Kunst spontan gekauft – Sammlung Klinker in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Helmut Klinker, ohne dessen stetes Drängen es das Bochumer Museum wohl kaum in seiner erweiterten Form gäbe, sammelt Kunst spontan: „Als ich meine Stücke hier wieder einmal dicht beieinander sah, wirkte es wie Chaos. Alle Stilrichtungen bunt gemischt“, sinniert der Mäzen selbstironisch.

Die Sammlung des Industriellen, 350 Unikate (Malerei, Plastik) und einige Blätter Druckgraphik, ist vom Wochenende an im Museum Bochum zu sehen. Gezeigt wird, aus welchem Fundus das Bochumer Museum schöpfen kann. Per Vertrag sicherte man sich nämlich 1980 das Vorkaufsrecht an zahlreichen Stücken – zu 50 Prozent des jeweiligen Marktwerts.

Klinkers Kollektion war schon 1969 in Bochum zu sehen, ist aber seither stark angewachsen. Sie besitzt jedoch nach wie vor keinen eindeutigen Schwerpunkt, entstand sie doch vor allem aufgrund persönlicher Kontakte und Sympathien. Klinker tat sich in der jeweils aktuellen Kunstszene um und kaufte von Studenten der Düsseldorfer Akademie, als sie noch unbekannt waren. Was von Bestand ist, erweist sich oft erst Jahre nach dem Erwerb. Skepsis dürfte bei einigen Großformaten der „Wilden“ angebracht sein, auf die sich Klinker derzeit konzentriert.

Besonders unter den „älteren“ Stücken, vom Urteil der Kunsthistoriker (vorläufig) eher abgesichert, findet sich Bemerkenswertes. Vor allem Werke der Informellen (z. B. Emil Schumacher; Gerhard Hoehmes „Aufsteigendes Blau“ von 1956) sowie Arbeiten von Josef Albers, Yves Klein oder Markus Lüpertz lassen manche Bereicherung für das Museum Bochum erhoffen.

Museum Bochum: „Sammlung Klinker“. Bis l. Juli. Öffnungszeiten: dienstags bis samstags 10 bis 20 Uhr, sonntags 10 bis 18 Uhr.




Bochums OB: Aussichten für Peymanns Bleiben gestiegen – „Krisensitzung“ mit Kultusminister Schwier

Von Bernd Berke

Bochum/Düsseldorf. Ist er mit dem Wiener Burgtheater handelseinig geworden, oder bleibt Claus Peymann doch am Bochumer Schauspielhaus? Es darf weiter gerätselt werden – auch nach der dreistündigen „Krisensitzung“, zu der Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck Peymann und (als Vermittler) NRW-Kultusminister Hans Schwier am späten Montagabend nach Wattenscheid gebeten hatte.

Manfred Gutzmer, Pressesprecher der Stadt Bochum: „Der Oberbürgermeister ist optimistisch und beziffert die Chancen dafür, daß Peymann bleibt, jetzt wieder auf über 50 Prozent.“ Das Gespräch mit dem OB und dem Kultusminister habe „Eindruck auf Peymann gemacht“.

Nach Auskunft von Michael Rüdell, Pressesprecher des Kultusministeriums, sind Peymann von keiner Seite aus bindende Zusagen gemacht worden. Insbesondere Peymanns kostspielige Forderung nach einer zweiten Schicht seiner Technik (nötig für häufige Auswärts-GastspieIe) könne vom Land ebensowenig erfüllt werden wie sein Wunsch, die Bühne zu einem höher bezuschußten „Staatstheater“ zu machen. Rüdell: „Zur Bereitstellung von ein paar Hunderttausend Mark würden sich Mittel und Wege finden.“ Man könne, um die notwendigen Mittel freizumachen, notfalls den gesamten Haushalt des Kultur-Ressorts auf Einsparmöglichkeiten durchforsten oder auch beim Finanzministerium sogenannte „überplanmäßige Mittel“ beantragen. Die Hauptlast der finanziellen Zugeständnisse müsse gegebenenfalls aber die Stadt Bochum tragen. Dort war zu erfahren, daß man sich „über gewisse Steigerungsraten“ beim 17,5-Mio.-Zuschuß fürs BO-Theater durchaus verständigen könne.

