Über alle Regeln hinweg: Als die Tänzerin Lola Montez Bayernkönig Ludwig I. den Thron kostete

Lohnt es sich wirklich, sich mit dieser Frau zu beschäftigen, und das noch 200 Jahre nach ihrer Geburt? Braucht eine Hochstaplerin, eine offenbar nur mittelmäßige Tänzerin, eine unschwer als narzisstisch erkennbare Persönlichkeit noch 2020 eine nagelneue, kritische Biografie?

Marita Krauss‘ Biographie über Lola Montez, im Dezember 2020 erschienen bei C. H. Beck. (343 Seiten, 24 €).

Muss jemand wie jene Lola Montez in Filmen, Dramen und sogar einer – 1937 in Dortmund uraufgeführten, heute vergessenen – Operette von Eduard Künneke („Zauberin Lola“) verewigt werden, nur weil sie sechzehn Monate lang die Geliebte eines Königs war, den sie schließlich sogar die Krone gekostet hat?

Es lohnt sich, weil die kaum 40 Jahre der Lebensspanne dieser Frau bunt, anrüchig und dramatisch waren, wie sie im Roman nicht besser hätten erfunden werden können. Und weil sie zu einer Art Urtyp der „femme fatale“ wurde, die Ende des 19. Jahrhunderts das Frauenbild und die Kultur des Fin de siècle prägte.

Heute vor 200 Jahren geboren

Die Geschichte der Lola Montez beginnt am 17. Februar 1821 – heute vor 200 Jahren – in einem Nest namens Grange im irischen Nordwesten, führt über Indien und Schottland in ein englisches Internat für höhere Töchter, von dort über Spanien und London ins thüringische Reuß-Ebersdorf zur ersten Affäre mit einem regierenden Fürsten. Als ihr im Oktober 1846 an der Münchner Hofbühne die Erlaubnis zu einem Tanzauftritt verweigert wurde, hatte sie bereits ihren ersten Mann verlassen. Sie war aus London geflohen, weil sie sich als spanische Tänzerin „Maria de los Dolores Porrys y Montez“ ausgegeben hatte und als Hochstaplerin aufgeflogen war. Und sie zählte als Halbweltdame in Paris die beiden Schriftsteller Alexandre Dumas den Älteren und den Jüngeren sowie Franz Liszt unter ihre Verehrer, bevor einer ihrer weiteren Liebhaber bei einem – wegen ihr ausgefochtenen – Duell erschossen wurde.

König Ludwig I. von Bayern weiß davon nichts, als ihm in seiner unermüdlichen Kleinarbeit für sein Land auch der Bescheid der Intendanz unter die Augen kommt. Eine spanische Tänzerin mit hochtönend klingendem Namen! Der König, für seinen bisweilen hartnäckigen Eigensinn berüchtigt, wird aufmerksam. Er liebt den Zauber der spanischen Sprache. Der Sechzigjährige, im Grunde einsame Mann ist zudem empfänglich für weibliche Schönheit. Lola Montez versucht, zum König vorzudringen, um doch noch zu ihrem Tanzspiel zu kommen. Sie weiß um die Wirkung ihrer Reize und ist entschlossen, sie einzusetzen.

Nach drei Versuchen erhält sie Audienz. Der König spricht mit ihr lange über Kunst und Literatur – auf Spanisch. Wenig später liegt die Genehmigung vor: Die „Spanierin“ darf tanzen! München ist neugierig, das Theater voll. Stürmischer Beifall für die geheimnisvolle Fremde. Die Kenner stellen fest, dass sie von Fandango und Bolero nichts verstehe. Aber das innere Feuer wirkt. Ludwig ist begeistert, beschließt: Hofmaler Joseph Karl Stieler muss dieses herrliche Wesen für die Galerie der Schönheiten malen. Und Lola Montez nutzt die Zeit der Sitzungen, das „liebeleere“ Herz des Königs für sich zu entflammen.

Feuchter Schimmer wilder Leidenschaft

Das leicht idealisierte Porträt hängt heute noch in der „Schönheitengalerie“ im Münchner Schloss Nymphenburg und entfacht eine ganz eigene Faszination. In seiner Ludwig-Biografie beschreibt Egon Cäsar Conte Corti die gebürtige Irin als „Kunstwerk der Natur“: „Tiefblaue, feurige, glänzende Augen, die zuweilen eine feuchten Schimmer wie von wilder Leidenschaft zeigen, erhellen ein formvollendetes Antlitz, das bei nicht allzu hoher Stirn von seidenweichen, ebenholzschwarzen Haaren überschattet ist… Man sieht ihr an den Augen ab, dass sie nicht unklug ist, aber ihr Herz ist ebenso kühn wie leidenschaftlich, ebenso mutig wie unbändig und setzt sich über alle Regeln hinweg, die ihre Mitwelt in Bann halten.“

