Mit Hopfen und Malz ins Operettenglück: Ausflug zu einer ungewöhnlichen Novität in Mecklenburg

In Daniel Behles neuer Operette am Landestheater Neustrelitz siegen am Ende die Liebe – und das Bier! (Foto: Theresa Lange)

Die Operette ist tot? Nö, sie könnte vor Lebensfreude sprühen, aber sie wird seit Jahren ausgehungert. In Neustrelitz ist jetzt eine nagelneue Operette zu sehen. Ihr Thema: das Bier. Also auf zu einem Ausflug nach Mecklenburg.

Die arme Operette. Sie ist ein Opfer von Sparwut, die Operettenensembles abgebaut hat, von Intendanten, die sie aus den Spielplänen tilgen, von mahlerisiert ehrgeizigen Generalmusikdirektoren, die sie höchstens als Metier ihrer stabwedelnden Unteroffiziere geringschätzen, und von humorlosen Regisseuren. Was die schlampige Routine der siebziger und achtziger Jahre nicht umgebracht hat, erledigen Darsteller, die sie vibratosatt zur „kleinen Oper“ entstellen oder mit Musicalgequäke hinrichten. Das Publikum wurde dabei selten gefragt, es durfte nach und nach still aussterben. Auch ein Barrie Kosky – einer der wenigen, die nicht bloß mit warmen Worten an die Operette glauben – kann nur Leuchtfeuer entzünden. In die Fläche strahlen die aber eher punktuell. Das Elend der Gattung ist ja selbst an Häusern, die sich dem „Unterhaltungs“-Theater widmen sollten, unübersehbar.

Zu viel Schaum würden den Genuss mindern

Es gehört also einiges dazu, wenn ein Tenor zum Notenprogramm greift und eine nagelneue Operette komponiert. Daniel Behle hat es gewagt und sein „Kind“ sogar zur Uraufführung bringen können. Im Januar 2023 erschien „Hopfen und Malz“ an einem jener ein bisschen aus der Zeit gefallenen Häuser, an denen Operette noch geschätzt und gepflegt wird: Das Stück über einen skurrilen Bier-Krieg zwischen zwei norddeutschen Dörfern hatte in Annaberg-Buchholz im Erzgebirge Premiere und wird nun – was selbst für spannende neue Opern nicht so einfach ist – in Neustrelitz nachgespielt. Weitere Inszenierungen sind geplant, deutet Behle in einem Interview an. Keine schlechte Bilanz für ein Exponat einer für tot erklärten Gattung!

Das Landestheater Neustrelitz, ein Bau von Max Littmann aus den zwanziger Jahren. (Foto: Werner Häußner)

Also ab ins beschauliche Neustrelitz, das sein Herzogsschloss kurz vor Kriegsende durch einen Brand verloren, aber im Stadtbild klassizistische Eleganz bewahrt hat. Der Zuschauerraum ist gut besetzt. Im Graben lässt die Neubrandenburger Philharmonie unter Dirigent Daniel Klein ruhige, tiefe Streicherklänge gären, aber die Ouvertüre beginnt schnell zu schäumen. Marsch, Walzer, Galopp, beschwipste Tanzrhythmen, dazwischen perlt die Kohlensäure der Chromatik: Daniel Behle blättert schon mal auf, was im Lauf der kommenden zweidreiviertel Stunden musikalisch zu erwarten ist. Angst vor der Melodie hat er in seiner Operette nicht. Und Daniel Klein – ausgebildet an der Folkwang Hochschule in Essen und als Gastkorrepetitor auch mal am Aalto-Theater, in Gelsenkirchen und Hagen gewesen – nimmt diesen kunterbunten Stilmix nicht zu grell, sondern mit gebotener Dosierung und bedachtem Esprit. In der Musik wie beim Bier verhindert zu viel Schaum nämlich den Genuss.

Biergeister in der Wolfsbucht

Und so zieht sich das Thema „Bier“ wie ein goldener Fluss durch die Operette: Bierbrauer Horst Flens aus Ölsum – stimmgewaltig vorgestellt von Ryszard Kalus – gewinnt seit Jahren den regionalen Brauwettbewerb, den das brauende Paar Letty und Max Fisch aus Meersum gerne einmal für sich entscheiden würde. Aber wie? Ein bierkundiger Mönch und seltsame, an singende Bierkrüge erinnernde bayerische Biergeister kommen den beiden entgegen: Mit Hilfe des im protestantischen Norden auf Sündenforschungsreise weilenden Klosterbruders Theophil (Sebastian Naglatzki) und eines geheimnisvollen Rezepts aus dem Kloster Santo Demento brauen sie bei Vollmond in der Wolfsbucht – der Name ist kein Zufall – ein Freibier. Es schmeckt und versiegt obendrein nie. Heißa! Nach operettenüblichen Verwicklungen ist der Sieg der ihrige, am Ende tritt noch Mutter Cerevisia (schaumbekrönt: So Yeon Yang) auf und fordert alle zu „Maßhalten“ auf – oder ist doch eher das Maß Halten gemeint?

Der Mönch und die Brauersleute. (Foto: Theresa Lange)

Daniel Behle hat diesen Bierkrieg durch diverse Nebenhandlungen und -figuren teils unterhaltsam, manchmal aber auch etwas zähflüssig auf abendfüllende Länge gebracht und dazu viel Musik erfunden, deren melodische Stammwürze zu wohligem Genuss durchaus ausreicht. Wie es sich gehört, wird das Orchester nicht unterfordert: Die operettenseligen Rhythmen reihen sich mitunter recht schräg aneinander und Dirigent Klein darf schwungvoll und reaktionsschnell das Ruder herumreißen.

Unbekümmert mischt die Musik bajuwarisch tubasattes Humm-ta-ta mit Ragtime-Schwung aus dem klassischen Musical, fordernde lehareske Operettentenor-Kantilenen mit dem Harmoniegesang aus dem Madrigal. Tänzerische Energie und gleißende Lichtbögen, die von Richard Strauss gespannt sein könnten, verbinden sich mit Korngold’scher Harmoniensüße. Schmeichelmelodik und schmissige Mitsing-Schlager treffen ein bisschen Paul-Abraham-Wehmut, wenn Andrés Felipe Orozco in der Buffo-Partie des Ischias der Freundschaft zu seinem Wanderschafts-Kumpel Klaus nachtrauert. Das ist einer der wenigen Momente des Stücks, der dem Sentiment der Operette zu seinem Recht verhilft.

Wagner dient für Wortwitz

Man hätte sich mehr solcher Momente gewünscht, denn sie hätten den Figuren emotionale Tiefe geben können, die sich in den eher angerissenen als ausgespielten Liebeshändeln nicht einstellt. Wagner dient willig für Wortwitz: Dass die quirlige Senta (auch stimmlich prickelnd, Laura Scherwitzl) sich von ihrem Holländer Bernd (Robert Merwald, sportlich orangefarben) trennt, weil der die See, sie aber die Berge liebt, sorgt kaum für Drama. Und dass sich mit dem Wanderer Klaus prompt ein Operettentenor-Liebeskandidat findet, hat erst in einem fulminanten Duett gegen Ende des dritten Akts musikalische Folgen. Man spürt, dass hier ein Tenor komponiert: Behle gönnt seinem Kollegen die schönsten melodischen Exaltationen. Ein Richard Tauber wäre glücklich damit gewesen, für Bernd Könnes sind sie respektabel bewältigte Herausforderungen.

