Zwischen Pandemie und neuen Perspektiven – die Pläne der Kunsthalle Bielefeld

„Kompromisslos modern“: Jacoba van Heemskerck: „Meer mit Schiffen“, 1915, Öl auf Leinwand (© Kunstmuseum Den Haag)

Mag ja sein, dass es Bielefeld „nicht gibt“, wie Scherzbolde unermüdlich behaupten. Auf jeden Fall aber gibt es die Kunsthalle Bielefeld. Und die bzw. ihr Team hat jetzt per Videokonferenz Pläne für die nähere Zukunft vorgestellt. Eine Essenz: Auch nach der Corona-Pandemie dürfte es dauerhaft mehr digitale Angebote geben als ehedem, beispielsweise Online-Führungen. Und: Mehr als zuvor werden immer mal wieder die eigenen Sammlungsbestände im Blickpunkt stehen.

Die Schweizerin Christina Vegh, erst seit rund einem Jahr als Direktorin des Hauses tätig und noch dabei, die Kollektion in ihrer ganzen Breite und Tiefe kennenzulernen, sieht darin auch für andere Museen eine Zukunftsperspektive. Gewiss werde es weiterhin Wechselausstellungen geben, doch im Sinne einer größeren Nachhaltigkeit und Ressourcen-Schonung werde auch andernorts zunehmend Eigenbesitz in den Vordergrund rücken. Wahrscheinlich nicht nur eine ökologische, sondern auch eine finanzielle Frage. Derweil sorgt sich Frau Vegh bereits, dass das Medienecho eventuell leiser ausfallen könnte, wenn öfter Kunst aus eigenen Depots ans Tageslicht kommt. Gut möglich, denn die Presse bevorzugt seit jeher meist das Neue und Spektakuläre.

Flexibel genug, um Ausstellungen zu verlängern

Vorerst bleibt, wie alle deutschen Museen, auch die Kunsthalle Bielefeld geschlossen. Zum Glück war der Bielefelder Planungsrahmen so flexibel, dass die eigentlich schon „laufenden“ Ausstellungen bis zum 30. Mai verlängert werden können, darunter Monica Bonvicini mit ihrer Präsentation „Lover’s Material“ und Jeremy Deller mit „Wir haben die Schnauze voll“. Man ahnt hier schon, dass sie in Bielefeld appellative Titel schätzen. Übrigens hat es sich auch in Sachen Flexibilität ausgezahlt, dass mit Christina Vegh eine neue Leiterin angetreten ist: Ihre Planungen seien „noch nicht so zementiert gewesen“, wie sie sagt. Doch natürlich mussten auch Künstler(innen) und Leihgeber mitspielen.

„Lover’s Material“: Monica Bonvicini „In My Hand“, 2019 (© Monica Bonvicini and VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Photo: Jens Ziehe – Courtesy of the Artist and Mitchell-Innes & Nash, New York)

Bis September sollen – ob nun zunächst per Online-Führungen oder möglichst bald leibhaftig –  Jeff Walls künstlerische Statements zum Themenkreis Denkmal und Sockel zu sehen sein. Sie nehmen u. a. direkten Bezug auf Auguste Rodins „Denker“, dessen Bielefelder Sockelplatz freilich noch für einige Zeit vielsagend leer bleibt, weil die Skulptur noch auf Reisen ist. Unterdessen wurden Menschen im Raum Bielefeld via Medien gebeten, sich Gedanken übers Denken und den Denker zu machen. Das eingesandte Material wird noch gesichtet und dann ausgebreitet. Termin zum Vormerken: Am 17. März um 18 Uhr unserer Zeit wird Jeff Wall in einem live gestreamten Künstlergespräch den Ansatz seiner „Interventionen“ näher erläutern. Er wird aus Vancouver (Kanada) zugeschaltet. (Anmeldung beim Mitarbeiter Matthias Albrecht / siehe dazu den Link zur Homepage am Schluss dieses Beitrags).

Klassische Moderne – nicht nur aus den Niederlanden

Und was wird sich im Sommer 2021 zutragen? Ab 19. Juni und bis zum 5. September werden Werke der niederländischen Künstlerin Jacoba van Heemskerck (1876-1923) gezeigt, die Überschrift lautet ganz entschieden: „Kompromisslos modern“. Heemskerck war im frühen 20. Jahrhundert in Berlin präsent, und zwar in Herwarth Waldens „Sturm“-Galerie, die 1912 im Gefolge der legendären Zeitschrift „Der Sturm“ (seit 1910) gegründet wurde. Ausgehend vom Pointillismus, eignete sie sich das kubistische und expressionistische Formvokabular an und gelangte schließlich zu kunsthandwerklichen Glasarbeiten. Beeinflusst von anthroposophischem Gedankengut, erstrebte sie eine „höhere Geistigkeit“, die in häufig wiederholten Motiven (Bäume, Segelschiffe) zum Ausdruck kommt. Die Schau setzt die Reihe über Künstlerinnen der Klassischen Moderne fort, die u. a. mit Sonia Delaunay und Sophie Taeuber-Arp begonnen hatte.

Zeitgleich zur Heemskerck-Retrospektive gibt es einen dazu passenden Einblick in die Bielefelder Sammlung: „Wir waren im Sturm“ versammelt Werke von Künstlern, die just zum erweiterten Kreis um den erwähnten Herwarth Walden zählten, beispielsweise Heinrich Campendonk, Marc Chagall, Robert und Sonia Delaunay, Paul Klee, August Macke und Gabriele Münter.

Ebenfalls für die Zeit vom 19. Juni bis zum 5. September vorgesehen sind John Millers Erkundungen zum Thema „Öffentlichkeit/Gegenöffentlichkeit“. Miller entwirft und konstruiert fotografisch bzw. filmisch festgehaltene Situationen, die von beigegebenen Texten dementiert werden – zuweilen durch Behauptung des schieren Gegenteils dessen, was zu sehen ist – womöglich eine fruchtbare Irritation, die vielfach im Stile von PowerPoint-Präsentationen erfolgt. Letzten Endes geht es auch darum, Widersprüche und Gegenmeinungen auszuhalten. Fürwahr kein geringes Thema in diesen gespaltenen Zeiten.

An Beuys kommt heuer niemand vorbei

Ab Herbst (9. Oktober 2021 bis 9. Januar 2022) schließt sich wieder eine dieser knackig betitelten Ausstellungen an: „Köpfe, Küsse, Kämpfe“ heißt die Werkschau von Nicole Eisenman aus New York, die vorwiegend aus zeichnerischen und malerischen Arbeiten bestehen und über zwei Etagen ausgebreitet werden soll. Angekündigt wird die künstlerische Sondierung künftiger Lebensmodelle, die – dem Zeitgeist entsprechend – zumal feministische und queere Anschauungen aufgreifen wird.

Schließlich noch Joseph Beuys, dem heuer alle Kunstwelt huldigt, denn er ist im Mai vor 100 Jahren geboren worden. Schelmische Titelfrage: „Beuys war nie in Bielefeld?!“ Nun ja. Ab 9. Oktober 2021 (und bis 9. Januar 2022) soll jedenfalls seine gigantische Baumpflanzaktion „7000 Eichen“ rückblickend gewürdigt werden, die zwar vor allem in Kassel, aber anno 1985 eben auch in Bielefeld ein paar Spuren hinterlassen hat. Also muss es Bielefeld wohl doch geben.

Kunsthalle Bielefeld. Artur-Ladebeck-Straße 5. Vorerst weiterhin geschlossen. Online: www.kunsthalle-bielefeld.de




Lars Vilks „Nimis“: Kunstwerk aus Treibholz reizt seit Jahrzehnten die Staatsmacht

Wer kann schon von sich erzählen, dass er während einer Reise durch den Norden Europas in vier Ländern und vier Hauptstädten gewesen sei, er sich aber nur in zwei staatlichen, vollorganisierten Gebilden aufgehalten habe. Ja, das geht!

Man reist durch Schweden, besucht Stockholm, durchfährt Schonen und trifft am Kullaberg auf Ladonien und Nimis, dehnt die Fahrt auf Dänemark und Kopenhagen aus und streift dort durch ein Lebensquartier mit Namen „Christiania“ mit der Hauptstadt gleichen Namens.

Schweden und Dänemark sind ja den meisten durchaus ein Begriff, „Christiania“ ist jedem ein solcher, der Hippies, Hanf und Hausbesetzer noch in die ihnen zugeordneten Schubladen einsortieren kann. Ladonien hingegen kennen nur Kenner – und seit einer ausgedehnten Fahrt durchs schwedische Schonen auch ich. 1980 begann dort im Naturschutzgebiet Kullaberg in einer vom Festland aus schwer zugänglichen (oh ja) Bucht der Künstler Lars Vilks Treibholz zu sammeln und es mit unzähligen Nägeln zu einer bekletterbaren Monsterskulptur zu zimmern.

