Josef Albers und Bottrop – Kunst im Weltmaßstab

Ein Künstler, der offenkundig auf Übersicht und Ordnung hielt, jedoch auf seine stille Weise passioniert war: Josef Albers auf einer Fotografie von John T. Hill. © John T. Hill

Alte Weisheit: Feste soll man feiern, wie sie fallen. In Bottrop gab und gibt es gleich mehrfachen Anlass. Hier gilt’s der Kunst!

Erstens wurde eine umfangreiche Ausstellung über den wohl berühmtesten Sohn der Ruhrgebietsstadt eröffnet: Josef Albers (1888-1976). Zweitens gibt es just einen gelungenen Erweiterungsbau zum Josef Albers Museum Quadrat, mit dem nun gleichzeitig Dauer- und Sonderschauen möglich sind. Und drittens hat sich ein kuratorisches Lebenswerk gerundet, nämlich das des langjährigen Bottroper Museumsleiters Heinz Liesbrock, der im Oktober 2022 in den wohlverdienten Ruhestand gegangen ist und die gegenwärtige Ausstellung noch verantwortet hat. Seine Nachfolgerin ist Linda Walther.

Heinz Liesbrock dürfte weltweit zu den besten Albers-Kennern gehören, auch verfügt das nunmehr deutlich erweiterte Haus auf diesem Gebiet über eine global bedeutsame Sammlung. Ein großes Konvolut verdankt Bottrop der Schenkung durch die Künstlerwitwe Anni Albers anno 1980. Daraufhin entstand 1983 das Museum. Schon 1958 hatte es eine Albers-Retrospektive in Bottrop gegeben, freilich in der örtlichen Berufsschule, weil die Stadt damals noch kein Museum besaß. Wie gut, dass sich das so grundlegend geändert hat. Bottrop hat seinen Platz auf der Landkarte der Künste.

Josef Albers: „Homage to the Square“, 1969, Öl auf Masonit (Josef Albers Museum Quadrat Bottrop – © The Josef and Anni Albers Foundation / Foto: Werner J. Hannappel; VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Die jetzige Ausstellung widmet sich mit rund 120 Exponaten in den acht Räumen des Neuanbaus dem nicht nur quantitativ beherrschenden Zyklus in Albers‘ Oeuvre, nämlich just den Quadraten. Unter dem generellen Titel „Homage to the Square“ (Huldigung an das Quadrat) sind von 1950 bis in Albers‘ Sterbejahr 1976 über 2000 dieser Ölgemälde entstanden. Mit Schattierungen von Grau, Weiß und Schwarz hatte es 1950 begonnen, als Albers bereits 62 Jahre alt war. In der Folge traten nach und nach die Farben hervor – und wie! Mit der prinzipiell unendlich fortsetzbaren Reihe hat Josef Albers ungemein viele Möglichkeiten der an sich eher unscheinbaren Quadratform erprobt – ebenso behutsam wie leidenschaftlich, wovon immer und immer wieder das geheimnisvoll verhaltene Leuchten, das intensive Aufglühen oder auch das sanfte Verblassen der Farben zeugen.

Lange ist der einstige Bauhaus-Lehrer Josef Albers, der 1933 vor der Nazi-Diktatur in die USA emigrierte, in erster Linie als Kunstpädagoge und Theoretiker verkannt worden. Das war er gewiss auch. Doch die Bottroper Zusammenstellung zeigt abermals, dass diese Auffassung viel zu kurz greift. Anhand der Quadrate hat Albers, als wenn es dessen noch bedurft hätte, Schritt für Schritt seine souveräne malerische Meisterschaft bewiesen. Mit strenger Disziplin, „bedachtsam und ruhig“, wie er selbst gesagt hat, erschloss er – feinstens differenzierend – auf Basis einer gleichbleibenden Grundform immer neue Farbräume. Staunenswert, wie die Farben dabei auch ungeahnte Charakteristika entfalten. Blau ist hier nicht unbedingt kühl, Rot nicht unbedingt offensiv. Wandelbarkeit waltet als Prinzip.

Bottroper Ausstellungsansicht mit Quadrat-Bildern von Josef Albers. (© Foto Laurenz Berges / VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Auch sollte man nicht dem Vorurteil aufsitzen, Albers habe sich mit den Quadrat-Bildern schlichtweg erschöpfend wiederholt. Genügend Zeit und Aufmerksamkeit beim Betrachten vorausgesetzt, werden Entdeckungen kaum ausbleiben: Eigentlich hat jedes Quadrat oder zumindest jede Bildergruppe andere Qualitäten, lässt Farben anders miteinander in Dialog und Interaktion treten. Allerdings können sich diese je individuellen Bilder auch zu gemeinsamer Wirkung summieren, so etwa in einem gelblich oder einem in allerlei Rottönen schimmernden Raum. Gerade in dieser Fülle an Ähnlichkeiten gilt es eben, noch genauer hinzusehen, um Übergänge und Unterschiede wahrzunehmen.

Heinz Liesbrock spricht von wechselndem Farbklima. Tatsächlich werden in jedem dieser Räume andere Valeurs und Gefühlsregungen aufgerufen. An mancher Stelle steigert und verdichtet sich dies zur Feier der Farben. Es ist freilich keine stürmische Leidenschaft, die sich da äußert, sondern innige Einfühlung. Typischer Albers-Satz zu seiner Arbeitsweise: „Ich will langsam einsinken.“ Expressive Gestik, vorübergehend auf dem Weltkunstmarkt dominant, war seine Sache nicht. Der Sohn eines Bottroper Malermeisters hielt indes viel auf solides Handwerk als Grundlage der Kunst.

