Woran Goethe glaubte

Düsseldorf. Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) war von Haus aus Protestant, sein Vater gar ein recht strenger, orthodoxer Lutheraner. Warum ist einem das nicht bewusst? Weil der Dichter weit über Konfessionen hinaus gedacht hat und als Weltbürger vielfältige Toleranz walten ließ.

Auf seiner berühmten Italienreise ließ er sich auch von der sinnlichen Bild- und Symbolkraft des Katholizismus „anstecken”. Und im Umkreis seines Werks „Der west-östliche Diwan” hat er sich auch mohammedanische Anschauungen anverwandelt.

Mit der weihnachtlichen Ausstellung „Goethe und die Bibel” betritt das Düsseldorfer Goethe-Museum wahrlich ein weites Feld. Von der Taufanzeige bis zu Goethes letzten Gesprächen mit seinem Vertrauten Eckermann reicht der zeitliche Bogen der ansprechenden Vitrinenschau. Zahlreiche Originalausgaben, zeitgenössische Illustrationen und Handschriften sind zu sehen. Wer viel davon haben will, muss sich hier über manches Schriftstück beugen.

Jenseits der
amtskirchlichen
Verkündigung

Schon als Kind hatte Goethe in Frankfurt reichlich religiöses Anschauungs-Material. Der Vater besaß eine umfangreiche Büchersammlung zu geistlichen Fragen, so auch eine bebilderte Merian-Bibel (1704), in der Goethe neugierig geblättert hat, als er des Lesens noch unkundig war.

Ein mächtiger Foliant wie die „Unparteyische Kirchen- und Ketzerhistorie” (1699) des Gottfried Arnold führte Goethe später auf Wege jenseits der amtskirchlichen Verkündigung. Hinzu kamen Einflüsse der gefühlvollen Frömmigkeits-Strömung des Pietismus, deren Anhänger den Weg zum (ganz persönlichen) Glauben in stiller Einkehr suchten.

Goethe hielt denn auch alsbald die offizielle Kirche mit ihren Riten und Dogmen für bloßes Menschenwerk und zeigte eher Sympathien für eine pantheistische Naturreligion. Seliger Grundgedanke: Gott ist in allen Dingen, in jeder Pflanze und jedem Stein. Passende Goethe-Weisheit, mit kaum verhohlenem Selbstbewusstsein hingeschrieben: „Die Natur verbirgt Gott. Aber nicht jedem.”

Stets legte Goethe überdies Wert darauf, dass Vernunft und Glauben einander nicht widersprechen. In diesen Zusammenhang gehört auch seine intensive Beschäftigung mit den Büchern des Philosophen Immanuel Kant. Überhaupt dachte der „Dichterfürst” im Horizont der Aufklärung. So fand er es „in meinen Augen wichtiger als die ganze Bibel”, dass der Mensch die Bewegung der Erde um die Sonne nachgewiesen hat.

Goethes Bibelkenntnis kann durch Hunderte von Fundstellen im Werk belegt werden. Er hat sich auch zum Atheismus geäußert. Zitat aus „Dichtung und Wahrheit”: „Allein wie hohl und leer ward uns in dieser tristen atheistischen Halbnacht zu Mute, in welcher die Erde mit allen ihren Gebilden, der Himmel mit all seinen Gestirnen verschwand . . .”

Besonderes
Interesse
an einer Sekte

Allen Anfechtungen zum Trotz, hat Goethe wohl zeitlebens seinen Glauben nicht verloren, wenn er auch wechselnden Gottes-Vorstellungen anhing. In einem Brief schrieb er: „Des religiösen Gefühls wird sich kein Mensch erwehren, dabei aber ist es ihm unmöglich, solches in sich allein zu verarbeiten . . .”

Sein Hauptwerk „Faust”, an dem er Jahrzehnte arbeitete, enthält etliche religiös inspirierte Passagen – vom „Prolog im Himmel” bis zur Formel über Gretchen: „Sie ist gerichtet . . . ist gerettet.” Sprichwörtlich wurde die mädchenhaft bange „Gretchen-Frage” an Faust: „Nun sag‘, wie hast du’s mit der Religion?”

Ein emsiger Kirchgänger soll Goethe jedenfalls nicht gewesen sein. Lange Zeit bewegte ihn jene Frage, die auch heute noch viele Menschen umtreibt: Wie kann Gott das Böse, wie kann er Katastrophen zulassen? Die Nachrichten übers schreckliche Erdbeben von Lissabon, das am 1. November 1755 rund 70 000 Todesopfer forderte, erschütterten seinen bis dahin naiven Kinderglauben.

Als gereifter Mann befasste sich Goethe eingehend mit der Hypsistarier-Sekte, die im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. in Kappadokien (heute Anatolien) „das Beste” aus antiker Götterwelt, Judentum und Christentum vereinen wollte. Solche Offenheit kam dem großherzigen Naturell Goethes gewiss entgegen: Nichts von vornherein ausschließen, alles wohlwollend wägen – und dann zur Synthese schreiten.

