Fürchterliche Kumpanei – der BVB-Deal mit der Waffenschmiede Rheinmetall

Jetzt Makulatur: meine BVB-Mitgliedskarte.

So! Es ist vollbracht. Heute habe ich meine Mitgliedschaft beim BVB 09 gekündigt. Dreimal darf geraten werden, welchen Grund ich dafür hatte. Oder auch nur einmal. Denn natürlich geht es um den nach (nicht nur) meiner Ansicht verwerflichen Sponsoren-Deal mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall, der allzeit prächtig von internationalen Krisen und „Waffengängen“ profitiert.

Für die Düsseldorfer Firma mag es einen Image-Gewinn bedeuten, sich mit ein paar Milliönchen an Borussia Dortmund heranzuwanzen. Für den Verein (nun vollends unglaubwürdiges Motto: „Echte Liebe“) bedeutet es hingegen einen herben Image-Verlust. Zahlreiche Fans melden Protest an – und ich bin sicherlich nicht der einzige Anhänger, der die Konsequenz des Vereinsaustritts zieht. Ich habe auch gleich die Mitglieds-Plakette von meinem Auto abgezogen. Wenn schon, denn schon. Dem Verein, dem ich seit der Kindheit (also seit Gründerzeiten der Bundesliga) anhänge, bleibe ich dennoch treu. Freilich mit Schmerzen.

Wie peinlich wird es sein, wenn die Aufrüster fast überall mit ihrer BVB-Connection werben dürfen. Nur die Trikots sollen ausgespart bleiben. Na, toll. Es geht nicht darum, dass Rheinmetall derzeit auch und vor allem Waffen für die Ukraine herstellt, wo sie tatsächlich dringend benötigt werden. Es geht vielmehr um das allgemeine und sonstige Gebaren dieser Kriegsprofiteure, die fortan wahrscheinlich auch etliche VIP-Logen im Westfalenstadion fluten.

Wie hat man sich in Dortmund und anderswo aufgeregt, als der FC Bayern anrüchige Bande nach Katar knüpfte. Wie hat man die Schalker gescholten, die so lange an einer „Partnerschaft“ mit der russischen Gazprom festgehalten haben. Wie unbeliebt ist – zumal im Revier – RB Leipzig, weil der Club überhaupt erst vom Brausehersteller Red Bull gepäppelt wurde.

Und jetzt diese Dortmunder Kumpanei mit Rheinmetall, ausgerechnet im Vorfeld des Finales der Champions League lanciert. Es gibt so viele Marken, mit denen sich der börsennotierte BVB hätte schmücken oder wenigstens gut hätte arrangieren können. Warum musste es ausgerechnet die rheinische Waffenschmiede sein, die nicht einmal regionalen „Stallgeruch“ hat? Was ist in Hans-Joachim Watzke gefahren, dass er am Vorabend seines Abschieds noch eine solche Entscheidung getroffen hat?

Borussia Dortmund im Londoner Wembley-Stadion gegen Real Madrid. Mehr mythologische Aufgipfelung geht aus hiesiger Sicht kaum. So viele fiebern dem Endspiel am 1. Juni entgegen: Ob der Außenseiter BVB wohl die Sensation schaffen und den größten europäischen Titel erringen kann? Doch nun ist einem selbst dieses Hochamt des Fußballs vergällt.

Ich spare mir an dieser Stelle alle hochlustigen Anspielungen auf Abwehr, Verteidigung und Angriff in Krieg und Fußball. Das entsprechende Wortfeld ist mitsamt Bomben und Granaten schnell abgegrast. Ich gestatte mir aber gehörige Empörung oder – sprachlich noch passender – Entrüstung.