Im Neubau, der sich durch eine Art Zeittunnel ans 1983 eröffnete Museum anschließt, kommen die Quadratbilder erst recht zur Geltung. Das Schweizer Architektenteam Gigon / Guyer (Annette Gigon, Mike Guyer) hat ein zweistöckiges Gehäuse mit 1400 Quadratmetern Fläche geschaffen, dass ganz unaufdringlich der ausgestellten Kunst dient. Bewusste Zurückhaltung prägt Baulichkeit und Kunstwerke gleichermaßen. Man beachte die subtile, kalkuliert gestaffelte Lichtführung, die den Werken ohne jede Effekthascherei ihren angemessenen „Auftritt“ ermöglicht. Josef Albers hat nach eigenen Worten die Stille von Ikonen im Sinn gehabt. Die Bottroper Auswahl kommt diesem Anspruch sehr nahe, nicht zuletzt mit diversen Fensterblicken in den umgebenden Stadtpark, welcher die erstrebte Ruhe zusätzlich befördert. Sonst glänzt Bottrop – gelinde gesagt – nicht gerade durchweg mit Schönheit. Hier aber wird sie Ereignis.

Grün und Architektur: Ausblick aus dem Bottroper Museum in den umgebenden Park. (Foto: Bernd Berke)

Hinzu kommt, was bisher nicht synchron möglich war. Im Bau von 1983 lässt die Dauerausstellung die bildnerische Herleitung sichtbar werden: Das Quadrat war demnach nicht plötzlich da, nicht gleichsam „in den Schoß gefallen“ oder kurzerhand willkürlich gewählt, sondern Josef Albers hat diese Form – in einer Art Inkubationszeit – allmählich quasi zur Serienreife entwickelt. Solch ein haltbares Langzeitprojekt hätte sich wohl kaum aus bloßem Zufall hervorbringen lassen.

Josef Albers hat nachhaltig wirksame Anregungen recht früh empfangen, zuvörderst in Hagen, wo er sich schon 1908 in Paul Cézannes Bild „Der Steinbruch Bibémus“ mit seinen geschichteten Farbzonen vertiefte. Damals gehörte es zur Sammlung von Karl Ernst Osthaus, nun ist es in Bottrop als Leihgabe des Essener Museums Folkwang zu sehen. Dorthin wurden nach Osthaus‘ Tod die Hagener Kunstschätze 1922 (also vor 100 Jahren) verkauft – eine bis heute aufs Hagener Museum Osthaus schmerzlich und in Essen wohltuend nachwirkende Entscheidung.

Und Albers‘ eigener Einfluss auf andere Künstler? Nach mancherlei Skepsis, die ihm zu Zeiten des gegenläufigen Abstrakten Expressionismus entgegengebracht wurde, hat er es vermocht, eine Generation von US-Künstlern für sich und seine Werke einzunehmen; beispielsweise Ad Reinhardt und Donald Judd, der sich – auch als versierter Kunstkritiker – aktiv für Albers‘ „Wiederentdeckung“ eingesetzt hat und mit einer markanten Objekt-Arbeit in dieser Ausstellung vertreten ist. Albers‘ Impulse für die Minimal Art sind ohnehin kaum zu überschätzen.

„Homage to the Square“ / „Huldigung an das Quadrat“. Josef Albers Museum Quadrat, Bottrop, Anni-Albers-Platz 1. Noch bis zum 26. Februar 2023. Katalog 64 Euro.

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Der Beitrag ist erstmals im Kulturmagazin „Westfalenspiegel“ (Münster) erschienen. 

 




Es könnte ruhig ein wenig mehr sein – Museum Folkwang zeigt Werke Lyonel Feiningers aus eigenem Bestand

Lyonel Feininger: „Leuchtbake I“, um 1913 (Bild: Museum Folkwang, Essen © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Einer Ritterburg gleich trutzt der Leuchtturm über feindseligen Felsenmassen, eine von Menschen gefügte Stahlkonstruktion übertrumpft die unwirtliche Natur. Ihr Licht erhellt diffus das aufgewühlte und vom Stein durch die Farbe kaum zu unterscheidende blaue Meer, die Strahlen wirken prismatisch zerlegt, verweigern sich bei ihrer Ausbreitung physikalischen Prinzipien.

Hier trifft Kraft auf Kraft, Meer und Fels und Turm und Himmel, fast wähnt man sich in einem Kampfgeschehen, und unklar ist wer siegt. Auch mag man sich fragen, ob der Kampf der Elemente die Landschaft dergestalt zerklüftet hat, wie Lyonel Feininger sie 1913 malte. Oder ob er gleich einem Muskelspiel lediglich die Kräfte zeigen und gleichsam überhöhen wollte, die der rauhen Natur unter glatter Oberfläche innewohnen. Der Konstruktivist – und Lyonel Feiniger gilt als einer ihrer herausragenden Vertreter – ist zwangsläufig eben immer auch ein Dekonstruktivist, besonders dann, wenn Machart und Thema so wunderbar zusammenpassen wie in diesem Bild, das übrigens sehr nüchtern „Leuchtbake I“ heißt und sein Vorbild einst in Swinemünde fand.

Lyonel Feininger: „Gelmeroda IX“, 1926 (Bild: Museum Folkwang, Essen © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Bezug zur Romantik

Fast einen Quadratmeter groß und mit düsteren Ölfarben gemalt zeigt die „Leuchtbake“ viel Nähe zum Expressionismus; in Holz geschnitten und gedruckt ist beim selben Motiv der Grad der Abstraktion größer, und Bezüge zur magischen Romantikwelt eines Caspar David sind beiden Bildern eigen. Jetzt hängen sie beide im Essener Folkwang-Museum nahe beieinander und ermöglichen Vergleiche.

„Bauhaus am Folkwang“ heißt die kleine Ausstellungsreihe anläßlich des 100. Geburtstags des Bauhauses, die mit Lyonel Feininger ihren Anfang macht, um im weiteren Jahresverlauf „Bühnenwelten“ und den Fotografen Lázló Moholy Nagy zu präsentieren.

Feininger wurde 1919 von Walter Gropius als erster Meister an das Weimarer Bauhaus berufen – im selben Jahr übrigens, als das Museum Folkwang, damals noch in Hagen, dem Achtundvierzigjährigen eine erste große Ausstellung ausrichtete.

