Wok-Gemüse! Oder: Zeitdiebe lauern überall

Nicht überall treten Zeitdiebe so auf wie die grauen Herren in Michael Endes Roman „Momo“. Hierzulande sind es meist profitsüchtige Unternehmen und ihre Handlanger, die nur allzu gern die Zeit ihrer Kunden stehlen, um damit eigene Arbeitszeit einzusparen oder vermeintlich zu teures Personal abzubauen. Der Kunde ist König? Pah! Das war einmal. Kunden von heute sind vor allem eins: Nützliche Idioten, fest eingeplant, um gefälligst Dienstleistungen für jene Firmen zu erbringen, deren oberster Glaubenssatz lautet „Your time is our money!“

Dieb & Kunde. (Karikatur: Peter Thoms)

Wenn man vom Teufel spricht: Hermes ist kein Götterbote

DHL, UPS, DPD, HERMES …: Ich bin bekennender Onlinehandel-Verweigerer – nutzt aber nichts. Im schlimmsten Falle klingeln an einem einzigen Tag gleich mehrere Paketdienste und reißen mich aus Arbeitsflow oder Ruhepuls. Immer neue Kartons für die Nachbarn (auch auf der anderen Straßenseite) würden die uniformierten Boten gerne bei mir zwischenlagern. Gänzlich unbezahlt soll ich so die Lieferkette für Firmen mit Milliardenumsätzen vervollständigen.

Mittlerweile frage ich über die Gegensprechanlage, für wen denn die Sendung bestimmt sei und nehme nichts an, es sei denn, Freunde oder Kollegen schickten uns etwas Gutes. Besonders dreist: Die Paketfahrer bestehen bei der Annahme einer Sendung für Dritte auf einer Unterschrift – womit sie aus der Haftung raus wären und ich irgendwie drin.

Am Gängelband: Please hold the line!

Wer kennt das nicht? „Zurzeit ist leider kein Kundenberater frei, die Wartezeit beträgt voraussichtlich 17 Minuten.“ Spätere Anrufe werden ähnlich abgefertigt. Glücklich, wer an ein Unternehmen gerät, das einen Rückruf anbietet. Doch auch das kann dauern und man muss in der Nähe des Telefons bleiben, sozusagen im Stand-by-Modus, damit das Unternehmen selbst bei geringstem eigenen Personalaufwand wie geschmiert agieren kann. Ob der Kunde aus dem Takt kommt oder gestört wird? Zählt doch nicht.

Termin-Vereinbarungen: Pünktlichkeit ist eine Zier …

Besonders viel Zeit muss sich nehmen lassen, wer auf Handwerker oder Wasseruhr-/Strom-/Heizungs-Ableser wartet. Diese Freibeuter gehen schlicht davon aus, dass der Kunde sich einen halben oder ganzen Tag Urlaub nimmt, um dem frei flottierenden Arbeitsmanne ein schön großes Zeitfenster offenzulassen, durch das er dann zur Tür hereinkommt. Zeitangaben wie „Unser Mitarbeiter wird Sie in der Zeit von 10 – 16 Uhr zu erreichen versuchen“ sind keine Seltenheit. Wenn man besonderes Pech hat, kommt der Mitarbeiter sowieso nicht und die Zentrale des Unternehmens schlägt einen zweiten Termin vor, der diesmal aber kostenpflichtig sei, weil man ja beim ersten Termin nicht anzutreffen war? Wie bitte?

Rottweiler und kölscher Klüngel

Damit die Banken noch mehr Personal einsparen und Filialen schließen können, hatte die Rottweiler Sparkasse eine die Unternehmensressourcen langfristig schonende Idee: „Die Kreissparkasse Rottweil bietet zu verschiedenen Terminen kostenlose Schulungsnachmittage für neue Online-Banking-Teilnehmer an.“

Die Sparkasse KölnBonn ist da kundenorientierter und beglückt ihre Onliner in spe immerhin in der Eingeborenensprache: „Die Sparkasse (…)  macht das Online-Banking kölsch. In Zeiten, in denen durch Online-Banking Besuche in der Filiale vor Ort und das Schwätzchen op Kölsch mit den Angestellten immer seltener werden, bringt die Sparkasse damit ein Stück Kultur in ein neues Zeitalter. Umsatzabfrage heißt auf kölsch Ömsatzavfrog (…). Kölsch-Fans können seit dem 1. Dezember ihre Online-Bankgeschäfte in der Sprache machen, ‚die mer’n Düsseldorf zwar Rheinisch, doch em Rest der Welt Kölsch nennt‘ – wie schon BAP sang.“

