Diese oft bizarre Republik – Robert Lebecks Fotoband „Hierzulande“

Fast so rätselhaft wie einer seiner Thriller: mysteriöser „Fingerzeig“ für Alfred Hitchcock in der deutschen Bahn – das Cover von Robert Lebecks Foto-Bildband „Hierzulande“. (© Robert Lebeck / Steidl Verlag)

Es beginnt 1955 mit Momenten einer (nachträglichen) „Geburtsstunde“ der Bundesrepublik Deutschland, die den Krieg „endgültig“ hinter sich zu lassen glaubte. Der Fotograf Robert Lebeck (1929-2014), damals gerade 26 Jahre alt, lieferte für die Zeitschrift „Revue“ Aufnahmen der letzten deutschen Kriegsgefangenen, die aus russischen Lagern zurückkehrten.

Ausgemergelt, sichtlich erschöpft, in einheitliche Wattejacken gekleidet, so kamen sie mit notdürftigen Holzkoffern ins fremd gewordene Heimatland. Und nun schaue man, wie sie ihre Familien wiedersehen, welche Freudentränen da fließen, welches Befremden sich jedoch auch allseits zeigt und wohl nicht offen zu zeigen wagt. Schließlich: wie fieberhaft verzweifelt wartende Menschen ihre Männer, Väter, Söhne, Geschwister und Freunde unter den Rückkehrern suchen.

Auch sonst hat Lebeck, der seit den frühen 1960er Jahren besonders durch seine Arbeit für den seinerzeit stilbildenden „Stern“ bekannt geworden ist, viele prägsame Augenblicke der frühen Bundesrepublik mit untrüglichem Gespür erfasst – selbstverständlich im authentisch wirkenden  Schwarzweiß. Diese Bilder sind tief in ihrer Zeit verwurzelt. In der Diktion von damals könnte man vielleicht vom „Antlitz der Zeit“ sprechen. Oder halt vom herrschenden Zeitgeist.

Enthemmung im „Wirtschaftswunder“

Ganz anders als beim ernsten Auftakt mit den Kriegsheimkehrern geht es in dem Bildband „Hierzulande“ weiter: Wir sehen Szenen von feuchtfröhlichen, um nicht zu sagen saufseligen Busausflügen ins Weinörtchen Altenahr. Bizarre Enthemmung im sogenannten „Wirtschaftswunder“. Eine Luxusvariante folgt etliche Seiten später: Lebeck lichtete 1962 mit nötiger Diskretion, doch auch im übertragenen Sinne „enthüllend“, die Nackten und Reichen von Sylt ab.

Auch nimmt uns das Buch mit ins hessische Friedberg, wo am 1. Oktober 1958 Elvis Presley seine Dienstzeit als US-Soldat antrat. Robert Lebeck wartete ab, bis der Pulk der Foto-Kollegen abgereist war und Elvis zugänglicher wurde. Nun bekam er ganz spezielle Motive mit dem Weltstar. 1959 gelangen ihm ikonische Bilder der Operndiva Maria Callas, 1960 ließ sich in Hamburg kein Geringerer als Alfred Hitchcock von Lebeck in sinistren Situationen fotografieren, die der Filmregisseur allerdings gleichsam „mitinszenierte“ und die daher stets etwas ungreifbar Mysteriöses an sich haben. Aus späterer Zeit folgen noch geradezu entwaffnende Aufnahmen von Romy Schneider.

Unverkennbar Konrad Adenauer

Doch beileibe nicht nur mit Stars konnte Lebeck menschlich und bildnerisch umgehen. Auch der (un)gewöhnliche Alltag erschloss sich seiner Kamera oder vielmehr: seinem feinen und wachen Empfinden. Ostberliner auf Einkaufstour durch Westberlin – kurz vor dem Mauerbau. All die (vergleichsweise noch bescheidenen) Lockungen des Westens. Sodann die 1961 entstandenen Milieustudien auf der Reeperbahn und vom Hamburger Fischmarkt. Es ist eine versunkene Welt, die Lebeck da festgehalten hat. Doch einige Bilder deuten darauf hin, dass das Vergnügungsviertel in gewisser Hinsicht auch ein Soziallabor gewesen sein könnte. Grandios jenes freche „Fräulein“, das die verschämt amüsierten männlichen Passanten um den Finger wickelt. Stichwort erwachendes weibliches Selbstbewusstsein. Stichwort freizügige Sexualität in immer noch arg verklemmten Zeiten. Freilich zumeist im Zeichen des Geldes.