Überragender Handwerker

Alle drei Folkwang-Ausstellungen speisen sich ausschließlich aus eigenem Bestand, was die Sache leider recht übersichtlich macht. 34 Feininger-Arbeiten sind jetzt ausgestellt, darunter ganze vier Gemälde. Druckgraphik – vor allem Holzschnitt – überwiegt. Angesichts der ungewöhnlich hell gehaltenen Holzschnitte immerhin wird sofort deutlich, daß Feininger auch ein überragender Handwerker war.

Wee Willie Winkie’s World

Nun ist es durchaus beachtlich, wenn ein Museum vier Gemälde Lyonel Feiningers besitzt, aber für eine Ausstellung ist es eher wenig. Nicht viele Kunstinteressierte werden eigens für diese „Kabinettausstellung“ nach Essen reisen. Einmal mehr wäre Kooperation zwischen Museen einzufordern, die Bilder dieses Künstlers besitzen, um eine größere, angemessenere und attraktivere Werkschau auf die Beine zu stellen. Dann könnte man vielleicht auch mal etwas mehr erfahren über den Comic-Zeichner Lyonel Feininger, der ab 1906 für die Chicago Sunday Tribune „Wee Willie Winkie’s World“ und „The Kin-der Kids“ (wirklich mit Bindestrich) zeichnete. In Essen ist nichts davon.

Doch immerhin können sie hier „Gelmeroda IX“ (1926) zeigen, eine Kirche aus Konturen, Helligkeitswerten und prismatisch aufgebrochenen Farben in wechselseitiger Durchdringung, imposantes Ölbild in der meisterlichen Vervollkommnung des Spätwerks. 1948 war das Aquarell „Gelmeroda“ (nicht verwechseln) übrigens der erste Feininger-Ankauf des Folkwang-Museums nach dem Krieg, nachdem die Nazis den alten Feininger-Bestand 1937 als „entartet“ ausgeräumt hatten. Weitere Gemälde sind „Dorf Alt-Salenthin“ (um 1912) und der Kirchturm von Mellingen (1912).

Lyonel Feininger: „Die Eisenbahn-Brücke“, 1919 (Bild: Museum Folkwang, Essen © VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Gut konzipiert

Die Ausstellung selbst ist ganz untadelig von Kuratorin Nadine Engel konzipiert worden. Absolut lesenswert sind die Wandtexte in den beiden Ausstellungsräumen, die Lyonel Feininger kompetent in die Kunst- und Künstlerwelt seiner Zeit einsortieren. Große Namen reihen sich, Osthaus, Matisse, Delaunay, Gropius und nicht zuletzt der des Galeristen Herwarth Walden, dessen Berliner Galerie „Der Sturm“ vor dem ersten Weltkrieg ein Kulminationspunkt der modernen Kunst war.

Ein konstruktivistisches „Who is who“, wenn man so sagen darf, war 1924 dann sicherlich die von der Malerin Galka Scheyer vorangetriebene Gründung der Gruppe „Die Blaue Vier“: Paul Klee, Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky und Lyonel Feininger. Respektlos gesprochen war dies allerdings ein Zusammenschluß von Frührentnern, Klee war mit 45 Jahren der mit Abstand jüngste, Jawlensky mit 59 der älteste, gefolgt von Kandinsky (58) und Feininger (53). Der Name war – auch – eine sprachliche Verbeugung vor der Gruppe „Der blaue Reiter“, und es ging den Herren wohl nicht mehr so sehr um künstlerische Selbstfindung. Sie sahen sich, damals in Weimar, eher als Ausstellungsgemeinschaft. Wie hätten sie wohl das Folkwang-Museum bespielt? Zugegeben, eine rein rhetorische Frage.

Der Spaßvogel

Schließen wir beschaulich mit Feininger, dem Spaßvogel, der neben Bergen, Meeren und Kirchen gerne auch Tore in Holz schnitt. Einem solchen Bild hat er unten links eine stadtbekannte Prostituierte hinzugefügt und es mit „Lein-öl-Ein-Finger“ signiert. Einen direkten Zusammenhang zwischen diesen beiden Feststellungen soll es aber nicht geben.

  • „Bauhaus am Folkwang – Lyonel Feininger“
  • Museum Folkwang, Essen, Museumsplatz 1
  • Bis 14. April 2019.
  • Geöffnet Di, Mi, Sa, So und Feiertage 10 – 18 Uhr, Do, Fr 10 – 20 Uhr
  • Der Eintritt ist frei
  • In der Bauhaus-Reihe folgen die Ausstellungen
  • „Bühnenwelten“ (28.4. – 8.9.2019)
  • László Moholy-Nagy (20.9. – Dezember 2019)

 




Düstere Szenen und klare Linie – Plakate, Fotos und Grafiken im Museum Folkwang

Karl Jacob Hirschs Plakat "Was will Spartakus?" (1919). Foto: Museum Folkwang

Kaum etwas scheint langweiliger zu betrachten, nichtssagender in der Wirkung als Wahlplakate. Eine bunte, zumeist familienkompatible Szenerie oder ein plumpes Symbol, garniert mit so flotten wie hohlen Sprüchen – fertig. Doch vielleicht ist dies nur Ausweis eines routinierten, ja ritualisierten Politikbetriebes, trotz aller Krisen und Probleme.

Dieser Eindruck von gesitteter Normalität verfestigt sich, blickt man nur ein wenig zurück. Vor 90 Jahren, also in den „wilden“ 20ern, war Wahlkampf nicht weniger als Glaubenskrieg, schufen die Plakatmaler drastische und krasse Szenarien, in denen die werbende Partei als Engel, der Gegner indes als Killer der Menschheit dargestellt werden. Diese grob expressionistische Bildsprache ist nun in Essens Folkwang-Museum (kopfschüttelnd) zu bestaunen, im Rahmen einer Ausstellung, die sich mit Plakaten, Fotos und Grafiken zumeist der 20er Jahre auseinandersetzt. „Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“ ist der fast neutral wirkende Titel der großen Schau.

