Blinky Palermo: Rebellion mit Wasserwaage

Düsseldorf. Mit Blinky Palermo verhält es sich so: Manche seiner Arbeiten hat dieser Künstler aus Unzufriedenheit selbst vernichtet. Von vielen anderen hat sich später die Spur gleichsam im Nichts verloren.

Das erhaltene Gesamtwerk des 1977 mit nur 33 Jahren auf den Malediven gestorbenen Künstlers ist überschaubar. Nur rund 200 größere Bilder und Objekte sowie etwa 600 Zeichnungen nennt der Œuvre-Katalog. Wohl gerade deshalb gilt Palermo als Mythos. Knappes Werk und früher Tod – das sind nach den Marktgesetzen zwei Bedingungen, die solch einen Status begünstigen können.

Jetzt zeigt die Düsseldorfer Kunsthalle einen Überblick zum schmalen Schaffen – den allerersten in jener Stadt, in der Palermo einst Meisterschüler des noch ungleich berühmteren Joseph Beuys gewesen ist. Damals bekam der Mann, der bürgerlich Peter Heisterkamp hieß, von Künstler-Kumpanen den Spitznamen „Blinky Palermo” – wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit dem berüchtigten US-Mafioso und Boxmanager.

Zu sehen sind Stoffbilder (Kaufhausware, auf Rahmen gezogen), Metallbilder (in bis zu 20 Schichten bemaltes Aluminium) und Installationen. Palermo ist nicht zuletzt ein „Künstler für Künstler”. Bis heute interessieren sich auch und gerade Leute vom Fach für seine Schöpfungen. Seine meist titel- und gegenstandslosen Versuchsanordnungen wirken auf den ersten Blick oft spröde; obwohl hie und da ein Blau kontemplative Weite verströmt oder ein Rot lebensgierig leuchtet.

Formale Spitzfindigkeiten liegen nahe: Warum hat er gerade diese Farben auf diese Weise angeordnet? Wieso verlaufen die „Nähte” dazwischen so und nicht anders? Palermo hatte außerordentlich präzise Vorstellungen von seinem Tun, vielfach arbeitete er buchstäblich mit der Wasserwaage. Auf Bildrückseiten notierte er häufig exakte Vorgaben zur Hängung.

Erstaunlich nun, wie aus dieser vermeintlich so ordentlich gefügten Welt der Quadrate, Rechtecke und Dreiecke dann doch Visionen eines befreiten Daseins aufsteigen. Einigermaßen paradox gesagt, setzt sich eine geradezu mustergültige Regellosigkeit durch. Es ist eine stille Revolte mit dem Lineal.

Anhand der Düsseldorfer Auswahl kann man gut verfolgen, wie sich die geometrischen Ur-Elemente immer freier im Bildraum bewegen. Irgendwann lösen sich diese Einzelformen vollends heraus und befinden sich auf einmal hoch oben an der Wand, als wäre da etwas explodiert. Sie sind als Objekte in den Raum vorgedrungen und haben ihn neu definiert. Ein anderes Koordinatensystem als Vorbote einer anderen Wirklichkeit?

All diese Arbeiten sind seit Mitte der 60er Jahre entstanden. Die damals so rebellische Stimmung wird indirekt spürbar, fern von plakativen Effekten. Worin wohl die Einflüsse von Beuys gelegen haben? Vielleicht vor allem in einer Aufforderung dieser Art: Sei so frei, dir selbst zu folgen!

Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4. Bis 20. Januar 2008. Di-Sa 12-19, So 11-18 Uhr. Eintritt 5,50 €, Katalog (erst Mitte November) 29,80 €.




Die Freiheit der Kunst kann zur Ratlosigkeit führen – Ausstellung „Das offene Bild“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. „Sobald man darüber redet, wird die Sache richtig kompliziert“, befürchtet Erich Franz. Doch unbefangen und mit wortlosem Wohlgefallen kann man die Schau, die er für das Münsteraner Landesmuseum zusammengestellt hat, eben auch nicht betrachten. „Das offene Bild“ heißt sie, und sie soll mit rund 200 Beispielen von 80 europäischen Künstlern zeigen, wie man sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr von fixen und fertigen Bild-Aussagen verabschiedet hat.

Genau das macht die Deutung neuerer Kunst so schwierig, denn auch sie ist ja seither ins Offene – und häufig genug wohl auch ins gänzliche Belieben des Betrachters gestellt. Weniger eine Schau zum Schwelgen also, eher eine zum Kopfzerbrechen, sattsam mit theoretischer Fracht beladen.

Viele Wege führen zum offeneu Bild. Ein paar Beispiele nur: Bei Gerhard Hoehme schlängeln sich zaghaft kleine Tentakeln aus der geschlossenen Bildfläche heraus. Wolf Vostell öffnet Plakatbilder, indem er ihre Außenhaut verletzt. Patrick Saytours aufgehängte Tücher werden erst durch ihre Gegenwart im Museum zur Kunst ernannt. Ihr regelmäßiges, ja eintöniges Muster könnte sich unendlich, also weit über das eigentliche Bild hinaus fortsetzen.

Und weiter: Bei Blinky Palermo sind die Teile eines Bildes gleichsam explodiert – und finden sich als Einzelstücke wieder, über die Wand verstreut und in ein neues Spannungsverhältnis zueinander gebracht. Daniel Spoerri wiederum bannt mit Klebstoff ein ganzes Heimwerker-Stilleben samt Bohrer auf eine Platte – das Bild als Wirklichkeit, die Wirklichkeit als Bild.

Pures Material oder Entmaterialisierung

Zwei Grundstrategien zeichnen sich ab: Manche Künstler (wie etwa Jean Dubuffet) lassen das Bild als pures Material zur Geltung kommen, sie häufen beispielsweise die Farbe zu fingerdicken, ertastbaren Landschaften auf oder stellen gleich vollends unbehandelte Leinwände aus. Andere (wie Günther Uecker oder Lucio Fontana) erproben umgekehrt die Ent-Materialisierung, indem sie flüchtige Vorgänge wie Schatten- und Lichtreflexe oder den Prozeß des Herstellens und Betrachtens (Fluxus-Kunst) einbeziehen. Sie alle sprengen den Rahmen, vormals ein Gütezeichen der (Ab-)Geschlossenheit. Wenn in Münster dennoch einige Bilder gerahmt oder hinter Glas gezeigt werden, so hat das ausschließlich konservatorische Gründe.

Planvolle Kompositionen, souverän gestaltete Beziehungen zwischen Figur und Grund – solche akademischen Erlesenheiten gehören der Vergangenheit an. Statt dessen begegnen wir hier entgrenzten Phänomenen wie Struktur und Materie. Das Bild wird zu einer Art Körper, es will im Grunde gar nichts mehr aussagen und darstellen, sondern ist einfach da, um sich selbst zu zeigen: Hier hänge ich und kann nicht anders. Vertrackt genug! Katalog-Erwerb und/oder Teilnahme an einer Führung sind denn bei dieser Ausstellung auch ratsam, eine Video-Einführung hilft ebenfalls weiter.

Doch vielleicht entspricht eine gewisse Ratlosigkeit dieser Schau sogar am besten, denn auch die Kunst scheint ja vor lauter Freiheiten selbst immer unsicherer geworden zu sein.

„Das offene Bild“. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster. Bis 7. Februar 1993. Tägl. außer Mo. 10-18 Uhr. Katalog 48 DM.