Über alle Regeln hinweg: Sehr schnell werden sich die maßgeblichen politischen Kreise bewusst, welche Gefahr ihnen in der ehrgeizigen Frau droht: Elizabeth Rosanna James, geborene Gilbert, beherrscht den König komplett. Minister, Behörden, Polizei, kirchliche Kreise, Adel sind alarmiert. Ihre Versuche, den bezauberten Mann zur Vernunft zu bringen, scheitern. Ludwig empfindet sie „als Angriff auf sein Glück“ und als „Einmengen in sein privates Leben“. Sein Starrsinn ist geweckt: Gelten in Bayern die königlichen Weisungen nicht mehr? Im November 1846 ändert Ludwig sein Testament, vermacht ihr 100.000 Gulden und setzt eine jährliche Rente von 2.400 Gulden aus.

Lola nutzt die Gunst der Stunde. Sie provoziert nicht nur die Politiker, sorgt für den Fall von zwei Regierungskabinetten und für königliche Ungnade gegen ganze Reihe von Beamten. In der Öffentlichkeit provoziert sie einen Skandal nach dem anderen. Dass die Beziehung zu Ludwig wohl so gut wie keusch bleibt, ist erst eine Erkenntnis aus jüngeren Recherchen. Dafür umgibt sie sich mit jungen Liebhabern und einem Kreis von Studenten des Corps Alemannia, die bei den Münchnern verächtlich „Lolamannen“ genannt werden. Ein gewalttätiger Zusammenstoß von Studenten lässt den entrüsteten Ludwig die Universität schließen. Jetzt ist das Maß in der Münchner Gesellschaft voll: Ein Aufstand droht. Der Monarch willigt schließlich ein: Die erst vor wenigen Monaten erhobene „Gräfin von Landsfeld“ muss Bayern verlassen.

Bigamie und Shows in Goldgräber-Städten

Erst allmählich und nach seiner erzwungen Abdankung 1848 wird dem König klar, wie sehr er hintergangen und ausgenutzt wurde. Lola Montez lebt zunächst mit dem Geld Ludwigs luxuriös in der Schweiz, geht dann nach London, wo sie einen jungen Offizier heiratet und wegen Bigamie angeklagt wird, weil ihr früherer Ehemann noch lebt.

1852 spielt sie sich selbst am Broadway in der Revue „Lola Montez in Bavaria“ und kommt mit einer Tournee sogar bis in Goldgräber-Städte Australiens. Bevor sie am 17. Januar 1861 in New York an einer Lungenentzündung stirbt und in Brooklyn begraben wird, sichert sie ihren Lebensunterhalt durch Lesungen und wandelt sich zur bekennenden Christin.

Die Historikerin Marita Krauss gibt ihrer neuen Biografie als Titel ein Zitat von Lola Montez: „Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen.“ Ein „herzloses dämonisches Wesen“, wie Richard Wagner urteilte? Eine machtgierige, berechnende Narzisstin? Oder eine Frau, die mit ihrem Willen zur Selbständigkeit und ihrem ungestümen Temperament an einer Gesellschaft zerbrach, die den Frauen genau das nicht zubilligen wollte?




Er kann’s noch! – Gerhard Polt und die Well-Brüder in Dortmund

Er kann’s noch. Und wie! Wenn er – scheinbar leutselig – von seinem Nachbarn (mit leicht verächtlichem Tonfall: „ein Künstler“) erzählt, der sich nicht an die im Viertel geltende Grillverordnung hält, dann muss man zwar lachen, aber es könnte einem auch kalt den Rücken herunterlaufen, so gemütlich-gefährlich wirkt dieser überwachwütige Mann.

Weisheit und Witz: Gerhard Polt. (Foto: Mario Riener)

Weisheit und Witz: Gerhard Polt. (Foto: Mario Riener)

Ja, wir reden von Gerhard Polt, der jetzt im feinen Rahmen des Dortmunder Konzerthauses mit famoser musikalischer Begleitung auftrat. Die drei „Well-Brüder aus’m Biermoos“ beherrschen nicht nur alle möglichen Instrumente von der Querflöte bis zum Alphorn, sie überschreiten auch spielerisch manche Gattungsgrenzen zwischen gehobener Folklore, Jazz und Klassik. So dargeboten, ist das bajuwarische Musikidiom durchaus satisfaktionsfähig – auch international, etwa im ebenbürtigen Dialog mit schottischem Folk.