Wenn dann der Kunde am Ende seinen PC, sein Telefon, seinen Strom und seine Zeit nutzt, um Buchungen anstelle der Sparkasse durchzuführen, dann geht ihm vielleicht doch noch auf: „Ich han zwei Arm för ze arbeide, zom Jlöck ävver och zwei Bein för dr Arbeit us dem Wääch ze jon.“

Arztpraxen: Die Dosis macht das Gift

Da merkt man doch gleich, dass die Halbgötter in Weiß immer noch eine Sonderstellung einnehmen. Wie sonst nur bei Gericht verschwendet man in deutschen Wartezimmern ganze Tage mit der Lektüre der Regenbogenpresse, mit angenehmen Gesprächspartnern im Austausch über Hämorrhoiden oder Zahnstein. Gern auch im Stehen, weil’s Wartezimmer schon voll ist. Man kam ja wegen des Rückens, da sollte man einmal gezielt in den Lendenbereich hineinspüren, bevor sich der Doc drei Minuten Zeit nimmt („Jaja, die Budgetierung …“), um eine Anstaltspackung Ibuprofen 800 zu verschreiben.

Patienten zur Verfügung

Meine Frau musste sich einer Fuß-OP unterziehen. Zuvor gab’s einen OP-Vorbereitungstag, einen Staffellauf für Masochisten, eine Art Aufnahme-Hindernisparcours. Eine Station bildete das Aufklärungsgespräch beim Narkose-Doc. Leider war der an dem Morgen aber auch als Notarzt eingeteilt. Die Patienten fanden sich also brav ab 9.30 Uhr ein, um auf die Sprechstunde zu warten, die dann aber erst ab 12.30 Uhr begann und nur eine knappe Stunde dauerte, weil der Betäubungsspezialist als Notarzt wieder ausrücken musste. Ich vermute, dass einige Patienten im Bergmannsheil GE-Buer (als Mitbewerber um eine OP) mittlerweile mumifiziert keinerlei Narkose mehr benötigen.

Unter allen Häubchen nur Geflügelformfleisch

Meine Frau hatte Glück. Ihr Gespräch fand um 13 Uhr statt. So viel Fortune muss aber auch bestraft werden. Das geschah dann am OP-Tag selbst, als sie sich um 7.30 Uhr einzufinden hatte, um erst gegen 11 Uhr Zimmer und Bett zugewiesen zu bekommen. Schön, dass sie während der Wartezeit in einer Sitzecke auf ungastlichem Flur (sie ist übrigens Privatpatientin!) an diesem Donnerstagmorgen doch noch Besuch bekam – von einer Diätassistentin. Für Freitagmittag wurde überlebens-optimistisch Wok-Gemüse bestellt.

Am Freitag kam tatsächlich auch ein Tablett mit einem Laufzettel, „Wok-Gemüse“ stand drauf. Hob man aber die Plastikhaube vom Teller, schwamm da ein aufgeweichtes Geflügelschnitzel in reichlich Tomatensauce, dazu Reis. Ich bin dann für meine Frau zu den Damen der Essensauslieferung geeilt. Dort beschied man mich, dass wir wohl zu spät oder vielleicht das Falsche bestellt hätten. Dieser Irrtum konnte ausgeräumt werden. Schnell wurde auf dem Transportwagen nach einem anderen Tablett mit Wok-Gemüse-Laufzettel gesucht und siehe da, es gab derer noch einige. Unser Pech: Unter allen Häubchen nichts als Geflügelformfleisch in Tomatenbad. „Da ist wohl einiges schiefgelaufen …“, hieß es schon kleinlauter. Immerhin, oft hört man bei solchen Gelegenheiten sonst nur den Satz: „Da sind Sie aber der Erste, der sich beschwert.“

Jedenfalls gab’s an dem Tag kein Mittagessen mehr für meine Frau. Ich bin dann ab in die Cafeteria, um in einer langen Schlange allmählich zur Essensausgabe vorzurücken. Und was gab es da Herrliches für Gäste und Angestellte? Unter anderem: Wok-Gemüse! Frisch aus der China-Schüssel! Vom Chef selbst geschwenkt.




Ein Finanzjongleur auf der Flucht – Martin Mosebachs eleganter Roman „Mogador“

978-3-498-04290-5Er ist offensichtlich ganz tief in schmutzige Finanzgeschäfte verstrickt und wurde gerade von der Polizei verhört. Da entscheidet sich der Düsseldorfer Banker Patrick Elff von einem Moment auf den anderen zu einer durchaus filmreifen Flucht.