Frisch ans Werk! Einer der Juroren verkostet das Bier. (Foto: Theresa Lange)

Dazwischen streut Behle Szenen ein, die peripher bleiben und weder Handlung noch Figuren entscheidend weiterführen. So etwa eine für den unglücklichen Meersumer Brauer Max Fisch (Julian Younjin Kim). Dessen Frau Letty hat „schlechte Träume“ wie Klytämnestra und darf eine Ballade von einem geisterhaften Holländer mit Wohnwagen singen, was Anna Matrenina mit Lust am satten Mezzoklang bravourös absolviert. In diesen Szenen zeigt sich, warum die alten Operettenkomponisten wohlbedacht auf geschlossene Nummern gesetzt haben: Behles überquellende melodische Erfindung wäre formal kanalisiert weit wirkungsvoller als in den schnell verrauschenden offenen Episoden. Eine Disziplin, die vielleicht heute als einengend empfunden wird, aber auch dem Libretto von Behle und Alain Claude Sulzer gut getan hätte. Dass darin der Wortwitz eine tragende Rolle spielt, sorgt für heitere Anspielungen („Di quella Biera“ singt einer der Juroren des Wettbewerbs), trägt aber nicht über längere Abschnitte hinweg.

Mag sein, dass auch die kärgliche Ausstattung Sisse Gerd Jørgensens dazu beigetragen hat, dass die Szenen mit Chor und Tanzpaaren der Deutschen Tanzkompanie für eine zündende Operetteninszenierung nur blasse Blasen statt kräftigen Schaum bilden können. In der routiniert aufgestellten Regie von Rolf Heim wäre noch Luft nach oben. Doch der Abend in Neustrelitz hat ein deutliches Plädoyer für die Operette abgegeben: Tot ist die alte Dame noch lange nicht, und wer sie liebt, dem wendet sie ihr jugendfrisches Strahlen zu.

Info: Landestheater Neustrelitz, www.tog.de




Alle Menschen werden Brüder, wenn im Grill die Glut entfacht…

Ich geb's ja zu: Das (annähernd) kugelförmige Einstiegsmodell ist hier auch vorhanden. (Foto: Bernd Berke)

Ich geb’s ja zu: Das (annähernd) kugelförmige Einstiegsmodell ist hier auch vorhanden. (Foto: Bernd Berke)

Von den zirpenden Tierchen gleichen Namens mal abgesehen: Zur Goethezeit (oder so) hatte das Wort Grillen ungefähr die Bedeutung „Flausen im Kopf“. Einer, der Phantastereien zuneigte, galt als Grillenfänger. Schlagt’s nach im Grimmschen Wörterbuch.

Heute tritt das Wort im gänzlich anderen Kontext auf. Grillen ist die vielleicht liebste „Freizeit-Aktivität von Millionen, Tendenz steigend“ (um den gängigen Pressequatsch-Modus zu imitieren). Da sind sich z. B. Deutsche und Migranten türkischer Herkunft ganz einig. Und noch etliche andere. Vor dem Grill sind beinahe alle gleich. Lasset uns singen aus voller Brust, sehr frei nach Schiller und Beethoven: Alle Menschen werden Brüder, wenn im Grill die Glut entfacht…

Als wär’s in der Steinzeit

Prosaischer gesagt: Sobald die ersten Sonnenstrahlen im Frühjahr hervorschimmern, wird allüberall der Grill angeworfen. Vor allem mehr oder weniger fachkundige Männer versammeln sich um die Feuerstellen, als wär’s in der Steinzeit. Grille, wem ein Grill gegeben!

Natürlich werden rings um den Grill weder Smoothie noch Latte Macchiato geschlürft, sondern es werden vorzugsweise ein paar Fläschchen Bier verkostet. Die Hopfenkaltschale lindert ja wohl auch am besten dieses durchdringende Hitze-Gefühl. Aaaaah! Da muss auch das sonst bevorzugte Weinchen weichen.

Fleisch auf dem Rückzug?

Endlose Debatten kann’s darum geben, was wie und warum auf den Grill gehört und was eher nicht. Welche Saucen in Betracht kommen. Welche Metzger die besten seien. In den letzten Jahren haben sich allerdings vegetarische und vegane Fraktionen auch am Grill in Stellung gebracht. Kaum etwas Pflanzliches, das bei ihnen nicht auf dem Rost und in speziellen Folien landete. Doch nach wie vor haben die Fleischliebhaber die Oberhand, wenn auch mit Rückzugsgefechten. Wie sich denn überhaupt – als Reaktion auf all das Gemüsezeugs – eine Gegenbewegung etabliert hat, zu der beispielsweise „Fleisch-Boutiquen“ und ähnliche Etablissements mitsamt passender Propaganda-Presse zählen.

Angewandte Grillistik

Für Diskussionen (in branchenüblich „flotter Schreibe“ muss man natürlich schreiben: heiße Diskussionen) sorgt auch immer mal wieder die Grundsatzentscheidung oder auch Gretchenfrage des Grillens: Wie hältst du’s mit der Energie? Soll man den recht bequemen und weitgehend schmutzfreien Gasgrill vorziehen oder den rußig-authentischen Holzkohlegrill? Falls man den Letzteren wählt, welche von den zahllosen Kohlesorten wäre wofür am besten geeignet? Aber was sagt Gretchen, äh Greta dazu?

Tja, das Grillen ist mitunter eine Wissenschaft. Angewandte Grillistik, wenn man so will. Oder muss es Grillologie heißen? Egal. Aber damit das ein für allemal klar ist: Der elektrische Tischgrill geht gar nicht. Der ist was für, naja…

Manche Männer (Frauen hingegen kaum) halten sich enorm viel zugute auf ihre Grill-Expertise, man könnte auf den Verdacht kommen, es spiele dabei – neben einem gewissen Atavismus – auch Kompensation eine Rolle. Oft geht übermäßige Grillwut übrigens mit ständigen Handwerker-Projekten und geradezu exzessiven Baumarktbesuchen einher. Und man schaue sich an, welche überdimensionierten Grill-Boliden im Einsatz sind. Erinnern sie nicht an die unsäglichen SUV-Panzer? Auch die Zubehör-Ausrüstung hat es in sich – vom Schutzhandschuh über allerlei Gerätschaften wie Anzündkamine, Schaufeln und Zangen bis zum Reinigungs-Set.

Die Sehnsucht nach dem Herbst

Gehen die schier endlos langen Sommer zur Neige, in denen mindestens an jedem Wochenende dunstige Schwaden durch die Siedlungen gezogen sind, sehnen sich Grill-Skeptiker endlich, endlich in den Herbst hinein, in dem derlei Aktivitäten seltener werden. Grill-Industrie und die ihr hörigen Grill-Fanatiker haben indes so etwas Teuflisches wie „Wintergrillen“ ausgeheckt, auf dass die Glut nie und nimmer verlösche. Wird’s kälter, dann gibt’s eben Glühwein zum Grillgut. Gnade!

P. S.: Es soll sogar Leute geben (und hierbei sind dem Vernehmen nach Frauen führend), die zu mittleren bis größeren Grill-Events in der Nachbarschaft eines jener flinken Cocktail-Taxis in die Straße beordern. Na, denn Prost!




Helles Malz, Aroma-Hopfen, weiches Wasser: Vor 175 Jahren erfand der Bayer Josef Groll in Böhmen das Pilsener Bier

Mit dem Bier, das unsere Vorfahren vor mehr als 5000 Jahren schon im vorderen Orient brauten, haben unsere modernen Industriebiere kaum mehr etwas gemeinsam. Doch der Grundprozess des Vergärens mit Wasser, Malz, Hefe sowie würzenden und konservierenden Beimischungen – heute fast ausschließlich Hopfen – ist gleich geblieben. Eines der erfolgreichsten Biere der Neuzeit, das Pils, wurde vor genau 175 Jahren im böhmischen Pilsen von einem bayerischen Braumeister erfunden.

