Hochglanz am Klavier: Die gestylten Gebrüder Jussen spielen mit den Essener Philharmonikern Musik von Francis Poulenc

Inszenierter Glamour: Lucas und Arthur Jussen. Foto: Carli Hermes

Inszenierter Glamour: Lucas und Arthur Jussen. Foto: Carli Hermes

Arthur und Lucas Jussen werden zur Zeit mächtig gehypt. Ein wenig freundlich-verspielt, dann wieder lässig cool und mit gewagt dosiertem Sex-Appeal präsentieren sich die Brüder hochglanzumschimmert, um sich in der großen Schar der „Ausnahme“-Pianisten zu profilieren. Auch künstlerisch werden sie mit Marketing-Lorbeeren umkränzt und es werden ihnen Hymnen gesungen, bei denen man nie so genau weiß, welche Sätze aus einer PR-Abteilung kommen.

Die beiden stylishen Jungs scheinen gut in die Gesetze des Musikbetriebs zu passen: Ihr Auftritt in der Essener Philharmonie beim Sechsten Symphoniekonzert der Philharmoniker hatte eben jenen Touch jugendlicher Unbekümmertheit, mit dem man die beiden als dynamische Boys zwischen Teenie- und Erwachsenenalter vermarkten kann.

Sie brachten das d-Moll-Konzert für zwei Klaviere von Francis Poulenc mit, das sie auch auf einer vielgelobten Aufnahme bei ihrem marktmächtigen Plattenlabel eingespielt haben. Nicht gerade eine Wahl, die den Mainstream bedient, und von daher schon neugierig machend. Aber das Publikum wurde ja auch mit dem „Boléro“ zum Ende hin ohrwurmaffin getröstet.

Die Ravel’sche Apotheose des Rhythmus prägt auch den ersten Satz des Poulenc-Konzerts: Das üppig besetzte Schlagwerk trumpft erst einmal auf; seine heftigen Attacken und sein Puls dominieren auch die Exposition der Klaviere. Poulenc führt das melodische Element kaum über Floskeln und Episoden hinaus zu einer geschlosseneren, fassbaren Form.

Die Klaviere machen das Spiel zunächst mit, in der zweiten Satzhälfte aber wirkt es, als seien sie des rhythmischen Impulses müde. Se erheben sich über Pizzicati und Kastagnetten-Echos mit träumerisch in sich versunkenen, manchmal spieluhrenartigen, dann wieder quasi improvisierenden Abschnitten. Arthur und Lucas Jussen nehmen diese Momente kühl-versonnen, mit perlendem Spiel.

Dass ihre Koordination, ihr Einverständnis, ihre innere Verbundenheit makellos ist, zeigen sie spätestens im ausdrücklich mit Mozart verbundenen – sogar das d-Moll Konzert KV 466 zitierenden – Mittelsatz. Sie präsentieren die Melodie ohne romantischen Anflug, genauso distanziert wie Poulenc sie aufgefasst hat. Das Orchester sprengt bald das „klassische“ Maß und macht klar, dass wir uns nicht mehr am Ende des 18. Jahrhunderts befinden.

Im dritten Satz mit seinem Allegro molto und seinen rhythmischen Verspieltheiten zeigen die Brüder an den Flügeln endgültig, was sie können: Tempo, Agogik, Dynamik, Anschlagsfarbe wirken, als würde ein Geist und ein Gefühl in zwei Körpern agieren. Man wird sich auf die nächsten Auftritte der beiden Niederländer freuen dürfen: am 17. April in Münster, am 12. Juni in Hagen, am 17. Juni in der Philharmonie Essen und am 30. Juni in Köln.

Unter dem Dirigat von Jun Märkl eröffneten die Essener Philharmoniker das Debussy-Jahr – zum 100. Todestag des bahnbrechenden Komponisten der Moderne am 25. März – mit „En blanc et noir“, einem frühen Klavierstück, das von dem englischen Komponisten Robin Holloway 2002 für Orchester bearbeitet wurde. In gewisser Weise ein Missverständnis, denn der Neoromantiker Holloway instrumentiert zwar im Sinne früherer Orchesterwerke Debussys, lässt aber den schon im Titel angedeuteten Willen außer Acht, die Farben zu reduzieren.

Im Bezug auf die barocke französische Musik Rameaus und Couperins und mit Verweis auf die „Grisaillemalereien von Velasquez“ ging es Debussy bei dem 1915 im Krieg entstandenen Werk um Transparenz, Klarheit und eine gewissen Härte, wie sie im Schwarz-Weiß-Gegensatz ausgedrückt wird.

Ungeachtet aller raffinierten instrumentalen Details, von den Philharmonikern (Bassklarinette, Harfe, Horn, Trompete) liebevoll nachgezeichnet, ist es fraglich, ob das Stück so wirklich den „spirit of Debussy“ trifft, wie Holloway meint. Zu hören sind delikate und herbe Momente, von Märkl sorgsam herausgearbeitet, die aber dann doch eher an die wagnerischen und „impressionistischen“ Seiten Debussys erinnern.

Ja, die „Images“, die klangliche Malerei und Koloristik, die Debussy anstrebte, ohne sich die Parallelen zur bildenden Kunst allzu sehr anzueignen oder gar dem „Impressionismus“ als Stil zu huldigen – sie sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich Kunst-Debatten führen lassen, um zum Kern der Begriffe vorzustoßen. „Ibéria“ stammt aus den „Bildern“ für Orchester und greift – darin Ravels „Boléro“ verwandt – spanische Instrumente und Elemente der Folklore der iberischen Halbinsel auf, überträgt sie aber in ein kunstvolles Idiom, das jeden Gedanken an ein Imitat verbietet.

