„Experiment“: Dortmunder Schau stellt Fragen zur Kulturgeschichte der chemischen Erfindungen

Bloß keine Scheu vor Elementen und Molekülen! Diese Schau handelt zwar von Erfindungen in chemischen Laboren, doch als Besucher muss man keine einzige Formel parat haben. Schaden kann’s freilich auch nicht.

Fast schon auratische Exponate in der DASA-SChau: Potenzielle Wirkstoffe, die Paul Ehrlich um 1907 für seine Forschungen verwendete. (Foto: Bernd Berke)

Fast schon auratische Exponate in der DASA-Schau: Potenzielle Wirkstoffe, die Paul Ehrlich um 1907 für seine Forschungen verwendete. (Foto: Bernd Berke)

Die recht kurzweilige Zusammenstellung mit dem knappen Titel „Experiment“ entfaltet in der Dortmunder DASA (Arbeitswelt Ausstellung) eher lebens- und alltagsnahe Geschichten, um ausnahmsweise mal nicht von „Narrativen“ zu sprechen.

Verantwortlich zeichnet vorwiegend ein Team von Kulturgeschichtlern des Historischen Museums Basel, mit dem die DASA diesmal kooperiert. Und offenbar hat die sprichwörtliche Chemie zwischen Basel und Dortmund gestimmt.

Just in jener schweizerischen Stadt Basel mit ihren großen Pharma-Weltkonzernen (Novartis, Hoffmann-La Roche) wurde schon so manche chemische Innovation ausgetüftelt. Doch die Ausstellung sieht weitgehend von derlei örtlichen Begrenzungen ab und stellt Fragen von allgemeinem, wenn nicht globalem Interesse.

Am Anfang war die Steinkohle

Wenn man so will, hat das Ganze allerdings einen gewichtigen Ursprung auch im Ruhrgebiet. Ein großes Kohlestück (von Prosper Haniel in Bottrop) im Raum, in dem ein kurzer Einführungsfilm gezeigt wird, soll es beglaubigen. Denn aus den Teerprodukten der Steinkohle entwickelten sich die Anfänge der modernen Chemie – zunächst mit ungeahnt variantenreichen synthetischen Farbstoffen, hernach mit dem ganzen, ins schier Uferlose anwachsenden Arsenal zwischen Medikamenten, Kosmetik und Kunststoffen.

Die Ausstellung gliedert sich auf 800 Quadratmetern in vier Kapitel mit jeweils mehreren bedeutsamen „Erzählungen“, die sowohl eilig als auch etwas gründlicher nachvollzogen werden können. Ganz bewusst hat man Wert auf mehrere „Vertiefungs-Ebenen“ gelegt. Natürlich gibt es nicht nur Schautafeln und Objekte, sondern auch Touchscreens zur gefälligen Nutzung.

Innovation durch Planung oder Zufall?

Die Eingangsfrage lautet, ob Innovation sich eher der Planung oder dem Zufall verdanke. Die generelle Antwort lautet, wie man sich denken kann: sowohl als auch. Spätestens mit der Industrialisierung sind es allerdings nicht mehr nur einzelne Genies, die die großen Entdeckungen machen, sondern zunehmend gut ausgestattete Teams in großen Firmen.

Ungemein modern mutet etwa die Produktionsweise bei Bayer an, wo schon früh etliche Chemiker und Laboranten in einem Zentrallabor zusammenarbeiteten, dessen Struktur beinahe schon so offen war wie bei heutigen kalifornischen Internet-Riesen. In der Mitte des Labors erstreckte sich ein größerer Bereich, in dem sich die Mitarbeiter informell treffen und plaudern konnten. Insbesondere freitags muss dort eine sehr entspannte Atmosphäre geherrscht haben – offenbar beste Bedingungen z. B. für die Kreation von Aspirin (1897).

Laborproben von Paul Ehrlich und Alexander Fleming

Bei seiner Entdeckung des Wirkstoffs für Salvarsan (erstes Mittel gegen Syphilis) hatte Paul Ehrlich als „Einzelkämpfer“ ohne unmittelbaren Verwertungsdruck aus der Industrie noch erheblich mehr Mühe. Die Ausstellung kann auf ein paar echte Proben aus seinem Labor zurückgreifen, ebenso auf originale Schimmelkulturen des Penicillin-Entdeckers Sir Alexander Fleming. Kann man hier von auratischen Exponaten sprechen? Egal. Paul Ehrlich benötigte jedenfalls 606 aufwendige Versuche, bis Salvarsan reif für den Markt war.

Ein Zwischenfazit lautet, dass der glückhafte Zufall vor allem jene Forscher begünstigt hat, die ihn gleichsam mit wachem Sinn erwarteten und geistig darauf eingerichtet waren. Aus diesem Befund könnte die eine oder andere Lebensregel erwachsen.