Sehr zur ungnädigen Wahrnehmung der örtlichen Behörden, die in dem artifiziellen Hammerschlag-Puzzle ein Gebäude witterten, was in einem naturgeschützten Gelände nicht sein darf. Das dem Gotte Thor vorbehaltene Schlaginstrument senkte sich also büokratischerseits über Lars Vilk, dem nun das zuteil wurde, was er vermutlich billigend in Kauf nahm: eine allerseits wachsende Aufmerksamkeit.

Behördlich wurden nun salvenweise Abrissverfügungen auf den Freiluftildhämmerer abgefeuert, die er mit wachsendem Fleiß und ständig neuen Ausbauten seiner Kunst, der inzwischen der Name „Nimis“ gegeben worden war, was aus dem Lateinischen hergeleitet wird und so viel wie „zu viel“ bedeutet.

Zwischenzeitlich, als Lars Vilks Fleißarbeit 15 Tonnen wog, hatte ein behördentreuer Stifter einen Brand gelegt, der große Teile von „Nimis“ einäscherte, was Lars Vilks Eifer aber zusätzlich befeuerte und ihn antrieb, beim Wiederaufbau die ursprüngliche Tonnage noch zu übertreffen. Um es vor dem unmittelbar bevorstehenden amtlichen Zugriff zu schützen, verkaufte er „Nimis“ an seinen Freund Joseph Beuys und nach dessen Tod an die Weltverhüller Christo und Jeanne Claude.

1996 trieb Lars Vilk den Kampf gegen Schonen und Schweden auf die Spitze, rief den Microstaat Ladonien aus, abgeleitet von Ladon (griechisch), einem mythologischen Drachen. Zuvor hatte er mit der Arbeit an „Arx“ (Festung) begonnen, einer wuchtigen Steinskulptur, zu der sich 1999 der 1,61 Meter hohe „Omphalos“ gesellen sollte.

Nun mussten sich Polizei und Ämter nicht nur mit „Nimis“ herum plagen, sondern auch noch „Arx“ (Das ist ein weiteres, nennenswertes Kunstwerk in der Nähe von Nimis in Form einer Skulptur aus mit Beton zusammengehaltenen Steinen, die ein abstraktes Buch verkörpern. Es wiegt 150 Tonnen, hat 352 Seiten und wurde sogar 1993 im schwedischen Verlag Nya Doxa veröffentlicht. Arx bildet den zweiten Teil der Verfassung Ladoniens.) und „Omphalos“ gesetzlich zu bekämpfen. Lars Vilk wurde schließlich verdonnert, „Omphalos“ in geeigneter Weise zu beseitigen, die beiden anderen Kunstwerke blieben allerdings verschont, bei denen hatte der Staat aufgegeben.

Zum 100. Geburtstag des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 2001, so schlug Lars Vilk in der Folge vor, könne er ja „Omphalos“ in die naturgeschützte Luft der Skagerag-Küste jagen (natürlich mit Nobel’schem Dynamit), was amtlicherseits wenig Beifall fand. Dafür wurde ein Beschluss gefasst, der strengstens geheim gehalten wurde – und „Omphalos“ von staatssicherheitlichen Einheiten am 9. Dezember 2001 entfernt. Dabei nahm die Skulptur, die inzwischen an den Künstler Ernst Billgren verkauft war, Schaden, was den neuen Besitzer gehörig empörte. Er schenkte die vernarbte Kunst aber postwendend dem Moderna Museet, wo sie noch heute ausgestellt wird.

Der listige Lars Vilk ersuchte nun um die Erlaubnis, dem verlorenen Kunstwerk ein Denkmal setzen zu dürfen, die er auch erhielt, nur dürfe dieses Denkmal nicht höher als 8 Zentimeter groß sein. Das Kunstwerk-Denkmal wurde am 27. Februar 2002 seiner Bestimmung feierlich übergeben. Und der ungleiche Kampf endete mit der stöhnenden Aufgabe von Seiten der staatlichen Gewalt.

Ladonien existiert nach wie vor. Es fand seine Hauptstadt in „Wotan“, einem separat stehenden Turm des Gesamtkunstwerkes. 15.000 Einwohner ergab der jüngste Micozensus, allesamt Nomaden und nicht in Ladonien sesshaft. Die Landesflagge ist gekennzeichnet durch ein grünes Kreuz auf grünem Grund (für Grün-Fehlsichtige wird bisweilen auch das Kreuz mit zarten Weißstrichen in lybische Grün gemalt. Für 12 US-Dollar kann man sich einen Adelstitel beschaffen, Ministerien gibt es auch, Steuern werden in Form von Kreativität erhoben.

Ich könnte ja jetzt angeben und sagen: „Muss man gesehen haben!“ Hab‘ ich aber nicht, jedenfalls nicht mit eigenen Augen. Yannic, jung und enorm behende, kraxelte für mich durch „Nimis“, bestaunte den ungewöhnlichen Mut schwedischer Eltern, die es zuließen, dass geschätzte 12-Jährige Türme erklommen, die nicht einmal er bezwang und schwärmte noch lange von dem Kunstwerk, das über Jahrzehnte Heerscharen von Amtsgewaltigen beschäftigte.




Zum Tod des Malers Norbert Tadeusz

Der 1940 in Dortmund geborene Maler Norbert Tadeusz ist tot. Der Schüler von Gerhard Hoehme und Meisterschüler von Joseph Beuys ist am Montag in seinem Düsseldorfer Atelier gestorben. Tadeusz besuchte anfangs die Dortmunder Werkkunstschule, studierte von 1961-1965 an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er später (1981-1988) als Professor wirkte. Um eine ungefähre Vorstellung von seiner Kunst zu geben, hier ein Rückblick auf seine letzte größere Ausstellung im Ruhrgebiet, die 2009 im Museum Bochum zu sehen war:

Dem Werk von Norbert Tadeusz kann man sich von vielen Seiten her nähern. Wollte man den physischen Zugang betonen, so würde man sich wohl bevorzugt seinen Fleisch-Bildern widmen. Deren immer wieder obsessiv durchmessene Bandbreite reicht vom prall ausgekosteten Frauenakt bis zum tierischen Kadaver im Schlachthaus. Begehren und Blut. Vital und letal.

Doch es gibt nicht nur diese (bestürzend) sinnliche, sondern auch eine übersinnliche, traumverlorene Dimension dieses Schaffens, die sich geisterhaft in allgegenwärtigen Schatten zeigt. Diesen Aspekt fasst nun das Museum Bochum in den Blick.

Die gemeinsam mit der Düsseldorfer Galerie Gmyrek in relativ kurzer Frist zusammengestellte Auswahl erstreckt sich aufs erste und zweite Geschoss des Hauses. Besonders stolz ist Bochums Museumsdirektor Hans Günter Golinski darauf, dass er erstmals Tadeusz’ Collagen zeigen kann. Sie lassen ermessen, wie sehr auch bei den großformatigen Gemälden ein „collagierender Blick“ die Wirklichkeit abtastet, zerlegt und neu fügt.

Schatten verleihen den zuweilen drastischen, gar schockierenden Figuren (nackte Frauenleiber in Situationen der „Verfügbarkeit“ oder der embryonalen Schutzbedürftigkeit) etwas Doppelbödiges, Unwirkliches. Fleisch ist nicht nur Fleisch. Da fällt auch schon mal ein Schatten so unvermittelt, als wolle er den vergänglichen Körper skelettieren, ihm so seine Grenzen vorführen. Überhaupt werden Mühsal und Qual der Körperlichkeit sichtbar – eher, als dass seine (auch abgründigen) Freuden sich aufdrängten.

Schatten modellieren die Körper. Sie verleihen ihnen Plastizität, sie können aber auch verfremdend und verstörend wirken, schlimmstenfalls Angst auslösen. Norbert Tadeusz erklärt, dass ihn die „Schauseite“ seiner Aktmodelle (die diese ihm am liebsten präsentieren möchten) überhaupt nicht interessiere. Er wartet wohl auf den Moment, wo das Ganze umschlägt in etwas, das auch vergeistigt genannt werden kann. In solchem Sinne hat er auch eine Schwangere gemalt, die als Tänzerin zu einigen Verrenkungen im Dienste der Kunst bereit und damit „zuhanden“ war. Da mag nicht nur nützlich, sondern auch erregend gewesen sein. Doch es verweist auf etwas Jenseitiges. Mit Fenster- und Bilder-Rahmen sowie Leitern (u. a. in seinen Atelier-Ansichten) lässt der Künstler übrigens häufig die christliche Kreuzesform anklingen, ohne sie aufdringlich herbeizuzitieren oder gar zu exponieren.

Nun ließe sich gewiss eine generelle, weit ausschweifende Kunstgeschichte des Lichtflusses ebenso wie eine der Schatten-Malerei verfassen. Harte Schlagschatten etwa waren lange verpönt, dann wieder (z. B. nach Caravaggio) ein anderes Maß der Dinge. Bei Tadeusz sind Schatten tatsächlich eine Hauptsache. Sehr formbewusst baut er seine Bilder. Der Verlauf von schattigen Linien, Flächen und Feldern erzeugt allemal Irritation, lässt neue imaginäre Räume entstehen, in denen sich der irrende Blick des Betrachters erst einmal verfängt und nur halbwegs zurechtfindet.

