Die Aufklärung braucht mehr Rohstoff – Alexander Kluges imponierende Lesung aus „Die Lücke, die der Teufel lässt“

Von Bernd Berke

Dortmund. Eine solche geistige Bereicherung erlebt man nicht alle Tage: Alexander Kluges Dortmunder Präsentation seines voluminösen Essay- und Erzählungsbandes „Die Lücke, die der Teufel lässt“ (Suhrkamp-Verlag) geriet zum Lehrstück in Sachen intellektueller Durchdringung vielfältiger Stoffe.

Büchner-Preisträger Kluge beließ es im Harenberg City-Center nicht bei einer bloßen Lesung. Zwischendurch bat er auch schon mal den Verleger und Hausherrn Bodo Harenberg zum dialogischen Duett-Vortrag aufs Podium, wobei er das Publikum auf die feinen Unterschiede zwischen seiner Halberstädter Diktion und Harenbergs Magdeburger Zungenschlag hinwies. Landsleute unter sich.

Zudem extemporierte Kluge ganz spontan und oft weit über den ohnehin schon schier uferlosen Inhalt seines Buches hinaus. Ein übliches Seminar ist nichts dagegen. Was dieser Mann an Bildung „griffbereit“ mit sich führt und souverän stets neu sortiert, ist umwerfend. Man muss sich hüten, dass man sich nicht ganz unwissend vorkommt.

Vielleicht wachen die Toten über die Lebenden

Es war eine der impnierendsten Veranstaltungen der bald zehnjährigen Reihe „Kultur im Tortenstück“, die von Harenberg, der Westfälischen Rundschau und der Buchhandlung Krüger getragen wird.

Doch Kluge nimmt bei all dem eben keine Imponierhaltung ein, sondern bleibt stets verbindlich, gesprächsbereit und auf subtile Weise unterhaltsam. So spinnt er spannende Wissens-Netzwerke etwa zwischen Ovids „Metamorphosen“, dem „Anti-Fundamentalisten“ Montaigne und Heiner Müller, dass einern nahezu schwindlig wird.

Oder er sinniert darüber, ob all die Toten der Historie über uns Lebende wachen – ein Gedankengang, den man Anderen nicht ohne weiteres „abkaufen“ würde. Bei Kluge aber klingt’s redlich und plausibel. Sein mit rund 500 Kapiteln überreich quellendes Buch, so erläutert Kluge, sei nicht zuletzt als Erweiterung des Kantschen Aufklärungs-Begriffs gedacht. Nicht nur Verstandes-, sondern auch Gemütskräfte müssten gesammelt werden für kommende Zeiten. Kluge: „Die Aufklärung braucht mehr Rohstoff.“

Terrorismus beginnt oft mit „Robinsonaden“

Speziell vom Gift und vom vielerorts lauernden „Teufel“ (sogar im Weißen Haus soll er gesichtet worden sein) könne man dabei lernen, um das Böse zum Guten wenden. Apropos: Dem Terrorismus werde vielleicht schon der Boden entzogen, wenn Einzelne oder Gruppen sich nicht vom ganzen Gemeinwesen absondern könnten. Terror beginne oft mit einsamen „Robinsonaden“ und „theatralischen Vorkehrungen“.

In seinem ganz eigenen Erzählten sucht Kluge nach Reserven, Auswegen und verheißungsvollen Glücks-Momenten. Beispiel: Jene Berichte von menschlicher Liebes-Anziehungskraft über viele Generationen hinweg bergen nach seinem Verständnis einen Schatz der Hoffnung.

Kluge preist eine geradezu klösterliche Gattentreue (reinstens verkörpert im Roman „Die Prinzessin von Clèves“ der Comtesse de La Fayette) als hohen Wert, er argumentiert gegen schnelllebige Scheidungs-Bereitschaft. Und er verrät den Zuhörern auch persönliche Gründe: Als seine Eltern sich einst trennen wollten, habe er mit Leib und Seele dagegen angekämpft: Vielleicht sei er gar deswegen Jurist geworden: um als Friedensstifter derlei Brüche zu kitten.