Dem historischen Bewusstsein aufhelfen

Nicht zuletzt könnte die Ausstellung dem bislang nur mäßig ausgeprägten historischen Bewusstsein der Leute vom chemischen Fach aufhelfen. So präsentiert man in Dortmund auch Modelle und Apparaturen, die sozusagen im letzten Moment vor der Müllentsorgung gerettet wurden. Kam ehedem eine neue Technik auf, so warf man die alte eben ungerührt weg. Doch es hat sich herumgesprochen, dass auch der ruhelose Fortschritt seine Geschichte hat, die festgehalten und mit einer gewissen Skepsis betrachtet zu werden verdient.

Eine DASA-MItarbeiterin betrachtet Ausstellungsstücke in der Vitrine zur Erfindung des Tonbands. (Foto: DASA)

Eine DASA-Mitarbeiterin betrachtet Ausstellungsstücke in der Vitrine zur Erfindung des Tonbands und anderer Tonträger. (Foto: DASA)

Ein weiteres Kapitel befasst sich mit Rechten und Patenten. Auch das ist hier kein trockener Stoff. Die Frage, wem Innovationen eigentlich gehören, kann durchaus spannend sein; beispielsweise, wenn es um die Patentierung lebender Organismen geht – von der noch harmlosen Bierhefe bis zur (besonders für die Krankheit anfälligen) „Krebsmaus“. Damit rückt auch die ethische Frage nach Tierversuchen in den Blick. Zudem wird erwogen, wie man milliardenschwer entwickelte Medikamente den Menschen in armen Ländern der Erde zugänglich machen kann. Man ahnt schon: Die Ausstellung schneidet enorm viele Großthemen an.

Gesellschaftliche Bedürfnisse als Triebkraft

Weiter geht’s mit gesellschaftlichen Bedürfnissen als Innovationsmotor. Insofern kamen chemische Erfindungen wie Bakelit, Tonbänder, neue Klebstoffe oder auch eine spezielle Sonnenmilch oft gerade zur rechten Zeit. Obwohl es zuweilen auch machtvolle Innovations-Bremsen gegeben hat: Forschungen zur Antibaby-Pille liefen schon in den 1920er Jahren und zeitigten konkrete Ergebnisse, sie wurden jedoch moralisch verdammt und kamen erst in den 60er Jahren wieder zum Zuge, übrigens auch finanziell von Feministinnen gefördert. Die Zeit der „Pille für den Mann“ ist indes immer noch nicht gekommen, obwohl sie längst machbar ist.

Risiken und Nebenwirkungen

Die ohnehin schon einigermaßen kritisch ausgerichtete Schau widmet sich am Ende noch einmal eigens den „Risiken und Nebenwirkungen“ der Chemie. Horrible Stichworte sind hierbei FCKW (in Kühlschränken), das sich als Klimakiller erwies, das inzwischen ebenfalls geächtete, aber leider langlebige Pflanzengift DDT, das Medikament Contergan und der gefährliche Baustoff Asbest. Aus all dem hat man mit der Zeit Lehren gezogen. Inzwischen macht die Risikenabschätzung einen nicht geringen Teil der Entwicklungskosten aus. Es möge nützen.

Vor Jahresfrist kamen etwas über 20.000 Besucher zur Baseler Ausgabe der Ausstellung, was für ein historisches Museum achtbar ist. In Dortmund, wo man vor allem auch Schulen (ca. ab Klasse 7)  anspricht, rechnet man mit deutlich mehr Zuspruch. Die DASA hat sich schon mehrfach als Besuchermagnet erwiesen, so zuletzt mit einer inspirierenden Schau über Roboter, deren Unterhaltungswert diesmal nicht ganz erreicht wird. Zum Ausgleich sind die Lerneffekte jetzt womöglich größer.

„Experiment“. Eine Ausstellung über Erfindungen aus dem Chemie-Labor. DASA Arbeitswelt Ausstellung, Dortmund, Friedrich-Henkel-Weg 1-25 (Nähe Universität). Vom 10. November 2017 bis zum 15. Juli 2018. Mo bis Fr 9-17, Sa/So/Feiertage 10-18 Uhr. Eintritt: Erwachsene 8 (ermäßigt 5) Euro, Schulklassen pro Person 2 Euro.

Tel.: 0231 / 9071-2479. www.dasa-dortmund.de




Odilon Redon – Der „Prinz des Traumes“ und seine ätherischen Bildwelten

Wie hat der Mann nur diese jenseitigen, ungemein spirituellen Farben erzeugt, die sich oft zu Apotheosen des innigen Leuchtens steigern? Wie hat er diese so flüchtigen und ätherischen Traumgebilde fassen können – und doch nicht gebannt, sondern schwebend gehalten?