Bochums OB Eikelbeck ging gestern auf Reisen – dem Vernehmen nach nicht in Richtung Wien, sondern rein privat nach Paris. In Wien jedenfalls gehen alle beteiligten Stellen davon aus, daß Peymann an die „Burg“ kommt; es ist gar von einer „Zusage“ die Rede, wobei in der Schwebe gelassen wird, ob bereits Unterschriften geleistet wurden.

Schwiers Sprecher Rüdell faßt die in Wattenscheid gewonnenen Eindrücke bündig zusammen: „Ein Pokerspiel, und zwar auf fallen Seiten.“ Minister Schwier, der in Begleitung eines Finanzexperten erschienen war, habe Peymann nahegelegt, sich genau zu überlegen, „was er da eigentlich gegen seine Tätigkeit in Bochum eintauschen würde.“ Der Kultusminister wolle Peymann zwar in NRW halten, werde dem Intendanten aber „nicht nachlaufen“. Schwier habe mit seiner Vermittlerrolle Oberbürgermeister Eikelbeck „eine Gefälligkeit erweisen wollen“. Nun erwarte man in Kürze eine von Peymann angekündigte Erklärung. Da Peymann Eikelbeck versprochen hat, zuerst ihn persönlich von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen, wird die Erklärung vermutlich frühestens nach der Rückkehr Eikelbecks am 5. April erfolgen. Bis dahin soll Rolf Paulin, Verwaltungsdirektor des BO-Theaters, mit Schwiers Finanzexperten Vorverhandlungen aufnehmen.




Im neuen Haus behält man den Durchblick – Erweiterungsbau des Bochumer Museums

Von Bernd Berke

Bochum. „Das Prinzip Hoffnung“ lautet der Titel der ersten Ausstellung im eindrucksvoll erweiterten Museum Bochum, das gestern von NRW-Ministerpräsident Johannes Rau feierlich eröffnet wurde. Dieses Prinzip liegt wohl dem gesamten Neubau zugrunde, der von den Kopenhagener Architektur-Professoren Bo und Wohlert geplant und für 16,6 Millionen Mark an die alte Villa Marckhoff-Rosenstein gesetzt wurde.

1977 war der Beschluß, ein „neues Haus“ zu errichten, im Bochumer Kulturausschuß gefallen. Schon bald darauf wäre solch ein Wagnis,mit Sicherheit Sparerwägungen zum Opfer gefallen. Der Bau ist heute schon eine Erinnerung an bessere Zeiten.

Museumsleiter Dr. Peter Spielmann sprach gestern von einem Museum „mit menschlichen Dimensionen“, das weniger der Repräsentation als der ungezwungenen Begegnung mit der Kunst förderlich sei. Spielmann: „Alles ist möglich von der Aktion bis zur Meditation.“ Trotz des schmalen Etats für den Ankauf neuer Werke (für 1984 nur 150000 DM) glaubt man, neben dem renommierten Bochumer Schauspielhaus eine weitere Kultur-Institution von überregionalen Rang geschaffen zu haben.

Der Neubau an der Kortumstraße besticht vor allem durch Offenheit: Immer wieder bieten sich von jeder der drei Ebenen überraschende und die Kunstwerke in andere Zusammenhänge stellende Durchblicke. Ein Forum ermöglicht Musik- und Theaterdarbietungen, flexible Stellwände lassen einen den wechselnden Erfordernissen anpaßbaren Aufbau zu, Freiterrassen ermöglichen die Präsentation von Skulpturen. Während unten Kunstlicht (aber bewußt kein Neonlicht) die Exponate erhellt, fällt oben natürliche Helligkeit durch tütenförmige Aufbauten in die Ausstellungsräume und verleiht den gezeigten Werken Plastizität.

Auf über 2800 qm Ausstellungsfläche (will man alle Exponate sehen, ist der Rundgang 1 km lang) soll jeweils eine Auswahl der Eigenbestände mit immer anderen Ausstellungen konfrontiert werden. So werden Qualitäten des Eigenbesitzes in immer neue Bezüge gesetzt. Ein besonderer Akzent liegt auf Werken der osteuropäischen Kunst.