Die Formen waren, mit Blick auf die illustrierte politische Propaganda, ziemlich wuchtig. Der bildmächtige Expressionismus hielt sich nicht mit Filigranem auf. Hinzu kommt eine klare Farbsymbolik bei zumeist düsterer Grundierung. Ein Plakat mit dem Titel „Der rote Hammer der Vereinigten Sozialdemokratie zerschlägt den faschistischen Drachen“, Max Schwimmer schuf es 1927, bedarf im Grunde keiner näheren Beschreibung. Die Gegner, also die Rechten, waren in der Wahl ihrer Mittel nicht weniger zimperlich: Bei ihnen stellt sich der Bolschewismus als Zwergenfratze dar, mit wirrem Haar und gezücktem Dolch. Nur gut, dass ein engelsgleiches Wesen das Volk vor diesem Schurken beschützt.

All dies war gewissermaßen Symbol eines brodelnden Vulkans namens Nachkriegsdeutschland oder Weimarer Republik, wo die politische Debatte regelmäßig in Straßenkämpfen endete. Doch ungeachtet dessen wurde getanzt, gelebt, gelacht – zumindest von denen, die es sich leisten konnten. Und so zeigt die Essener Schau eben auch das dekorative Plakat jener Zeit. Präsentiert mit Walter Schnackenbergs „Deutsches Theater – Vornehmstes Variété Münchens“ symbolträchtig den Hang zum Vergnügen. Ein Paar bestaunt aus der Loge heraus eine Tänzerin – geschwungene Linien, freundlicher Blick, das Leben scheint schön.

Andere Exponate verweisen auf den Aufstieg des Kinos. B. Namirs Plakat zu „Quick“, mit Lilian Harvey und Hans Albers, wirkt fast fotorealistisch. Später entwirft Jan Tschichold, im Sinne von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit hellgrundierte Blätter mit grafischen Elementen und viel leerer Fläche. Hier offenbart sich die neue Form, die der Ausstellungstitel vorgibt.

Anneliese Kretschmer: Der Arbeiterdichter Karl Höller (1931).

Von expressiver Kraft zur klaren Linie: Die Essener Ausstellung zeigt auch in der Sparte Fotografie wirkmächtige Beispiele. Auffällig ist, dass die Porträtaufnahmen, als messerscharfe Studien einfacher Leute, überwiegen. Helmar Lerskis „Köpfe des Alltags“ (1928-1931) sind markantes Beispiel. Leere, abgewandte oder trotzig aufbegehrende Blicke, die Gesichter motivfüllend, einzelne Partien durch wunderbares Licht-Schatten-Spiel hervorgehoben: Lerski illustriert das Leiden (an) der Zeit. Oder nehmen wir nur das Bild der Dortmunder Fotografin Annelise Kretschmer, die 1931 den Arbeiterdichter Karl Höller ablichtete. Gesicht und Kleidung verschmutzt, alles wirkt düster wie mancher Holzschnitt von Kirchner. Daneben aber hatte Kretschmer auch den Blick fürs Glamouröse, wie das Bild „Modisches Porträt“ (etwa 1931 entstanden) zeigt. Die fotografierte Dame, vornehm gekleidet mit Kappe, Handschuhen, Gürtel und Rüschenbluse senkt fast schüchtern den Blick – eine Aufnahme der stillen Art.

Das Neue, Sachliche in der Fotografie ist hier vor allem Produkt der zunehmenden Industrialisierung. Die Meister der Kamera entdeckten Strukturen wie etwa Germaine Krull die Verstrebungen des Eiffelturms oder Lotte Goldstern-Fuchs die Kölner Eisenbahnbrücke. Anton Bruehl wiederum bannte eine Anordnung von Garnrollen aufs Fotopapier, gesehen aus der Froschperspektive und aus nächster Nähe. Dieser Blick und das elegante Spiel mit Schatten gibt den Gebrauchsgegenständen eine bedrohliche Größe, als handele es sich um Fabrikschornsteine. Hier also überlagert sich grafische Anordnung mit expressivem Gehalt.

Schließlich Zeichnungen und Druckgrafik: Die Schau blickt etwa auf die Landschaften Alexander Kanolds, die mit ihren geometrisch angehäuften Gebäuden eher bedrohlich denn einladend wirken. Düster-expressionistisches (Kirchner) steht in schärfstem Kontrast zum Konstruktivismus eines László Moholy-Nagy oder El Lissitzky. Es ist eine imposante Schau im Folkwang-Museum, die die Kunst einer aufregenden Zeit ins Blickfeld rückt.

Die Ausstellung „Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“ ist im Essener Museum Folkwang bis zum 5. August zu sehen.




Glaskunst in Leipzig: Fenster des Bottroper Bauhaus-Künstlers Josef Albers rekonstruiert

Leipzig/Bottrop. Er war zweifellos einer der einflussreichsten Bauhaus-Künstler, vor allem, weil er die Ideen dieser Weimarer und später Dessauer Bewegung in den USA verbreitete: Josef Albers, 1888 in Bottrop geboren, unterrichtete nach seiner Emigration 1933 spätere Größen wie John Cage, Robert Rauschenberg, Merce Cunningham oder Richard Serra. In Bottrop erinnert das Josef Albers Museum im Quadrat an den Künstler, der seiner Heimatstadt einen großen Teil seines Nachlasses schenkte. Derzeit ist – nur noch bis 15. Januar – dort die Ausstellung „Gotthard Graubner. Gespräch mit Josef Albers“ zu sehen.

Doch seit Dezember gibt es eines der großen Glaswerke Albers wieder sinnlich zu erleben. Dazu muss man nach Leipzig fahren. 1926 hatte Albers für den damals hochmodernen, expressionistischen Bau des Grassi-Museums Glasfenster entworfen, strenge geometrische Konstruktionen im „Thermometerstil“. Sie waren, so versichert das Grassi-Museum, die größte Flachglasarbeit eines Künstlers der Dessauer Bauhauszeit. Albers war damals bereits ein bekannter Glaskünstler. 1925 als erster Bauhaus-Absolvent zum „Meister“ berufen, hatte er bereits eine Reihe von Fenstern entworfen, daneben auch Möbel und Haushaltsgeräte.