Ans Werk von Odilon Redon (1840-1916) kann man zahllose Fragen herantragen. Es hat seine ganz speziellen Reize und stillen Sensationen. Sogar der dunkel, fast reimhaft nachklingende Name scheint sich dazu zu fügen. Seltsam, was einen manchmal unwiderstehlich zu bestimmten Künstlern zieht.

Die Fondation Beyeler (Riehen/Basel) hat eine bemerkenswerte Auswahl aus seinem Oeuvre zusammentragen können, mit Leihgaben aus aller Welt. Wie gut, dass man all das durch Lektüre des streckenweise schwelgerischen Katalogs nachempfinden kann – so weit das eben ohne Originale geht. Aber vielleicht verschlägt es einen in den nächsten Monaten ja doch noch in die Baseler Gegend. Es lohnt sich gewiss.

odilon

In der prachtvollen Summe wird mehr und mehr deutlich, dass der in Bordeaux geborene, hernach selbstverständlich in Paris zu einigem Ruhm gelangte Odilon Redon eine frühe Leitfigur der Avantgarde gewesen ist. Viele seiner schöpferischen Nachfahren sind freilich heute noch berühmter als er.

In seinem legendären Roman „Gegen den Strich“ („A rebours“, 1884) hat Joris-Karl Huysmans den Künstler als „Prinzen des Traumes“ bezeichnet. Odilon Redon, dessen Fixsterne u. a. Delacroix und Courbet hießen, hat, wie bereits Maurice Denis feststellte, „ein mystisches und esoterisches Element“ in die Moderne eingebracht. Nach diesem lange wirkenden Impuls konnten Künstler auf vordem ungeahnte Weise Traumwelten und Visionen darstellen. Redons seinerzeit neuartiges, unter Aufgabe der gewohnten Perspektive ins Unbestimmbare ausgreifendes Raumkonzept beeinflusste zunächst vor allem die Gruppe der Nabis (u. a. Félix Vallotton, Pierre Bonnard, Edouard Vuillard, Maurice Denis, Paul Sérusier).

Im einleitenden Katalogaufsatz des Kurators Raphaël Bouvier gilt Redon überdies recht eigentlich als Begründer der „reinen Malerei“, als Anreger der Fauves („Wilden“), von Matisse und sogar noch von Yves Klein. Damit nicht genug: Auch Picasso und Kandinsky stehen demnach – wenigstens mit bestimmten Werkphasen – in Odilon Redons Traditionslinie. Nun ja, man muss dem Gegenstand (s)einer Ausstellung wohl Geltung verschaffen, warum also nicht gleich eine nahezu universelle?

Tatsächlich lassen Redons Werke, die häufig aus religiösen oder mythologischen Stoffen hervorgehen, aber auf genauester Naturbeobachtung fußen, einen weiten Deutungsspielraum, so dass man gar manches hinein- oder heraussehen kann. Weisen nicht seine zuweilen monströsen Metamorphosen oder seine geheimnisvollen Hybridwesen zwischen Mensch und Pflanze auch auf den Surrealismus voraus? Gibt es nicht auch innige Verbindungen zur asiatischen Kunst, aus der Redon einige Inspirationen empfangen hat? Dass er sich im Verlauf seiner ästhetischen Expeditionen auch schon mal in dekorativen Gefilden verloren hat, sei nicht verschwiegen.

Einzigartig und unverwechselbar sind jedenfalls die monumental wirkenden Bilder der Köpfe mit geschlossenen Augen, die eine innere Welt evozieren, fernab vom Getriebe der hellichten Tage; jene Barken, die in unendliches Blau, also in ganz andere Sphären zu gleiten scheinen. Hier wird Kunst im wahrsten Wortsinn seherisch. Ob man das nun mit dem Stil-Etikett des „Symbolismus“ versieht, tut wenig zur Sache. Diese Gemälde wollen ganz für sich betrachtet werden. In manche kann man sich lange versenken.

Im optisch und drucktechnisch hervorragend gelungenen Katalog erregen zumal auch einige Ausschnittvergrößerungen und Nahaufnahmen die Sinne. Hier wähnt man sich nicht nur unmittelbar an der Leinwand, sondern auch am soeben vollzogenen Schaffensakt. Die Textur der Bilder, die hier hervortritt, hat etwas von der Frische des „allerersten Augenblicks“.

Odilon Redon. Katalog zur Ausstellung der Fondation Beyeler. Verlag Hatje Cantz. 176 Seiten, gebundene Ausgabe 49,80 Euro.