Die gestern gleichzeitig mit dem Museumsneubau eröffnete Ausstellung „Das Prinzip Hoffnung – Aspekte der Utopie in der Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts“ (bis 15.1.) ist dem Philosophen Ernst Bloch gewidmet, dem Autor des Buchs „Das Prinzip Hoffnung“, gewidmet. Seine Witwe Carola Bloch zählte gestern zu den Eröffnungsgästen.

Konzipiert ist die Ausstellung als Aufeinanderfolge zahlreicher „kleiner Ausstellungen“. Während man zunächst Schwierigkeiten hat, den Begriff „Hoffnung“ auf die gezeigten Werke zu beziehen, entfaltet sich nach und nach ein puzzleartig aufgebautes Panorama der neueren Kunstgeschichte, beginnend mit surealistischen und symbolistischen Arbeiten (unter anderem Munch, Max Ernst, Konrad Klapheck) über das Bochumer Spezialgebiet „Informel“ (Gerhard Hoehme, Emil Schumacher), die russische Revolutionszeit (als Rarität: Tatlins erster Entwurf des „Turms der dritten Internationale“) bis hin zu Kinderzeichnungen aus dem KZ Theresienstadt und von Computern entworfenen Bildern.

Verschiedenste, manchmal als Anklage „formulierte“ Ausprägungen von Zukunftsgewissheit werden erkennbar, auch in den dokumentarischen Beigaben, die Bürgerbeteiligung an Wohnprojekten und die Entstehung neuer Wohn-, Lebens- und Arbeitsformen zu Thema haben.




Peymann bleibt doch bis August 1986 in Bochum – SPD-Meinungskorrektur nach Spar-Zusage des Schauspieldirektors

Von Bernd Berke

Bochum. Gegen 21 Uhr waren die Würfel gefallen. Bochums SPD-Fraktion korrigierte ihr Votum vom Montag und entschied sich „mit großer Mehrheit“ dafür, den Vertrag des Schauspieldirektors Claus Peymann doch um zwei weitere Jahre zu verlängern.

Es gilt damit als sicher, daß Peymanns Vertrag nunmehr bis zum 31. August 1986 läuft und nicht bereits am 31. August 1984 endet. Wie Peter Hampel, der die Geschäfte der Bochumer SPD führt, gegenüber der WR erklärte, kann das Thema Peymann höchstens dann noch einmal zum Gegenstand der Ratssitzung am 10. Februar werden, wenn eine andere Fraktion – etwa die CDU – einen ausdrücklichen Antrag stellt. Andernfalls verlängere sich Peymanns Vertrag automatisch. Sollte wider Erwarten eine Abstimmung im Rat nötig werden, werde die SPD-Fraktion, so Hampel, sich ihrem gestern gefaßten Beschluß entsprechend verhalten.

Wie weiter zu erfahren war, war der gestrigen Abstimmung der SPD-Fraktion eine dreistündige, „sehr harte und hitzige“ (Hampel) Debatte vorausgegangen. Den Ausschlag hat schließlich vor allem die Tatsaehe gegeben, daß Peymann zuvor dem Bochumer Oberstadtdirektor Herbert Jahofer (SPD) zugesagt hatte, kooperativ an dem von der Stadt angepeilten Finanzkonzept für das Bochumer Theater mitzuwirken. Dies Konzept sieht nach einem ebenfalls in dieser Woche erfolgten Beschluß des Haupt- und Finanzausschusses vor, für 1983 den Zuschußbedarf der Bühnen bei 17,33 Mio. DM festzuschreiben. Das bedeutet, daß die Zuschüsse – verglichen mit 1982 – auf dem alten Stand „eingefroren“ werden. Mittelfristig sollen weitere Einsparungen durch Einnahme-Steigerungen bzw. Ausgabenkürzungen erzielt werden. Zielvorstellung: Einsparungen von einer bis 1,5 Mio. DM.

Peter Hampel wertete das Votum für Peymann in einer ersten Stellungnahme als „mutige Entscheidung“ angesichts der schlechten Finanzlage. Daß diese Entscheidung vertretbar sei, habe auch einzelnen Mitgliedern der SPD-Fraktion „erst noch vermittelt werden müssen“.