Wie soll man Polt eigentlich nennen? Einen Comedian? Ist er nicht. Einen Satiriker? Naja, vielleicht auch. Einen Volkskünstler im besten Sinne? Das schon eher. Polt ist eben Polt und sucht Seinesgleichen. An der eigentlich müßigen Benennungsfrage beißt man sich eh die Zähne aus.

Solche Sätze über finstere Gepflogenheiten muss man jedenfalls erst einmal hinbekommen: „Das Köpfen ist doch ein alter Hut…“ Oha!

Wie scheinbar arglos er dann von der Leber und gleichsam vom Leberkäs weg redet. Wie er den gütigen Großvater gibt, der seinem Enkel („Bubi“) die rechte „Demokratie“ beibringen will, die selbstredend von strikter Leitkultur und Schlimmerem geprägt ist. Die möglichen Folgen sind am Ende sogar dem Opa nicht mehr ganz geheuer: Was bastelt der Bub da drüben eigentlich mit seinem Freunden? Es wird doch nichts Brennbares oder Explosives sein?

Gerhard Polt (2. v. li.) und die hochmusikalischen Well-Brüder. (Foto: HP Hösl)

Gerhard Polt (2. v. li.) und die hochmusikalischen Well-Brüder. (Foto: HP Hösl)

In all dem erweist sich Polt als Meister der haarfein unterschiedenen Tonfälle, auch wenn diese selbst schon mal grob ausfallen. Der ins Groteske ausgreifende Duktus eines indischen Bischofs, der in der bayerischen Diaspora den fast schon verschwundenen Katholizismus wiederbeleben soll, steht ihm ebenso zu Gebote wie ein afrikanischer Wechselgesang, der ihn zum überraschend grazilen Tanz animiert. Fast scheint es so, als ob er frohen Sinnes schwebe.

Ist Gerhard Polt (Jahrgang 1942) etwa milder, gelassener und toleranter geworden? Manchmal könnte es einem so vorkommen. Zwar gibt’s im Programm ein paar „Spitzen“ gegen die Herren Seehofer und Söder, doch die muten relativ harmlos an. Man muss ja auch nicht allweil „draufhauen“, das Subtilere geht wahrscheinlich mehr unter die Haut und ins Hirn. Beispielsweise mit der Nummer, in der Polt als – mh, nun ja – irgendwie ein bisschen arg korrupter Landrat vorstellig wird.

Um das Publikum eingangs einzustimmen, haben sich Polt und die Well-Brüder (via Google?) mit ein paar Dortmunder Gegebenheiten vertraut gemacht. Sie wollen halt der „Perle am Ufer des Phoenixsees“ gerecht werden, streuen ein paar fußballerische Bemerkungen ein und versichern aber so was von glaubhaft, dass das Dortmunder Publikum deutlich besser sei als jenes in Gelsenkirchen.

Später haben wir dann – mindestens ebenso glaubhaft – gelernt, dass der ruhmreiche Händel einst durchs vielfach angepriesene oberbayerische Örtchen Hausen (Heimat der Well-Brüder) gereist sei und daselbst flugs eine „Feuerwehrmusik“ komponiert habe, die nun zum 125jährigen Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr zu Gehör gebracht wird. Ein Schlawiner, dieser Händel. Oder hat jemand Einwände?

Langer und herzlicher Beifall.

Und wohin kommen sie noch auf ihrer Tournee? Hier kann man nachschauen: https://polt.de/termine/




3:2 in München gewonnen – Balsam für die wunde, geschundene Dortmunder Seele

Der BVB gewinnt in München 3:2 gegen den FC Bayern und steht somit im Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt. So weit die dürren, freilich bedeutsamen Fakten.

Euphorie in Schwarzgelb - Screenshot von der ARD-Übertragung aus München

Euphorie in Schwarzgelb – Screenshot von der ARD-Übertragung aus München

Wohl noch nie hat man den eher zur spartanisch-puritanischen Nüchternheit neigenden Borussen-Trainer Thomas Tuchel dermaßen euphorisiert, ja momentan nahezu enthemmt gesehen. So kann er also auch sein. Es waren die Augenblicke seines bislang größten Triumphs. Dem sollte er beim Finale in Berlin die Krone aufsetzen können.

Es war mutig bis tollkühn, dass er gegen Schluss den offensiven Christian Pulisic für den Verteidiger Łukasz Piszczek einwechselte. Und es war richtig. Sonst wechselt Tuchel auch schon mal unbegreiflich hasenherzig. Diesmal nicht. Und siehe da…

Von den Taten der Bender, Bürki, Aubameyang und Dembélé (und all den anderen) zu berichten, bleibt der zeitgenössischen Heldendichtung vorbehalten. Ihr nehmt das bitte ebenso ernst wie ironisch, nicht wahr?