Vor 175 Jahren zum ersten Mal ausgeschenkt: Das Pilsner Bier ist nach wie vor die beliebteste Biersorte in Deutschland. Foto: DBB

Vor 175 Jahren zum ersten Mal ausgeschenkt: Das Pilsner Bier ist nach wie vor die beliebteste Biersorte in Deutschland. Foto: DBB

Josef Groll aus Vilshofen in Niederbayern wurde damals nach Pilsen geholt, um im neu erbauten Bürgerlichen Brauhaus ein qualitätsvolles Bier zu brauen. Am 5. Oktober 1842 setzte er seinen Sud erstmals an, am 11. November, dem Festtag des heiligen Martin, wurde das neue Bier ausgeschenkt – und überzeugte die Pilsener Bürger auf Anhieb. Dass er eine folgenreiche Bier-Erfindung gemacht hatte, dürfte Josef Groll damals noch nicht bewusst gewesen sein.

Schlankes Bier mit goldgelber Farbe

Noch heute ist die historische Sudpfanne im Museum auf dem Gelände der riesigen Brauerei von „Pilsner Urquell“ erhalten. Josef Groll braute sein Bier nicht wie die Pilsner Hausbrauer vorher mit obergäriger, sondern mit untergäriger Hefe. Sie heißt so, weil sie sich nach dem Gärvorgang am Boden des Gärbottichs absetzt.

Josef Groll auf einem Foto vor 1887.

Josef Groll auf einem Foto vor 1887.

Das untergärige Brauverfahren ist erst seit dem 15. Jahrhundert bekannt. Es braucht niedrige Temperaturen und war deswegen nur in den Wintermonaten oder mit dem aufwändigen Einsatz von Natureis möglich. Groll hatte in der väterlichen Brauerei bereits mit der untergärigen Methode experimentiert, die sich in Bayern seit Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend verbreitete.

Für sein neues Bier verwendete Groll ein nur leicht gedarrtes, sehr helles Malz und den aromareichen Saazer Hopfen. Entscheidend für den Geschmack ist auch das weiche Wasser Pilsens. Das feine, spritzige Bier mit seiner goldgelben Farbe und seiner weißen Schaumkrone, der bitter-aromatischen Hopfennote und seinem abrundenden, leicht karamellartigen Malzton kam außerordentlich gut an. Groll selbst verlor bereits 1845 seinen Posten, angeblich wegen seiner rüpelhaften „bairischen“ Manieren, sein Bier jedoch begann einen Siegeszug durch die ganze Welt.

Ein historisches Etikett für das Pilsner Urquell. Bild: Asahi Brands Europe

Ein historisches Etikett für das Pilsner Urquell. Bild: Asahi Brands Europe

Verbesserte Kühl- und Lagermethoden und die Ausbreitung der Eisenbahn begünstigten die Verbreitung. Das „Pilsner Bier“ – zunächst nur eine Herkunftsbezeichnung – wurde zum Exportschlager, erreichte 1863 Deutschland und später Großbritannien und Nordamerika. 1913/14 wurden erstmals über eine Million Hektoliter gebraut. Heute produziert Plzeňský Prazdroj rund zehn Millionen Hektoliter und exportiert in 60 Länder. Seit 2016 ist die Brauerei im Besitz eines japanischen Konzerns.

Durchbruch in Berlin und im Ruhrgebiet

Sehr bald fanden sich Nachahmer des erfolgreichen neuen Biertyps, zunächst in Nordböhmen, dann in Sachsen. In Bayern war wohl die Fürther Brauerei Geissmann der Vorreiter, der zum ersten Mal „Bayrisch Pilsner“ anbot. Vor allem in Franken fasste das Pilsener schnell Fuß.

Zum deutschlandweiten Durchbruch verhalfen dem neuen Biertyp allerdings die Preußen: In Berlin, später auch in den großen industriellen Brauzentren im Ruhrgebiet verbreitete sich der schlanke, helle Biertyp mit seiner bitteren Hopfennote rasch. Das „Pils“ wandelte sich von der Herkunfts- zur Sortenbezeichnung. Die Pilsener Brauer versuchten, diesen Prozess zu verhindern. Doch ihre Unterlassungsklage gegen eine Münchner Brauerei hatte keinen Erfolg: 1899 genehmigte ein Gericht die Sortenbezeichnung „Pilsener“.

Wichtiger Bestandteil des Pilsner Urquells ist der Saazer Aromahopfen. Foto: Asahi Brands Europe

Wichtiger Bestandteil des Pilsner Urquells ist der Saazer Aromahopfen. Foto: Asahi Brands Europe

Im Norden Deutschlands, aber auch im Ruhrgebiet und in Westfalen ist „dat Pilsken“ nach wie vor das gängigste Bier, obwohl sich fast alle Brauereien mittlerweile mit mehr Vielfalt auf den veränderten Geschmack der Biertrinker einstellen.

In Deutschland kommen nach Angaben des Deutschen Brauer-Bundes etwa 53 Prozent des Bierausstoßes von gut 96 Millionen Hektolitern (2016) als Pils auf den Markt. Damit liegt das Pils weit an der Spitze vor dem Export (rund 9 Prozent) und dem Weizenbier (rund 8 Prozent). In Bayern dagegen ist Pils nur eine Biersorte unter anderen – hier haben das Münchner Helle, das traditionelle dunkle Bier, das Weizenbier, das Märzen und Spezialbiere wie das Nürnberger Rotbier oder das Bamberger Rauchbier ihre treue Anhängerschaft.

Vilshofen würdigt den Bier-Pionier

Josef Groll starb am 22. Oktober 1887 in Vilshofen. Lange war über sein Leben kaum etwas bekannt, nun rückt sein Heimatort den Bier-Pionier wieder etwas mehr ins Licht der Öffentlichkeit: Im Juli 2017 eröffneten dort die „BierUnterwelten“ in einem erst vor kurzem wiederentdeckten Felsenkeller mit einem 90 Meter langen Gewölbegang. Zu einem Ausstellungsraum restauriert, informiert diese Unterwelt über alles rund um die Wirtshauskultur, die städtische Brauereigeschichte und den berühmten Sohn Vilshofens, Josef Groll. Der Rundgang endet in der Wolferstetter Brauerei, in der ein Teil der früheren Groll’schen Brauerei aufgegangen ist und die mit einem „Josef Groll Pils“ an den Braumeister erinnert.

Holzfässer im Brauereikeller in Pilsen. Foto: Asahi Brands Europe

Holzfässer im Brauereikeller in Pilsen. Foto: Asahi Brands Europe

In Pilsen lässt sich das Prazdroj heute noch unfiltriert und nicht pasteurisiert aus dem riesigen Holzfass im historischen Lagerkeller genießen. Auch in der Bierstube „Na parkanu“ beim Brauereimuseum wird der traditionsreiche Gerstensaft in dieser ursprünglichen Form ausgeschenkt – und die Pilsener sind stolz, den Geschmack so erhalten zu haben, wie ihn Josef Groll 1842 entwickelt hat.

Bis heute, so heißt es, wird ein Abkömmling des Hefestamms verwendet, den Groll damals mitgeführt hat. Allerdings gibt es in Pilsen noch eine andere Tradition: Ihr zufolge soll Groll schon 1840 als Lohnbrauer in Pilsen tätig gewesen und seinen Sud eingebraut haben. Die Hausbrauerei Groll Pivovar erinnert an diese Geschichte – ob Wahrheit oder Legende, wird sich wohl nie mehr entscheiden lassen.




Journalist damals: Möblierter Herr mit mechanischer Schreibmaschine

„Wie war das Leben ehedem / als Journalist doch angenehm.“ Dieser soeben flugs erfundene, allerdings recht wilhelmbuschig oder nach Heinzelmännchen-Ballade klingende Reim stimmt natürlich inhaltlich nicht, aber ein paar Dinge waren damals doch besser. Oder halt anders.