Die Polit-Prominenz in der Bonner Republik kommt ebenfalls gebührend vor. Winston Churchill hält 1956 im Palais Schaumburg Hof. Frappierend Konrad Adenauers Konterfei, an seinem 90. Geburtstag über die Schulter eines Gesprächspartners hinweg fotografiert. Es zeigt nur einen Bruchteil seines gleichwohl unverkennbaren Gesichts. Ein meisterhaftes Bildnis. Nicht minder typisch und sozusagen „den ganzen Filou“ enthaltend: Willy Brandt beim Flirt mit einer jungen Frau im Speisewagen der Bahn. Dann aber auch seine bittere, resignierte Miene 1974. Es war am Tag seines Rücktritts als Bundeskanzler, im Zuge der Guillaume-Affäre. Und Helmut Kohl? Wird 1976 in selbstgefälliger Pose ausgerechnet im Ruhrgebiet „erwischt“, wo dergleichen Mache am allerwenigsten hingehört…

Der Zeitbogen reicht bis 1983. Da hatte Robert Lebeck den Auftrag, ein Porträt des Landes in Bildern zu entwerfen – wahrlich keine leichte Aufgabe. Heraus kam das vielfältig aufgefächerte Bild einer oft eher grotesken Republik, mit merklichem Schwerpunkt auf Ödnis und Verwahrlosung. Die „Bild“-Zeitung erregte sich seinerzeit über die „Nestbeschmutzung“. Mit anderen Worten: Lebeck kann – um das Mindeste zu sagen – auch hierbei nicht ganz falsch gelegen haben.

Robert Lebeck: „Hierzulande“. Reportagen aus Deutschland. Foto-Bildband. (Hrsg.: Cordula Lebeck). Mit einem Essay von Daniela Sannwald. Steidl Verlag. 192 Seiten im Format 20 x 28,5 cm, Hardcover. 35 Euro.

Das Buch begleitet eine Ausstellung in der Kunsthalle Lüneburg, die noch bis zum 25. Juni 2023 dauert.

 

 

 

 




Beim Schwinden und Scheitern des Lebens – Claus Peymann inszeniert Franz Xaver Kroetz‘ „Das Ende der Paarung“ in Berlin

Von Bernd Berke

Berlin. Bert will Sibylle über ihre Depressionen hinwegtrösten: „Wir kaufen uns die schönsten Cashmere-Pullover, die man in Bonn kriegen kann. Aber vorher wird gegessen. Iss!“ Doch die Abgemagerte mag weder essen noch kaufen, denn ihre Moral lässt es nicht zu: „Die Welt macht Holocaust, und wir kaufen uns Cashmere-Pullover…“

Sie ist eben eine unbedingte, eine unerbittliche Kämpferin für das Gute, gegen Not und Elend auf Erden. Eine, wie Petra Kelly gewesen sein mag, jene Vordenkerin der Grünen, die im Oktober 1992 von ihrem Gefährten, dem zur Umweltpartei konvertierten Ex-General Gert Bastian, erschossen wurde, der sich daraufhin selbst richtete. Nie ist der bestürzende Vorfall ganz geklärt worden.

Die Legende von Kelly und Bastian

Von den Legenden, die sich um das ungleiche Polit-Gespann ranken, hat sich Franz Xaver Kroetz zu seinem Stück „Das Ende der Paarung“ inspirieren lassen, wenngleich er anfügt, der Text sei „Fleisch von meinem Fleisch“, handle also von ihm selbst. 1996 wies Dieter Dorn in München eine Inszenierung von sich, jetzt hat Claus Peymann zugegriffen und damit seine erste eigene Premiere am Berliner Ensemble bestritten; ein Merkpunkt der Theatergeschichte.

