzen von NRW hinaus als bedeutendes Ensemble gilt, das Maßstäbe setzt.

Auch wenn diese Produktion in näherer Zukunft wohl nicht mehr gezeigt werden wird – in der Geschichte des Balletts der Deutschen Oper am Rhein wird sie sicher immer einen ganz besonderen Stellenwert besitzen. Auf ihre Art war sie richtungsweisend und zeigte, dass sich Mut zum Risiko durchaus lohnt. Auf die angekündigten Premieren der Spielzeit 2014/2015, unter anderem die Serenade von Balanchine – darf man schon jetzt gespannt sein.




Eine Bühne für den Spitzentanz: Ballett am Rhein mit b.13

Nach zahlreichen Performances auf Industriehalden, in Fabrikhallen oder genreüberschreitend im Museum ist es tatsächlich wieder einmal eine interessante Erfahrung, ein klassisches Ballett zu sehen: Virtuoser Spitzentanz im weißen Röckchen, Tänzerinnen leicht wie Pusteblumen, ihre Bewegungen akkurat, perfekt und hochmusikalisch.

Und die Musik kommt nicht vom Band. Auf allerhöchstem Niveau bietet der dreiteilige Ballettabend b.13 des Balletts am Rhein Düsseldorf Duisburg, ausgehend von George Balanchines „Concerto Barocco“, über Hans van Manens „Kleines Requiem“ bis hin zu Martin Schläpfers „Ungarischen Tänzen“, einen kurzen Gang durch die Tanzgeschichte.

Dabei ist Balanchines Choreographie zu Bachs Musik von 1941 strenggenommen natürlich „neoklassisch“ zu nennen, auch weil er die klassische Formensprache behutsam zu variieren beginnt. Trotzdem: Die Tänzerinnen im Eröffnungsstück bewegen sich als homogene Einheit, die auch der einzige hinzukommende Tänzer nicht zu stören vermag. Der Bühnenhintergrund ist lichtblau, ansonsten zählen nur Musik und Bewegung, andere Ablenkungen sind nicht zugelassen. Erstaunt stellt man fest: Das genügt vollkommen, zumal auch das Zusammenspiel mit den beiden Violinen perfekt funktioniert.

Zeitsprung: In Hans van Manens Choreographie von 1996 sind Beziehungen das Thema. In einer Art Reigen stört immer ein hinzukommender Tänzer den innigen Pas de deux des tanzenden Paares. Eifersucht, Zorn und Leidenschaft sorgen für eine emotionale Hochspannung, die die Tänzer in eine vibrierende Körpersprache übersetzen. Dabei entwickeln sich auch unvorhergesehene Konstellationen: Finden zwei Männer zusammen, muss die Frau alleine bleiben. Für einen unglücklichen Ausgang spricht, dass van Manen das Stück für eine ungerade Zahl von sieben Tänzern konzipiert hat. Einer wird schließlich einsam sein – doch wer weiß, vielleicht kann er so zu neuen Ufern aufbrechen?

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b13 Ungarische Taenze, FOTO: Gert Weigelt

Als erwarteter Höhepunkt des Abends springt Martin Schläpfer mit seiner Uraufführung von Brahms‘ ungarischen Tänzen einen Schritt weiter in die Gegenwart. Energie, Lebensfreude und süffige „Zigeunermusik“, schwungvoll dargeboten von den Düsseldorfer Symphonikern, zeigen Temperament und Spielfreude der Compagnie. Aufbauend auf dem klassischen Repertoire eines Balanchine sowie den Errungenschaften des modernen Tanzes eines Hans van Manen, zeigt Schläpfer hier wieder seine ganz eigene, wunderbar ironische Tanzsprache. Da wedeln die Tänzer mit ungarischen Fähnchen, nur eine hat sich die europäische Flagge umgehängt, darunter bleibt sie nackt, um dann verschämt von der Bühne zu schleichen.

Auch das Zigeunerleben hat mit idyllischen Vorstellungen wenig zu tun. So lustig die Tänze, so hitzig bricht das Temperament auf – bis hin zur angedeuteten Vergewaltigung am Bühnenrand. Die halbstarken Männer tragen Schlagstöcke und das alte Bauernpaar in Tracht wird zum Schluss kalt und steif von der Bühne getragen. Man braucht die alten Leutchen nicht mehr, die Zukunft gehört den Individualisten. Das ist allerdings eine Steilvorlage für die großartigen Tänzer des Balletts am Rhein, ihrer Lust an der Improvisation und an der kreativen Ausgestaltung der Charaktere. So wird der (politische) Kommentar zu Ungarn zugleich durchdrungen vom Lebensgefühl der Tänzer heute, das sie heraustreten lässt aus dem tänzerischen Kollektiv.

Auf diese Weise stellt der Tanzabend eine innere Verbindung her zwischen seinen drei Choreographien, die auch zu einem tieferen Verständnis dessen führen, was wir heute auf Tanzbühnen sehen – ebenso wie in Fabrikhallen.

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