Ein Mörder schwärmt für altes Kino – Bodo Kirchhoff hat mit „Die kleine Garbo“ einen wüsten Kolportageroman verfasst

Von Bernd Berke

Ist Bodo Kirchhoff etwa zum Trivialautor geworden – oder kokettiert er nur mit trivialen Mustern? Sein neuer Roman „Die kleine Garbo“ ist über weite Strecken tollkühne Kolportage.

Kirchhoff, der bereits 2002 ein Buch mit dem kecken Titel „Schundroman“ vorgelegt hat, hat sich zwei Kontrastfiguren ausgedacht. Da hätten wir die 12-jährige Malu (Marie-Luise), einen frühreifen Fernseh-Kinderstar. Das selbstbewusste Mädchen schwelgt im Luxus und hat einen eigenen Chauffeur.

Auf der Schattenseite des Lebens kraucht hingegen Giacomo Hoederer. Der Kerl zieht Unglück magisch an. Durch eine schlimme Verkettung erschießt er ungewollt eine Kundin in der Bank. Auf der Flucht vor der Polizei stürzt er mit dem Motorrad in einen Straßengraben – bei eisiger Kälte in einer Einöde, wo man (gleichsam als Menetekel) nur das Heulen der Wölfe hört.

Entführung eines Teenager-Stars

Ausgerechnet Malus sündhaft teurer Wagen kommt dort auf dem Weg zum Fernseh-Dreh vorbei. Der Chauffeur steigt aus, es kommt zum Handgemenge mit Hoederer, aus dessen Waffe sich abermals ein tödlicher Schuss löst. Der Unglücksvogel ist also zum zweifachen Mörder geworden. Da ihm nun alles egal ist, entführt er die kleine „Malu“ und verlangt vier Millionen Euro Lösegeld…

So weit der wüste Actionfilm. Fortan schaltet der Autor zwei Gänge zurück und lässt uns an jeder Regung von Täter und Opfer teilhaben. Im engen Auto inszeniert er ein dialogreiches Kammerspiel.

Hoederer erweist sich als belesener Alt-Achtundsechziger, der mit der hektischen und seelenlos glatten Welt von heute hadert. Er mag’s lieber authentisch. Ein Fernsehgerät hatte er nie, hingegen schwärmt er von alter Rockmusik und Kinoklassikern, zudem von Greta Garbo und Maria Callas. Bevor er sich selbst erschießt (wie er immer wieder androht), will er dem Mädchen eine Art Unterricht erteilen – über das wahrhaftige Leben fernab vom Fernseh-Glamour.

Die kleine Diva hört immer genauer zu

Seltsames Phänomen: Nach und nach hört die vordem fahrige kleine Diva ihm immer aufmerksamer zu. Sie schwankt zwischen Angst, Trotz und Sympathie. Und er scheint sich ein wenig zu verlieben in diese „kleine Garbo“, wie er sie nennt. Ein letztes Aufglühen von Sinn in seinem heillosen Leben?

„Politisch korrekt“ ist das alles nicht. Aber mitunter doch recht spannend zu lesen. Kirchhoff beherrscht ja sein literarisches Handwerk, auch wenn er zuweilen die Zügel schießen lässt.

Zwischendurch schwenkt der Roman immer wieder hinüber in die Sphäre der (natürlich!) sensationsgierigen TV-Leute. Sie haben Ministerien und Polizei eingeschaltet, wollen aber insgeheim Geldübergabe bzw. Festnahme eigenmächtig dramatisieren und quotenträchtig live über den Sender schicken. Kirchhoff gibt sich hier wohlfeil medienkritisch, doch seine Schelte wirkt ein wenig säuerlich und abgestanden.

Bodo Kirchhoff: „Die kleine Garbo“. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt. 287 Seiten. 19,90Euro.

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ZUR PERSON

Luftwaffe und Pädagogik

  • Der deutsche Schriftsteller Bodo Kirchhoff wurde am 6. Juli 1948 in Hamburg geboren.
  • Nach abgeschlossenem Militärdienst bei der Luftwaffe und einem USA-Aufenthalt studierte Kirchhoff von 1972 bis 1979 Pädagogik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
  • Bereits während seiner Promotion über die Theorie des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan erhielt Kirchhoff 1978 seinen ersten Vertrag beim Suhrkamp-Verlag.
  • Bisher veröffentlichte Kirchhoff Erzählungen, Romane, Schauspiele und Drehbücher, wofür er zahlreiche Auszeichnungen erhielt.
  • Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Bodybuilding“, „Der Sandmann“ und „Schundroman“.