Die Leipziger Fenster fielen dem Krieg zum Opfer und wurden später durch einfaches Fensterglas ersetzt. Doch 1996 entdeckte man im Firmenarchiv der Berliner Glasmalerei-Firma Puhl & Wagner, G. Heinersdorff – erhalten in der Berlinischen Galerie – die 1:1 Kartons und Fotografien der Entwürfe der Fenster wieder. Diese hatte die Entwürfe von Albers 1927 realisiert. Dank des Fundes war es möglich, die Komposition der Scheiben bis ins kleinste Detail nachzuvollziehen.

Die Albers-Fenster bei einbrechender Dunkelheit, vom Mittelhof aus gesehen, 2011
Die Albers-Fenster bei einbrechender Dunkelheit, vom Mittelhof aus gesehen, 2011

Vor allem gelang es auch, die ausgefeilte Technik von Albers präzise zu analysieren. So verwendete er mundgeblasenes Doppelüberfangglas. Es besteht aus einem klaren Trägerglas mit einem opaken weißen Überfang und einem grünlichgelben Farbüberfang. Der doppelte Überfang bewirkt unter anderem, dass bestimmte Partien von innen betrachtet dunkel, von außen gesehen hingegen hell erscheinen. Akzentuiert wird das Glas durch flächig aufgetragenes Schwarzlot und Silbergelb sowie horizontale und lineare Schliffe.

Unter den baugebundenen Projekten von Josef Albers kommt den 18 Fenstern im Haupttreppenhaus des Grassi-Museums eine zentrale Rolle zu, heißt es in der Mitteilung des Hauses. Ermöglicht wurde die Rekonstruktion durch das Engagement der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Sparkasse Leipzig. Die Ausführung der Fenster lag in der Hand des traditionsreichen Paderborner Glasmalereibetriebes Peters.

Die Mittelgruppe der Fenster in Verbindung mit der Treppenhausarchitektur, 2011, Foto: Uli Kühnle, Halle/Saale
Die Mittelgruppe der Fenster in Verbindung mit der Treppenhausarchitektur, 2011
Fotos: Uli Kühnle, Halle/Saale

Der Besuch im Grassi-Museum lohnt sich jedoch nicht nur wegen der rekonstruierten Albers-Fenster: Das Museum für Angewandte Kunst ist ebenso sehenswert wie die fabelhafte Musikinstrumenten-Sammlung. Und im Museum für Völkerkunde – ebenfalls im Grassi – lässt sich derzeit moderne Malerei aus Haiti bewundern.




Im Kosmos der Farben und Formen – Vier Museen würdigen Fritz Winter

Von Bernd Berke

Cappenberg/Hamm/Ahlen. Es grenzt an ein biographisches Wunder: Da ist jemand in den 1920er Jahren Grubenelektriker auf der Ahlener Zeche „Westfalen“ und notiert: „Keinen Strahl Sonne – so ist im Augenblick mein Leben.“ Dann aber bewirbt er sich als Kunstschüler beim berühmten Bauhaus in Dessau. Mit Erfolg. Kein Geringerer als Paul Klee ist der Fürsprecher.

Der erstaunliche Mann heißt Fritz Winter und wird später zu den prägenden Gestalten der abstrakten westdeutschen Nachkriegskunst gehören. Am 22. September 1905, also vor fast 100 Jahren, wurde Winter in Bönen (Kreis Unna) geboren. Es wäre fahrlässig, würde man dieses Datum in Westfalen nicht museal begehen. Nun geschieht’s massiv: Vier Häuser in Cappenberg (Schloss), Hamm (Lübcke-Museum) und Ahlen (Kunstmuseum, Fritz-Winter-Haus) zeigen insgesamt rund 300 Arbeiten aus allen Werkphasen. Welch eine Fülle!

Jungenhaft frech und zu jedem Jux aufgelegt – so soll Winter gewesen sein, als er beim Bauhaus anfing. Aber er lässt sich von Meistern wie Klee, Schlemmer und Kandinsky bereitwillig in höhere Sphären der Kunst einweihen. Fleißige Notizen aus den Kursen zeugen davon.

Inspiration durch Bauhaus-Meister

Den Part des Frühwerks hat das Museum in Hamm übernommen. Vielfach sind hier noch Paul Klees fruchtbare Einflüsse spürbar. Es gibt anfangs noch figürliche Anklänge, doch schon bald entfaltet sich eine Bildwelt, die mit ihren Energiefeldern kosmischen Dimensionen zustrebt. Ein weites, weites Feld mit langen „Versuchsreihen“. Ästhetische Leitschnur ist der Formenreichtum der Natur. Winter begreift Kunst als „zweite Schöpfung“. Erfindungen wie Mikroskop und Teleskop erschließen neue Ansichten der Kreatur – im Großen und Kleinen.

Günstiger Umstand: Die parallele Hammer Schau über „Bauhaus und Esoterik“ (die WR berichtete) lädt zum Vergleich ein. Auch bei Winter gibt es ja einen gewissen Hang zum Metaphysischen.

Ortswechsel: Im Ahlener Fritz-Winter-Haus sind Werke aus finsteren Zeiten zu sehen. Auch Fritz Winter wird von den Nazis als „entartet“ verfemt. Er hält sich innerlich aufrecht, so mit Bildvisionen über „Triebkräfte der Erde“.

Nach dem Krieg und russischer Gefangenschaft kehrt Fritz Winter 1949 zurück. Ein Schaffensrausch zieht ihn sogleich ins Atelier. „Sehr aktiv“ heißt ein typisches Bild. Nun also beginnt seine Blütezeit, deren vielfach erhebende Resultate im Schloss Cappenberg ausgebreitet werden.