Die Zuschauer erleiden, als seien sie mit den beiden eingesperrt, den allerletzten Tag des Paares – vom Frühstück bïs zu den tödlichen Schüssen. Es ist (wie bei Kroetz gang und gäbe) mal wieder ein Gebräu aus Körpersäften, deren Fließen oder Stocken ausgiebig beredet und in bittere gegenseitige Vorwürfe gegossen wird.

„Bärli“ (Bert alias Bastian) ist alt, vertrocknet und impotent, bei „Rehlein“ (Sibylle, sprich Kelly) bleibt die Periode aus, das Klimakterium der Kinderlosen kündigt sich an. Und beide leiden an Inkontinenz, so dass der Geruch des Harns sich nun sozusagen mischen kann mit dem Vorgeschmack des Todes; wie auf einer Siechenstation.

Das düstere Ende ist immer schon Inbegriffen. Bezeichnend Berts Hörfehler: Sibylle, politisch tief enttäuscht vom Weltenlauf und am eigenen Unvermögen verzweifelnd, zudem offenbar in der Partei weitgehend kaltgestellt (das Telefon läutet zu ihrem Leidwesen nicht mehr), Sibylle also will, dass jemand sie von sich selbst erlöse – und Bert versteht „erschießen“…

Das Elend eines isolierten Paares

Im niederdrückend geschmacklos möblierten Bonner Reihenhaus, dessen Zimmer auf schräg stürzender Bühne klaustrophobisch spitz zulaufen, erleben wir das Elend eines isoliert eingeschlossenen Paares, wie es wohl manche geben dürfte. Wir sehen, wie sie einander belauern, umschleichen, argwöhnisch ausspionieren, jeder ein letzter Halt für den anderen, aber auch gnadenloser Zeuge beim Schwinden und Scheitern des Lebens.

Sibylles infantile Angst- und Ohnmachtsanfälle (Therese Affolter windet sich in Verkrampfungen oder embryonalen Haltungen) prallen ab an der stoischen Ruhe Berts (Traugott Buhre, oft schier unnahbar, von fast staatsmännischer Statur). Im einen Moment sucht sie Schutz bei ihm, im nächsten beschimpft sie ihn als Nazi und Militaristen. Doch politische Begriffe sind hier sowieso nur noch ein dünnes Substrat, aus dem Verletzungen und Beleidigungen rinnen. Rund drei Stunden dauert das ewiggleiche Auf und Ab, die ermüdende Abfolge aus Provokationen und Bitten um Verzeihung.

Schauen wir da etwa nur voyeuristisch in die Abgründe einer üblichen Mesalliance, oder ist die Liaison exemplarisch im weiteren Sinne?

Genrebild der Bonner Republik?

Die ganze Szenerie (Bühnenbild: Karl-Ernst Herrmann) ist eingefaßt in einen großen goldenen Bildrahmen, als sei’s denn doch ein Genrebild aus den Tagen der ach so beengten Bonner Republik, wie der Neu-Berliner Peymann findet. Doch nur wenige Szenen greifen ins Allgemeinere aus, so wenn Sibylle/Kelly an die Unerbittlichkeit einer Ulrike Meinhof anknüpft und sich deren militante Sätze zu Eigen macht: „Entweder Schwein oder Mensch…entweder Problem oder Lösung – dazwischen gibt es nichts“. Oh, du ewig rigide, erzdeutsche Sinnesart, Marke 70er Jahre!

Vielleicht eine Temperamentsfrage: Peymann beschwichtigt Kroetz‘ Furor. Der Text hebt gleich schäumend an und will sich immerzu steigern. Das lässt die Regie ihm nicht durchgehen. Zum bedrohlichen Ticken eines Metronoms werden die Szenen immer wieder für Sekunden als Standbilder eingefroren – eine Gratwanderung zwischen Spannungs-Stau und Spannungs-Verlust. Es ist, als wolle Peymann in solchen Momenten sanfte Zwischentöne erlauschen. Aber welche?

Termine: 22. und 23. Februar. Karten: 030/28 408-155.