Das ganze Spiel ist Balsam für die zuletzt so wunde, geschundene Dortmunder Seele gewesen. Der Bus. Die Bomben. Wir müssen an dieser Stelle nicht mehr weiter darüber reden. Offenbar ist die Dortmunder Mannschaft gerade jetzt und gerade dadurch zusammengewachsen. Was man gemeinsam erlitten hat…

Es war denn doch eine aufregende Begegnung. Zunächst gewann Borussia Dortmund die Oberhand und die 1:0-Führung. Nach dem 1:1-Ausgleich waren die Bayern für einige Zeit die deutlich bessere Mannschaft, sie haben jedoch riesige Chancen vergeben. Ohne Glück war heute nichts zu machen.

Was war nicht im Vorfeld spekuliert worden! Beide Mannschaften waren in der Vorwoche aus der Champions Lague ausgeschieden, beide Trainer würden also sozusagen um ihren Job spielen. Stimmungslagen und Mentalitäten wurden austariert bis zum Gehtnichtmehr. Ach, wie sensibel doch Sportredakteure sind…

Löw war da. Nagelsmann war da. Überhaupt hat heute wahrscheinlich tout Fußball-Deutschland zugesehen. Über den ARD-Kommentator Tom Bartels möchte ich nicht viele Worte verlieren. Bei ihm wird immerzu „abgeblockt“, ein Schuss oder eine Flanke ist „gut, aber nicht gut genug“, ein Spieler vollführt eine „gute Bewegung“ oder wirft sich in den gegnerischen Angriff „mit allem, was er hat“. Derlei Gelaber wird auch noch richtig gut bezahlt.

Am besten ist’s überhaupt, wenn man solche Fußballspiele ohne das ganze Geplänkel drumherum genießt. Schnörkellos, sozusagen. Den Ball flach halten.

Seltsames Zusammentreffen übrigens: Bei Facebook habe ich just vor diesem Spiel einen hartleibigen politischen Linksaußen „entfreundet“, entfreunden müssen, der in quasi-adornitischer Manier den Anschein erweckte, man dürfe nicht über Fußball reden, ohne sich zuvörderst an die KZ-Vergangenheit zu erinnern. Verrückt. Als wenn man dies jemals vergessen und vermindern könnte.

 

 




Mats, wat machste nur?

Ich geb’s ja zu, ordentlich Zweckoptimismus war schon dabei, als ich dieser Tage Bernd Berke, meinem Freund im schwatz-gelben Geiste, seine Zweifel über die zukünftige sportliche Heimat des Spielers Mats Hummels nehmen wollte. Ich schrieb, dass dieser ewig beim BVB bleiben werde. Aber ich bin nun mal ein gutgläubiger Mensch.

Solche Szenen wird Mats Hummels nicht mehr erleben: Momentaufnahme vom Meister-Corso durch die Dortmunder Innenstadt im Mai 2011. (Foto: Bernd Berke)

Solche Szenen wird Mats Hummels nicht mehr erleben: Momentaufnahme vom Meister-Corso durch die Dortmunder Innenstadt im Mai 2011. (Foto: Bernd Berke)

Ich setze nun gern auch mal die Intelligenz voraus, die ich bei Menschen zu erkennen glaube, deren eloquente Art, die eigene Arbeit zu analysieren, durchdacht erscheint. Okay, Mats Julian Hummels habe ich da allem Anschein nach ziemlich überschätzt. Hätte er Liverpool genannt als letzte Herausforderung einer angejahrten Karriere, oder den königlichen Verein in Spanien mit hauseigener Gelddruckmaschine, dann hätte ich das Profi-Gesabbel von der sportlichen Herausforderung ja noch verstanden. Aber Bayern? Nee. Die hatten ihn nach eigenem Bekunden schlecht behandelt. Die hatten nachweislich seine überragende Veranlagung nicht wahrgenommen. Die hatten seinen Vater und Berater gefeuert. Alles vergessen?

Mann, wie müssen die sprengend mit ihrem Gehaltsgefüge umgehen. Anders wäre doch so eine vollkommen unverständliche Affinität kaum zu erklären. Hier der unvergleichliche BVB, die unvergleichliche Südtribüne. Hier in Dortmund: das bestfrequentierte Stadion Europas. Hier ein Verein mit funktionierenden Strukturen, bei dem der Spieler Mats Julian Hummels geliebt und höchst geachtet wurde. Und hier der Verein, dessen großartige Arbeit erst den großartigen Spieler Mats Julian Hummels erst zu dem machte, der er wurde.