Bochums Ensemble stellt sich hinter Peymann – Hektische Betriebsamkeit nach SPD-Abstimmung

Von Bernd Berke

Bochum. Hektische Betriebsamkeit hat gestern am Bochumer Schauspielhaus die Nachricht ausgelöst, daß die SPD-Fraktion sich – wie berichtet – mit einer Mehrheit von 20:19 Stimmen gegen eine Vertragsverlängerung für Schauspieldirektor Claus Peymann aussprach.

Um 15 Uhr begann eine Ensemble-Versammlung, die bis etwa 17 Uhr dauerte, danach tagte das Direktorium (Peymann, Kirchner, Beil, Jensen und Paulin) bis gegen 19.30 Uhr. Während das Direktorium noch keine Erklärung abgab, verfaßte das Ensemble einen Brief, der gestern abend Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck überbracht wurde. In dem Brief steht ein einziger Satz: „Die Nichtverlängerung des Vetrags von Claus Peymann wird mit Sicherheit die Bochumer Theaterarbeit zerstören.“ Unter dem Brief stehen über 60 Unterschriften. Damit hat sich beinahe das gesamte Ensemble hinter Peymann gestellt. Etwa 10 Unterschriften fehlen, weil einige Schauspieler nicht erreichbar waren. In Peymanns Umgebung wird vermutet, daß andernfalls auch diese Ensemblemitglieder unterzeichnet hätten.

Das Direktorium des Schauspielhauses werde dem lakonischen Ensemble-Brief eventuell heute eine Erklärung folgen lassen, hieß es gestern abend. Claus Peymann selbst war den ganzen Tag über zu keiner offiziellen Stellungnahme bereit.

Unterdessen hat der Bochumer Landtagsabgeordnete Georg Aigner durchblicken lassen. auf welche Weise es zu dem ablehnenden Beschluß der SPD-Fraktion gekommen sein könnte. In der achtstündigen Fraktionsdebatte am Montag war es 4 Stunden lang um Etatfragen und weitere 4 Stunden lang vornehmlich um Peymanns Person gegangen. Etatfragen scheinen auch – zumindest im Vordergrund – eine Rolle beim Abstimmungsergebnis über Peymanns Vertrag gespielt zu haben. Aigner sagte, er sei zuversichtlich, daß Peymann in Bochum bleiben könne, falls der Schauspieldirektor bereit sei, über sein Sparangebot von 1,7 Millionen DM hinaus weitere Kürzungen am Theateretat hinzunehmen. Wie Aigner ergänzend mitteilte, hätten sich aber auch einige andere Meinungsverschiedenheiten zwischen Peymann und einer großen Anzahl von Ratsmitgliedern angestaut.

Bei den angedeuteten Differenzen zwischen Peymann und Stadtrat könnte es sich zum Beispiel um Peymanns Verhalten bei der Schließung der Spielstätte „BO-Fabrik“ handeln. Peymann hatte damals die Aktion einiger Jugendlicher gutgeheißen, die das Bochumer SPD-Büro besetzt hatten und war besonders mit dem Fraktionsvorsitzenden Hossiep in Streit geraten.




Muß Peymann Bochum verlassen?

Von Bernd Berke

Bochum. Die Vertragsverlängerung zwischen dem Direktor des Bochumer Schauspiels, Claus Peymann, und der Stadt Bochum ist stark gefährdet.

Wie gestern bekannt wurde, hat sich die SPD-Fraktion mit der denkbar knappen Mehrheit von 20:19 Stimmen gegen eine Fortführung des Vertragsverhältnisses ausgesprochen. Bochums Kulturausschußvorsitzender Hans-Dieter Kaulfuß meinte gegenüber der WR, er sehe „gewisse Möglichkeiten, die Fraktionsmitglieder noch umzustimmen“.

Peymanns Vertrag läuft, falls er nicht doch verlängert wird, am 31. August 1984 aus. Die endgültige Entscheidung fällt am 10. Februar im Rat.

Der Bochumer CDU-Pressesprecher Paul Schrader glaubt angesichts der Stimmungslage in seiner Fraktion, daß jetzt kaum noch Chancen für eine Vertragsverlängerung bestehen. Vermutlich am 7. Februar wird in der CDU-Fraktionssitzung abgestimmt. Die CDU verfügt im Rat über 27 Stimmen, die SPD über 44, die F.D.P, hat eine Stimme, die „Liberale Fraktion“ drei.