Der junge Mann, einer der Hauptfiguren in Martin Mosebachs neuem Roman „Mogador“, springt direkt nach seinem Termin auf dem Polizeipräsidium aus dem Fenster, macht sich auf dem Weg zum Flughafen und steigt in einen Flieger mit dem Ziel Marokko. In Mogador (portugiesischer Name der Hafenstadt Essaouira) hofft er, vor den Fahndern in Sicherheit zu sein.

Dass sich der Finanzjongleur ausgerechnet nach Marokko begibt, hat mit seinen weit verzweigten Kontakten zu tun, die angesichts solch heikler Situationen schon mal ganz hilfreich sein können. Die Ungewissheit soll ihn aber noch länger begleiten.

In der Geschichte, die der Autor nun entwickelt, spielen die schmutzigen Bankgeschäfte eher eine Nebenrolle. Spannender sind die Verhältnisse, in denen der getürmte Spitzenbanker nun Unterschlupf findet. Auch seine „Gastgeberin“ Khadija bessert unter anderem mit Geldverleih ihr Einkommen auf und nimmt es bei ihren Geschäften nicht immer ganz so genau. Doch sie allein auf das Finanzgebaren zu reduzieren, würde der Figur nicht gerecht.

Mosebach zeichnet das Bild einer Frau, die lange Jahre ein biederes Leben geführt hat, bis ihr schwere Schicksalsschläge widerfuhren. Zwei Ehemänner starben bei Unfällen, ihr Sohn ist geistig behindert. Doch von wirklichen Zweifeln an sich oder an ihrem Dasein scheint sie nicht geplagt zu sein. Ganz allmählich lässt sie ihr altes Leben hinter sich und ist vor allem darauf bedacht, die Kontrolle über sich und ihre Umgebung, Freunde, Bekannte, Geschäftspartner eingeschlossen, nicht zu verlieren.

Es ist beeindruckend, wie es dem Autor gelingt, den allmählichen Wandel dieser Khadija anschaulich und nachvollziehbar zu beschreiben. Ist sie anfangs noch ein Mensch, dem das Leben zu entgleiten droht, hat sie bald alles im Griff. Sie verdient zunächst ihr Geld als Hure, wird später zur Kupplerin und kümmert sich schließlich sogar um einen sehr eigentümlichen Imam, dem magische Kräfte nachgesagt werden. Sie ist von Eigeninteressen geleitet, denn sie gibt die Hoffnung nicht auf, dass ihr Sohn – durch welche Methoden auch immer – geheilt werden könnte.

Patrick Elff tritt in ihr Leben, weil sie ihm eine Wohnung zur Verfügung stellen kann. Dort hofft er, vor seinen Häschern in Sicherheit zu sein. Doch Mosebach charakterisiert den Banker keineswegs als einen Mann, der ständig in Angst lebt oder mit dem Leben hadert. Vielmehr malt sich der Geflüchtete aus, wie Kollegen in der Bank und vor allem seine Lebensgefährtin Pinar wohl versuchen, ihn irgendwie zu erreichen. Dass man in Sorge um ihn sein könnte, scheint Patrick Elff eher unbedeutend zu sein. Dieser Finanzmensch ist wohl jemand, der – ähnlich wie Khadija – sehr rational den Fährnissen des Lebens begegnet. Doch manche seiner Gedanken an Pinar legen aber die Vermutung nahe, dass es ihm nicht immer gelingt, Herr über seine Emotionen zu sein.

Das Ende der Geschichte ist schließlich sehr überraschend und lässt auch durchaus manche Fragen offen. Lesenswert ist das Buch insbesondere auch deshalb, weil hier spannende Biografien auf sehr ungewöhnliche Art miteinander verwoben werden. Mosebachs Sprache kommt dabei äußerst elegant daher, wirkt allerdings stellenweise auch schon mal antiquiert oder verschnörkelt.

Und übrigens: Dass in diesen Zeiten eine Flucht von Deutschland nach Afrika führt, das hat schon eine besondere Note.

Martin Mosebach: „Mogador“. Roman. Rowohlt Verlag, 367 Seiten, 22,95 Euro.




Banny, Bicky und die Banker

Allmählich beginnt es zu nerven: Jedweder Hansel, der mit Überweisungen zu tun hat, will seit einiger Zeit deine IBAN und deine BIC haben.

Ob’s nötig ist? Wer fragt schon danach? Im Vergleich zur vorherigen Kontonummer nebst Bankleitzahl lesen sich die neuen Zahlenreihen auf den ersten Blick reichlich kompliziert. Aber bitte: Die da oben in den Bankpalästen machen ja doch, was sie wollen.