Es ist, als werde da ein zweites Leben, eine geheime Parallelwelt bis an die Grenze der Sichtbarkeit gehoben. Gefährlich genug. Zuweilen verquicken sich die Schatten hier so körperlos, dass sie ein eigenes Schattenreich bilden. Ist dort die Dingwelt lebendiger als der Mensch?

Doch solche Zuschreibungen wären Tadeusz wahrscheinlich schon viel zu viel. „Ich male einfach“, sagt er. Darüber reden sollen andere. Oder auch schweigend schauen. Trotzdem kann der Beuys-Meisterschüler und spätere Akademielehrer Tadeusz – abseits der Deutung einzelner Bilder – auch ins beseelte oder betrübte Reden geraten. Von der bleibenden Hypothek des Weltkriegs, die (nicht nur) auf seiner Generation laste, aber leider aus dem allgemeinen Bewusstsein schwinde, ist dann sehr ernsthaft die Rede. Von politischen Enttäuschungen der letzten Jahre. Vom allfälligen Kleinbürgertum, das heute sämtliche anderen Schichten verdränge. Davon, dass die Ausübung der Kunst ihn leidlich ernährt, aber keinesfalls reich gemacht habe. Ein teures Atelier in Düsseldorf habe er einst aufgeben müssen…

Zurück zum vieldeutigen Schattenwurf. Bisweilen verbindet sich das Schattenhafte mit einem althergebrachten Motiv der bildenden Kunst: Maler und Modell. Verstörende Sicht von schräg oben: Da reckt sich der Schatten des Künstlers (der beispielsweise hoch auf einer Leiter steht) bedrohlich über die völlig entblößte, hilflos, ja geschunden wirkende Frau. Filmkenner werden hier vielleicht an Jacques Rivettes Meisterwerk „La belle noiseuse“ („Die schöne Querulantin“) denken, jenes ungemein intensive Wogen der Passion zwischen Maler (Michel Piccoli) und Modell (Emmanuelle Béart). Auch dabei war letztlich etwas Spirituelles und Sakrales im Spiel.

Schatten erwächst aus Licht. Tadeusz sucht immer wieder gern die besonderen Lichtverhältnisse Italiens auf. Noch dazu kann er dort sein profundes kunstgeschichtliches Wissen anhand der alten Meister mehren. Tadeusz erinnert sich: Bereits Plinius der Ältere (ca. 23-79 n. Chr.) habe sinngemäß geschrieben, die Malerei sei auch nicht mehr das, was sie einmal war. So uralt ist mithin das Nachsinnen über die Krise der Kunst – und so oft ist sie seither in strahlenden Augenblicken glückhaft überwunden worden.

INFO:
„Schatten“ – Bilder von Norbert Tadeusz. Museum Bochum, Kortumstraße 145, Bochum.

(Der Text ist am 27. August 2009 erstmals im Westropolis-Kulturblog erschienen und befindet sich unter dem angegebenen Datum auch im Revierpassagen-Archiv).

(Das Bild zeigt das Cover des Bochumer Ausstellungskatalogs, der bei Kerber Art herausgekommen ist).

Tadeusz-Katalog "Dunkle Begleiter - Schattenbilder" zur Ausstellung der Galerie Gmyrek und des Museums Bochum, 2009 (Verlag Kerber Art)

Tadeusz-Katalog "Dunkle Begleiter - Schattenbilder" zur Ausstellung der Galerie Gmyrek und des Museums Bochum, 2009 (Verlag Kerber Art)

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Museum Bochum: Anatol und seine Arbeitszeit

Anatol neben seinem Bild "Brief einer sterbenden Lehrerin" (Acryl auf Pressspan, 1996)

Anatols künstlerische Arbeiten zu sehen, das ist das Eine. Ihn reden zu hören, das ist das Andere. Wobei natürlich eins mit dem anderen zu tun hat. Eine Präsentation im Museum Bochum legt jetzt Gewicht auf die leibhaftige Gegenwart des inzwischen 80-jährigen, staunenswert vitalen und nach wie vor handfest arbeitsamen Künstlers, der für so genannte „Ringgespräche“ im Kreise interessierter Besucher in die Revierstadt kommt. Er verlegt also seine „Arbeitszeit“ (Ausstellungstitel) an den Ort, wo sonst „nur“ Hinterlassenschaften der Künstler anzutreffen sind.

Das hört sich einigermaßen harmlos an, kann aber im Falle Anatols geradezu durchtrieben sein, jedenfalls geistig ungemein produktiv. Jeweils zwei Stunden dauern die inspirierenden Runden. Wer den einstigen Beuys-Weggefährten einmal erlebt hat, zweifelt keinen Augenblick daran, dass er diese Zeitspanne ebenso mühelos wie unterhaltsam überbrückt. Fast schon meditative Qualitäten gewinnt beim schier uferlosen Erzählen sein rheinisch grundierter Singsang. Solch einer hörbar lebenskundigen Stimme darf man sich anvertrauen, sie trägt einen an andere, vielleicht ungeahnte Plätze.

Doch sollte man sich nicht nur aufs Treibenlassen in einem langen ruhigen Sprachfluss einrichten, sondern auch auf plötzlich aufblitzende Erkenntnisse. Gut möglich, dass man auf einmal etwas genauer weiß, was die mit Leben und Tod verwobene Kunst auf Erden kann und was nicht.

Man lausche.

Gar manche bezeichnende Anekdote hat dieser Künstler parat. Manchmal verliert er sich freilich auch im Geflecht seiner Sätze. Aus solcher Trance erwachend, zeigt er ein weises, menschenfreundliches Lächeln. Gern untermalt er seine Berichte gestisch, nahezu schauspielerisch. Wie einer geht und aufsteht, wie einer stockt oder stolpert, das wirft Schlaglichter aufs Leben.

Doch weiter, weiter im Fluss: Eben noch hat Anatol prägnante Passagen von Goethe oder Hildegard von Bingen zitiert. Nun berichtet er unversehens vom Errichten einer Blockhütte. Oder vom Bootsbau. Er weiß aus Erfahrung, wie man einen unsinkbaren Einbaum anfertigt. Anno 1973 begab sich jene spektakuläre Kunstaktion auf dem Rhein: Joseph Beuys sollte mit dem urtümlichen Wasserfahrzeug zurück zur Düsseldorfer Kunstakademie geholt werden, aus der man ihn hinausgeworfen hatte. Keine ganz ungefährliche Sache, zumal bei Hochwasser. „Beuys war der einzige, der keine Schwimmweste trug“, erinnert sich Anatol. Eine Heldenlegende? Ach, nicht doch! Nicht, wenn einer so verschmitzt parliert.

Längst hat Anatol den Mittelpunkt seines Schaffens zur Museumsinsel Hombroich (Neuss) verlegt. Düsseldorf, so lässt er wissen, habe er aus gutem Grund den Rücken gekehrt: „Schickimicki liegt mir nun einmal überhaupt nicht.“

Wer die verbleibenden Gesprächstermine mit Anatol (der sonst vorwiegend bildhauerisch tätig ist) versäumt, kann sich in Bochum an eine kleine Auswahl seiner Tafelbilder halten. Bildträger dieser neueren Arbeiten sind „ärmliche“ Materialien wie Pressspan und Pappe.

Die auf den ersten Blick oft unscheinbaren Figurationen setzen unter der Hand „Erscheinungen“ frei, eins entzündet sich am anderen und glimmt auf. Eine antike Amazone neben einer martialischen Polizistin. Michael Jackson beim bizarren Totentanz. Ein Kraftwerk, das ein Dorf überwölbt. Das mag sich plakativ anhören, ist es aber nicht. Besonders in den hauchzarten Aquarellen scheint alles dem allmählichen Verfall preisgegeben. Vor der Vergänglichkeit muss schließlich auch die Kunst ihre Segel streichen.

„Anatol – Arbeitszeit“ (Ausstellung bis 17. Juli), weitere öffentliche „Ringgespräche“ mit dem Künstler am 9., 16. und 22. Juni, jeweils 10 bis 12 Uhr. Museum Bochum, Kortumstraße 147.

Weitere Infos:

http://www.bochum.de/kunstmuseum




Gereimtes oder Ungereimtes

Ich möchte hier einen Versuch wiederholen. Beim für immer entschlafenen
Kulturblog Westropolis (2007-2010) hat es der entsprechende Thread über die
Jahre hinweg auf rund 1500 Wortmeldungen gebracht. Man verzeihe mir den preiswerten kleinen
Stolz, damit einen Rekord angestoßen zu haben, der dort nicht mehr gebrochen werden kann, weil jene Plattform der WAZ-Mediengruppe Anfang 2011
unwiederbringlich gelöscht worden ist.

Die Idee, wenn man sie überhaupt so nennen soll, ist denkbar
simpel und keineswegs originell:

Statt eines Kommentars hinterlässt man/frau hier just einen selbst verfassten Zweizeiler, Vierzeiler,
ein Sonett oder sonst etwas Gereimtes / Ungereimtes mit lyrischer Anmutung bis Zumutung.