Informationen zur Ausstellung der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel, die seit dem 2. Februar läuft und bis zum 18. Mai 2014 dauert:
http://www.fondationbeyeler.ch/ausstellungen/odilon-redon/einleitung




Was den designierten Chefdirigenten Gabriel Feltz in Dortmund erwartet

Der Berliner Gabriel Feltz soll neuer Chefdirigent der Dortmunder Philharmoniker werden. Foto: Stadt Dortmund

Nun also Gabriel Feltz. Er soll 2013 die Nachfolge Jac van Steens als Generalmusikdirektor (GMD) der Stadt Dortmund antreten. So hat es die Findungskommission einstimmig beschlossen. Nun hat der Rat das Wort, dieses Votum zu bestätigen. Es ist wohl davon auszugehen, dass die Politiker dem folgen. Alles andere wäre eine Sensation, die einem kleinen Eklat gleichkäme.

Dem neuen Mann am Pult der Dortmunder Philharmoniker ist Glück zu wünschen. Denn Fortune wird er brauchen in einer Stadt, deren Kulturdezernent (und Kämmerer) Jörg Stüdemann beim überfallartigen Rauswurf van Steens verkündete, die meisten Dirigenten der Stadt seien nach fünfjähriger Amtszeit ausgewechselt worden. Das mag richtig sein, für die künstlerische Entwicklung eines Orchesters indes ist diese Hire-and-fire-Mentalität eine Katastrophe. Bochum, Essen oder Duisburg haben ohnehin längst bewiesen, dass Kontinuität zum Erfolg führt.

Feltz ist Berliner, 1971 geboren, Absolvent der Hanns-Eisler-Musikhochschule und gegenwärtig Leiter der Stuttgarter Philharmoniker sowie erster Gastdirigent des Theaters Basel. Feste Engagements neben Dortmund wird er sich aber wohl verkneifen müssen. Sein Anstellungsvertrag soll entsprechend streng formuliert sein, ist zu hören. Damit reagiert die Stadt offenbar auf die Causa van Steen, dem sie mangelnde Präsenz vorwarf.

Feltz wird sich zudem wappnen müssen gegen ein höchst kritisches Publikum. Die Musik des 20. oder gar 21. Jahrhunderts hat in dieser Stadt keine ernstzunehmende Lobby. Und viele werden sich daran erinnern, dass Jac van Steen als sympathischer Menschenfischer im Dienste der Tonkunst sehr geschickt zu Werke ging und geht. Feltz, so heißt es, sei eher der analytische, weniger der emotionale Typ.

Damit nicht genug: Jüngst erst hat sich eine Initiative „PPP – Publikum Pro Philharmoniker Dortmund“ gegründet. Das klingt nach Unterstützung des Orchesters, ist aber in Wahrheit eine Bürger-Gruppierung, die sich gezielt gegen den Rauswurf van Steens wendet. Bei Bekanntgabe des Votums der Findungskommission pro Feltz wurde eilends ein Flugblatt gedruckt, das eben jene Entscheidung in Frage stellt und die Ratsmitglieder zumindest indirekt auffordert, den Gang der Ereignisse möglicherweise noch aufzuhalten. Die Initiative sieht vor allem die vertragliche Fesselung des neuen GMD als Problem. Dies würde zu einer künstlerischen Verarmung der Stadt führen, heißt es. Und weiter: „Lokale Fixierung führt schnell zur Degradierung. Wir sehen die Gefahr, dass die Philharmonie, die sich derzeit im Aufwind befindet, auf diese Weise auf das Niveau eines ,Provinzorchesters’ absinken könnte.“

Solcherart Pessimismus mag übertrieben sein, wie es auch seltsam anmutet, dass „PPP“ relativ spät (zu spät?) ans Licht der Öffentlichkeit drängt. Doch andererseits legt sie äußerst gezielt den Finger in eine gefährliche Wunde: Gabriel Feltz ist nicht Wunschkandidat des Orchesters. Eine Tatsache, die übrigens auch der Findungskommission bekannt war. Ulrike Märkel (Grüne), Mitglied der Kommission, wird jedenfalls mit den Worten zitiert, Nicholas Milton (zuletzt GMD in Jena) sei der Favorit der Dortmunder Philharmoniker gewesen. Die Musiker hätten sich indes auch positiv über Feltz geäußert.

Wer das Orchester kennt, weiß, dass dieses Positive sich schnell als Giftpfeil entpuppen kann. Aus dem jubilierenden „Habemus GMD“ wird dann bald ein „Kreuzigt ihn“. Erst den Neuen feiern, dann beginnt die Nörgelei. Ein Insider hat dies mit Blick auf van Steens Rauswurf so umschrieben: Der Dirigent sei an Intrigen, ernsten Problemen und Irrationalität gescheitert.

Deshalb steht am Ende dieser Betrachtung ein (wohlfeiles) Wortspiel: Der neue Chef der Dortmunder Philharmoniker, so er es denn wird, muss sich als „Feltz“ in der Brandung erweisen.