„Goethe und die Bibel”. Goethe-Museum, Düsseldorf, Schloss Jägerhof (Jacobistraße 2). Bis 20. Januar 2008. Di bis Fr und So 11-17, Sa 13-17 Uhr. Vom 24. bis 26. Dezember und Silvester/Neujahr geschlossen. Tel.: 0211/899 62 62.




Gott und der Teufel im Raum Nürnberg – Dürers biblische Szenen in Aachen zu sehen

Von Bernd Berke

Aachen. Wo spielen die schönen und schrecklichen Geschichten der Bibel? Wie man’s nimmt: Vielleicht haben sie sich in und bei Nürnberg ereignet. Jedenfalls dann, wenn man Bilder des Albrecht Dürer (1471-1528) als Maß der Dinge betrachtet.

Der ruhmreiche Künstler hat nämlich biblische Szenen vielfach mit Eigenheiten seiner Herkunftsregion verquickt. Hier eine typische Nürnberger Haube oder Tracht der Gegend, dort ein fränkisches Haus; als sollten Jesus, Maria und Josef, Apostel oder Propheten, ja selbst der Teufel diesseits der Alpen heimisch werden. Andererseits hatte Dürer auf seinen Italienreisen Anregungen der Antike und der Renaissance aufgesogen. Er führte somit einen vielfältigen Nord-SüdDialog der fruchtbarsten Art.

Seine mitunter verblüffenden Kombinationen sind – selten genug – jetzt wieder einmal in NRW zu bestaunen: Das Aachener Suermondt-Ludwig-Museum zeigt großartige, für Buchausgaben angefertigte Druckgraphik-Zyklen („Apokalypse“, „Passion“, „Marienleben“) sowie herausragende Einzelblätter von Dürer. Hinzu kommen mäßiger geratene Kopien von Zeitgenossen, die meist am kommerziellen Erfolg des Meisters teilhaben wollten.

Motivjäger durften bei ihm „abkupfern“

Die Nachfrage war derart groß, dass der Kunst-Unternehmer Dürer sie gar nicht im Alleingang befriedigen konnte. Er konnte den Motivjägern lediglich die Verwendung seines prägnanten Monogramms „AD“ untersagen lassen, ansonsten durften sie nach Belieben „abkupfern“.

Den Löwenanteil der Schau (rund 120 Exponate) bestreitet das Aachener Haus aus eigenen Beständen. Weiß der Himmel warum: Doch noch nie hat man die hier gehorteten Schätze in solcher Breite gezeigt. Es wurde Zeit. In willkommener Kooperation mit der Aachener Hochschule haben die Museumsleute das Konvolut aufgearbeitet, buchstäblich bis zum kleinsten Strich. Denn die Blätter kamen samt und sonders unters Mikroskop, um Datierungen, Druckzustände, Restaurierungs-Bedarf und sonstige Feinheiten zu klären. Dem Besucher bleiben immerhin einige Lupen, die zur gefälligen Verwendung neben besonders detailreichen Graphiken hängen.

Im Museums-Shop wartet der Feldhase

Auch ohne jede Sehhilfe: Besonders nah gehen einem die Holzschnitte zur Apokalypse, also zum katastrophalen Ende der Menschheit, wie wir sie kennen. Dürer führt die vormals eher gröblich verwendete Holzschnitt-Technik auf die Ausdruckshöhen der Malerei. Auch in wildesten Szenarien der Weltvernichtung erzielt er noch feinste Abstufungen, die auf geradezu wissenschaftlicher Präzision beruhen und ungemein plastisch wirken. Man würde sich kaum wundern, wenn die „Apokalyptischen Reiter“ tatsächlich in rasende Bewegung gerieten.

Der Ausstellungstitel „Apelles des Schwarz-Weiß“ wendet sich eher an ein Fachpublikum und ist erklärungsbedürftig. Apelles war der angeblich beste Maler zur Zeit Alexanders des Großen, man rühmte weithin seine Naturtreue. Humanismus und Renaissance kamen auf derlei antike Vorbilder zurück. Kein Geringerer als Erasmus von Rotterdam pries Dürer als den neuen „Apelles“, der für seine immensen Wirkungen nicht einmal Farbe benötige.

Volkstümlicher als der Titel kommt das Begleitprogramm daher: Es gibt drucktechnisehe Vorführungen nach alter Väter Sitte, selbst ein Weihnachtsmarkt wie zu Dürers Zeiten steht an. Und im Shop bekommt man natürlich auch Dürers populärste Figur: den Feldhasen. Mal schauen, bei wem das Tierchen unterm Tannenbaum liegt.

Bis 23. Januar 2005. Geöffnet Di-Fr 12-18, Mi 12-21, Sa/So 10-18 Uhr. Katalog 29 Euro.