Torjubel im (wie üblich) ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, vulgo Signal Iduna Park. (Foto: Bernd Berke)

Torjubel im (wie üblich) ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, vulgo Signal Iduna Park. (Foto: Bernd Berke)

Und dort die „Buyern“, mit einem Stadion, das höflichen Applaus spendet, wo Dortmunds Südtribüne in leidenschaftliche Raserei übergeht. Dort die Buyern, die sich nur mit dem Ankauf der spielerischen Klasse bei konkurrierenden Vereinen in der Liga deren sportliche Qualität vom Hals halten können. Dort die zugegeben beste Vereinsstruktur der Liga, bei gleichzeitigem Verschleiß des “Spielermaterials”. Und da ist Mario Götze nur ein Beispiel.

Mats Hummels hatte das Zeug, eine Dortmunder Legende zu werden. Er wäre so einer wie Nobby gewesen, oder Kalle Riedle oder Timo. Ihm hätten Türen offen gestanden, wo der Süden applaudierend Spalier gestanden hätte, wenn sie von ihm durchschritten worden wären. So wird er nun in der Vergessenheit versinken, in der zahlreiche schon darben, die mal für den BVB gespielt haben. Und bei den Buyern ist er schon jetzt einer von vielen.

Bleibt zu hoffen, dass er Borussia Dortmund viel, viel Geld einbringt, für das der BVB wieder Talente in seine Mannschaft holen kann, sie zu sportlicher Höhe führt – und die dann von Bayern weggekauft werden. So brächte er doch noch zusätzlich was für den Verein, der ihn so wertvoll machte.

__________________________________________

Der Beitrag ist in ähnlicher Form zuerst in Rudi Bernhardts Blog dasprojektunna.de erschienen.




Würziger Hopfen, weißer Schaum: Betrachtungen zum „Tag des Bieres“

Ein sumerischer Opfertisch: Die Sumerer kannten schon vor 6000 Jahren das Bier. Foto: Deutscher Brauer-Bund

Ein sumerischer Opfertisch: Die Sumerer kannten schon vor 6000 Jahren das Bier. Foto: Deutscher Brauer-Bund

Wilde Hefen waren es, die vor 6000 Jahren bei den alten Sumerern im Zweistromland für die erste Gärung sorgten. Das Bier war geboren – ein Getränk, das mit dem blonden oder braunen Gerstensaft von heute allerdings nicht mehr viel zu tun hat. Unsere geschmacklich einwandfreien und reinen Biere ließen sich erst im Zuge wissenschaftlicher und industrieller Entwicklungen im 19. Jahrhundert erzeugen. Aber eine Quelle unserer Bierkultur ist bald 500 Jahre alt und wurde am Georgitag des Jahres 1516 unterschrieben: Grund genug, jedes Jahr am 23. April den „Tag des Bieres“ zu begehen.

Die Quelle ist das Bayerische Reinheitsgebot, gegeben von Wilhelm IV., Herzog in Bayern, zu Ingolstadt. Die Forderung ist eindeutig: „Ganz besonders wollen wir, daß forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen“, heißt es in der Urkunde. Die vierte Zutat, die Hefe, war damals noch nicht greifbar; erst dem dänischen Botaniker Emil Christian Hansen gelang es, im Carlsberg-Laboratorium in Kopenhagen eine Methode zur Reinzucht von Hefen zu entwickeln. Er beschrieb sie 1883 erstmals. Heute versuchen Mini-Brauereien wieder experimentell, mit Hilfe von Spontangärung durch anfliegende Hefen geschmacklich eigenwillige Biere zu brauen.

Das Original: Die Urkunde mit dem Reinheitsgebot von 1516. Foto: Deutscher Brauer-Bund.

Das Original: Die Urkunde mit dem Reinheitsgebot von 1516. Foto: Deutscher Brauer-Bund.

Das Bayerische Reinheitsgebot galt ab 1906 im gesamten deutschen Reichsgebiet. Bayern hat 1918 sogar seinen Verbleib in der neuen Republik unter anderem von der Geltung des Gesetzes abhängig gemacht. Bier ist damit bis heute eines der reinsten Lebensmittel – auch wenn moderne Hefen und Hopfensorten und die Aufbereitung des Brauwassers die Qualität der Zutaten verändert haben.

Hopfen versus Grut

Dass es lange vor dem Reinheitsgebot ein Bewusstsein für die Qualität des Bieres – im Mittelalter schließlich eines der Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung – gegeben hat, bezeugen zahlreiche Zunftordnungen aus den für ihr Bier berühmten norddeutschen Städten. Von dort drang das Hopfenbier auch in die Gegenden ein, in denen wohl schon zur Zeit von Christi Geburt das „Grut“ als Bierwürze verwendet wurde. Grut ist eine Kräutermischung aus dem Gagelstrauch mit seinen starken ätherischen Ölen und verschiedensten Kräutern, von Schafgarbe bis Thymian, dazu unter Umständen auch Zutaten wie Wermut und Fichtenspitzen.