Zepter und Reichsapfel (alias Typometer und Rechenscheibe) als frühere Insignien der Zeitungsredakteure. (Foto: BB)

Zepter und Reichsapfel (alias Typometer und Rechenscheibe) als frühere Insignien der Zeitungsredakteure. (Foto: BB)

Jetzt erzähl ich euch mal was aus der Bleizeit, jedoch quasi impressionistisch, wie es mir gerade in den Sinn kommt:

Zeitungs-Volontär war ich mit knapp 20 Jahren, bereits vor dem Studium. Damals ging so etwas noch. Ich habe etwa 600 DM (Deutsche Mark) im Monat verdient, es gab jede Menge Abendtermine, lediglich 14 Tage Jahresurlaub und für allfällige Sonntagsarbeit noch keinerlei Freizeitausgleich.

Für die paar Kröten…

Mit anderen Worten: Für die paar Kröten hat man aber so richtig geschuftet – bei der „Westfälischen Rundschau“ (WR) damals letzten Endes für die Kassen der SPD, die WAZ-Gruppe ist erst später eingestiegen. In seinen frühen Zwanzigern hielt man Frondienste dieser Sorte noch klaglos aus; zumal man ja glaubte, den Job für alle kommenden Zeiten sicher zu haben.

Ich fand es sogar aufregend. Meine allererste Meldung mit Cicero-Zeile, meine allererste Reportage, meinen allerersten Gerichtsbericht, meine allererste Theaterkritik (zunächst lokalen Ausmaßes). Alles war noch so neu und frisch. Fotos durfte man ebenfalls machen und in abgedunkelten Hinterzimmern oder dito Toiletten selbst entwickeln. Toll.

Von Ort zu Ort

Man war als „Volo“ gehalten, alle paar Monate von Ort zu Ort zu wechseln (in meinem Falle waren das: Olpe, Ennepetal/Gevelsberg, Hamm, Ahlen mit Zwischenstationen in Dortmund und Wanne-Eickel – ich sag’s euch) und wohnte dort jeweils residenzpflichtig in möblierten Zimmern, die der Verlag angemietet hatte. Ja, ich bin als Jungspund in den frühen 70er Jahren tatsächlich noch ein „möblierter Herr“ gewesen. Schon damals hatte es etwas Vorgestriges.

Andererseits sind Journalisten zu jener Zeit von diversen Institutionen noch ein wenig hofiert und umgarnt worden, auch gab es prozentual und absolut ungleich mehr Zeitungsleser, die überdies noch etwas mehr Respekt hatten. Wir „Zeitungskerle“ (so mein altvorderer Kollege Charly P.) galten noch etwas, jedenfalls auf lokaler Ebene. Da gab’s vielleicht schon mal einen erzürnten Leserbrief, aber keine wüsten Beschimpfungen, erst recht keinen „Shitstorm“ oder gar Drohungen wie hie und da jetzt.

Klare Partei-Präferenzen

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat kürzlich in seinem Newsletter aus einer Studie über die erschreckenden Erfahrungen zitiert, die viele Kollegen heute, in den Zeiten des „Lügenpresse“-Gegröles, damit machen müssen. Früher waren solche Zustände undenkbar.

Als WR-Redakteur hielt man es damals tunlichst eher mit den Sozialdemokraten. Ruhrnachrichten und Westfalenpost galten hingegen als CDU-nah. Wie hübsch die Präferenzen damals noch verteilt waren… Und damit es nur deutlich gesagt ist: Journalisten fungierten in dieser anscheinend klar gegliederten Welt zuweilen auch als nützliche Idioten, als Erfüllungsgehilfen der Polit-Darsteller ihrer jeweiligen Couleur. Manchmal ging es vollends unverblümt her: Ein WR-Lokalchef war zugleich SPD-Ratsherr – in der Nachbarstadt, so dass er wenigstens nicht über sich selbst berichten musste.

Zigaretten zur Selbstbedienung

Jedenfalls war es in den 70ern und bis in die frühen 80er hinein noch üblich, dass bei so manchen lokalen Pressekonferenzen Kästchen mit Zigaretten zur gefälligen Selbstbedienung auf dem Tisch standen. Geraucht wurde immer und zu jeder Gelegenheit. Der eine oder andere Kollege verließ den Termin nicht, ohne den notorischen „Journalisten-Rollgriff“ angewendet zu haben, sprich: Er nahm noch einige zusätzliche Zichten als Wegzehrung mit. Wie hatte Kurt Tucholsky in den 20er Jahren schon geschrieben: Journalismus sei ein Beruf, den man (nur) mit der Zigarette im Mundwinkel ausüben könne.

Grundnahrungsmittel Bier

Hinzu kam, bevor die Computer Einzug hielten und die Korrektoren eingespart wurden, als tägliches Grundnahrungsmittel mindestens das Bier. Gelegentlich ging es damit schon (oder erst?) mittags los, wenn andere Berufe schon ihren Grundpegel erreicht hatten. Die mit der mechanischen Schreibmaschine gehackten und per Kurier oder Regionalzug zur Zentrale geschickten Manuskripte wurden ja dort allesamt noch mehrfach überprüft. Was sollte also schon passieren? Noch Mitte der 80er Jahre gab es vereinzelt Ausstellungs-Vorbesichtigungen, zu denen stilvoll und kultiviert Cognac gereicht wurde, was allerdings auch mit der Disposition gewisser Museumsleiter zu tun hatte. Zum Wohle? Nun ja. Wie man’s nimmt.

In New York verwöhnt

Heute ziemlich undenkbar wäre auch ein Kulturtermin, der die seinerzeit noch zahlreicheren Regionalblätter von Nordrhein-Westfalen mit einem beachtlichen Tross nach New York führte und aus dem Etat des Düsseldorfer Kulturministeriums bestritten wurde. Einziger Anlass war ein bevorstehendes NRW-Kulturfestival im Big Apple, von dem unsere Leser eigentlich herzlich wenig hatten. Doch man verwöhnte uns geradezu korrumpierend mit Linienflug, Unterkunft in einem noblen Hotel und einem hochinteressanten Programm, das vom Besuch bei der New York Times bis zum eigens polizeilich geschützten Trip durch die seinerzeit so gefährliche Bronx reichte. Als das Land NRW noch glaubte, Geld freihändig ausstreuen zu können…

Auch hättet ihr gestaunt, wenn ihr gesehen hättet, was in der Vorweihnachtszeit an Firmen-Präsenten in unserer Wirtschaftsredaktion eingetroffen ist. Die Kollegen konnten die Gaben schwerlich zurückschicken, machten das Beste daraus und organisierten alljährlich eine Verlosung, zu der sich auch noch unsere betagten Rentner bemühten.

Aber ich verplaudere mich.

Verdichtung der Arbeit

Spätestens seit Anfang der 80er wurde die gesamte Zeitungsbranche mit Aufkommen der Computer recht zügig diszipliniert. Die Arbeit verdichtete sich zusehends, man schrieb nicht nur, sondern war nun auch gleichzeitig Layouter, Setzer, Korrektor und Schlussredakteur. Irgendwann war es so weit, dass man sich keine Mittagspausen mehr erlauben konnte, sondern nur noch hastig etwas nebenbei verschlang. Die Leute, die in den Beruf nachrückten, waren im Schnitt stromlinienförmiger als ihre älteren Kolleginnen und Kollegen. Vorher gab es noch Typen. Typen…




Kunst und Bier in inniglicher Verbindung – Ausstellung „Dortmunder Neugold“ im U

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Zwei Tonnen Kohle: „Die Trinkenden“ von Alicia Kwade (Foto: Dortmunder U/Olbricht Collection/Roman März)

Der Titel ist eigentlich nicht schlecht. Bier als das neue Gold der Stadt paßt ja rein farblich schon viel besser als Kohle, die man deshalb etwas verschämt auch immer als schwarzes Gold bezeichnete. Wenngleich: Neu ist das Bierthema für Dortmund eher nicht, und dem Bier ging es in der Stadt schon mal deutlich besser. Bedenklich schwankt das Pilsglas auf absteigendem Ast, und die Versuche der Dortmunder Brauereien, wieder mit Export zu punkten, waren in jüngerer Vergangenheit nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Doch jetzt gibt es wieder einen Versuch, und die Hoffnung stirbt zuletzt. Nein, der Verfasser dieser (sag es nicht!) goldenen Zeilen hat noch nicht diverse Pilse intus, aber das Thema Bier setzt einfach in hoher Dosis Assoziationen frei. Nun aber: Disziplin!