Rückzug in die Innenwelt

Gewiss: Manches aus den 50er Jahren wirkt heute auch zeitbehaftet und ist nicht mehr schrankenlos „gültig“. Doch es finden sich hier zahlreiche Gemälde von wunderbar schwebender Transparenz und Farbmagie. Naturerscheinungen lösen sich in reinste Strukturen und Urformen auf, Titel wie „Bewegung der Gräser“ oder „Pflanzliches Gewebe“ lassen es ahnen. Nur eine „Konstruktion schwarz“ wirkt wie eine ferne Reminiszenz an Zechentürme.

Ahlens Kunstmuseum widmet sich dem oft vernachlässigten, innig strahlenden Spätwerk des 1975 gestorbenen Winter. Kein abrupter Bruch, doch allmählicher Rückzug und Revision des Erreichten. Fließende, dann scharfkantige Farbfelder bestimmen diese Phase – und kalligraphische Zeichen. Natur bleibt nun im Hintergrund. Es geht um das Bild als Bild, um intime Innenwelten.

• Alle vier Ausstellungen ab 11. September. Cappenberg: Schloss bis 29. Januar 2006 / Hamm: Lübcke-Museum bis 20.Nov. /Ahlen: Fritz-WinterHaus und Kunstmuseum, jeweils bis 8. Jan. 2006. Gemeinsamer Katalog 27 Euro. Internet: www.fritz-winter.de




Die nüchterne Schönheit – Essener Ausstellung erkundet Einflüsse des Bauhauses in Nordamerika

Von Bernd Berke

Essen. Als neue Vereinigung der spezialisierten Künste verstand sich das ruhmreiche „Bauhaus“ in Weimar und später in Dessau. Alle Kunstformen sollten, auf der Basis soliden Handwerks, in der Architektur wieder zusammenfinden – fast wie in einer mittelalterlichen „Bauhütte“, doch den Ansprüchen des technischen Zeitalters gemäß.

Das Essener Folkwang-Museum führt nun vor, dass die Entwicklung inhaltlich und geographisch weite Kreise gezogen hat. Am liebsten hätten die Bauhaus-Meister (Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Josef Albers, Laszlo Moholy-Nagy, Paul Klee, Wassily Kandinsky und etliche andere) mit ihren Künsten wohl das gesamte Leben erfasst. Es sollte keine Schnörkel mehr geben, alle Formen sollten sich an die Funktion schmiegen, und zwar in sämtlichen Sparten: Baukunst, Technik, Werbung, Mode, Theater, Fotografie, industrielle Formgebung…

Schon in der Weimarer Republik war das politisch-soziale Klima fürs Bauhaus widrig, es ließe sich da eine wahrhaft dämonische Geschichte von Plüsch-Verlogenheit und Präfaschismus erzählen. Die Nazis vertrieben das Bauhaus 1933 endgültig aus Deutschland. An diesem Wendepunkt setzt die Essener Schau mit über 350 Exponaten an. Sie erkundet den nachhaltigen Einfluss jener Bauhaus-Künstler, die in die Vereinigten Staaten emigrierten.

Beruhigend zweckmäßig oder kühl abweisend

Am Beginn des Rundgangs finden sich einige Objekte und Dokumente aus der Dessauer Zeit, z. B. die berühmten Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, Klee-Gemälde oder ein Textil-Musterbuch – und schon geht es flugs über den großen Teich. Der US-Schwerpunkt der Ausstellung lässt ahnen, wie tiefgreifend die Bauhaus-Lehre in Chicago und New York gewirkt hat. Die gelegentlich Furcht erregenden Fluchtlinien amerikanischer Wolkenkratzer-Architektur lassen sich durchaus beziehen auf Gebäude, die die deutschen Emigranten dort errichteten. Die nüchterne Reduzierung aufs Wesentliche, oft so wohltuend schmucklos und beruhigend zweckmäßig, zeigt hier mitunter ihr anderes, kühl abweisendes Gesicht.

Zahlreiche Arbeiten amerikanischer Bauhaus-Schüler, die etwa im Geiste Mies van der Rohes stadtplanerische Visionen entwarfen, bezeugen direkte Einflüsse. Die Schau hält hier auch Überraschungen bereit: Wer hätte etwa gedacht, dass ein Josef Albers dem späteren Pop-Art-Heroen Robert Rauschenberg erste Wege gewiesen hat? Bekannter ist schon dieses familiäre Gespann: Andreas Feininger, Sohn des Bauhaus-Malers Lyonel, prägte als Bildredakteur e der Illustrierten „Life“ und als Fotograf die ästhetischen Vorgaben auf diesem Felde mit.

Der Essener Baukonzern Hochtief finanziert die Schau und begeht damit sein 125-jähriges Bestehen. Es durfte also einiges kosten, musste aber huschhusch gehen, weil die Idee erst vor einem Jahr aufkam, als Hochtief das Klee-Haus in Dessau restaurierte. So ließen sich Honorare für eine Kölner Designfabrik abzweigen, die die Schau eilends durchgestylt hat. Edel hat man rahmenlose Bilder und Fotos in die Stellwände eingesenkt, die überall umlaufenden Schriftzüge künden von Eleganz. Ob sich die Exponate dadurch besser erschließen, steht aber auf einem anderen Blatt.

„Bauhaus: Dessau – Chicago – New York“. Museum Folkwang. Essen, Goethestraße. 12. August bis 12. November, Di-So 10-18, Fr 10-24 Uhr. Eintritt 15 DM, ermäßigt 10 DM, Familie 30 DM. Katalog 50 DM.

 

 




Bunter war die Mode nie – Dortmunder Ausstellung „Künstler ziehen an“: Avantgarde-Kleidung 1910-1939

Von Bernd Berke

Dortmund. Der Hemdkragen aus blitzendem Aluminium, die Weste papageienhaft bunt, der Anzug mit allerlei farbenfrohen Mustern und lustigen Stoff-Ansteckern. Wäre es nach den Avantgarde-Künstlern gegangen, würden besonders die „Herren der Schöpfung“ nicht so gezwungen grau in grau herumlaufen, wie sie’s meistens tun. Die Dortmunder Ausstellung „Künstler ziehen an“ zeigt Schöpfungen am Schnittpunkt zwischen Alltagsmode und Hochkultur, entstanden zwischen 1910 und 1939.