Kunst aus dem Verborgenen – Erstaunliche Kostproben aus Dortmunder Privatsammlungen

Von Bernd Berke

Dortmund. Zugegeben: Einen Mäzen wie Peter Ludwig, der komplette Museen aus seinen Kunstkollektionen bestücken kann, gibt es in Dortmund nicht. Doch auch hier wachsen hochkarätige Sammlungen.

Sie werden freilich – typisch westfälisch? – nicht mit Pomp und Getöse, sondern in aller Stille zusammengetragen. Jetzt bekommt man erstmals Kostproben zu sehen. Und man reibt sich erstaunt die Augen: Solche museumsreifen Exponate stammen also aus Dortmunder Privathäusern!

Bestand reicht für eine Fortsetzung

Mit der Ausstellung „Dortmund sammelt“ gastiert die bundesweit renommierte, vor allem mit Expressionisten hervorgetretene Galerie Utermann im Harenberg City-Center. Wilfried Utermann verfügt natürlich über vielfältige Kontakte zu Kunstsammlern. Er hat Einblick in die Schätze, die – zumal durch seine eigene Präsenz am Kunstmarkt – in Dortmund vorhanden sind. Er kennt so viele Kostbarkeiten, daß er sich schon jetzt eine Fortsetzung der aktuellen Schau vorstellen kann, etwa mit einer bislang weithin unbekannten Sammlung zum 18. Jahrhundert.

Deren Besitzer bleibt ebenso ungenannt wie die sieben Dortmunder, die zur jetzigen Schau exakt 101 sehenswerte Arbeiten aus dem Umkreis des Expressionismus und der Klassischen Moderne beigesteuert haben. Umso bekannter sind die Namen der Künstler: Max Beckmann, Lyonel Feininger, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Käthe Kollwitz, August Macke, Emil Nolde, Max Pechstein, Pablo Picasso, Christian Rohlfs, Emil Schumacher.

Max Beckmanns „Blühender Garten“

Besonders von Beckmann („Blühender Garten“, 1933 / „Stilleben mit Fingerhut“, 1943) und Kirchner („Kokotten auf dem Kurfürstendamm“, 1914) sind Spitzenstücke zu sehen. Und die imponierende Liste ist nicht einmal vollständig.

Der Hausherr des City-Centers, Bodo Harenberg: .„Am liebsten würde ich diese Kunstwerke für immer hier behalten.“ Doch selbstverständlich wird die Ausstellung hernach wieder aufgeteilt und kehrt zu den sieben Eigentümern zurück. Harenberg legt Wert auf die Feststellung, daß es sich um eine doppelte Privat-Initiative handelt: die der Dortmunder Sammler und die des Dortmunder Galeristen. Man hört heraus, daß er sich ähnliches Engagement von der öffentlichen Kulturpolitik wünscht…

„Dortmund sammelt“. Ausstellung der Galerie Utermann im Harenberg City-Center, Königswall 21 (am Hauptbahnhof). 1. September bis 1. Oktober. Täglich (auch sa/so) 11-18 Uhr. Eintritt frei, Katalog 38 DM.




Dortmunds etwas andere Buchmesse – Schau mit 3000 Bänden im Harenberg City-Center

Von Bernd Berke

Dortmund. Wir alle kennen den Reklamespruch aus dem Fernsehen. Hier die von Schleichwerbung bereinigte Fassung: „Für die einen ist es ,Mh-mh‘, für die anderen ist es die längste Praline der Welt“. Die Formel ist auf ein neues Kulturereignis anwendbar: Für die einen ist es eine Bücherschau, für die anderen ist es die „1. Dortmunder Buchmesse“… Mal ehrlich, verdient sie diesen Namen?

Lokalstolz beiseite. Wenn man nüchtern Zahlen vergleicht, wird schon einiges klar: Die Veranstaltung im City-Center des Dortmunder Harenberg-Verlages präsentiert jetzt rund 3000 Bücher, in der nächsten Woche werden auf der Frankfurter Buchmesse (an der Harenberg seit Jahren nicht mehr teilnimmt) etwa 320.000 Bände gezeigt. In Dortmund sind etwas über 200 deutschsprachige Verlage vertreten, hinzu kommen Anbieter von Kalendern und Datenscheiben (CD-Rom); am Main werden fast 8600 Aussteller aus aller Welt Geschäfte machen, die elektronischen Lese-Medien werden eine ganze Halle füllen.

