Golden Globe für die Amazon-Serie „Goliath“ – Jetzt aber endlich mal `reinschauen!

Die Golden Globes sind verliehen: „LaLaLand“ ist mit sieben Trophäen der große Gewinner; Meryl Streep und Moderator Jimmy Fallon setzten Spitzen gegen Trump. Der Preis für den besten Darsteller in einer Serie für Billy Bob Thornton macht noch einmal auf eine Serie aufmerksam, die es verdient hat: „Goliath“.

Billy Bob Thornton als Anwalt in der Serie "Goliath". (© Amazon Prime Video)

Billy Bob Thornton als Anwalt in der Serie „Goliath“. (© Amazon Prime Video)

Es war ein Überraschungsgewinn für Billy Bob Thornton. Er hat ihn für eine ungewöhnliche Rede genutzt: Anstatt sich bei unzähligen Crew-Mitgliedern, Freunden und Familie zu bedanken oder die eigene Leistung in den Vordergrund zu stellen, würdigte er den Produktionsassistenten Luke Scott, der mit gerade einmal 23 Jahren gestorben ist. Wegen ihm sei er gern zur Arbeit gekommen, so Thornton.

Menschlicher Straßenhund

Wenn man „Goliath“ (eine Amazon-Serie) sieht, kann man sich vorstellen, dass Luke Scott nicht der einzige Grund dafür war – so menschlich und differenziert spielt Billy Bob Thornton. Wenn man ihn in seiner Rolle als Billy McBride allerdings das erst Mal zu Gesicht bekommt, ist es ein Schock: Hager, abgehalftert, gezeichnet wirkt dieser ehemalige Star-Anwalt, das menschliche Pendant zu den Straßenhunden, die ihm so am Herzen liegen.

Das Vermögen, das er als Gründer und einstiger Vorzeige-Verteidiger der riesenhaften Kanzlei „Cooperman & McBride“ angehäuft hatte, ist längst versoffen. Seine Existenz spielt sich zwischen seinem heruntergekommenem Motel-Zimmer und seiner Stammkneipe ab. Die Talfahrt wird gestoppt, als Billy ein scheinbar aussichtsloser Fall angetragen wird: Vor Jahren starb ein Mann bei einer Bootsexplosion auf dem Pazifik, seine Witwe wurde mit einer Selbstmord-Geschichte abgespeist. Jetzt aber kommt der Verdacht auf, dass der Rüstungskonzern BornsTech illegale Tests verschleiern wollte. Billy McBride wittert den Fall seines Lebens – und die Chance, sich an seiner einstigen Kanzlei zu rächen, die den Gegner vertritt.

Klares Schema

Zugegeben, die Rollen sind in dieser Serie klar verteilt: Genau, wie der Titel es erwarten lässt, tritt hier ein Underdog gegen einen scheinbar unbesiegbaren Riesen an. McBrides winziges Team besteht aus gesellschaftlichen Außenseitern, der Kontrahent verfügt über schier unendliche Geld- und Personalmittel und keinerlei lästige Moralvorstellungen.

Was aber zwischen diesen klaren Eckpfeilern geschieht, ist mitreißend: Billy Bob Thornton spielt McBride nicht als strahlenden Helden, sondern als zweifelnden, zynischen, zutiefst misstrauischen Gefallenen, der sich ein letztes Mal gegen den scheinbar unaufhaltsamen Untergang aufbäumt und dabei beinahe (psychisch und physisch) zu Grunde geht. Als einsamer Outlaw wirkt er den Menschen entwöhnt; ein knurriger Kämpfer, der zur Erreichung seiner Ziele durchaus auch nicht immer moralisch glänzt. Seine Fehler aber verblassen angesichts seines Kontrahenten Mr. Cooperman, den William Hurt so überzeugend als personifiziertes Böses gibt, dass es einem übel wird.

Sein eigener Feind

Ohnehin greift einen die Serie regelrecht an, so viel leidet man mit dem Anti-Helden McBride mit: Letztlich sind es nicht nur die empfindlichen Rückschläge, die er von der Gegenseite einstecken muss. Dieser verkappte Romantiker ist sich selbst eigentlich schon Feind genug.

Die harte, graue Tonalität ist somit ganz anders, als man es von David E. Kelley erwarten könnte, der „Goliath“ gemeinsam mit Jonathan Shapiro für Amazon produziert hat. Einst nämlich machte er mit lustigen Anwälten wie in „Ally McBeal“ und „Boston Legal“ von sich Reden.