Langer Abschied vom Generalmusikdirektor: Gabriel Feltz wechselt bald von Dortmund nach Kiel

Hat bald einen neuen Arbeitgeber: Dortmunds Generalmusikdirektor Gabriel Feltz. (Foto: Andy Spyra/Dortmunder-Philharmoniker)

Einmal noch – dann ist es vorbei: Das (gut bemessene) Jahrzehnt, in dem Generalmusikdirektor (GMD) Gabriel Feltz ausschließlich in Dortmund – und als Chefdirigent in Belgrad – den Taktstock hob. Er geht nach Kiel. In der kommenden Spielzeit werden Dortmund und Kiel sich, wenn man einmal so sagen darf, den Generalmusikdirektor Feltz teilen, und dann ist er weg. Somit ist es wohl ein Abschied auf Raten, der eigentlich in dieser Spielzeit schon begonnen hat – mit einer Art Ruhrgebiets-Programm als dankbarer Verbeugung vor einem alles in allem doch sehr treuen Konzerthauspublikum.

Nun ging das achte philharmonische Konzert der laufenden Spielzeit, umjubelt natürlich, über die Bühne; Nummer neun wird ein Gast (Howard Griffith) leiten, Nummer 10 schließlich, „Wunschkonzert“ betitelt und in der Tat als ein solches konzipiert, wird dann der letzte philharmonische Auftritt von GMD Gabriel Feltz in dieser Saison sein. Und man hat das Gefühl, daß da etwas zu Ende geht, was nicht zwingend eine gleichwertige Fortsetzung erfahren wird.

So gut haben die Dortmunder noch nie gespielt

Fraglos nämlich muß man konzedieren, daß diese zehn Jahre Feltz das Dortmunder Orchester in qualitative Höhen brachten, die ihm vorher eher fremd waren. Er hatte gute Vorgänger, gewiß, stammten sie nun aus Holland oder den USA. Aber die Präzision des gebürtigen Berliners erreichten sie nicht. Über seinen Führungsstil gab es wenig Gerede, sein Auftreten wirkte – aber das ist nur aus dem Parkett heraus gesprochen – eher kollegial. Dieser (unterstellte) Führungsstil mag ausschlaggebend dafür gewesen sein, daß Feltz schließlich zum neuen GMD in Kiel gewählt wurde, auch mit den Stimmen der dortigen Orchestermusiker. Wie ein großer Karrieresprung kommt einem der Wechsel nach Kiel eigentlich nicht vor. Na gut, Landeshauptstadt; der Mann wird seine Gründe haben.

Revierthemen

Das Programm der nun bald endenden letzten Spielzeit trug nicht wenig dazu bei, der Sympathiekurve des Dirigenten noch mal einen kräftigen Schub nach oben zu geben. Jedes Mal ging es um Revierthemen oder doch wenigstens um reviernahe Themen – mit Überschriften wie „Stahlkocher“, „Taubenzüchter“ oder „Im Schrebergarten“. Naturgemäß blieb die Musikauswahl manchmal etwas bemüht. Dvorak etwa erklang am Taubenzüchter-Abend, weil Dvorak selbst ein leidenschaftlicher Taubenzüchter gewesen sein soll. Das mußte als Begründung reichen, denn seine Neunte „Aus der Neuen Welt“, die zur Aufführung gelangte,  hat ja eher wenig mit dem Revier zu tun.

Grandiose Koloratursopranistin

Am letzten 8. Abend nun, „Mensch und Maschine“ überschrieben, blieb die Schere zwischen Motto und Stücke-Auswahl, aber auch zwischen den einzelnen Stücken, erstaunlich eng geschlossen – erstaunlich, weil eine Abfolge von Johann Strauß (Sohn), Gershwin, Ligeti und Beethoven nicht unbedingt auf klangliche oder emotionale Verwandtschaft schließen läßt. Doch gerade György Ligetis „Mysteries of the Macabre“, ein aufgewühltes Gesangsstück, hervorgegangen aus der einzigen Oper des Komponisten „Le Grand Macabre“ und vorgetragen, gesungen, geschrieen von der Koloratursopranistin Gloria Rehm, zeigte unerwartete Kongenialität; einen gewissen Beitrag zur Wirkmächtigkeit des Vortrags leisteten sicherlich auch der hautenge, mit Elektronikplatinenmuster bedruckte Body der Sängerin und ihre absichtsvoll sicherlich prolligen silbernen Stiefel. Einen ganzen Abend lang möchte man das vielleicht nicht hören, das würde zu anstrengend; aber die neun Minuten (die Dortmunder Programmhefte nennen seit einiger Zeit die Dauer der Stücke), die nun zur Aufführung gelangten, waren grandios und rissen das Publikum am Schluß zu spontanen Stehovationen aus den Sesseln. Gern akzeptierte man dabei die Humoranwandlung des Dirigenten, der irgendwann zwischendurch mal fragte, ob die Sängerin denn nichts auf Deutsch zu singen habe. Wäre nicht nötig gewesen, aber egal.