Bestandteil von Peymanns Vertrag ist eine beiderseitige Mitteilungspflicht darüber, ob der Vertrag verlängert werden soll. Eine solche Mitteilung muß eineinhalb Jahre vor Vertragsende erfolgen, hier also bis Ende Februar 1983.

Das genaue Abstimmungsergebnis in der SPD-Fraktion lautete: 20 Stimmen gegen Vertragsverlängerung, eine Enthaltung und die schriftliche Äußerung eines abwesenden Fraktionsmitglieds, das für Peymanns Verbleib votierte. Kulturausschuß-Vorsitzender Kaulfuß konstatiert „eine Art Patt-Situation“ und hofft auf einen Sinneswandel. Dadurch, daß vier SPD-Fraktionsmitglieder nicht an der Abstimmung teilnahmen, gibt es noch eine geringe Aussicht.

Peymann wurde noch nicht offiziell über das Abstimmungsergebnis in der SPD-Fraktion informiert und war bis gestern Abend auch nicht zu erreichen. Es hieß, er sei nach einer Probe direkt nach Düsseldorf gefahren.

Kürzlich hatte Peymann vergleichsweise maßvoll auf inzwischen aufgegebene Erwägungen reagiert, die Kammerspiele zu schließen.




Auch Dortmunder Theater erwägt verbilligte Karten für Arbeitslose – Umfrage nach Krefelder Initiative

Von Bernd Berke

Im Westen. Sehr unterschiedliche Reaktionen hat die Nachricht ausgelöst, daß das Krefelder Theater als angeblich erste deutsche Bühne Karten für Arbeitslose um die Hälfte billiger abgeben will.

Während es beim Wuppertaler Theater auf WR-Anfrage hieß, dies könne beispielgebend sein, meinte Bochums BühnenVerwaltungsdirektor Dr. Rolf Paulin: „Verbilligte Theaterkarten für Arbeitslose sind ein uralter Hut. Die gibt’s in Bochum schon seit langem“.

Während in Bochum der Eintrittspreis für Erwerbslose um 50 Prozent reduziert ist, gibt es beim Westfälischen Landestheater (WLT) in Castrop-Rauxel 40 Prozent Ermäßigung. WLT-Rendent Günter Dammeier: „Was die Krefelder jetzt machen wollen, praktizieren wir schon seit Jahren“. Das Angebot werde freilich nicht sehr intensiv genutzt. Eine möglich Erklärung dafür hat Bochums Verwaltungsdirektor Paulin parat: „Kaum ein Arbeitsloser nimmt die Vergünstigung in Anspruch. Die meisten wollen sich lieber nicht zu erkennen geben auch nicht an der Theaterkasse“. Deshalb hätten Bochums Kassierer auch strikte Anweisung, sich nur kurz die übliche Arbeitslosen-Bescheinigung zeigen zu lassen. In Münster wird’s schon komplizierter: Dort müssen Arbeitslose vor verbilligtem Kunstgenuß ein Extra-Papier vorlegen.

In Dortmund gibt es noch keine entsprechenden Ermäßigungen. Wie der stellvertretende Theater-Verwaltungsdirektor Friedrich Gidde der WR sagte, wird eine solche Regelung jedoch seit einigen Wochen ernsthaft erwogen. Gidde: „Das Thema wird den Rat mit Sicherheit in Kürze beschäftigen“. Wenn es eine neue Preisgestaltung geben sollte , so werde sie frühestens zum Beginn der nächsten Saison wirksam. Auch in Dortmund hätten die Betroffenen sich bislang nicht geregt. Friedrich Gidde: „Kein einziger Arbeitsloser hat sich bei uns nach eventuellen Preissenkungen erkundigt.“

Überhaupt keine Chancen gibt man einer Kartenermäßigung in Hagen. Wie aus der Theaterverwaltung zu erfahren war, glaubt man dort, angesichts der Sparzwänge keine Mindereinnahmen verkraften zu können. Wuppertals Verwaltungsdirektor Erich Neumann hingegen hat sich das Krefelder Beispiel zu Herzen genommen. Er will „seinem“ Kulturdezernenten demnächst entsprechende Überlegungen vortragen.

