Im Zeichen des Realismus: Bonn zeigt Skulpturen aus der DDR

Von Bernd Berke

Bonn. Noch nie hat die DDR ihre eigene Bildhauerkunst so umfassend gezeigt wie jetzt in Bonn; auch nicht in Ost-Berlin oder Dresden. Schon das macht diese Ausstellung in Bonn zum Ereignis.

Bei uns sind zwar inzwischen die wichtigsten Maler aus dem anderen deutschen Staat bekannt, das skulpturale Schaffen jedoch kaum. Mit 130 plastischen Arbeiten und 60 Zeichnungen (aus der gesamten Nachkriegszeit) von über 50 DDR-Künstlern bringt das federführende „Zentrum für Kunstausstellungen der DDR“ nun einen ersten Überblick nach Bonn. Dietmar Keller, Stellvertreter des Ministers für Kultur der DDR, unterstrich zur Eröffnung die Bedeutung des deutsch-deutschen Kulturabkommens, das auch diese Schau erst ermöglicht habe.

„Menschenbilder“ hieß die letzte große DDR-Gemäldeausstellung bei uns (Bonn/ Münster, 1986). „Menschenbilder“ – so könnte auch der Titel für diese Skulpturenschau lauten, denn die DDR-Bildhauer haben sich – im Zeichen verschiedener Realismus-Konzepte – kaum je von der Darstellung der menschlichen Figur entfernt. Zielvorstellung ist es laut Katalog, „am Menschen immer neue Seiten des Humanen sichtbar zu machen“.

Das Dilemma beginnt freilich damit, daß DDR-Bildhauer die Exponate selbst ausgewählt haben und damit ihren eigenen Standort bestimmen. Wir, die wir die Arbeiten erstmals zu sehen bekommen, können die Hintergründe kaum nachvollziehen.

Die große Frage, die sich angesichts dieser Ausstellung aufdrängt, ist die: Sind unsere westlichen Sehgewohnheiten verzerrt, weil unser Menschenbild auch in der Kunst verschüttet ist; oder sind die DDR-Künstler naiv, die da glauben, das Menschenbild (oft in althergebrachter Ausprägung) noch aufrecht erhalten zu können?

Sehr oft scheinen alte Vorbilder durch: Rodin, Lehmbruck, Käthe Kollwitz vor allem. Das handwerkliche Niveau ist durchweg sehr hoch, doch Themen und formale Ausgestaltung wirken oft bieder, konventionell und nachgerade „akademisch“: Da sieht man zahllose „Schreitende“, „Sitzende“, „Hockende“, „Liegende“ und Torsi.

Inhaltlich spielt die Anverwandlung des kulturellen „Erbes“ eine dominierende Rolle. Offenbar stehen Gedenk-Büsten in der DDR noch in hoher Blüte und Wertschätzung: Kopfbüsten von Heinrich Mann, Rilke, Pablo Neruda.,von Rosa Luxemburg, Brecht und Käthe Kollwitz u. a. sind zu sehen. Auch Bezüge zur Mythologie und zum klassischen Bildungsgut sind häufiger als in der „Westkunst“.

Der generelle Eindruck mag enttäuschen, da man sich zu oft ins künstlerische Gestern versetzt sieht. Dennoch gibt es in Bonn auch hervorragende Arheiten zu sehen, etwa von Künstlern wie Wieland Förster, Werner Stötzer, Joachim Jastram und Otto Bernd Steffen.

Unbestreitbare Verdienste haben sich DDR-Bildhauer mit Mahnmalen gegen Krieg und Faschismus erworben. Beispiele dafür (u. a.Fritz Cremers Buchenwald-Denkmal) sind in Bonn naturgemäß nur auf Fotografien präsent. Doch die Anstrengung, sich in der Kunst mit gesellschaftlichen Vorgängen auseinanderzusetzen, zeitigt auch Verlegenheitslösungen. So formte etwa Werner Drake ein Mädchen, das sich weinend die Augen reibt, und nennt die Skulptur „In Memento Vietnam“. Das ist eine bloße Pflichtübung, dem Thema unangemessen, weil viel zu konventionell und ohne jede Schärfe umgesetzt.