Die Essener Philharmoniker geben den „Images“ eine plastische Leuchtkraft, in der die Instrumente vom rhythmischen Tamburin bis zur ätherischen Fraktion von Harfe und Celesta brillieren können. Zum Schluss der „Boléro“: vorhersehbare Begeisterung im Publikum.




Zwei machen auf Skandal: Alice Sara Ott und Francesco Tristano beim Klavier-Festival Ruhr

Alice Sara Ott und Francesco Tristano - zwei Pianisten, harmonisch vereint immerhin zum Schlussapplaus. Foto: Mohn/KFR

Alice Sara Ott und Francesco Tristano – zwei Pianisten, harmonisch vereint immerhin zum Schlussapplaus. Foto: Mohn/KFR

Neue Musik ist nicht gerade ein Publikumsrenner. Wenn sich die Klänge im Konzert avantgardistisch geben, nehmen viele Hörer Verteidigungsstellung ein. Oder schütteln erschrocken, verdrossen, fragend, vielleicht auch altersmilde lächelnd ihr Haupt. Atmen auf, wenn endlich, etwa mit einer Beethoven-Symphonie, wieder sicheres ästhetisches Fahrwasser erreicht ist. Doch eines ist selten geworden bei der Beurteilung tönender Moderne: der (handfeste) Skandal.

„Scandale“ rufen die Pianisten Alice Sara Ott und Francesco Tristano. Die französische Wortvariante ist bewusst gewählt, geht es ihnen doch darum, musikalische Eklats ins Gedächtnis zu rufen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der aufregenden Kulturmetropole Paris ereigneten. Die entsprechende CD soll im Herbst erscheinen, einen Vorgeschmack hat es nun beim Klavier-Festival Ruhr gegeben.

Fürs Plattencover – und das Festival-Programmheftchen – haben die beiden das elegante Konzertoutfit abgelegt und sich ganz existenzialistisch schwarz gekleidet. Alice Sara blickt uns in herausfordernder Gleichgültigkeit an, Francesco wiederum schaut auf seine Klavierpartnerin, als sei sie ein fleischgewordenes Rätsel. Man mag auch über die Botschaft dieser Ikonographie nachdenken – beider Auftritt in Duisburgs Gebläsehalle jedenfalls bedient eher das konventionelle Bild zweier junger Pianisten, die eben Werke für zwei Klaviere zu spielen gedenken.

Am Beginn steht Maurice Ravels „Bolero“, ein Stück, zu dem der Komponist selbst anmerkte, es sei eigentlich keine Musik. Sie wurde geschrieben für die Tänzerin und Mäzenin Ida Rubinstein, und war, wohl erst in Verbindung mit einer lasziven Choreographie, skandalträchtig. Die Fassung für zwei Klaviere stammt nun von Tristano. Er zupft zunächst im Klavierbauch an einer Saite den charakteristischen Trommelrhythmus, später verlagert sich die repetitive Dauerfigur auf die Tasten. Alice Sara Ott ist für die zweiteilige Melodie zuständig, die sich aus aller Zartheit ins Orgiastische steigert.

Das Paar in Aktion. Foto: Mohn/KFR

Das Paar in Aktion. Foto: Mohn/KFR

Das alles macht mächtig Effekt, ohne noch irgendwie verstörend zu wirken. Die Interpretation zeigt indes exemplarisch die Probleme, die dieser Abend mit sich bringt. Und die ergeben sich nicht zuletzt daraus, dass hier zwei stark verschiedene Pianistentypen am Werk sind. Wobei Tristano den Takt vorgibt, auf dass die Musik nur ordentlich groove. Handwerkliche Probleme, die sich etwa dadurch ergeben, dass beide auf Umblätterer verzichten, fallen auf, spielen aber bloß eine Nebenrolle.

Im „Bolero“ also tackert’s rhythmisch, gewinnt die Dynamik an Intensität, bevor Tristano (aus welchen Gründen auch immer) auf die Bremse tritt. Dann ertrinkt das Trommeln im Hall, wird die Lautstärke zwei Mal extrem zurückgeführt. Das Ergebnis hat mit Skandal wenig zu tun. Viel mehr aber mit Nivellierung und einem faden Groove, den der Pianist aus seinem eigenen Werk ableitet, hier aus einer impressionistisch, jazzig und minimalistisch angehauchten Lounge Music namens „A Soft Shell Groove Suite“.

Da ist nun alles auf Wellness gebürstet und so wundert es kaum, dass Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, 1913 das Skandalstück schlechthin, in dem der Komponist nicht zuletzt die Emanzipation des Rhythmus feiert, seine archaische Kraft nur bedingt entfalten kann. Tristano und Ott setzen auf Struktur, skelettieren beinahe das Werk. Feine Linien schimmern auf, in Kontrast gesetzt zur futuristischen Maschinenmusik der stampfenden Bässe. Doch Ekstase und harsche Dissonanzen kommen in dieser Interpretation recht harmlos daher.

Das ungleiche Paar findet nicht wirklich zusammen. Damit ist kein Skandal zu machen. Da hilft auch keine existenzialistische Pose.