Übrigens: Die Agenturmeldung aus Krefeld hatte einen weiteren Haken. Nicht nur, daß Krefeld gar nicht als erstes Theater preiswerte Arbeitslosenkarten anbietet. Auch den Stadtrat hat der Vorschlag des Generalintendanten noch nicht passiert, sondern erst den Kulturausschuß. Da es dort ein einstimmiges Votum gab, rechnet man allerdings fest mit der Zustimmung des Rates.




„Freie Schule“: Kinder ergreifen erstaunlich schnell die Initiative – Unterricht hat trotz Ablehnung des Kultusministeriums begonnen

Von Bernd Berke

Bochum. Die ersten Unterrichtsstunden in der „Freien Schule“ Bochum-Dahlhausen sind vorüber. Wie berichtet, begann dort am Montag – einer Ablehnung des Düsseldorfer Kultusministeriums zum Trotz – der „Schulbetrieb“. Was tat sich ini den ersten Tagen?

Die Startphase ist mit derjenigen einer Regelschule kaum vergleichbar: Die neun Jungen und Mädchen im Alter von zehn bis dreizehn Jahren bekommen in ersten Woche Gelegenheit, einander auf ungezwungene, spontane Weise kennenzulernen. Bisher an strenge Schulrituale gewöhnt, nutzten die Kinder diese Chance besonders am ersten Tag weidlich aus. Sie ergriffen sogleich Besitz von der schönen alten Villa. Gitarren und Bongotrommeln wurden ausgiebig traktiert. Wasserspritzflaschen aus dem Chemiezimmer blieben auch nicht unbeachtet.

Chaotisch ging es aber nicht zu. Bereits am zweiten Tag, am Dienstag, hatten sich die Kinder „ausgetobt“. Schon kamen erste Vorschläge von ihrer Seite. Daraus entstand das erste Projekt, eine Fahrradwerkstatt, in der die Kinder schrottreife Drahtesel wieder fahrtüchtig machen. Andere Aktivitäten: Modellieren in Ton, geminsames Kochen und Einkaufen sowie „Büroarbeiten“. Was andernorts das Schulsekretariat macht, erledigten gestern auf eigenen Wunsch zwei der Kinder: Sie legten eine Adressenkartei an.

Auch Führungen durch das in harter Eigenarbeit renovierte Haus übernehmen nicht etwa die Erwachsenen. Beim Rundgang durch die Räume meint die kleine Silke:„Mir gefällt es hier ganz gut. Nur langsam müßten wir auch mal etwas tun, etwas fürs Leben lernen. Mathematik, Englisch und so…“

Anfangs übernahmen die Mädchen das Kochen…

Die drei Mädchen, die sich gegen eine „Übermacht“ von neun Jungen behaupten müssen (worauf die Lehrer großen Wert legen), haben den ersten, erfolgreich bestandenen Konflikt schon hinter sich. Anfangs übernahmen sie, ihrer bisherigen Erziehung entsprechend, freiwillig das Kochen. Den Jungen war offenbar ganz wohl dabei, denn als es an den Abwasch ging, forderten sie, daß der auch von den Mädchen gemacht werden solle. Die aber wehrten sich energisch. Michaela sprach ihnen aus dem Herzen: „Ich tu keinen Handschlag mehr!“ Inzwischen schwingen auch die Jungen den Kochlöffel.

Henning Kese, der den Kindem demnächst Schwimm- und anderen Sportuntemcht geben wird, freut sich darüber, daß die Kinder schon erstaunlich viel Eigeninitiative entwickeln. Ein Junge wolle in Kürze sogar einen Fotokurs in eigener Regie anbieten. Trotz der vom Kultusministerium verweigerten Unterstützung seien die finanziellen Grundlagen der „Freien Schule“ für mindestens ein Jahr gesichert.

Spenden und Darlehen gingen reichlich ein, auch die alternative Berliner Organisation „Netzwerk“ beteilige sich. Dennoch werde man in der nächsten Woche Klage gegen den abschlägigen Bescheid aus Düsseldorf einreichen – beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.