Einstiegsschwelle niedrig, Skala der Ansprüche nach oben offen.

Als die A40/Bundesstraße 1 im Sommer 2010 fürs
kulturhauptstädtische „Stilleben“ gesperrt wurde, gab es etliche Stände, an
denen die Passanten Gedichtetes hinterlassen sollten, meist auf meterlangen
Textrollen. Ein Werk der Vielen. Es sollte „volkstümlich“ sein, und da ist – bei halbwegs strenger Observanz – peinliche „Volkstümelei“ nie allzu weit
entfernt. Kulturell etwas kleidsamer, doch ebenfalls zwiespältig, ist die immer wieder
gern kolportierte Auffassung von Joseph Beuys, jeder Mensch sei Künstler.

Hier möge es, wenn es denn in Gang kommt, vor allem freudig
zugehen. Gerade gereimte Zwei- oder Vierzeiler führen nicht selten zu (höherem) Nonsens und
blühendem Blödsinn.

Warum auch nicht? Wir werden sehen.




Blinky Palermo: Rebellion mit Wasserwaage

Düsseldorf. Mit Blinky Palermo verhält es sich so: Manche seiner Arbeiten hat dieser Künstler aus Unzufriedenheit selbst vernichtet. Von vielen anderen hat sich später die Spur gleichsam im Nichts verloren.

Das erhaltene Gesamtwerk des 1977 mit nur 33 Jahren auf den Malediven gestorbenen Künstlers ist überschaubar. Nur rund 200 größere Bilder und Objekte sowie etwa 600 Zeichnungen nennt der Œuvre-Katalog. Wohl gerade deshalb gilt Palermo als Mythos. Knappes Werk und früher Tod – das sind nach den Marktgesetzen zwei Bedingungen, die solch einen Status begünstigen können.

Jetzt zeigt die Düsseldorfer Kunsthalle einen Überblick zum schmalen Schaffen – den allerersten in jener Stadt, in der Palermo einst Meisterschüler des noch ungleich berühmteren Joseph Beuys gewesen ist. Damals bekam der Mann, der bürgerlich Peter Heisterkamp hieß, von Künstler-Kumpanen den Spitznamen „Blinky Palermo” – wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit dem berüchtigten US-Mafioso und Boxmanager.

Zu sehen sind Stoffbilder (Kaufhausware, auf Rahmen gezogen), Metallbilder (in bis zu 20 Schichten bemaltes Aluminium) und Installationen. Palermo ist nicht zuletzt ein „Künstler für Künstler”. Bis heute interessieren sich auch und gerade Leute vom Fach für seine Schöpfungen. Seine meist titel- und gegenstandslosen Versuchsanordnungen wirken auf den ersten Blick oft spröde; obwohl hie und da ein Blau kontemplative Weite verströmt oder ein Rot lebensgierig leuchtet.

Formale Spitzfindigkeiten liegen nahe: Warum hat er gerade diese Farben auf diese Weise angeordnet? Wieso verlaufen die „Nähte” dazwischen so und nicht anders? Palermo hatte außerordentlich präzise Vorstellungen von seinem Tun, vielfach arbeitete er buchstäblich mit der Wasserwaage. Auf Bildrückseiten notierte er häufig exakte Vorgaben zur Hängung.

Erstaunlich nun, wie aus dieser vermeintlich so ordentlich gefügten Welt der Quadrate, Rechtecke und Dreiecke dann doch Visionen eines befreiten Daseins aufsteigen. Einigermaßen paradox gesagt, setzt sich eine geradezu mustergültige Regellosigkeit durch. Es ist eine stille Revolte mit dem Lineal.

Anhand der Düsseldorfer Auswahl kann man gut verfolgen, wie sich die geometrischen Ur-Elemente immer freier im Bildraum bewegen. Irgendwann lösen sich diese Einzelformen vollends heraus und befinden sich auf einmal hoch oben an der Wand, als wäre da etwas explodiert. Sie sind als Objekte in den Raum vorgedrungen und haben ihn neu definiert. Ein anderes Koordinatensystem als Vorbote einer anderen Wirklichkeit?

All diese Arbeiten sind seit Mitte der 60er Jahre entstanden. Die damals so rebellische Stimmung wird indirekt spürbar, fern von plakativen Effekten. Worin wohl die Einflüsse von Beuys gelegen haben? Vielleicht vor allem in einer Aufforderung dieser Art: Sei so frei, dir selbst zu folgen!

Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4. Bis 20. Januar 2008. Di-Sa 12-19, So 11-18 Uhr. Eintritt 5,50 €, Katalog (erst Mitte November) 29,80 €.




Das verlorene Gesicht – Düsseldorfer Ausstellung „Ich ist etwas Anderes“ entwirft Visionen vom Ende der Identität

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Mit der menschlichen Identität, den fest gefügten Selbstbildern ist es mehr allzu weit her. Jedenfalls lautet so die Diagnose in der avancierten Kunst, die ja als Seismograph des Künftigen gilt. Unter Zersplitterungen, Verletzungen und Verformungen winden sich da die Restbestände des „Ich“.

Die Schau „Ich ist etwas Anderes“ erstreckt sich über die gesamte Fläche der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW. Mit Werken seit etwa 1970 und vielen klingenden Namen (Beuys, Warhol, Bruce Nauman usw.) rührt sie ans bedrohte Menschenbild, an den Realitäts-Schwund in Zeiten virtueller Netze und gentechnischer Manipulationen. Es ist eine Ausstellung, über deren Befunde man erschrickt und die überdies in die Wahrnehmung des Betrachters eingreift, so dass man von Selbst-Erfahrung im Museum sprechen kann.

Die Furien des Verschwindens

Grandios schon der Auftakt: Da schreit einem in grellem Rot das altarförmige „Triptychon“ (1983) des Francis Bacon entgegen, Schmerzensbild eines gänzlich isolierten, in sich verschraubten Körpers – geradezu eine masochistische Weihestätte des Ich-Verlustes.

Weitere Furien des Verschwindens: Maria Lassnig malt tief in die psychische Befindlichkeit dringende Selbstporträts. Der geschundene Frauenkörper löst sich auf in tier- und maschinenförmige Phantasmagorien, in monströse Ausgeburten des Selbst. Arnulf Rainer überpinselt mit heftig-aggressiven Strichen das eigene Antlitz, als sei es ohnehin nicht mehr gültig.

Während der Einzelmensch derart seine Konturen verliert, sammeln die Objekte gespenstische Kräfte. Christian Boltanski hat mit dem Sach-Inventar aus dem Leben einer verstorbenen alten Dame einen Raum gefüllt. Vom Bett bis zum Bügeleisen, von derSchallplatte bis zur Haarspange findet sich alltägliches Gebrauchsgut wieder. Daraus erwächst eine frappierend deutliche biographische Erzählung. Ist der Mensch verstummt, beginnen die Dinge zu sprechen.

Eine Frau ohne Augen, aber mit zwei Mündern

In ausgeklügelten Installationen, die oftmals den Betrachter (z. B. durch Verspiegelung oder lauernde Kameras) mit Psycho-Effekten fordernd einbeziehen, erlebt man alle denkbaren Stadien der Zersetzung und der Neu-Montage des Menschenbildes.

Doch es gibt auch Kabinette, die gleichsam Meditationsräume eröffnen, wie denn überhaupt die Schau an jedem zweiten Samstag mit Yoga-Übungen inmitten der Kunst spirituell flankiert werden soll. Andy Warhol und Jürgen Klauke dokumentieren mit Fotoserien Geschlechts-Umwandlungen, das zeitweilige Spiel mit sexueller Identität. Die Bosnierin Danika Dakic greift das Thema kultureller Identitäts-Spaltung auf. Ihr Videofilm zeigt eine Frau ohne Augen, aber mit zwei Mündern, die in verschiedenen Sprachen reden.

Monster aus der Zukunft

Rosemarie Trockel vergegenwärtigt die partielle Ich-Aufgabe in der Hinwendung zu einem Idol: Ihre Schwester schwärmte seinerzeit für Brigitte Bardot. Die Norwegerin Vibeke Tandberg hat sich eine Zwillingsfigur ausgedacht, dargestellt von ihr selbst und per Computer täuschend echt in Fotos einmontiert: Eine Frau ist zwei Schwestern…

Schließlich gelangt man in jenen Raum, in dem einem Kinder-Skulpturen sozusagen als geklonte Monster einer entmenschten Zukunft begegnen. Es ist, als wäre man in einen Horrorfilm geraten. Hernach ist man froh, draußen sein – aber auch froh, dass man drinnen gewesen ist.

„Ich ist etwas Anderes“. Kunstsammlung NRW, Düsseldorf. Bis 18. Juni. Tägl. außer Mo 10-20 Uhr. Eintritt 12 DM, Katalog 49,80 DM.