Im Land um Rhein und Ruhr waren diese „Grutbiere“ bis weit in die Neuzeit hinein verbreitet. In Dortmund etwa gab es wohl schon im Mittelalter eine städtische Aufsicht über die Qualität des Bieres, die sich nach dem Stadtbrand von 1232 aber erst Mitte des 13. Jahrhunderts in schriftlichen Quellen fassen lässt. Die Stadtrechnungen lassen auf die Bestandteile des Dortmunder Bieres schließen: Gersten- und Hafermalz und Grut aus Hopfen, Lorbeer und der Sumpfpflanze Porst (Rhododendron tomentosum, Moor-Rosmarin), heute auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzenarten. Porst verstärkte die Alkoholwirkung, konservierte das Bier aber auch.

Die Dortmunder liebten ihr Grutbier offenbar. 1548 beklagte der Stadtchronist Dietrich Westhoff eine Verdrängung des Grutbiers durch andere Sorten, so dass schließlich „des edeln gruten beers wenig gebrouwert wert“. Der letzte Gruter in Dortmund gab 1551 sein Gewerbe auf. Die Ratsherren mussten neumodisches Hopfenbier trinken, das ihnen wohl wegen der fehlenden aromatischen Würze nicht so gut geschmeckt haben soll.

Mit technischer Innovation zur Bier-Weltstadt

Erst die moderne Brautechnik ermöglichte gleichbleibende Qualität und lange Haltbarkeit. Ein Kupferkessel in einem Sudhaus. Foto: Deutscher Brauer-Bund.

Erst die moderne Brautechnik ermöglichte gleichbleibende Qualität und lange Haltbarkeit. Ein Kupferkessel in einem Sudhaus. Foto: Deutscher Brauer-Bund.

Um bei Dortmund zu bleiben: Das industrielle Brauwesen, für das die Stadt berühmt werden sollte, ist der von Bayern ausgehenden untergärigen Braumethode zu verdanken. Verbunden mit technischen Innovationen wie der Dampfmaschine und der von Carl Linde erfundenen maschinellen Kühlung konnte ganzjährig Bier in gleichbleibender Qualität gebraut werden. Die längere Lagerfähigkeit – davon spricht heute noch die Bezeichnung „Lager“ – ermöglichte auch den Export. Um 1900 wurde ein Viertel des weltweit industriell gebrauten Bieres in Deutschland hergestellt. Neben Kohle und Stahl trat das Bier als dritte Säule der industriellen Entwicklung.

Heute ist der Biermarkt in heftiger Bewegung. Die Zeit, in der internationale Großkonzerne versuchten, das Reinheitsgebot zu kippen, ist zum Glück – vorerst? – vorbei. Es bleibt zu hoffen, dass die Grundlage der deutschen Bierqualität auch den Abschluss der Verhandlungen um das TTIP-Abkommen überstehen möge. Die Absatzzahlen für klassische Biersorten gehen seit Jahren zurück. Die Deutschen trinken pro Kopf und Jahr nur noch 107 Liter Bier (2014) und stehen damit auf Platz zwei der Statistik gleichauf mit den Österreichern – und weit überholt vom „Bierweltmeister“ Tschechien mit 144 Litern.

Allerdings: Mit mehr als 5500 Biermarken und 95 Millionen Hektolitern Jahresproduktion sind die Deutschen nach wie vor die „Europameister“ des Bieres. Und auch die Zahl der Brauereien geht nicht zurück, wie der Brauer-Bund vermeldet: Sie stieg von 1281 im Jahr 2004 auf 1352 im letzten Jahr. Dennoch: Viele kleine und mittelständische Brauereien müssen ums Überleben kämpfen; andere, wie etwa die Hausbrauereien in Oberfranken, haben ihre Nische entdeckt und sprechen den Bierliebhaber mit variantenreichen regionalen Spezialitäten an.