Henning Kese: „Da das Ministerium die Erlaubnis nicht erteilt hat, müssen die Eltern der verbleibenden zwölf Kinder mit Bußgeldbescheiden rechnen. Bevor die bezahlt werden, schöpfen wir aber alle juristischen Mittel aus.“ Grund für die Bußgelddrohung: Nach ministerieller Leseart genügen die Bochumer Kinder der Schulpflicht nicht. Durch solche Komplikationen waren die Eltern von 15 Schülern so verunsichert. daß sie ihre Sprößlinge vorsichtshalber doch auf eine Regelschule schickten.

Dennoch gibt man in Bochum nicht auf. Pläne für die nächste Zeit sind schon geschmiedet. In der kommenden Woche gibt’s eim gemeinsamen Schulausflug auf einen Bauernhof bei Göttingen. Außerdem hat man Kontakt zu Ausländerorganisationen auf genommen, weil man auch an der Aufnahme türkischer Kinder interessiert ist. Im Arbeitervorort Dahlhausen leben viele türkische Familien.

Außerdem suchen die zwei Ganztagslehrer, die mit etwa zwei Dritteln des üblichen Lehrergehalts auskommen müssen, und die sieben ehrenamtlichen Helfer noch eine Schwester-Schule in Großbritannien, damit der Englischunterricht durch Besuche auf der Insel ergänzt werden kann.




Erfolgreicher Arzt und Schriftsteller lernte das Alphabet mit Brezeln – Kortums „Jobsiade“ vor 180 Jahren in Dortmund erschienen

Von Bernd Berke

Wäre der Einfall mit den Brezeln nicht gewesen, so wäre Carl Arnold Kortum vielleicht niemals Schriftsteller geworden. Als Kind schien er weder Lesen noch Schreiben lernen zu wollen, bis endlich ein Student die Idee hatte, dem Jungen aus Brezeln Buchstaben zurechtzulegen.

Von nun an begriff Carl Arnold schnell. Als er 1760 – mit fünfzehn Jahren – auf das Dortmunder Gymnasium kam, gehörte er bald zu den besten Schülern. In Dortmund, das er später dankbar als „Musensitz“ bezeichnete, lebte er bei seinern Onkel, in dessen Apotheke er auch gleich die Grundbegriffe der Heilkunst erlernte. Ein paar Jahre später wurde er mit einer Arbeit über Epilepsie Doktor der Medizin und ließ sich mit seiner Praxis zunächst in Mülheim (Ruhr) nieder.

Dr. Kortum war fortan ein begehrter Arzt. In einem einzigen Jahr (1768) haben sich gleich 600 Patienten von ihm behandeln lassen. Für die damalige Zeit eine schier unglaubliche Zahl. Die „Stadt“ Bochum, in der Kortum ab 1770 bis zu seinem Tod wohnte, hatte damals zum Beispiel 1500 Einwohner. Schon bald „rissen“ sich andere Städte um den jungen Arzt. So hätten die Hagener ihn gern zu ihren Bürgern gezählt. Doch Kortum blieb Bochum treu, zumal seine Frau, die er 1770 heiratete, von dort stammte.

Niemand hätte dem erfolgreichen Mediziner zu dieser Zeit einen Ruhm als Schriftsteiler prophezeit. Auch Kortum selbst mißtraute dem eigenen Schreibtalent, bezeichnete seine Versuche in dieser Richtung als „Tändelei“ und war überzeugt, besser Leute kurieren als Sätze formulieren zu können.

Sein volkstümlicher Ton entsetzte die Kritiker

Selbst das Werk, das ihm bis heute einen Platz im Lexikon und auf Straßenschildern gesichert hat, nämlich die volkstümliche „Jobsiade“, war für Kortum nur ein medizinischer Kniff: Er habe es lediglich verfaßt, um seine eigene Hypochondrie zu vertreiben. Auch seine Zeitgenossen hielten nicht allzu viel von der holprig gereimten Geschichte, die vollständig erstmals vor genau 180 Jahren bei den Gebrüdern Mallinckrodt in Dortmund erschien (der erste Teil war bereits 1784 in Hamm und Münster herausgekommen). Einige waren sogar beleidigt, weil sie sich (wohl zu Recht) in den bissig-satirischen Versen wiederzuerkennen glaubten. Kortum hatte allerdings in weiser Voraussicht den Band unter dem Pseudonym „Caspar Sachs“ in Druck gegeben.