500 Jahre Reinheitsgebot

Im Dortmunder U gibt es auf der 6. Etage eine hübsche neue Ausstellung zu bestaunen, die „Dortmunder Neugold – Kunst, Bier und Alchemie“ heißt und ihr Entstehen dem deutschen Reinheitsgebot (für Bier) verdankt, das im kommenden Jahr seinen 500. Geburtstag feiert.

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Brauerei-Museum und mit der einzigen in der Stadt noch ansässigen Großbrauerei Brinkhoff, die (endlich!) zum Jubiläum ein Union-Bier auf den Markt wirft, mit großem U auf dem Etikett der behäbigen Literflaschen. Auch ist das neue Jubiläumsbier kein Pils, sondern traditionsreiches Exportbier mit viel sättigender Stammwürze und mäßiger Hopfung, und last not least gibt es für jeden Besucher der Ausstellung bei Nachweis der Volljährigkeit ein Schlückchen davon, ist im Eintrittspreis mit drin. Die Marketing-Leute der Brauerei wollen als Reklame für dieses süffige Bierkulturprojekt 20 bis 30 Millionen Bierdeckel mit Werbebotschaften für Bier und Kultur drucken lassen, und alles in allem klingt das doch recht gut. Hier wächst, nicht nur aus der Perspektive des Marketing, endlich zusammen, was zusammengehört. Prost!

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„In der Alchemie wurde der Prozeß der Fermentation und das daraus resultierende Ergebnis unter anderem mit der Geburt des Phoenix illustriert. Die Künstlerin Dörte Kraft verwendet diese Symbole für ihre eigene Interpretation des Prozesses.“ Ohne Titel, 2012, Mischtechnik auf Leinwand, 220 x 200 cm. (Foto: Dortmunder U)

Ernsthaft, nicht bierernst

Vor diesem Hintergrund nun möglicherweise aufkeimende Befürchtungen, auch die Ausstellung selbst sei nur eine Marketingaktion an historischer Stätte und deshalb belanglos, sind unbegründet. Stefan Riekeles, Jahrgang 1976 und Kurator von „Dortmunder Neugold“, hat hier mit gutem Gespür für die Raumwirkung von Bildern und Objekten und mit dankenswertem Mut zur Reduktion eine ernsthafte, nicht aber immer bierernste Kunstschau aufgebaut. Er macht den Aspekt der Wandlung zum zentralen Begriff seiner Konzeption. Für ihn ist die Geschichte von Bier und Stadt und Industrie ein fortlaufender Prozeß des Werdens und Vergehens, der im Baukörper des ehemaligen Kühlhauses mit dem markanten U auf dem Dach ebenso seine Entsprechung erfährt wie im Strukturwandel des Ruhrgebiets. Auch die Entstehung von Bier aus Wasser, Malz und Hopfen könne als Wandlung begriffen werden, einige Kunstwerke greifen diesen Gedanken auf.

Kreislauf des Bieres

So stoßen Besucher gleich im ersten Raum, ganz nahe bei den offenbar unvermeidlichen Säcken mit Hopfen und Braugerste, auf eine konzeptionelle Arbeit von Ayumi Matsuzaka. In „Future Beer Cycle“ thematisiert sie den agrarischen Kreislaufprozeß der Bierproduktion. Aus Urinalen in Dortmund und Berlin sammelte sie Urin, um damit Ackerboden zu düngen und mit Stickstoff anzureichern. Auf dem Boden wuchs Braugerste, die die Künstlerin zu Bier verarbeitete, welches schließlich – der Kreis schließt sich – an die selbstlosen Urinspender ausgeschenkt wurde. Nun ja.

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Alkoholischer Absturz – Foto von Eva Teppe aus der Serie „Shinjuku Twilight“ von 2008 (Foto: Dortmunder U)

Eine Begegnung mit der „Alchemie“, die der Untertitel der Ausstellung verheißt und die man kurz und knapp vielleicht als ein furchtloses Experimentieren in vornaturwissenschaftlicher Zeit bezeichnen kann, gibt es ebenfalls im ersten Raum der Ausstellung. Hier hocken trinkende Frauen, aus weißem Porzellan gebrannt, am Fuß eines tonnenschweren Kohlehaufens und „trinken“ gleichsam von ihm. Kohle ist nicht Bier, gewiß, doch Kohle, sagt uns diese Arbeit von Alicja Kwade von 2011, nährt die Menschen, befriedigt trotz der nicht zu leugnenden Klimaschädlichkeit elementare Bedürfnisse.

Das Material Porzellan, aus dem die Trinkenden (nach einem Entwurf von Ernst Wenck aus dem Jahr 1924) geschaffen wurden, ist so ziemlich das Einzige, was die Alchemie im europäischen Raum an Sinnvollem hervorbrachte. Eigentlich, hallo Hintersinn, wollte man im alchemistischen Labor ja Gold erzeugen. So kommt hier in Raum 1 alles zusammen: Das schwarze Gold des Ruhrgebiets, das flüssige Gold aus Gerste und Malz und schließlich auch noch das richtige Gold, das indes, oh Sprachverwirrung, aus dem Dortmunder Rats-Silber herbeigeschafft wurde.

Prunkleuchter aus Kaisers Zeiten

Zwei goldene Leuchter stehen in den Vitrinen, sehen nach Mittelalter aus, stammen aber aus dem Jahr 1899, als Kaiser Wilhelm II Dortmund besuchte. Die Brauer hatten für dieses Geschenk zusammengeschmissen, und schaut man genauer hin, so sieht man, daß sie sich mit dezenten Prägungen im gelbstrahlenden Metall verewigt haben. Symbolisierte Handwerke rund um die Braukunst, die Stadttore, der heilige Reinoldus und andere Dortmundereien zieren die Stücke, die nach heutigen Geld je um die 150000 Euro kosten würden. Man kann sie kitschig finden oder auch schön und vielleicht einen Gedanken daran verwenden, daß es zur Zeit der Entstehung dieser Kerzenständer auch schon die Impressionisten und Osthaus und fortschrittliches Industriedesign gab. Auf jeden Fall werden sie eindrucksvoll präsentiert, scheinen leicht zu schweben, weil sie auf Glasböden in ihren Vitrinen stehen.

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Michael Sailstorfers „Hang Over“ (2004) ist so etwas wie ein Kronleuchter aus Bierflaschen, Eisen, Neonröhren und Elektronik. (Foto: Dortmunder U/Courtesy Michael Sailstorfer und König Galerie, Gert Elsner)

Prozessuale Elemente, um noch einmal daran anzuknüpfen, sind dem Bier- bzw. Alkoholgenuß ja in besonderer Weise eigen. Trinken erzeugt Rausch und Hochgefühl, späterhin Absturz und Kater, wenn man nicht aufpaßt. Iva Vacheva hat die Freuden der alkoholischen Enthemmung 2009 in Acryl auf bunte Großformate gemalt, die „Auf die Freundschaft“, „Gloria, Gloria!“ und „Kultus“ heißen. Daneben hängt in strengem Schwarzweiß eine Fotoserie von Eva Teppe, die im Tokioter Vergnügungsviertel Shinjuku enstand und im Morgengrauen die Alkoholopfer der Nacht zeigt, wie sie auf Treppenstufen und in Hauseingängen schlafen. Deprimierend und sicherlich nicht nur ein japanisches Phänomen.