Metropolen unter sich: Ursprünglich sollte die Schau in der Welt-Modehauptstadt Paris gezeigt werden. Der Plan scheiterte auf höchster politischer Ebene (beim Treffen Kohl / Chirac) an Etat-Fragen. Dann war das New Yorker Metropolitan Museum im Gespräch, konnte aber erst fürs Jahr 2001 zusagen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Ausstellungswesen…

In Dortmund griff man jedenfalls sofort beherzt zu – und erhielt jetzt gar eine auf rund 300 Exponate erweiterte Fassung. Zeitgenössische Originalkleider und später nachgeschneiderte Stücke findet man ebenso wie Stoffproben und zeichnerische Entwürfe. Übrigens: In der Museumsvitrine wird etwa aus der schlichten Hose ganz von selbst ein Kunst-Stück, das man ernsten Sinnes wie eine Skulptur umschreitet.

Ein Extra-Hut für rasante Geschwindigkeit

 

Der durchweg anregende Rundgang durchs Museum am Ostwall beginnt mit den modischen Kapriolen der italienischen Futuristen, die der Kunst rasante Bewegung einpflanzen wollten. Und so entwarf Aldo De Sanctis schicke Kopfbedeckungen nicht nur für Regen- und Sonnenwetter (letztere mit Luftlöcher-Klimazone), sondern auch einen wohl für Autofahrer gedachten schnittigen „Hut der Geschwindigkeit“.

Die metallischen Hemden, deren tapfere Träger auf Dauer vor Schmerzen gejault haben dürften, zeugen gleichfalls von eherner Technik-Begeisterung und einer Art Rüstungs-Bereitschaft. Zur gleichen Zeit zwang Giacomo Balla Grau raus, indem er um 1930 clownsbunte Herrenanzüge aus filzartig aufgerauhter Wolle schneidern ließ, in denen er schon mal selbst einherstolzierte.

Auch dafür, daß sich die Futuristen blindlings mit Mussolinis Faschismus eingelassen haben, findet sich in Dortmund ein Belegstück: Der Anzug, dessen Kolorierung sich aus den italienischen Nationalfarben rot, weiß und grün herleitet, firmiert – scheinbar ganz arglos – als Modell „fascista“. Nichts ist unpolitisch, auch die Mode nicht.

Befreiung und Rückkehr der Zwänge

Diese Erkenntnis gilt auch für die textilen Anstrengungen der russischen Avantgarde, die einen zweiten Schwerpunkt der Ausstellung bildet (ein dritter ist dem Bauhaus-Umkreis gewidmet). In der russischen Abteilung sieht man z. B. geometrisch bestimmte Kleidungs-Entwürfe von Kasimir Malewitsch und Ljubow Popowa oder Stoffmuster nach Ideen von Alexander Rodtschenko.

Während die italienischen Künstler meist Einzelstücke herstellten, drängte es die russischen nach der Oktoberrevolution auch auf diesem Felde in die industrielle Fertigung. Ihre Visionen einer Bildwerdung des „Neuen Menschen“ sollten möglichst massenhaft produziert werden. Hinter diesem Antrieb lauert freilich die Gefahr des Kollektivismus.

In eine ähnliche Richtung driften die reformerischen Entwürfe des Mannes mit dem Künstlernamen Thayaht: Er dachte sich im Geist der Utopie die „tuta“ aus, ein schlichtes weißes Kleidungsstück, das just für die ganze Menschheit vorgesehen war.

Zweischneidige Sache also: Wenn Künstler Mode erfinden, so sind sie vielleicht anfangs auf Befreiung von Zwängen und Einschnürungen aus. Doch manchmal kommen die Zwänge hinterrücks wieder.

„Künstler ziehen an“. 8. Februar bis 19. April (Di-So 10-18, Mi 10-20 Uhr). Ausstellung des Museums für Kunst und Kulturgeschichte im Museum am Ostwall (Ostwall 7 / Infos: 0231/50 26 717). Eintritt 12 DM, Katalog 49 DM.

 

 




Am liebsten „Gelsenkirchener Barock“: Arbeiterwohnen – Ideal und Wirklichkeit

Von Bernd Berke

Dortmund. Als in den 20er Jahren der soziale Wohnungsbau aufkam, mußten Möbel leiden. Arbeiter, die bis dahin üppige Schränke und Vertikos bevorzugt hatten, konnten die Schmuckstücke in den neuen Zimmem nicht mehr unterbringen. Also hieß es: Schränke rigoros auf Etagenhöhe kappen.

Daß die Möblierung vordem so wuchtig ausgefallen war, lag vor allem daran, daß weite Teile der Arbeiterschaft eine private Gegenwelt zur sinnentleerten „Maloche“ schaffen wollten. Dabei orientierten sie sich am Bürgertum. Sozialreformer, die ihnen einen sachlich-nüchternen Wohnstil als Ideal verordnen wollten, hatten praktisch keine Chance. Solche Erkenntnisse vermittelt – mit einigen beispielhaften Zimmer-Aufbauten und Fotodokumenten – die Ausstellung „Arbeiterwohnen: Ideal und Wirklichkeit 1850—1950″ im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte.

Im ersten Stockwerk sieht man, wie Arbeiter tatsächlich gewohnt haben; da zeigt sich, daß es die typische Proletarier-Einrichtung eigentlich nie gegeben hat. Im zweiten Stock finden sich die zumeist kargen und unterkühlten Entwürfe jener Architekten, die vom Proletariat nie auf breiter Front akzeptiert wurden; kein Wunder, hatte man sie doch nie nach ihren Wünschen gefragt. Im Zweifelsfall waren sie für „Gelsenkirchener Barock“ statt für Bauhaus oder Art Déco. Allenfalls überzeugte Sozialisten ließen sich mal zu mehr Wohnfortschritt hinreißen.