Ein Nomade zwischen Gut und Böse – Bodo Kirchhoffs Somalia-Frontbericht „Herrenmenschlichkeit“

Von Bernd Berke

Es hat einen eigenartigen Beigeschmack, wenn deutsche Dichter wieder unseren Soldaten quer durch die Welt nachreisen. Bodo Kirchhoff („Infanta“) betätigt sich in seinem Buch „Herrenmenschlichkeit“ als Frontberichterstatter aus Somalia, wo die Bundeswehr ihre weltpolitische Jungfernschaft verloren hat.

Mit einem Pulk von Journalisten war Kirchhoff als literarischer Pionier im Sommer ’93 am Horn von Afrika: Mal sehen, was die Truppe so treibt. Und schon ist der deutschen Nachkriegsliteratur ein neues Genre geboren.

Natürlich schaltet Kirchhoff, der seinerzeit als linker Möchtegern-Unterwanderer zum „Bund“ gegangen war, in Somali all seine sensiblen Antennen auf Empfang. Doch eine unwirkliche und unübersichtliche Welt bleibt ihm der Krieg. Über das große Ganze könne man keine Wahrheiten sagen. Also widmet man sich lieber dem eigenen Ich samt seinen Leistenschmerzen.

Nur wenn beim Schießen einmal eine Pause eintritt, macht sich Langeweile breit, unerträglich und unheilschwanger: „…wünsche mir, fürchte ich, daß es kracht“, bricht es da aus Kirchhoff hervor. Der Autor führt eben nach eigenem Bekunden ein „Nomadendasein zwischen Gut und Böse“. Er pfeift auf laue politische Korrektheit, bleibt schmerzhaft ehrlich und hegt nicht nur friedliche Gedanken, sondern verspürt gelegentlich schaudernd eine seltsame „Ästhetik der Vernichtung“.

Doch Kirchhoff zeigt auch die Schrecklichkeit etwa der medizinischen Versorgung. Tausende Somalier warten vor dem Zaun des deutschen Camps, womöglich versehen mit auf dem Schwarzmarkt gekauften Behandlungs-Sçheinen. Sie werden von Soldaten in Schach gehalten, und nur die allerschlimmsten Fälle haben eine Chance auf sofortige Versorgung. Nicht von ungefähr kommen Kirchhoff Gedanken an fürchterliche Selektion. Überhaupt seien hier Menschen aus Europas satter Überlebens-Kultur gekommen, die sich wohl oder übel zu Herren über eine Leidens-Kultur aufschwingen – „Herrenmenschlichkeit“.

Über allen freilich schwebt Bodo Kirchhoff. Nicht mal so sehr über den Soldaten, die nach seinem Eindruck recht brav und wohlmeinend ihren prekären humanitären Auftrag wahrnehmen. Von Ausnahmen abgesehen, liege ihr enger Horizont allerdings zwischen „Saarbrücken, Schalke, Mallorca, Gottschalk“. Schlimmer aber findet Kirchhoff die Journalisten. Die pflanzen überall Satelliten-Antennen auf und warten auf Action. Und während die Zeitungsleute alle stolz ihre Blätter nennen können, schreibt Kirchhoff – noch eine Spur stolzer – angeblich „für niemanden“. Höchstens, daß es dann nachher im Suhrkamp-Verlag erscheint…

Besondere Pikanterie bekommt Kirchhoffs etwas eitle Unternehmung noch dadurch, daß er seine Somalia-Aufzeichnungen im Sterbezimmer einer Frankfurter Klinik zu Papier bringt – „zum üblichen Pflegesatz“, wie er versichert. Derweil droht er schon damit, daß dies alles nur Notizen für einen großen Roman seien. Gnade!

Bodo Kirchhoff: „Herrenmenschlichkeit“. Suhrkamp. 67 Seiten (Paperback). 24,80 DM.