Überzeugendes Raumkonzept

Die Veränderung des Raumkonzepts in der 6. Etage des Dortmunder U, die schon der Bestandsausstellung der Dortmunder Museen „Meisterwerke – Caspar David Friedrich bis Max Beckmann“ zugute kam, macht sich auch bei dieser Ausstellung bezahlt: Die Anordnung der Kojen auf der Etage mit zahlreichen Durchgängen und Blickachsen gibt dem Publikum das gute Gefühl, sich gänzlich frei bewegen zu können. Stefan Riekeles nutzt diese Möglichkeiten der Räumlichkeit und ordnet fein die Kunst zusammen, die (mehr oder weniger) zusammengehört, gibt mit gemessener Ironie (wie man wohl vermuten kann) aber auch dem spießigen, vom Gelsenkirchener Barock geprägten „Reich des deutschen Bieres“ Raum und präsentiert die unvermeidlichen Humpen, Gläser und Plakate (einige sogar aus Japan).

DUB-Jubiläumsbier

Endlich am Markt, wenn auch nur für begrenzte Zeit: das U-Bier für die U-Ausstellung. (Foto: Dortmunder U)

Superfritz beim Frauenarzt

Großen Reiz bezieht das „Dortmunder Neugold“ aus einigen burlesken Kunstwerken, die das alkoholischen Thema möglicherweise in besonderer Zahl hervorbringt. Zwar sind Zecherrunden und trinkende Mönche in der Präsentation dankenswert sparsam plaziert, doch trifft man in Koje Nummer 6 – hinter einem Vorhang, der wohl eine gynäkologischen Praxis symbolisieren soll – auf den roh aus Holz zusammengezimmerten „Superfritz“, den der holländische Künstler Dick Verdult geschaffen hat; überlebensgroß liegt er dort auf der Liege, und wenn von Besuchern ein Kontakt ausgelöst wird, erklingt Superfritzens fröhliches Credo, daß er nicht schwanger sei, sondern Bier seinen Leib geformt habe. Anmerken wollen wir noch, daß Dick Verdult an vielen Stellen aktiv ist, unter anderem im Institut für bezahlbaren Wahnsinn (IBW) und im Centro Periferico Internacional, ein bunter Vogel offenbar.

Ein anderer Künstler, der den burlesken, nicht aber hintersinnfreien Auftritt liebt, ist Herbert Achternbusch. Von ihm läuft das Video „Bierkampf“, in welchem er, in eine Polizistenuniform gekleidet, durch ein Bierzelt des Oktoberfestes stolziert und mehr oder minder trunkene Gäste maßregelt. Man ist erstaunt und ein bißchen erschrocken, was mit Uniform und herrischem Auftreten möglich ist.

Ein politischer Herbert Achternbusch

Diese Achterbusch-Arbeit aus dem Jahr 2003 zeigt allerdings auch, was vielen anderen Exponaten der Biergoldschau weitgehend fehlt: das Politische, das Entlarvende, das über einige skeptische ökologische Befunde Hinausgehende. Vielleicht ist das beim Thema Bier aber auch ein bißchen viel verlangt, sozusagen nicht das Bier des Dortmunder Neugolds.

Auf jeden Fall gibt es einiges an passabler, kluger, vorwiegend junger Kunst zu sehen, nicht alles konnte in dieser Besprechung Erwähnung finden. Außerdem haben Besucherinnen und Besucher aus der 6. Etage des Dortmunder U einen sehr schönen Blick auf die Stadt. Von hier oben sieht Dortmund ganz schnuckelig aus, richtig ordentlich und aufgeräumt und sauber.

Nachsatz

Kleine Überlegung noch am Rande: Der Kohlehaufen mit den Trinkenden von Alicja Kwade ist eine Leihgabe aus der Sammlung Olbricht, die vor einigen Jahren im „alten“ Essener Folkwang-Museum präsentiert wurde, bevor dort die Bauarbeiten begannen. Der Privatsammler besitzt viele spannende Spitzenarbeiten der Gegenwartskunst, die man selten in deutschen Museen sieht, weil die so etwas wg. Geldmangel kaum in ihren Beständen haben. Sollte man auf diesem Feld nicht nach Kooperationsmöglichkeiten suchen? Sammlung Olbricht (oder ein anderer Privatsammler von Rang) im Dortmunder U, das wäre eine Attraktion weit über die Stadtgrenzen hinaus. Nur mal so als Idee.

  • „Dortmunder Neugold – Kunst, Bier, Alchemie“, Ausstellung im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund,
  • Bis 1. Mai 2016.
  • Geöffnet Di+Mi 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr. Heiligabend, 1. Weihnachtsfeiertag, Silvester und Neujahr geschlossen. Eintritt 6 €
  • www.dortmunder-neugold.de



Chancen am Borsigplatz: Der soziale Ertrag des Bierbrauens und andere Aktionen

Bei „Public Residence: Die Chance“, einem künstlerischen Experiment in der Dortmunder Nordstadt, ging es um kulturelle Teilhabe und soziale Kreativität. Das Projekt endete im Mai, soll aber nachwirken. Gastautorin Isabelle Reiff, selbst Mitglied im eingetragenen Verein „Borsig11“, zieht eine Bilanz aus Veranstaltersicht:

„Das ist zynisch, dass Sie das hier machen!“ So begann ein längeres Streitgespräch, das der Künstler Frank Bölter mit einem Politiker der Linken auf dem Kleinen Borsigplatz führte. Anlass dazu bot eine eigenwillige Kunstaktion im Rahmen von „Public Residence: Die Chance“. Das Projekt basiert auf einer Kunstwährung, die an die Quartiersbewohner ausgegeben wird und echte Euros wert ist. Der Geldwert kann sich aber nur in einem gemeinschaftlichen Projekt entfalten.

Diese Bedingung hatten vorher die geldgebende Montag Stiftung und der austragende Verein „Borsig11“ gesetzt. Frank Bölter war also darauf angewiesen, bei den Nachbarn ganz verschiedener Façon und Herkunft den gemeinsamen Nenner zu finden. Und welcher war es dann? Die Liebe zum Bier!

Resultat einer speziellen Kunstaktion unter Anleitung von Frank Bölter: Selbstgebrautes vom Borsigplatz. (Foto: Frank Bölter)

Resultat einer speziellen Kunstaktion unter Anleitung von Frank Bölter: Selbstgebrautes vom Borsigplatz. (Foto: Frank Bölter)

Selber Bier zu brauen ist im Fahrwasser der US-amerikanischen Craft-Beer-Bewegung regelrecht zu uns herübergeschwappt: Immer mehr Menschen fangen hierzulande an, in ihrer Freizeit Bier zu brauen – in der Garage, im Kabuff oder Gartenhaus. Frank Bölter veranstaltete diese Arbeit open air im öffentlichen Raum und zwar an einem Lieblings-Treffpunkt höchst passionierter Biertrinker.

„Hinter jedem einzelnen, der hier den ganzen Tag rumsitzt und säuft, stecken Suchtkrankenakten, kaputte Familiengeschichten, gescheiterte Laufbahnen und Offenbarungseide. Und jetzt kommen Sie und wollen denen zeigen, wie man selber Bier braut!“, beschwerte sich der Lokalpolitiker, während Bölter damit zu tun hatte, Kastanien-Blätter aus dem Sud zu fischen, weil es an diesem Tag wieder so stürmte.

Während der Politiker sich echauffierte, als sei sonst niemand zugegen, mischten an dem Stunden währenden Brauvorgang nicht nur Leute mit, die den Kleinen Borsigplatz zu ihrer zweiten Heimat erkoren haben. Auch Nachbarn, eine angehende Diplom-Braumeisterin und Neugierige rebelten, schroteten und rührten.