Bierwerbung von einst: Zum Glück blieb die blonde Halbe keine "Fata Morgana". Historische Postkarte aus der Sammlung Willi Dürrnagel, Würzburg

Bierwerbung von einst: Zum Glück blieb die blonde Halbe keine „Fata Morgana“. Historische Postkarte aus der Sammlung Willi Dürrnagel, Würzburg

Auf solche Spezialitäten setzen nicht nur die Kleineren. Auch große Brauereien besinnen sich zurück auf Vielfalt und Individualität. In Dortmund beherrscht inzwischen die Radeberger Gruppe den Braumarkt, pflegt aber mit der Hövels Hausbrauerei am Hohen Wall ein Bier aus der Gründungszeit der alten „Brauerei von Hövel, Thier & Co.“ von 1854. Die alte Marke „Dortmunder Bergmann Bier“ wurde 2010 wiederbelebt und hat so viel Erfolg, dass 2014 die Planungen für eine neue Braustätte aufgenommen wurden.

In der alten Borbecker Dampfbierbrauerei in Essen werden seit den achtziger Jahren wieder traditionelle und neue Sorten gebraut und ausgeschenkt. Und apropos Grutbier: Das „Gruthaus“ in Münster experimentiert mit den Rezepten aus dem 15. Jahrhundert: „Erste Versuche ergaben ein sehr wohlschmeckendes und erfrischendes Kräuterbier mit süßlich-floraler Note“, heißt es auf der Homepage.

2016, wenn der 500. Jahrestag des Reinheitsgebots-Erlasses gefeiert wird, dürfte sich auch das historische Interesse auf das Bier lenken lassen. Liebhabern sei jetzt schon die Bayerische Landesausstellung 2016 in Aldersbach im Passauer Land empfohlen: Das Zisterzienserkloster mit einer wundervollen barocken Asam-Kirche ist Schauplatz von „Bier in Bayern“. Am 29. April 2016 geht’s los: Bis 30. Oktober – während der Sommer- und Herbst-Urlaubszeit – steht das „fünfte Element“ der Bayern im Mittelpunt der über zwei Millionen Euro teuren Schau.




Wenn der Minister von Wurst und Käse erzählt

Ein Minister, dessen ministrable Realexistenz mir immer erst dann wieder bewusst wird, wenn er sich zu ziemlich unwesentlichen Politikbereichen äußert (vermutlich geschieht das immer dann, wenn er sich von der allgemeinen Vergessenheit bedroht sieht); diesem Minister also (es handelt sich um einen gewissen Christian Schmidt aus der unvermeidlichen CSU) fiel es ein, dass er sich nach wiederholtem Flachsinn, den sein heimischer Ministerpräsident Seehofer von sich gegeben hat, auch mal wieder zu Wort melden musste.

Erstens, um den Nachweis zu erbringen, dass es ein Bundesagrarministerium wirklich gibt.

Natürlich künstlich: Wurst und Käse aus dem Kinder-Kaufladen. (Foto: Bernd Berke)

Natürlich künstlich: Wurst und Käse aus dem Kinder-Kaufladen. (Foto: Bernd Berke)

Zweitens, um den Nachweis zu erbringen, dass nicht nur sein Ministerpräsident in München dummes Zeug mundartlich verbreiten kann.

Drittens, um zu zeigen, dass ein deutsches Bundesagrarministerium im Themenzusammenhang mit dem TTIP – das ist ein Abkommen zwischen EU und den USA, das den freien Handel zwischen den Kontinenten nach Jahrhunderten der boshaften Vorschriftengrenzziehungen erst möglich machen soll (das war ein Scherz!), dass also dieses Bundesagrarministerium etwas zu sagen hat.

Und was sagt er Herr Schmidt? „Wenn wir die Chancen eines freien Handels mit dem riesigen amerikanischen Markt nutzen wollen, können wir nicht mehr jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen!“ Seitdem ich das las, frage ich mich, ob er mit Wurst vielleicht sich selbst meinte und mit Käse das, was er da erzählt.

Aber im Ernst. Der bodenständige Bayer Schmidt will mit seinen generösen Angeboten den Amis ein Zückerchen hinwerfen, das es ihnen erleichtert, dem Abkommen zuzustimmen, dessen Verhandlungsinhalte hierzulande nur wenigen und denen auch nur rangbedingt in ausreichendem Maße bekannt sind (wird ja von der EU verhandelt).

Ob Thüringer Bratwurst, Allgäuer Emmentaler, Oude Gouda oder Schwarzwälder Schinken, das könnten doch wohl keine Hindernisse sein, bloß weil der Herkunftshinweis EU-rechtlich geschützt ist. „Es wäre unseren amerikanischen Handelspartnern schwer vermittelbar, dass sie keinen Tiroler Speck oder Holländischen Gouda zu uns exportieren dürften, wenn wir in Europa selbst den Schutz nicht konsequent durchsetzen würden“, wird er vom „Spiegel“ zitiert.