Furien des Verschwindens – Der Film „The Man who wasn’t there“ von den Gebrüdern Joel und Ethan Coen

Von Bernd Berke

„Get lost!“ heißt es im Original immer wieder an entscheidenden Stellen: „Verschwinde!“ Es ist ein Leitwort des neuen Films der Gebrüder Joel und Ethan Coen („Barton Fink“, „Fargo“, „The Big Lebowski“). Es geht um seltsame Unschärfen menschlicher Biographien, in deren Flackern das Individuum verloren gehen kann.

Den Titel „The Man who wasn’t there“ könnte man so übersetzen: Der Mann, den es nicht gab. Nun, dieser Kerl namens Ed Crane (phänomenal: Billy Bob Thornton) scheint zwar auf Erden zu wandeln. Allerdings fühlt er sich wie ein Geist, fristet er doch anno 1949 ein provinzielles Schattendasein als Friseur. Auch seine Ehe mit Doris (Frances McDormand) ist Brachland. Ed gibt sich, im Stile eines Humphrey Bogart, lakonisch gelassen. Doch innerlich brennt bei dem ungeheuer wortkargen Kettenraucher eine seelische Lunte.

Dieser zittrige Zwiespalt und alle Weiterungen sind in tief „atmenden“ Schwarzweiß-Bildern eingefangen, wie denn überhaupt die Qualitäten ungefärbter Licht- und Schattenwerte klassisch ausgespielt werden. Der Film wirkt, als sei er am Ende der 40er Jahre gedreht worden. Jede Figur in diesem Meisterwerk gewinnt ungeheure Präsenz: Jeder Mensch hat Größe, gerade weil er jederzeit undeutlich werden und „verschwinden“ kann. Natürlich hat das mit der Sterblichkeit der Gattung zu tun, so dass all dies auch eine Meditation über den Tod ist. Sein oder Nichtsein.

Ein Friseur will heraus aus seinem leeren Leben

Der Friseur will also ‚raus aus seinem Dasein, aus diesem Wartestand am Rande der großen Leere. Eines Tages keimt Hoffnung. Ein Kunde im Frisiersalon, Handelsvertreter von Beruf, will in die Trockenreinigungs-Branche einsteigen. Es fehlen ihm nur 10.000 Dollar. All das erzählt er Ed beim Haarschnitt. Damit beginnt das Verhängnis. Ed wittert eine Chance. Um an das Geld zu kommen, erpresst er brieflich Big Dave, den Chef seiner Frau. mit dem sie ein Verhältnis hat. Dave kommt dahinter, stellt Ed zur Rede, wird handgreiflich. Die Stichwaffe liegt bereit, es geht wie von selbst. Ed ist zum Mörder geworden.

Mit dem Geld, das Ed ihm gegeben hat, verschwindet der Trockenreinigungs-Fritze über alle Berge. Schlimmer: Bald taucht die Polizei im Friseurladen auf – und Ed will sich schon ins Schicksal fügen. Doch die Herren teilen ihm mit, dass seine Frau unter Mordverdacht steht. Hat sich denn seine eigene Schuld spurlos verflüchtigt?

Nun muss ein teurer Anwalt her. Und dieser intellektuelle Teufelskerl namens Freddy Riedenschneider (Tony Shalhoub) erhebt die Verteidigung zur quasi-philosophischen Angelegenheit. Von der Heisenbergschen Unschärfe-Relation spricht er und überträgt sie auf den Fall. Hinter gewissen Nebeln der Logik, so doziert er, könne ein Mensch mitsamt allen Verdachtsmomenten gleichsam unsichtbar werden.

Auch hier walten die Furien des Verschwindens. Sie machen Ed zum Gespenst seiner selbst. Seine Frau sitzt in U-Haft. Wenn er nun allein durch die Straßen geht, so schaut er niemanden an. Und keiner nimmt ihn wahr. Als wenn es ihn gar nicht gäbe. Letzte Chance auf Wirklichkeit: Ed verguckt sich in die lolitahafte Pianistin „Birdie“. Er will ihr den besten Lehrer verschaffen. Doch sie erweist sich als mindere Begabung. Da stößt Ed sie brüsk von sich.

Den Ausgang verraten wir hier nicht. Der äußerst subtil durchkomponierte Zweistunden-Film, in Cannes mit dem Regiepreis gekrönt, hat weit ins Unerklärliche ausgegriffen und eine Sphäre jenseits der gängigen Realität beschworen. Ergo: ein Werk, das gewiss nicht so schnell verblassen wird.