Initialzündung für die Reformer waren Gewerbe-Ausstellungen in Dresden um 1900. Fortan wollten man den inzwischen etwas besser verdienenden Arbeitern vormachen, wie sie wohnen sollten. In gemilderter Form übernahmen Großfirmen auch im Revier neue Konzepte, etwa Krupp in Essen. Übrigens: Ausgeprägter als anderswo, war im Ruhrgebiet die große Wohnküche bevorzugter Aufenthaltsort der Arbeiterfamilie, während die „Gute Stube“ nach bourgeoisem Vorbild meist mit Schonbezügen bedeckt blieb und nur an Festtagen genutzt wurde.

So sehr imitierten Arbeiter historisch bürgerliches Wohnen, daß stilistische Unterschiede zwischen diesen Klassen kaum ins Gewicht fielen. Nur: Die Möbel des Bürgers waren denn doch im Detail kostbarer, gediegener.

Barbara Scheffran, die die Ausstellung wissenschaftlich betreut hat, wurde in einigen Kellern und auf Dachböden des Reviers fündig. Dort konnte sie fürs Museum Einrichtungs-Ensembles ankaufen, die auf dem Markt kaum noch zu haben sind.

„Arbeiterwohnen – Ideal und Wirklichkeit“. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, Hansastraße 3. – 18. August bis 21. Oktober. Di.-So., 10-bis 18 Uhr, Mo. geschlossen. Eintritt frei, Katalog 25 DM.




Als Zukunftshunger die Künstler erfaßte – Bilder in der deutschen Revolution 1918/19

Von Bernd Berke

Recklinghausen. „Was kann die Revolution der Kunst geben, was kann die Kunst der Revolution geben?“ Im Zeichen dieser Doppelfrage steht die große Ausstellung der Ruhrfestspiele. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ lautet der etwas irreführende Titel. Doch es geht hier nicht um die Französische Revolution.

Exponate, die sich auf die Umwälzung von 1789 beziehen, dürften derzeit fast restlos ausgeliehen sein. So konzentrierte sich Dr. Anneliese Schröder in der Kunsthalle Recklinghausen auf fünf Künstlergruppen im Umfeld der (gescheiterten) deutschen Revolution 1918/19.

Dies kann man aus der Ausstellung ableiten: Ganz anders als die Oktoberrevolution in der Sowjetunion, haben die Umsturzversuche in Deutschland die Kunst zwar mit Zukunftshunger aufgeladen, kaum aber auf den Stil der Künstler eingewirkt. Zwar gab es eine Flut von drangvollen Manifesten und beinahe siegestrunkenen Architektur-Entwürfen für kristalline „Kathedralen der Zukunft“ (Motto: „Glas macht dem Menschen Mut“), doch wich der Stilpluralismus nicht etwa einem revolutionären Einheitsstil. Gemeinsame Gesinnung ja, gemeinsame Ausdrucksformen nein – das wäre die Formel.

Die Vielfalt blieb – auch innerhalb der Künstlergruppen. Eine gewisse Ausnahme bildeten die „Rheinischen Progressiven“ (Gert Arntz, Heinrich Hoerle, F. W. Seiwert u. a.), bei denen Tendenzen zu kollektivem Stil und Thematik erkennbar sind. Sie richteten ein Hauptaugenmerk auf Automatismen, die die Industriewelt den menschlichen Körpern aufprägt. Doch findet sich in dieser Abteilung auch eins der ganz seltenen Beispiele für die direkte Darstellung eines Revolutions-Themas, und das auch erst am Punkt des Niedergangs: Margarete Kubickas Bilder zu den Morden an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Der „Arbeitsrat für Kunst“ (Berlin, ab 1919 – Hermann Finsterlin, Hans Scharoun, Bruno Taut u. a.), schon in der Namensgebung an Arbeiter- und Soldatenräte angelehnt und mit der „Novembergruppe“ verwoben (Max Pechstein, Walter Dexel, Rudolf Belling), setzte sich die Kunst-Utopie des „Glücks der Masse“ zum Ziel. Eher das reale Unglück der Massen in Gestalt bedrückenden Arbeiter-Elends spricht aus Bildern der „Dresdner Sezession Gruppe 1919″ um Conrad Felixmüller.

Interessant an der mit berûhmtesten Namen glänzenden Abteilung „Bauhaus Weimar“ (kleinere Arbeiten von Klee, Feininger, Kandinsky, Schlemmer) ist besonders, daß man sie hier im Kontext zeitgleicher Strömungen sieht. Das Bauhaus hatte zwar zunächst manche Berührungspunkte mit der Revolution, wurde aber später zu einer Art Design-Werkstatt im Sinne formal fortschrittlich denkender Industrieller.

Aus dem Rahmen fällt der Raum, der „Dada Berlin“ (Heartfield, Grosz, Hannah Höch) gewidmet ist. Hier wird ein Elan spürbar, der respektlos mit allem umspringt und dabei in ästhetische Regionen vordringt, die anderen nicht mehr zugänglich sind. In diesem Kreis wurde denn auch die einzige genuine Kunst-Erfindung jener Jahre geboren: die Foto-Collage.

Zwar sind nicht durchweg Spitzenstücke zu sehen, doch wäre das auch bei einem Ausstellungsetat von nur 200 000 DM – angesichts heutiger Versicherungssummen – beiweitem zu viel verlangt. Die Schau vermittelt jedenfalls intensives Zeitklima.

Und schon kursieren Ideen, den Ruhrfestspiel-Ausstellungen einen Zweijahres-Turnus zu verordnen. Dann könnte man „klotzen“ und noch mehr Aufwand in die Vorbereitung stecken. Doch gehört nicht eine alljährliche Ausstellung zu den Festspielen wie ein Fisch ins Wasser?

Kunsthalle Recklinghausen: Ab heute bis 18. Juni. Tägl. 10-18 Uhr; Katalog 20 DM.