 




Der Kick in der Kunst – Ausstellung rund um den Fußball im Mönchengladbacher Schloß Rheydt

Von Bernd Berke

Mönchengladbach. Worum dreht sich (manchmal) das ganze Universum? Der Künstler Heinz-Josef Mess hat da so seine Vermutung – und äußert sie im Bilde: Mitten im endlosen galaktischen Nebel thront ein Zentralgestirn, das uns irgendwie bekannt vorkommt. Es ist ein Fußball. Wie sehr Kultur mit Kult und Kult wiederum mit Kicken zu tun hat, untersucht jetzt eine Ausstellung im ehrwürdigen Mönchengladbacher Schloß Rheydt.

Der Ball ist rund, das Spiel dauert 90 Minuten, das Runde muß ins Eckige, „Grau is‘ alle Theorie, entscheidend ist auf m Platz“ – derlei zeitlose Fußball-Weisheiten lassen auch Künstler nicht ruhen. Die pfiffige Gladbacher Schau versammelt staunenswerte Stücke. Wer hätte etwa gewußt, daß der berühmte Pop-Künstler Andy Warhol nicht nur eine Marilyn Monroe, sondern auch den Kölner Torwart Toni Schumacher als Glamour-Star porträtiert hat?

Wie eine Reliquie: Originalabguß von Netzers Schuh

Warhols Antipode Joseph Beuys hatte exakt den gleichen Club im Sinn, als er 1978 ein mit Geißbock-Maskottchen verziertes Schlüsselbund kurzerhand per Signatur zum Kunstwerk erklärte.

Besonderen Drall bekommt die Ausstellung durch Traum-Kombinationen zwischen Kunst und Kultgegenständen der Fans: Wimpel, Trikots, Pokale und dergleichen. Letztere werden wie Reliquien mit grünem Samt drapiert, beispielsweise ein Originalabguß von Günter Netzers Schuh oder ein Abdruck vom Fuße des Berti Vogts, der sich die Ausstellung demnächst anschauen wird.

Ironische Antwort auf den Kult um Vereinsfarben: Stefan Banz hat einer nackten Frau den schwarz-gelben Dress von Borussia Dortmund direkt auf die Haut gemalt, ein unbekleideter Mann trägt derweil das Schalker Königsblau. Auch sein „bestes Stück“ ward beim Kolorieren nicht vergessen…

Der Künstler Dag Seemann zeigt den Fußball als Religionsersatz dieser Zeit: Die von ihm kreierte Abfolge (altgriechische Amphora, Abendmahls-Kelch und WM-Trophäe) spricht für sich.

Die Aggressivität des Sports ist gleichfalls künstlerisches Thema. Thomas Virnich etwa hat ein kleines Spielzeug-Fußballfeld aus Blech gründlich zerfetzt und dann mit dem Lötkolben bearbeitet. Die versengten Stellen künden nicht vom hehren „Fair geht vor“, sondern gleichsam von einer „Taktik des verbrannten Rasens“. Der Werktitel zielt in die gleiche Richtung: Beim Match ist es „Drunter und drüber“ (1995) gegangen.

Abstrakter, aber ebenso faszinierend ist die Spuren-Suche von Susken Rosenthal. Sie hat sämtliche Spielzüge einer Länderspiel-Partie zwischen Argentinien und Deutschland auf ein verdunkeltes Spielfeld graviert. Resultat: ein Gewitter aus energetischen Linien mit bedrohlichen Ballungen. Dem Spiel-Verlauf wird hier ein Eigenwert zuteil, der sich von den Spielern selbst gelöst und sich zeichenhaft weit über sie erhoben hat.

Daß „das Spiel an sich“ machtvoller sein könnte als das arme kleine Individuum, teilt als Angstvision auch Dieter Asmus mit: Sein „Torwart“ (1970) wird von einem gigantischen roten Ball schier überrollt.

Weitaus kühler gibt sich Gregor Russ, der die Markierungslinien des Spielfelds auf 72 Bildern variiert: Anstoßkreis, Elfmeterpunkt und Fünfmeterraum mutieren dabei zu geometrischen, nach Regeln optischer Schönheit frei kombinierbaren Elementen.

„Heimspiel. Fußball: Kult und Kunst“. Mönchengladbach, Städt. Museum Schloß Rheydt, Schloßstr. 508. Bis 4. Okt. („Verlängerung möglich / kein Elfmeterschießen“). Tägl. außer Mo 11-19 Uhr. Katalog 29 DM.




Von Weltwundern und zerbrochenen Eiern – Jan Hoet bringt Spitzenstücke aus Gent in den Kunstverein Schwerte

Von Bernd Berke

Schwerte. Dieser Kontakt erweist sich als wahrer Segen: Der Belgier Jan Hoet, 1992 Chef der Kasseler documenta, ist seit Jahren gern gesehener Freund und Gast beim Kunstverein in Schwerte. Nun arbeitet Hoet als Direktor des Genter „Museum van Hedendaagse Kunst“. Und er hat für Schwerte in die Genter Schatzkiste gegriffen.

Mit rund 20 Kunstwerken ergibt sich ein Querschnitt durch die famose Genfer Sammlung. Und wann hat man in Schwerte oder auch nur in der näheren Nachbarschaft schon mal einen echten Francis Bacon oder einen Magritte bewundern dürfen?

Wer jetzt freilich euphorisch in die Ausstellung stürmen will, wird erst einmal optisch gebremst: Eine Art Senkblei baumelt von der Decke herab und versperrt den direkten Weg. Die Vorrichtung markiert den Anfang der Schau. Sie heißt „Universal Plumbob“ und stammt von Royden Rabinovitch. Das Werk erinnert an eine physikalische Versuchsanordnung, strahlt aber vor allem kontemplative Ruhe aus und bereitet einen vor auf das Eintauchen in die Welt der Kunst, auf die innigere Art des Schauens.

Der strenge Geruch der verströmten Zeit

So eingestimmt, nähert man sich beispielsweise Gerhard Richters „Pyramide“ (1966). Das ägyptische Weltwunder ist bewußt völlig „unscharf“ gemalt, es erhebt sich wie hinter einer Nebelwand. Eine Erscheinung von halluzinatorischer Kraft. Im selben Raum leuchtet alarmrot eine Platte, auf die Marcel Broodthaers „289 Eierschalen“ (Titel, 1966) geklebt hat, allesamt an der Spitze aufgebrochen. Aus scheinbar banalen Einzel-Elementen erwächst eigentümliche Suggestion. Aufs Ei kommt auch Guillaume Bijl zurück. Er hat ein kleines Nest mit Gelege aus drei Billardkugeln gebaut. Schlichter Titel: „Sorry“. Eine Abbitte an düpierte Vögel?

Große Namen: Von Francis Bacon sieht man das fratzenhafte Bildnis eines Kardinals(1955), von Panamarenko ein gekacheltes Terrarium mit drei Krokodil-Figuren (1967), von Bruce Nauman einen Videofilm über Gewalt, von Joseph Beuys die in einen Schrank gesperrten Kunst-Stoffe „Butter und Bienenwachs“ (1975), welche mittlerweile strengen Geruch absondern. Der Duft der verströmten Zeit…

Ab 16. Dezember wird dann noch als absolutes Spitzenstück „Manets Balkon“ (1950) hinzukommen, auf dem René Magritte die menschlichen Figuren durch Särge ersetzt hat.

In jedem Raum der Ausstellung finden sich jene nüchternen Schwarzweiß-Fotos von Zoe Leonard: Sie zeigen, immer wieder, eine Vagina in quasi gynäkologischer Frontalansicht. Doch die Künstlerin hat genau das Gegenteil von Pornographie im Sinn. Sie will zu einer unverstellten, noch nicht von Phantasien besetzten Körperlichkeit zurück.

Kunstverein Schwerte (Kötterbachstraße 2). Eröffnung heute um 20.00 Uhr mit Ansprache von Jan Hoet. Bis 18. Januar 1998. Di.Fr 16-19 Uhr, So 15-18 Uhr, Eintritt frei.




Aktion im Gefrierzustand – Fluxus-Kunst aus der Sammlung von René Block in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Was ist „Fluxus“? In dem Begriff, der eine herrschende Kunstrichtung der 60er Jahre bezeichnet, steckt das lateinische Wort für „fließen“. Aha. Eine Kunst, die alles in Fluß hält? Doch der Künstler Robert Watts, der im Katalog der Wuppertaler Fluxus-Ausstellung zitiert wird, stiftet Verwirrung: „Das Wichtigste an Fluxus ist. daß niemand weiß, was es ist.“ Den Satz nimmt man amüsiert zur Kenntnis. Aber man kann sich nicht damit begnügen.

Rund 140 Arbeiten, darunter viele Relikte von Aktionen, versammelt die Schau in der Barmer Kunsthalle. Die Exponate stammen aus dem Fundus von René Block, der von 1964 bis 1979 mit seiner Berliner Galerie dem Fluxus aufhalf. Blocks Sammlung schlummert ansonsten in dänischen Lagerräumen, eine dauerhafte Heimstatt wird noch gesucht.

1993 war eine Auswahl in Nürnberg zu sehen. Wuppertals Kunst- und Museumsverein holt nun, zu seinem 50jährigen Bestehen, rund die Hälfte der Kollektion ans Licht; nicht ohne Hintergedanken: Mit der legendären Galerie „Parnass“ zählte die Schwebebahn-Stadt einst zu den Fluxus-Zentren. Joseph Beuys war hier häufig zu Gast.