Später tauchte noch Kurti auf: Im Knast habe er siebeneinhalb Jahre lang selbst immer Bier gebraut. Das Rezept könne er beim nächsten Mal mitbringen. Gerhard hatte in weiser Voraussicht Malzmyrrhe dabei. Er rühmte sich einer Zusatzausbildung zum Biersommelier. Peter packte nach Ablass des Suds wortlos den übriggebliebenen Brauteig ein und kehrte später unverhofft mit daraus gebackenen Brötchen zurück.

Für Bölter war es ein Etappenziel, „Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, die sich sonst eher aus dem Weg gehen“. Mehr noch „gewinnt man beim Selberbrauen ein Stück weit die an die Sucht abgegebene Verantwortung für die eigene Person durch die gewonnene Portion Selbstermächtigung zurück“. Den Satz sollte man zwei Mal lesen. Ob der Politiker Orhan dann anders darüber denkt, den „Alkis“ vom Kleinen Borsigplatz das Bierbrauen beizubringen?

Alle Künstler während des Public-Residence-Jahres waren (wie vorher schon das Projekt „2-3 Straßen“) vor die schwierige Aufgabe gestellt, Menschen zu mobilisieren, die, was ihre erwerbsmäßigen Beteiligungschancen in dieser Gesellschaft angeht, die Hoffnung mehr oder weniger aufgegeben haben. Dass ihre Väter großteils nur wegen der Arbeit hierher zogen, steht auf einem anderen Blatt. Das Quartier um den Borsigplatz ist heute das mit der höchsten (Langzeit-)Arbeitslosigkeit in Dortmund.

Führung durchs Stadtquartier: Matthias Hecht alias Dr. h. c. Wilfurt Loose (vorn), dahinter (mit roter Kappe) Rolf Dennemann. (Foto: Isabelle Reiff)

Führung durchs Stadtquartier: Matthias Hecht alias Dr. h. c. Wilfurt Loose (vorn), dahinter (mit roter Kappe) Rolf Dennemann. (Foto: Isabelle Reiff)

Geblieben ist das gelernte Malocher-Verständnis von Arbeit: Arbeit kann nicht Spaß machen, ist Frondienst, bei dem ein anderer das Meiste verdient. Bildungslücken, fehlende Sprachkenntnisse, Schicksalsschläge (wozu auch das Wegziehen ganzer Industrien zählt) erschweren die persönliche Neuorientierung. Übrig bleibt das Gefühl, Opfer der Umstände zu sein, eben nicht seines Glückes Schmied.

Tradierte Sozialprogramme verstärken oft noch diese Selbstwahrnehmung. Können künstlerische Ansätze hier neue Perspektiven eröffnen? Auf dieser Überzeugung fußt das Programm der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft aus Bonn. Insgesamt 200.000 Euro hat sie für den Borsigplatz bereitgestellt: Der Betrag bildet die Basis der „Chancen“-Währung, außerdem wurde aus diesem Topf die Arbeit von sieben Künstlern bezahlt.

Sie kamen auf die Idee, Straßen umzubenennen, Gärten anzulegen, ein Repair-Café zu gründen. Es wurde öffentlich gekocht, getanzt, Theater gespielt. Ein bis vor Kurzem noch leer stehendes Ladenlokal ist jetzt ein beliebter Nachbarschafts-Treff (Oesterholz 103). Fortbestehen soll auch das Geschmacksarchiv, bei dem vergessene Rezepte nachgekocht werden, genau so die Jugend-Theatergruppe Kielhornschule. Einige im Quartier bieten jetzt sogar selbst Workshops an – vom Möbelbau aus Paletten bis zum Meditationskurs.

Aber viele machen auch nicht mit; umso mehr Chancen sind übrig geblieben – also Noten mit echtem Geldwert. Jeder Anwohner hat ein Anrecht auf 100 davon. Ungefähr die Hälfte hat ihre Chancen noch gar nicht ergriffen. Das bedeutet, dass viele, die rund um den Borsigplatz leben, immer noch Gelegenheit haben, sich auf etwas zu einigen, was sie in ihrem Stadtteil verwirklichen und dann gemeinsam mit denen ihnen zustehenden Chancen finanzieren wollen.

Ohne sehr viel Kommunikation und Überzeugungsarbeit kann das nicht gelingen. Jetzt müssen andere in die Lücke springen, die die Künstler hinterlassen haben. Einer ist immerhin hier geblieben, weil er seit 15 Jahren in der Oesterholzstraße wohnt: Rolf Dennemann hat als freischaffender Künstler, Autor, Regisseur und Schauspieler (und gelegentlicher Mitarbeiter der „Revierpassagen“) vorher schon Partizipationsprojekte angezettelt, in den Kleingärten in der Nordstadt zum Beispiel, auf dem Hauptfriedhof oder in einem Rentnerwohnblock in Essen. “Bitte kein Wasser runterschütten”, hieß eine der Aktionen.

Dennemann ist nicht der gefällige Typ, so einer „will auch nicht andere um Chancen anbetteln“. Dafür weiß er, wie das Quartier am Borsigplatz tickt. Er hat die Veränderungen, denen es unterworfen ist, über viele Jahre beobachtet. Und er kennt die wichtigen Protagonisten im Viertel. Ein klarer Vorteil gegenüber den kurzfristig zugezogenen Künstlern. Und so kommt die von Dennemann initiierte Stadtteilführung „Borsig-VIPs“ so gut an, das man ihm unaufgefordert Chancen zusteckt. Er hat sich dafür aber auch die stadtbekannte Annette Kritzler ins Boot geholt und Matthias Hecht, der alias Dr. h.c. Wilfurt Loose den Quartiersforscher zum Allerbesten gibt. Dennemann ist daher weiter auf „Spurensuche“, sammelt Geschichten und Erinnerungen von Anwohnern und deckt en passant die geheimen Berühmtheiten im Viertel auf.

Wenn die stadtbekannte Kritzler diese ehrenvollen Namen bei ihrer Führung sonor verortet und Loose das auch noch akademisch untermauert, kommt man kaum umhin, zu glauben, dass die östliche Nordstadt in Wirklichkeit voller öffentlichkeitsscheuer Stars steckt. Wahrscheinlich sind sogar noch längst nicht alle aufgespürt. Drum: Wer ungeahnte Anekdoten, verschollene Dokumente oder sonstige Quartiersgeheimnisse auf Lager hat, sollte Dennemann was erzählen. – Vielleicht ist der Borsigplatz in ein paar Jahren – weit über seine Bedeutung für den BVB hinaus – ein Stadtteil mit vielen Mythen und Legenden.




Würziger Hopfen, weißer Schaum: Betrachtungen zum „Tag des Bieres“

Ein sumerischer Opfertisch: Die Sumerer kannten schon vor 6000 Jahren das Bier. Foto: Deutscher Brauer-Bund

Ein sumerischer Opfertisch: Die Sumerer kannten schon vor 6000 Jahren das Bier. Foto: Deutscher Brauer-Bund

Wilde Hefen waren es, die vor 6000 Jahren bei den alten Sumerern im Zweistromland für die erste Gärung sorgten. Das Bier war geboren – ein Getränk, das mit dem blonden oder braunen Gerstensaft von heute allerdings nicht mehr viel zu tun hat. Unsere geschmacklich einwandfreien und reinen Biere ließen sich erst im Zuge wissenschaftlicher und industrieller Entwicklungen im 19. Jahrhundert erzeugen. Aber eine Quelle unserer Bierkultur ist bald 500 Jahre alt und wurde am Georgitag des Jahres 1516 unterschrieben: Grund genug, jedes Jahr am 23. April den „Tag des Bieres“ zu begehen.