Rheinisches Landesmuseum Bonn, Colmantstraße (ab heute bis 18. Oktober, Di.-Fr. 9-17 Uhr, Mi.9-20 Uhr, Sa./So. 11-17 Uhr, Mo. geschlossen; Katalog 29,80 DM). Weitere Stationen Mannheim und München.




Dem Ruf der Dinge folgen – Kölner Ausstellung über Joan Miró als Bildhauer

Von Bernd Berke

Köln. Am Rhein huldigt man dem berühmten Spanier gleich zweifach. Während in Düsseldorf noch bis zum 20. April ein Überblick zum malerischen Oeuvre von Joan Miró zu sehen ist (WR berichtete), zeigt das Kölner Museum Ludwig von heute bis zum 8. Juni die dreidimensionalen Arbeiten des Katalanen.

Den hohen Bekanntheitsgrad seiner Bilder voraussetzend, konnte man in der Landeshauptstadt alte Vorurteile „ankratzen“, denen zufolge Miró ein „ewiges Kind“ geblieben sei. So einfach ist es in der Domstadt nicht: Die Skulpturen und Objekte Mirós, in solcher Fülle erstmals außerhalb Spaniens ausgestellt, müssen überhaupt erst einmal als eigenständiger Teil des Werks zur Kenntnis genommen werden.

Die Schau gibt sich bewußt ahistorisch, die rund 100 Objekte aus den Jahren 1931 bis 1975 und die zahlreichen Vorzeichnungen (Katalog 32 DM) sind nicht chronologisch, sondern eher nach assoziativen Mustern geordnet. So bilden etwa jene Arbeiten, bei denen die Textur, also die sinnlich ertastbare Beschaffenheit der Oberfläche, den Hauptakzent setzt, eine eigene Untergruppe. Hier finden sich Arbeiten, die an urtümliche Gesteinsformationen erinnern, andere gleichen totemistischen Kultgegenständen archaischer Religionen. Auch die farbigen Skulpturen, dem malerischen Werk näher verwandt, wurden einander zugeordnet.

Schwerpunkt sind die „Objets trouvés“, also die vorgefundenen Zivilisations- und Natur-„Abfälle“ (meist mediterranes Strandgut). Vom Knochenfund bis zur ausgedienten Telefonklingel und zum Wasserhahn reichen die Dinge, die Miró um sich versammelte. Der schöpferische „Gärprozeß“, aus denen die Gegenstände künstlerisch geformt hervortraten, dauerte oft viele Monate. Miró wartete gleichsam, bis die Dinge ihn „riefen“, bis sie poetischen Zauber und Magie entfalteten, ja bis sie zu „Personen“ wurden, die Miró dann „nur noch“ ausformen mußte. Der Ursprung der montierten Gegenstände wird dabei nie kaschiert, er bleibt weiterhin „lesbar“ – ein Umstand, der selbst die größten Objekte noch im faßbaren, menschlichen Maß beläßt. Erdrückende Monumentalität findet man nirgendwo.

Nach surrealistischem Prinzip, aber nicht symbolschwer, montiert Miró die vorgefundenen Bruchstücke der Wirklichkeit, mit heiterer Leichtigkeit oder milder Ironie, hinter der Ängste nur sanft und geläutert durchschimmern. Den Assoziationen des Betrachters sind kaum Grenzen gesetzt. So mag sich ein Kleiderhaken im Figurzusammenhang zur Nase verwandeln, diese wiederum zum Zeichen des Geschlechts. Ein Kleiderständer mit hölzern-phallischer Ausprägung, versehen mit einem Regenschirm, stellt einen abstrusen „Kavalier“ nach Surrealisten-Art vor.

Auch in der oft verwendeten Eiform (Frauenskulpturen) mag man ein Symbol sehen, etwa für Mütterlichkeit und Fruchtbarkeit, in der Muschel wiederum die Anspielung aufs primäre weibliche Geschlechtsmerkmal. Doch die Symbolsprache ist nie erstarrt und eindeutig festgelegt, sondern bewegt sich frei wie im Vogelflug. Zudem lassen bewußte Nachlässigkeiten in der Gestaltung nie den Eindruck des Fertigen oder gar Weihevollen aufkommen.