Ein Raum der Ausstellung ist denn auch Beuys gewidmet. In einer Vitrine sieht man allerlei Kehricht samt Besen – Überbleibsel einer Berliner Fege-Aktion von 1972. An der Wand hängt einer jener berühmten Filzanzüge. Hinter Glas: Fettecken, eine „Sauerkraut-Partitur“ mit ganz strohig gewordenen Kohl. Dazu gibt’s Tafeln mit Lehrsätzen des Meisters, einen Konzertflügel, einen Schlitten (Zeugnis der Aktion, bei der sich Beuys tagelang mit Koyoten einsperren ließ).

Konservatoren haben heute alle Hände voll zu tun, vergängliche Erscheinungen wie Fettecken zu bewahren. Andererseits hat der Verfall seinen speziellen Charme. Klar ist: Solche Gegenstände, die in lebendiger Aktion verwendet wurden und dabei spät-dadaistisch anmutenden (Un-)Sinn entfalteten, sind im Museum nur noch tote Materie. Fluxus im Gefrierzustand. Gerade im Falle Beuys werden die Relikte für viele Bewunderer gar zu weihevollen Reliquien.

Dennoch spürt man, welch eine sprühend vitale Kunst hier am Werke gewesen sein muß: eine, die offen war für jede spontane Eingebung und die niemals „fertig“ und abgerundet sein wollte.

„… sonst sind Sie nur ein Zugucker“

Durch fröhliche Flüchtigkeit hoffte man, sich dem Kunstmarkt und den Museen zu entziehen. Grenzen zwischen den diversen Künsten und erst recht zwischen Kunst und Leben hat man geflissentlich ignoriert. Eine museale Einfriedung ist also ziemlich paradox.

Arbeiten von Nam June Paik bilden einen weiteren Schwerpunkt. Seine oft hintersinnig-meditative Medienkunst („Buddha, eine Kerze betrachtend“ / „Zen-Koffer“) mit in Ehren gealterten Radios, Vinyl-Schallplatten, TV-Geräten und Plunder des Alltags, ist freilich weit entfernt etwa von Artur Köpckes labyrinthischen Schrift-Comic-Collagen.

Überhaupt wurde in jener Zeit viel collagiert, gebastelt und auf Bildtafeln geschrieben. Mit dem herkömmlichen Malen hatte man es nicht so sehr. Es galt als bürgerlich.

Köpcke verdeutlicht die Fluxus-typische Offenheit mit diesem monströsen Werktitel: „Sie nehmen nur teil, wenn Sie dieses Aktionsstück, dieses Prinzip fortsetzen, sonst sind Sie nur ein Zugucker.“ Gemeint war, daß die Ausstellunsgbesucher seinem Werk immer weitere Taschentücher und Zettel hinzufügen sollten.

Kunst ohne Ende. Man sollte also nicht passiv bleiben. Wie hieß noch das Beuys-Bekenntnis? „Jeder ist ein Künstler.“ Bis zum Beweis des Gegenteils.

Kunsthalle Wuppertal-Barmen. Geschwister Scholl-Platz. Bis 1. Dezember. Geöffnet Di-So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr.




In der Zeichnung zeigt sich der wahre Meister – Ausstellung in Münster reicht von Dürer bis Beuys

Von Bernd Berke

Münster. Zeichnungen gelten oft als bloße Vorstufen zu großen Ölgemälden, ja als eigentlich unfertige Kunstwerke. In Münster ist man ganz anderer Meinung. Mit der Ausstellung „Zu Ende gezeichnet“ will das Landesmuseum beweisen, daß ästhetische Abrundung und Perfektion sehr wohl auch mit dem Stift erzielt werden können.

Von Dürer über Picasso bis hin zu Beuys wartet die Schau mit rund 200 Exponaten und etlichen großen Namen auf. Alle Stücke stammen aus dem offensichtlich hervorragend bestückten Kupferstichkabinett zu Basel.

Die historische Spannweite zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert eröffnet reizvolle Vergleichsfelder. Die Geschichte schnurrt wie im Zeitraffer ab. Um 1500 war auch die Zeichenkunst ganz selbstverständlich in biblischen und mythischen Stoffen verankert, sie stand auf verläßlichem Grund. Somit war auch die Formensprache fest gefügt, denn sie spiegelte ja die weitgehend intakte kosmische Ordnung. Doch ein Bild wie Ludwig Schongauers „Vorbereitung zur Kreuzigung Christi“ muß für damalige Gemüter schockierend gewesen sein. Höchst sachlich werden hier die Instrumente zur biblischen Qual bereitet; fast so, als übe man ein ganz biederes Handwerk aus.

Kühne Ausschnitte kündigen die Moderne an

Über Berühmtheiten wie Albrecht Dürer (Bildnis des Salzburger Kardinals Matthäus Lang, um 1518), Hans Holbein den Älteren, Hans Baldung und Albrecht Altdorfer, gelangt man allmählich in die barocken Gefilde. Hier ragt natürlich ein Peter Paul Rubens (u. a.: „Die Kreuzigung Petri“, um 1638) heraus. Folgt man der chronologischen Hängung, so steht man später vor sanften romantischen Landschaften und dann – vielleicht der interessanteste Teil der Zusammenstellung – im Vorhof der Moderne.

Der Bruch kündigt sich zunächst in ganz leichten, aber schon befremdlichen Perspektiven-Verschiebungen an, in der Wahl kühner Ausschnitte. Wenn etwa der eines übertriebenen Fortschrittswahns eigentlich unverdächtige Adolph von Menzel anno 1880 den „Blick in einen besonnten Hof mit einer Frau an einer Wasserpumpe“ zeigt, so hat er die jahrhundertelang gewohnte Zentralsicht längst hinter sich gelassen. Es geht nicht mehr um Abbildung der Wirklichkeit, sondern um ihre Splitter und Essenzen. Georges Seurats „Spaziergängerin mit Sonnenschirm“ (um 1882) steht für den Übergang des festumrissenen Gegenstandes ins impressionistische Flimmern. Im Gefolge des Kubismus löst sich dann die Form vollends auf.

Spannend ist es nun zu beobachten, wie einfallsreich die Künstler seither auf den Formenschwund „geantwortet“ haben. Vielfältig und manchmal verzweifelt sind die Versuche, diesem Zustand wieder neue tragfähige Konzepte abzugewinnen. Die Skala der Möglichkeiten reicht von hauchzarten Entwürfen am Saum des Verschwindens (Wols, Cy Twombly) bis hin zu ungehobelter Kraftprotzerei („Neue Wilde“).

Die stilistische Vielfalt ist also mindestens ebenso breit wie in der Ölmalerei. Außerdem befindet man sich, indem man Zeichnungen anfertigt oder auch nur betrachtet, meist noch ein Stückchen näher am Ursprung, an der „Geburt“ der bildlichen Idee als bei geduldig ausgeführter Schönmalerei. Und: Wenn ein Künstler nicht auf der Höhe seiner Mittel wäre, so verriete sich das in der Zeichnung mitunter deutlicher, als wenn er mit Ölfarbe gar manche Schwäche überdeckt und vertuscht.

„Zu Ende gezeichnet“. Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster (Domplatz). Bis 5. November, tägl. außer montags 10-18 Uhr. Katalog 35 DM.




Wenn Künstler mit der „Flimmerkiste“ spielen – „Der Fernseher“ als Museumsobjekt in Marl

Von Bernd Berke

Marl. Alltag ist angesagt: Bevorzugt zeigen Museumsleute derzeit, was Künstler sich zu scheinbar „profanen“ Dingen des täglichen Daseins einfallen lassen. In Hagen sind z. B. Würfel, in Berlin Schallplatten als Objekte der künstlerischen Umformungs-Begierde zu bewundern. Doch das populärste Thema hat sich Dr. Uwe Rüth, Leiter des Marler Skulpturenmuseum „Glaskasten“, ausgesucht. Seine neue, prominent bestückte und sehr anregende Ausstellung heißt einfach „Der Fernseher“.

„Der Fernseher“ – ein unscharfes Alltagswort, das sowohl das TV-Gerät als auch den Zuschauer bezeichnen kann. Tatsächlich stehen die Flimmerkisten selbst im Mittelpunkt der Marler Ausstellung, nicht etwa Programminhalte. Selbst bei den wenigen Kunst-Objekten, zu denen eigentlich ein laufendes Fernsehbild gehört, muß man in Marl passen, denn das Museum am, Marler City-„Stern“ ist dermaßen von Beton eingekeilt, daß es einer Riesen-Antenue bedurft hätte. Doch der „Kasten“, so zeigt sich, ist durch die Lebenspraxis der letzten Jahrzehnte auch ohne Programm dermaßen mit (Neben)-Bedeutungen „aufgeladen“, daß er schon genügend Ideen bei Künstlern und Betrachtern freisetzen kann.