Au weia. Ich sehe schon die blühende Freihandelszukunft: „Original Holländischer Gouda“ aus Wisconsin. Gleichzeitig droht dem Mimolette (dem Gouda ähnlicher Festkäse aus Frankreich) die Massenvernichtung durch den amerikanischen Zoll. Oder „Original Schwarzwälder Schinken“ von Monsanto (amerikanischer Saatgutkonzern, der eigene Schweineherden weltweit patentieren lassen will, weil die Viecher so schön schnell wachsen). Oder wie wäre es mit „Original Pfälzer Saumagen“ oder „Original Thüringer Bratwurst“ aus Milwaukee? Im Gegenzug, so schwebt es dem pfiffigen Herrn Schmidt vor, könnte man seitens der USA ja auf die ominösen Chlor-Hähnchen verzichten.

Mieses Geschäft. Wie wäre es denn, wenn wir aus Sachsen „Original BigMacs“ liefern, aus Bayern mit den Produktion von „Original Kentucky Fried Chicken“ auf den Markt der noch nicht erschlossenen Märkte träten? Oder wenn wir den Bremer Labskaus in New Mexico anböten (ach nein, dem würde ja gleich wieder von der dortigen Lebensmittelaufsicht wegen seines Erscheinungsbildes das Schicksal des Mimolette-Käses angedroht).

Aber nochmal, im Ernst. Der famose Herr Schmidt schafft es mit ein paar geplapperten Sätzen, die dann auch noch todernst via „Spiegel“ breit getreten werden, die Bedrohungen des TTIP („Transatlantic Trade and Investment Partnership“) auf Chlor-Hähnchen und Bratwürste zu reduzieren. Dabei sind die ernsthaften Kritiker dieser Befreiung des Handels hin zu einer Machtübergabe an weltweit operierende Konzerne (Stichwort Investorenschutzklage) auf ganz anderen Ebenen unterwegs und haben sich ernsthaft mit den möglichen Folgen und der damit verbundenen Entdemokratisierung zugunsten einer gierigen Wirtschaft auseinander gesetzt.




Fieberträume im Komödienstadl – Kinofilm „Wer früher stirbt, ist länger tot“

Von Bernd Berke

Eins muss man dem jungen Filmemacher Marcus Hausham Rosenmüller schon mal lassen: Seine Titel klingen prägnant.

Ein kürzeres Werk hieß vor Jahren „Nur Schreiner machen Frauen glücklich“. Jetzt absolviert er sein abendfüllendes Spielfilmdebüt mit „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Wer wollte an der Wahrheit dieses Satzes zweifeln?

Hauptfigur ist der 11-jährige Sebastian, der in einem bayerischen Dorf lebt. Der Radius zwischen Schule und Bauernhof wird hier kaum je überschritten. Da fühlt man sich ein wenig an die seligen „Lausbubengeschichten“ eines Ludwig Thoma erinnert.

Zwischendurch wird’s allerdings ernst. Sebastians Mutter ist bei seiner Geburt gestorben. Nun fühlt er sich irgendwie schuldig an ihrem Tod. Es plagt ihn fortan eine Sorte von Alp- und Fieberträumen, die wirkt, als hätte sich der Schreckensmaler Hieronymus Bosch in den Komödienstadl verirrt. Das bayerisch-katholische Gewissen droht dem Kleinen in Form eines bizarren Jüngsten Gerichts. Jeder Bubenstreich wird ihm da dröhnend vorgehalten. Um dem angedrohten Fegefeuer zu entgehen, muss Sebastian entweder „unsterblich“ werden oder seine Sünden tilgen, indem er dem betrübten Vater endlich wieder eine fesche Frau verschafft.

Damit beginnen die halbwegs komischen Missverständnisse. Der Partner von Sebastians hübscher Grundschullehrerin ist droben am Berg Radiomoderator einer Rocksendung – im Studio kündet jedes Detail von den glorreichen 60er Jahren mit Woodstock, Marihuana & Co. Dieser Mann sagt Sebastian, mit Musik könne man just unsterblich werden – wie einst Jimi Hendrix. Der Junge nimmt die Ansage eins zu eins und will unbedingt Gitarre spielen lernen. Auch verschafft er einer alten Dame, die im Sterben liegt, eine allerletzte Freude. Und nebenher sorgt er auf Umwegen dafür, dass die Lehrerin seinen Vater kennenlernt. Noch Fragen?

Dieser sommerlich leichte Heimatfilm ergötzt sich an allerlei Anspielungen und Zufällen, es ist eine gar hübsch gehäkelte Geschichte. Mit Fleißer, Fassbinder oder Kroetz, die einst auch das Abgründige und Bösartige im Bajuwarischen aufspürten, hat das alles nichts zu tun. Dieses Dorf gebiert nur kleine, eher putzige Ungeheuer.