Man möchte allerdings lieber nicht wissen, wie viele hochbezahlte Ideengeber sich hierfür haben rühmen lassen; wie viele Konferenzstunden darüber in allen beteiligten Ländern verflossen sind; wie viele WHS (Wichtige-Herren-Stunden) in dieses immense Projekt investiert worden sind…

Brüllend komisch: Banny und Bicky (erste Entwurfsskizze: © Bernd Berke)

Brüllend komisch: Banny und Bicky (erste Entwurfsskizze: © Bernd Berke)

Was allerdings verwundert, ist dies: wie staubtrocken und nüchtern das alles abgelaufen ist. Offenbar wollten die Banker nicht in den Ruf des Unseriösen geraten. (*röhrendes Gelächter aus dem Off*)

Welch eine wunderbare Kampagne hätte sich schmieden lassen! Wie lehrreich, bildkräftig und überaus witzig hätte man etwa zwei muntere, flott gezeichnete Gesellen (nennen wir sie mal „Banny“ und „Bicky“) allüberall antreten lassen können, um uns cross- und multimedial die Notwendigkeit der Umstellung auf IBAN und BIC zu erklären – so ähnlich, wie man uns damals die Postleitzahlen eingetrichtert hat. Welche Abenteuer hätten Banny und Bicky nicht erleben können. Ich denke da nur an Suspense-Geschichten wie „Bannys prickelnde Gewinnerwartung“ oder „Bicky und das Zinsluder“.

Tja. Da müssen wir wohl wieder auf eine Weltmeisterschaft warten, um alberne Maskottchen zu sehen. Apropos: Weiß jemand schon, wie die Glücksbringer der Fußball-WM in Katar 2022 aussehen werden? Keckernde Wüstenfüchse? Lachende Bauarbeiter?




Ist die Finanzwelt etwa kulturlos?

Sie wird gern beschworen, die Gesprächskultur. Sie wird gern zitiert, die Unternehmenskultur. In vieler Munde ist sie, die Esskultur, oder auch die Tischkultur, beim Kochen spricht man häufig sogar von Kochkunst. Wir hätten auch noch die Diskussionskultur, Streitkultur oder sogar dann und wann Aussagen über Formen der politischen Kultur.
Auffällig indes ist, das mit keinem zusammengesetzten Wort eine Bankenkultur oder Finanzweltkultur erwähnt wird, und zwar nirgendwo. Offenbar handeln dort kulturlose Wesen.

Gänzlich abwegig finde ich meine Vermutung nicht. Ein Merkmal von Kulturen ist es doch, dass sie Werte erschaffen. Aus einem Grundstoff (Stein, Lehm, Farbe, oder, oder …) etwas Neues bilden, ja selbst der gute alte Kapitalismus, er sollte, und tat das, wenn auch unter gewissem Druck, er schuf Neues aus manchem und wandelte das am Ende in Mehrwert um, dass viel Geld daraus gewonnen werden konnte, mit dem entsprechenden Außendruck sogar dann und wann zum Wohle des Menschen.

Und was unternehmen heutzutage Banken, Banker oder Broker allermeistens? Sie unternehmen es, aus etwas vorgegeben, Geld nämlich, dasselbe zu erschaffen, nur mehr, viel mehr.

Sie machen also munter Wasser zu Wasser, so dass es schlussendlich ein Strom wird und nicht mehr als Flüsschen daher kommt. Eine bewundernswerte Leistung, genauso bewundernswert wie die Leistung, es bei diesem Bemühen zu vollbringen, dass aus dem Ursprungsgeld auch mal ein Nichts werden kann, dass dieses unversehens verschwindet.

Da fällt mir ein, die befrackten Herren, die früher albinöse Nager in Zylindern verschwinden ließen, nannte man Magier, nicht etwa Banker. Und die vollbrachten Kunststückchen – also doch eine gewisse Kultur?

Nein, denn sonst hätte unser Sprachgebrauch längst die Allmacht der Finanzwelt akzeptiert und den Begriff Großbank-Kultur erfunden. „… drum lernt‘ ich traurig den Verzicht, kein Ding‘ sei, wo das Wort gebricht.“ So dichtete Stefan George, dass es nichts gibt, wenn es keinen Begriff dafür gibt. Lernen wir also, dass alle an den Finanzmärkten Handelnde ohne Kultur sind, folglich ohne Sinn dafür, dass es einer gesellschaftlichen Gruppe besser oder vielleicht schlechter gehen könnte. Sie schaffen und produzieren nichts, allenfalls und ungünstigstenfalls ganze Länderpleiten, an denen man immer noch verdienen kann.

Sie sind halt kulturlos.

Wohin geht die kulturelle Reise? (Foto: Bernd Berke)

Wohin geht die kulturelle Reise? (Foto: Bernd Berke)