Worum geht es in der „Jobsiade“, deren vollständiger Titel „Leben, Meinungen und Taten von Hieronymus Jobs, dem Kandidaten“ lautet? Um Jobs, den Sohn eines Ratsherren, der unbedingt Theologie studieren soll, sich dabei aber lieber geistigen Getränken als geistlichen Studien widmet. Er führt ein abenteuerliches Leben, wird Lehrer, Bettler, Schauspieler und zum Schluß Nachtwächter, verkehrt zwischendurch mit Räubern und Falschspielern und spannt obendrein einem Grundherren die Geliebte aus.

Knittelverse in der Tradition von Hans Sachs

Kurzum: AIlein die Handlung war den braven Bürgern ein Greuel. Ein Kritiker verstieg sich gar zu der Behauptung, die „Jobsiade“ sei das „Schlimmste an Literatur“, das sich überhaupt denken ließe. Die, die sich für gelehrt hielten, rümpften außerdem die Nasen über den staksigen Kittelvers, den Kortum benutzt hatte (Bekanntes Beispie: „Über diese Antwort des Kandidaten Jobses / Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes“). Der Knittelvers war zwar gerade erst durch keinen Geringeren als Goethe wieder „hoffähig“ gemacht worden, doch Kortum füllte ihn wieder mit dem nicht so fein geschliffenen Volkston des Nürnberger Schuhmachers und Dichters Hans Sachs. Breite Schichten des Volkes mochten diesen derben Ton nach wie vor. Die meisten „Gebildeten“ aber – aus ihren Reihen stammten ja die Kritiker – hatten mittlerweile andere Vorstellungen von Literatur als das Volk.

Doch, wie so viele, setzte sich auch dieses Buch gegen alle hochtrabende Kritik durch, ganz und gar freilich erst um 1850, lange nach Kortums Tod. Erst jetzt erkannten auch die „Fachleute“, daß hier einer sehr treffend die Schwächen und Marotten der Kleinbürger beschrieben hatte und daß der volkstümliche Ton dazu ganz genau paßte. Einige Jahre später wurde auch Wilhelm Busch auf die „Jobsiade“ aufmerksam und verfaßte 1874 eine Nachdichtung. Der Stoff wurde danach Grundlage einer Operette und einer Schuloper. Die „Jobsiade“ ist inzwischen in viele Sprachen übersetzt worden, so etwa ins Schwedische, Polnische, Tschechische, Holländische und Englische.

„Hernetische Gesellschaft“ für Alchimie

Außer der „Jobsiade“ hat Kortum eine Reihe medizinischer Schriften publiziert, die heute aber überholt und bestenfalls von historischem Interesse sind. So schrieb Kortum unter anderem über die Wirkung von Tee und Kaffee, über die „Brotsorten der Völker“, über Maßnahmen gegen ansteckende Krankheiten, aber auch über nichtmedizinische Themen wie Graphologie und Bienenzucht. Schließlich erforschte er mit heute noch gültigen Resultaten die Geschichte Bochums und fertigte einen Stadtplan an, auf dem jedes einzelne Haus zu sehen ist. Seine heute vielleicht aktuellste Veröffentlichung ist eine Verteidigung der naturverbundenen Lebensart der „Wilden“ gegenüber den zivilisationsgeschädigten Europäern von 1778.

Zusammen mit dem Schwerter Kollegen Dr. Bährens hat sich Kortum über die zivilisierten Menschen lustig gemacht. Die beiden gründeten eine sogenannte „Hermetische Gesellschaft“ für Alchimie (künstliche Erzeugung von Gold), waren über Jahre hinweg deren einzige Mitglieder, taten aber in Aufrufen so, als seien sie ein riesiger Verein und verliehen sogar Diplome. Das Ziel der Gesellschaft hatte Bergarzt Kortum der Region angepaßt, in der er lebte: Es galt, Gold aus Steinkohle zu gewinnen.

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WR-Halbseite „Bilder und Berichte“