Die früheste Arbeit stammt aus dem Jahr 1963. Günther Uecker hat – natürlich – mit Nägeln gearbeitet und damit ein Fernsehgerät zum „Igel“ gemacht. Geht es hier noch um ästhetische Wirkung, so ist in Ueckers „Statement“ (1977) Aggression spürbar. Der Künstler hat (bei einer Aktion) einen einzigen großen Nagel von hinten durch ein TV-Gerät getrieben, so daß die Bildröhre implodierte. Es ist, als hätte da einer in Notwehr gehandelt – gegen Gewalt, die aus dem Medium quillt. Eine andere „Entsorgungs“-Lösung findet Rolf Glasmeier: Er schließt einen Staubsauger an – Bilderschrott kann in den Müllsack wandern. Bei V. A. Wölfl sind die Kästen eh unter sich: Zwei Geräte, eng aneinander geschmiedet, spielen sich gegenseitig ihre Bilder vor.

Nam June Paik, Pionier der Fernseh- und Videokunst, geht das Thema, wie übrigens die meisten Künstler, spielerisch-ironisch an. Er präsentiert ein Fernsehgerät mit der Typenbezeichnung „Rembrandt“ – Ausdruck jener Jahre. als die Gerätefabriken ihre Produkte mit der Würde edler Kultur versehen wollten. Doch der auf dem „Gesicht“ (sprich: Bildschirm) am Boden liegende Apparat offenbart die Zweischneidigkeit solcher Versuche auf seiner Rückseite selbst, heißt er doch „Rembrandt Automatic“. Spiel mit falscher Weihe auch beim zweiten, im dunklen Raum gezeigten Paik-Objekt („Katakombe“, 1985/88): Im ausgeweideten Schirm flackern, lächerlich-feierlich, Kerzen.

Der Dortmunder Erich Krian läßt zwei Geräte halb unter Sandhügeln verschwinden – Berieselung bis zur Beerdigung. Ein Filz-Bildschirm von Joseph Beuys versinnbildlicht warme Energieströme zwischen Medium und Benutzer. Ebenso typisch für Stil und Ausdrucksmittel der Künstler: ein verpackter Fernseher von Christo, ein einbetonierter von Wolf Vostell.

Ingo Günthers rohes Holzstück wird bereits zum Schema eines Gerätes, nur weil eine Teleskopantenne darin steckt; und schon können auch die Phantasien des Betrachters einsetzen: Ein Holzspalt wirkt wie der Mund eines TV-Sprechers, die Maserung wie flimmernde Fernseh-Zeilen.

Anlaß der Ausstellung ist das 25jährige Jubiläum des renommierten Marler Adolf-Grimme-Preises für herausragende TV-Produktionen. Hans Janke, Leiter des Grimme-Instituts, zeigte sich von der Ausstellung angetan: Die Objekte seien wirksamer als jede geschriebene Fernseh-Kritik.

„Der Fernseher“ — „Skulpturenmuseum Glaskasten“, Marl, Creiler Platz (Rathaus). Ab Sonntag, bis 2. April, di—so 10-18 Uhr; Katalog 15 DM.




„Die Kunst steckt in einer ganz tiefen Krise“ – Gespräch mit dem „documenta-Schreiber“ Peter Rühmkorf

Kassel/Hamburg. Mit dem Hamburger Peter Rühmkorf (57) wurde erstmals ein Schriftsteller zum „documenta-Schreiber“ bestellt, der die Kasseler Weltkunstschau literarisch begleiten soll. Jetzt ist „Halbzeit“ beim sogenannten „Museum der 100 Tage“. Im Gespräch mit WR-Redakteur Bernd Berke zieht Rühmkorf (übrigens ein gebürtiger Dortmunder) Zwischenbilanz.

Rühmkorf glaubt, daß es in der Kunst „keine Bewegung mehr gibt, sondern einen allgemeinen Lähmungszustand“. Die Kunst-Richtungen hätten längst nichts mehr mit „Strömung“, also Entwicklung zu tun, sie bildeten „nur noch Ablagerungen“. Eben diese Stagnation spiegelt, so Rühmkorf, auch die documenta 8 wider. Das mache sie so problematisch, zugleich aber interessant, denn: „Die Krise in dieser tollen Breite vorgeführt zu bekommen, ist sehr wichtig.“ Die „documenta“ sei also weder schlechter noch besser als die Realität.

Bei keiner einzigen Arbeit auf der documenta hat Rühmkorf indessen „ein positives Erschrecken oder gar Begeisterung verspürt“; nur hie und da gehe von einem der Ausstellungsstücke überhaupt ein nennenswerter Impuls aus. Am bedenklichsten findet er die zahlreichen Mischformen aus „Dekoration und Demontage“ und erläutert: Viele „documenta-Künstler greifen festgefügte Formen aus der Kunstgeschichte auf,„zerbrechen“ sie – und setzen sie dann doch wieder auf dekorative Weise zusammen.

Besonders fragwürdig werde ein solches Verfahren z. B. bei einem Künstler wie Gerhard Merz, der „faschistische Weihestimmung“ persiflieren wolle, im Grunde aber „selbst infiziert“ werde und sozusagen vom Reiz dessen zehre, was er bloßstellen wolle. Schlimm sei auch das Vorgehen eines Robert Morris, der „die Leidenswelt der KZs kunstgewerblich aufbereitet“. Rühmkorf sarkastisch: „Dazu fällt mir nur noch Idar-Oberstein ein, nicht Dachau oder Auschwitz.“

Woran liegt’s? Warum eröffnet die Kunst – nach Rühmkorfs Ansicht – keine Perspektiven mehr? Antwort: .„Weil auch die ganze Gesellschaft kaum noch Perspektiven bietet.“ Der Kunstmarkt mit seinen „Szenen“ sei ein Abbild des generellen Stillstands. Rühmkorf hofft auch gar nicht mehr auf eine breitere Bewegung: „Nur noch ausscherende Einzelgänger sind wichtig.“

Gar nicht gut zu sprechen ist Rühmkorf auf „eine Galionsfigur der documenta“ (Rühmkorf), nämlich auf den 1986 verstorbenen Joseph Beuys. Der habe Furchtbares angerichtet, indem er Kunst und Leben gleichgesetzt habe. Geradezu verantwortungslos sei es von Beuys gewesen zu sagen, daß jeder Mensch ein Künstler sei. Damit habe er viele Nachahmer ins Unglück gestürzt. Rühmkorf: „Jeder soll natürlich so viel Kunst wie möglich in sein Leben hineinnehmen; aber Künstler sein – das ist etwas grundlegend anderes.“

„Ich bin doch kein documenta-Gespenst“

Seine Kritik an Beuys hat dem „documenta-Schreiber“ Rühmkorf kürzlich viel Ärger eingebracht. Manche argwöhnten gar, er rede einem „gesunden Volksempfinden“ das Wort, das ja auch gegen Beuys Sturm läuft. Gegen derlei Unterstellungen wehrt sich Rühmkorf: „Man kann heute den Staat angreifen, man kann den Papst angreifen – nur Joseph Beuys ist für manche eine unantastbare Kultfigur.“ Solche Weihe habe ihn, Rühmkorf, schon von jeher mißtrauisch gemacht. Das sei fast wie im Andersen-Märchen von „des Kaisers neuen Kleidern“. Zu sagen, daß „der Kaiser“ nichts anhabe, sei tabu.

Argumente sind Rühmkorf, der auch Kunstgeschichte studiert hat und also nicht ganz „unbeleckt“ ist, allemal lieber als Denkverbote. Bei aller alten Gegenerschaft zu Beuys: dessen „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ sei immerhin noch einer der stärkeren documenta-Beiträge. Rühmkorf launig: „Allerdings hat es mich auch ein bißchen an Hirsch-Ragout erinnert.“

Was Rühmkorf aus seinem documenta-Amt machen will, weiß er noch nicht genau. Eigentlich sieht er sich nicht als „documenta-Schreiber“, sondem – und das sei etwas ganz anderes – „als Schriftsteller auf der documenta“, bzw. „als eine Art Versuchsperson“. Er komme auch nur hin und wieder von Hamburg nach Kassel. Begründung: „Ich will doch kein documenta-Gespenst sein.“

Ob ein Buch daraus wird, steht noch dahin. Rühmkorf: „Diese Tätigkeit soll kein verpflichtender Alptraum werden.“ Die Dotierung hat er jedenfalls nicht für sich behalten, sondern gestiftet. Er führt ein „Kasseler Tagebuch“, hielt Vorträge in der documenta-Stadt und organisierte dort eine Jazz-Lyrik-Veranstaltung.

Das documenta-Publikum, so Rühmkorf, sei übrigens weitaus toleranter, als man oft annehme. Auch so könne man ja die documenta genießen: „Als internationalen Rummelplatz, auf dem der Übergang von der Kunst zum Scherzartikel manchmal fließend ist.“




documenta 8: Der Hunger nach Bildern scheint vorerst gestillt

Von Bernd Berke

Kassel. Das weltweit diskutierte „Museum der 100 Tage“, die 8. Kasseler documenta, öffnet heute die Pforten. Während die documenta 1977 vornehmlich der Selbstreflexion gewidmet gewesen war und „Kunst über Kunst“ in den Vordergrund gestellt hatte, legte die Weltkunstschau 1982 den Akzent auf expressive Stile (Stichwort „Neue Wilde“) und folgte einem Konzept der „Kunst über Künstler“.