Auch fehlen in Dortmund das internationale Flair und der schwunghafte Handel mit Lizenzen – das, was zu einer Großmesse gehört. Also: Erst kommt Frankfurt, dann lange nichts. Dann Leipzig, dann wieder lange nichts. Dann vielleicht Dortmund. Die Dortmunder Schau erspart also keineswegs die Reise nach Frankfurt, sie hat aber durchaus ihre Berechtigung. Hier herrscht nicht der Massenandrang, der vom Schmökern abhält. Also kann man in relativer Ruhe blättern – und die Lektüre auch gleich ordern. Denn nahezu alle Dortmunder Buchhandlungen machen mit, und sie haben eine Bestelltheke eingerichtet.

Das ist überhaupt eine herausragende Fähigkeit des Verlegers Bodo Harenberg und seiner Mitarbeiter: viele Leute unter einen Hut zu bringen. So sorgt er bereits mit einer Autoren-Lesereihe für mehr Furore als manch städtisches Kultur-Unterfangen. Und so kamen zur Eröffnungs-Gala der „1. Dortmunder Buchmesse“ praktisch alle, die Rang und Namen haben im (Kultur)-Leben der Stadt.

„Dortmunder Initial“ für Andrzej Szczypiorski

Sie kamen auch zu Ehren des polnischen Autors Andrzej Szczypiorski („Die schöne Frau Seidenman“), der im Rahmen der Gala einen neuen Literaturpreis, das „Dortmunder Initial“, entgegennahm. Die vom örtlichen Buchhandel gestiftete Auszeichnung sagte Szczypiorski, der vor fünf Jahren bereits den Dortmunder NellySachs-Preis erhalten hatte, sichtlich zu. Der grundsympathische Herr küßte die Trophäe, nannte Dortmund seine temporäre „Hauptstadt der Kultur“ und bedankte sich mit einer Lesung aus seinem „Selbstporträt mit Frau“.

Zuvor hatte Verleger Bodo Harenberg ein „Plädoyer für das Buch“ gehalten und „Freispruch“ für alle Leser beantragt. Als Gegengewicht zur „Einminuten-Kultur“ elektronischer Medien werde das Buch wieder an Bedeutung gewinnen, hofft Harenberg. Nun, auch sein Verlag lebt vielfach von bebilderten Info-Happen zum schnellen geistigen Verzehr. Was ja nicht verkehrt sein muß. Information verlangt eben Tempo.

Zurück zur „Buchmesse“. Die etwa 3000 Titel wurden auf Anforderung von den Verlagen nach Dortmund geschickt. Die wichtigsten Häuser sind dabei, wenn auch zum Teil mit schmalen Kontingenten. Man sieht ’94er-Neuerscheinungen aus der Frühjahrs- und Herbst-Produktion. Auf allzu spezielle Sachbücher wurde verzichtet.

Die Auswahlkriterien sind nicht recht ersichtlich, im Zweifel hatte wohl das Populäre Vorrang. Sortiert hat man nach Sachgruppen. Der größte Sektor heißt „Unterhaltung“. Dabei sind in der Hast ein paar fragwürdige Zuordnungen unterlaufen. So liegen Bücher des Romanciers Gerhard Köpf oder des als „Götterliebling“ gehandelten ostdeutschen Lyrikers Durs Grünbein gleich neben solchen von Heinz G. Konsalik. So fließend sind die Grenzen ja nun auch wieder nicht. Daß Bücher von Bertelsmann (dorthin verkaufte Harenberg seine „Chronik“-Edition) und Harenberg selbst ein kleines bißchen mehr auffallen als andere – wer will es dem Hausherren des City-Centers verdenken?

„1. Dortmunder Buchmesse“. Harenberg City-Center, Königswall 21. Bis 2. Oktober, tägl. 10-19 Uhr.