Die Quelle ist das Bayerische Reinheitsgebot, gegeben von Wilhelm IV., Herzog in Bayern, zu Ingolstadt. Die Forderung ist eindeutig: „Ganz besonders wollen wir, daß forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen“, heißt es in der Urkunde. Die vierte Zutat, die Hefe, war damals noch nicht greifbar; erst dem dänischen Botaniker Emil Christian Hansen gelang es, im Carlsberg-Laboratorium in Kopenhagen eine Methode zur Reinzucht von Hefen zu entwickeln. Er beschrieb sie 1883 erstmals. Heute versuchen Mini-Brauereien wieder experimentell, mit Hilfe von Spontangärung durch anfliegende Hefen geschmacklich eigenwillige Biere zu brauen.

Das Original: Die Urkunde mit dem Reinheitsgebot von 1516. Foto: Deutscher Brauer-Bund.

Das Original: Die Urkunde mit dem Reinheitsgebot von 1516. Foto: Deutscher Brauer-Bund.

Das Bayerische Reinheitsgebot galt ab 1906 im gesamten deutschen Reichsgebiet. Bayern hat 1918 sogar seinen Verbleib in der neuen Republik unter anderem von der Geltung des Gesetzes abhängig gemacht. Bier ist damit bis heute eines der reinsten Lebensmittel – auch wenn moderne Hefen und Hopfensorten und die Aufbereitung des Brauwassers die Qualität der Zutaten verändert haben.

Hopfen versus Grut

Dass es lange vor dem Reinheitsgebot ein Bewusstsein für die Qualität des Bieres – im Mittelalter schließlich eines der Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung – gegeben hat, bezeugen zahlreiche Zunftordnungen aus den für ihr Bier berühmten norddeutschen Städten. Von dort drang das Hopfenbier auch in die Gegenden ein, in denen wohl schon zur Zeit von Christi Geburt das „Grut“ als Bierwürze verwendet wurde. Grut ist eine Kräutermischung aus dem Gagelstrauch mit seinen starken ätherischen Ölen und verschiedensten Kräutern, von Schafgarbe bis Thymian, dazu unter Umständen auch Zutaten wie Wermut und Fichtenspitzen.

Im Land um Rhein und Ruhr waren diese „Grutbiere“ bis weit in die Neuzeit hinein verbreitet. In Dortmund etwa gab es wohl schon im Mittelalter eine städtische Aufsicht über die Qualität des Bieres, die sich nach dem Stadtbrand von 1232 aber erst Mitte des 13. Jahrhunderts in schriftlichen Quellen fassen lässt. Die Stadtrechnungen lassen auf die Bestandteile des Dortmunder Bieres schließen: Gersten- und Hafermalz und Grut aus Hopfen, Lorbeer und der Sumpfpflanze Porst (Rhododendron tomentosum, Moor-Rosmarin), heute auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzenarten. Porst verstärkte die Alkoholwirkung, konservierte das Bier aber auch.

Die Dortmunder liebten ihr Grutbier offenbar. 1548 beklagte der Stadtchronist Dietrich Westhoff eine Verdrängung des Grutbiers durch andere Sorten, so dass schließlich „des edeln gruten beers wenig gebrouwert wert“. Der letzte Gruter in Dortmund gab 1551 sein Gewerbe auf. Die Ratsherren mussten neumodisches Hopfenbier trinken, das ihnen wohl wegen der fehlenden aromatischen Würze nicht so gut geschmeckt haben soll.

Mit technischer Innovation zur Bier-Weltstadt

Erst die moderne Brautechnik ermöglichte gleichbleibende Qualität und lange Haltbarkeit. Ein Kupferkessel in einem Sudhaus. Foto: Deutscher Brauer-Bund.

Erst die moderne Brautechnik ermöglichte gleichbleibende Qualität und lange Haltbarkeit. Ein Kupferkessel in einem Sudhaus. Foto: Deutscher Brauer-Bund.

Um bei Dortmund zu bleiben: Das industrielle Brauwesen, für das die Stadt berühmt werden sollte, ist der von Bayern ausgehenden untergärigen Braumethode zu verdanken. Verbunden mit technischen Innovationen wie der Dampfmaschine und der von Carl Linde erfundenen maschinellen Kühlung konnte ganzjährig Bier in gleichbleibender Qualität gebraut werden. Die längere Lagerfähigkeit – davon spricht heute noch die Bezeichnung „Lager“ – ermöglichte auch den Export. Um 1900 wurde ein Viertel des weltweit industriell gebrauten Bieres in Deutschland hergestellt. Neben Kohle und Stahl trat das Bier als dritte Säule der industriellen Entwicklung.

Heute ist der Biermarkt in heftiger Bewegung. Die Zeit, in der internationale Großkonzerne versuchten, das Reinheitsgebot zu kippen, ist zum Glück – vorerst? – vorbei. Es bleibt zu hoffen, dass die Grundlage der deutschen Bierqualität auch den Abschluss der Verhandlungen um das TTIP-Abkommen überstehen möge. Die Absatzzahlen für klassische Biersorten gehen seit Jahren zurück. Die Deutschen trinken pro Kopf und Jahr nur noch 107 Liter Bier (2014) und stehen damit auf Platz zwei der Statistik gleichauf mit den Österreichern – und weit überholt vom „Bierweltmeister“ Tschechien mit 144 Litern.

Allerdings: Mit mehr als 5500 Biermarken und 95 Millionen Hektolitern Jahresproduktion sind die Deutschen nach wie vor die „Europameister“ des Bieres. Und auch die Zahl der Brauereien geht nicht zurück, wie der Brauer-Bund vermeldet: Sie stieg von 1281 im Jahr 2004 auf 1352 im letzten Jahr. Dennoch: Viele kleine und mittelständische Brauereien müssen ums Überleben kämpfen; andere, wie etwa die Hausbrauereien in Oberfranken, haben ihre Nische entdeckt und sprechen den Bierliebhaber mit variantenreichen regionalen Spezialitäten an.

Bierwerbung von einst: Zum Glück blieb die blonde Halbe keine "Fata Morgana". Historische Postkarte aus der Sammlung Willi Dürrnagel, Würzburg

Bierwerbung von einst: Zum Glück blieb die blonde Halbe keine „Fata Morgana“. Historische Postkarte aus der Sammlung Willi Dürrnagel, Würzburg

Auf solche Spezialitäten setzen nicht nur die Kleineren. Auch große Brauereien besinnen sich zurück auf Vielfalt und Individualität. In Dortmund beherrscht inzwischen die Radeberger Gruppe den Braumarkt, pflegt aber mit der Hövels Hausbrauerei am Hohen Wall ein Bier aus der Gründungszeit der alten „Brauerei von Hövel, Thier & Co.“ von 1854. Die alte Marke „Dortmunder Bergmann Bier“ wurde 2010 wiederbelebt und hat so viel Erfolg, dass 2014 die Planungen für eine neue Braustätte aufgenommen wurden.

In der alten Borbecker Dampfbierbrauerei in Essen werden seit den achtziger Jahren wieder traditionelle und neue Sorten gebraut und ausgeschenkt. Und apropos Grutbier: Das „Gruthaus“ in Münster experimentiert mit den Rezepten aus dem 15. Jahrhundert: „Erste Versuche ergaben ein sehr wohlschmeckendes und erfrischendes Kräuterbier mit süßlich-floraler Note“, heißt es auf der Homepage.

2016, wenn der 500. Jahrestag des Reinheitsgebots-Erlasses gefeiert wird, dürfte sich auch das historische Interesse auf das Bier lenken lassen. Liebhabern sei jetzt schon die Bayerische Landesausstellung 2016 in Aldersbach im Passauer Land empfohlen: Das Zisterzienserkloster mit einer wundervollen barocken Asam-Kirche ist Schauplatz von „Bier in Bayern“. Am 29. April 2016 geht’s los: Bis 30. Oktober – während der Sommer- und Herbst-Urlaubszeit – steht das „fünfte Element“ der Bayern im Mittelpunt der über zwei Millionen Euro teuren Schau.