So sieht es jedenfalls der künstlerische Leiter der neuen documenta, Manfred Schneckenburger (48). Mit dem von ihm verantworteten Fünfjahres-Resümee, so Schneckenburger, melden sich die Künstler in der Wirklichkeit zurück. Kein neuer Stil habe sich als Schwerpunkt aufgedrängt, sondern eine neue Haltung: Die Kunst beziehe sich wieder verstärkt auf die „historische und soziale Dimension“. Statt der Nabelschau auf Formstrukturen zu frönen, wage man wieder öfter Metaphern und Bilder, die auf unsere Wirklichkeit verweisen.

Schon ein erster Rundgang zeigt, daß mit derlei Schlagworten nicht die Rückkehr zur Politkunst oder zu simplen Vermittlungsformen gemeint sein kann. Das gesellschaftliche Moment der allermeisten Arbeiten kommt, falls überhaupt, oft erst über vertrackte ästhetische Bezüge oder Denkumwege zum Vorschein. Die .„Brücke zum Publikum“, die man laut Schneckenburger diesmal schlage, erweist sich oft genug als Zickzack-Strecke, manchmal gar als Holzweg.

Die absolute Ausnahme bildet ein Künstler wie Hans Haacke, der im „Fridericianum“ eine Installation errichtet hat, die man zunächst für einen schnöden Reklamepavillon hält, die sich aber sehr schnell als direkte Kritik am Gewinnstreben deutscher Großkonzerne in Südafrika erweist. Relativ problemlos ist der Zugang auch noch zu den Bildern eines Leon Golub, der Gewalt und Unterdrückung ohne Umschweife thematisiert.

Vielfach dominieren negative Utopien

Schwieriger wird es schon bei einigen Hauptwerken dieser documenta. lan Hamilton Finlays vier Guillotinen, die auf einer Blickachse in Richtung eines Schlosses liegen, eine Qualität von Schönheit und Schrecken darstellen und durch Inschriften auf den französischen Revolutionsberserker Robespierre Bezug nehmen, verlangen schon genaueres und längeres Hinsehen, sind interpretationsbedürftig. Ähnliches gilt für die Arbeit des Chilenen Alfred Jaar, der mit „1+1+1″ der Frage nachgeht, wie Kunst die politische Wirklichkeit darstellen, ja überhaupt erst auf die Füße stellen kann. Vielfach dominieren freilich negative Utopien, katastrophische Szenen, die weniger zum Nachdenken denn zum Horror gereichen.

Eins zeigt sich als Tendenz recht deutlich: Der vielbeschworene „Hunger nach Bildem“ ist einstweilen gestillt. Die documenta 8 hat aus der Not eine Tugend gemacht und die Flucht in die dritte Dimension ergriffen: Architektur (Modelle von „idealen Museumsbauten“), Design sowie Skulpturen und Objekte im städtischen Raum spielen eine Rolle wie nie zuvor. Zusammenfassend könnte man sie als selbstbewußte Interventionen der Kunst ins Reich der Wirklichkeit ansehen. Einfacher ausgedrückt: Es geht um Kunst, die sich nützlich machen will und manchmal auch Unterhaltungswerte nicht scheut.

Insgesamt wird man jedoch den Eindruck nicht leicht los, daß dieselben Arbeiten, unter einem anderen Konzept-Blickwinkel als dem Schneckenburgers betrachtet, sich auch ganz anders deuten ließen. Aber auch das gehört ja zum Spannenden an der Kunst, daß sie jeder Interpretation immer um mindestens einen Schritt voraus ist.

Übrigens: Dem verstorbenen Joseph Beuys, ohne den man sich eine documenta noch immer nicht vorstellen kann, ist ein eigener, zentraler Raum im gräßlich restaurierten Fridericianum gewidmet. Erstmals ist dort seine Endzeit-Vision „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ authentisch zu sehen.

„documenta 8″. Kassel (u. a. Fridericianum, Orangerie, Innenstadt, Auepark, Karlswiese). 12. Juni bis 20. September, täglich 10 bis 20 Uhr, Freitag/Samstag 10 bis 22 Uhr-Tageskarte 10 DM, Dauerkarte 80 DM. Katalog (3 Bände) 90 DM, Kurzführer 12 DM. Führung durch die gesamte Ausstellung 6 DM pro Person. Führungsdienst/Information: Tel. 0561/77 3104




„Von hier aus“: Kunst-Stadt auf dem Düsseldorfer Messegelände soll Kölner erbleichen lassen

Von Bernd Berke

Auch Unschlüssige soll die 60 Meter lange Rampe zur Kunst fiihren. Wer oben anlangt und sich einen groben Überblick über 14.000 Quadratmeter voller neuer deutscher Kunst verschafft, kann noch entschieden, ob er/sie für 8 DM die Halle 13 des Messegeländes betritt. Der Eintrittspreis wird erst hinter der Rampe fällig.

„Von hier aus“ heißt das wohl größte bundesdeutsche Ausstellungsprojekt dieses Jahres (29. September bis 2. Dezember, Katalog 40 DM). Witzbolde haben den Titel achselzuckend parodiert: „Von m i r aus“… Der Originaltitel aber verweist nicht zuletzt auf die stete Rivalität zwischen den rheinischen Kunstmetropolen Köln und Düsseldorf. „Von hier aus“, so behaupten nun bis zum Beweis des Gegenteils die Düsseldorfer, gehen derzeit die magnetischen Kraftlinien der Kunstentwicklung aus.

Besonders der Beschluß des Bundesverbandes Deutscher Galerien, Köln zur alleinigen Kunstmessenmetropole zu erklären, hatte vor Jahresfrist Düsseldorfs Galeristen auf die Palme gebracht. Mit einem noch nicht zum Abschluß gebrachten Kraftakt hat vor allem die örtliche Finanzwelt 3 Mio. DM für die gigantische Schau aufgebracht.

Kasper König als Ausstellungsmacher gewonnen

Kasper König (40), seit der 1981er „Westkunst“ in Köln zur ersten Garde der freien Ausstellungsmacher gestoßen, wurde von den Sponsoren (Rang eins: Stadtsparkasse Düueldorf mit 1 Mio. DM) angeheuert. König schuf, wenn auch wohl nicht der Kunst-Weisheit höchsten Gipfel, so doch eine Ausstellung, deren purer Ereignisrang hoch veranschlagt werden muß.

Hermann Czech, Wiener Stararchitekt, verbaute etwa ein Drittel des Gesamtetats für eine regelrechte Kunststadt, in deren Winkeln, Gassen, Arkaden, Tempelchen, Rotunden und Hinterhöfen König die Kunst so großzügig inszenieren konnte, daß dem einzelnen Kunstwerk beinahe eine Art „Majestät“ zurückgewonnen wird. Nach über 200 Atelierbesuchen konnte König etwa 70 Künstlern zusagen. Joseph Beuys ist, da es die Weltläufigkeit der Düsseldorfer zu belegen gilt, natürlich dabei.

Man geht nicht einfach durch diese Ausstellung – man schlängelt sich durch überraschende Türen und Öffnungen, wandelt zwischendurch auf breiteren Pfaden, betritt treppauf majestätische Bauten oder intimere Gelasse – kurz: In der Kunststadt wird jeder Schritt zum Abenteuer.

100 Video-Bildschirme flimmern unterm Hallendach

Dominierende Erscheinungen sind eine glockenförmig vom Hallendach hängende Installation mit etwa 100 Video-Bildschirmen (flimmerndes Werk des renommierten Koreaners Nam June Paik) und ein Ziegelsteinturm des Dänen Per Kirkeby, der – ebenso wie Paik – kurzerhand der deutschen Szene zugeschlagen wurde. Hernach gerät man zum Beispiel in einen Raum, in dem Dieter Roth 42 Fimprojektoren mit verschiedenen Fümea losschnurren äßt – Bewußtmachung beispiellosen Medientenors. Von Manfred Stumpf gibt’a das zeichnerische Gesamtwerk, abrufbereit auf einem Momtor. Der Besucher tippt dazu einfach eine dreistellige Zahl ein.

Malerei steht dennoch im Mittelpunkt. Keine Überraschund: Die meistens Stars der neudeutschen Szene, zum nicht geringen Teil Beuys-Schüler, sind dabei, u. a. Anselm Kiefer mit seinen Bildem der verbrannten Erde, Biennale-Teilnehmer A.R. Penck mit an die Schriftzeichen vorzeitlicher Kulturen erinnernden Riesenfromaten, Jörg Inmendorffs monumentaIe Meditations-Comics zur deutschen Geschichte, und auch „Wilde“ wie Salome (Porno-Szenen im heftigen Gestus) oder Rainer Fetting.

Dies ist vielleicht eine der hervorragendsten Leistungen der Mammutschau: Daß sie den bislang überschätzten Strömungen keinen übermäßigen Platz einräumt und behutsam verschiedene Tendenzen sichtbar macht.