Spaß muß sein

Strauß’ „Perpetuum mobile“, vom Komponisten selber schon als „musikalischer Scherz für Orchester“ bezeichnet, ist ein Endlos-Stück, das einen Dirigenten gar nicht braucht. Die Musiker schaffen das alleine. Wie aber bringt man sie dazu aufzuhören? Feltz, bald schon nicht mehr dirigierend, bat die Kapelle händeringend, bot Geld, suchte schließlich einen Menschen im Publikum, der es mit Hilfe eines Megafons irgendwie schaffte, für Ruhe zu sorgen. Na gut, Spaß muß sein.

A propos Spaß: Den angstschweißtreibenden Spaß einer Probefahrt in einem „sehr schicken italienischen Sportwagen“ setzte der Komponist John Adams (geb. 1947) „noch nicht vollständig erholt“ 1986 in ein bombastisches Klanggemälde mit dem Titel „Short Ride in a Fast Machine“ um. Diese vier Minuten standen am Beginn des Abends, und selten waren zur Geräuschentfaltung mehr Musiker auf engem Bühnenraum zusammengepfercht als bei diesem Vortrag.

Der unvergeßliche Borussia-Abend

A propos Spaß, die zweite: Einer der stärksten Abende der nun bald endenden Spielzeit war sicherlich „Faszination Stadion“, Mitte Januar. Als das fußballerischste (man entschuldige den ungelenken Superlativ) Stück des Abends erklang „You’ll Never Walk Alone“ (Richard Rodgers/Oscar Hammerstein), samt Aufforderung an die zahlreich schwarz-gelb gewandeten Besucher, mitzusingen. Dortmunds Homeboy Nobby Dickel erzählte noch einmal von seinen berühmten Toren, Dr. Michael Stille, Orchesterdirektor seines Zeichens, moderierte gut gelaunt und kenntnisreich. (Allerdings dirigierte an diesem Abend nicht Feltz, sondern Martijn Dendievel.) Die Frau jedenfalls auf dem Nachbarplatz, die schon oft im Stadion, aber noch nie im Konzerthaus gewesen war, fand das alles toll. Auch die Musik von Schostakowitsch. Und man konnte durchaus den Eindruck haben, daß viele weitere Borussen das Konzerthaus einfach gut fanden, und viel weniger elitär als befürchtet.

Das Konzerthaus ist voll

Unter Feltz’ Leitung haben die Philharmoniker die Corona-Jahre gut überstanden, die Hütte war in dieser Spielzeit wieder ziemlich voll, man sieht erfreulich viele jüngere Gesichter im Saal. Die Dortmunder Oper, so der Eindruck, tut sich deutlich schwerer, ihr Publikum zu finden. Produktionen wie (zuletzt) „Der schwarze Berg“ von der französischen Komponistin Augusta Holmès finden eher Beachtung in den überregionalen Feuilletons als beim heimischen Publikum, scheint es. Doch sei nicht dieses unser Thema.

Ein Nachfolger für Gabriel Feltz ist ausgeguckt und engagiert: Jordan de Souza, Kanadier, 1988 in Toronto geboren, heißt ab 2025 der neue Dortmunder GMD.

www.theaterdo.de




Eher widerwillig mitgemacht – Borussia Dortmund zur NS-Zeit

Wie stand es in der NS-Zeit um den BVB? Hat der Verein am faschistischen Unwesen freiwillig oder eher notgedrungen mitgewirkt? Solchen Fragen, die sich keinesfalls „erledigt“ haben, widmen sich Rolf Fischer und Katharina Wojatzek in ihrem Buch „Borussia Dortmund in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945″.

Sie haben, so gut es angesichts der schwierigen Quellenlage nur ging, das Thema mit dem Rüstzeug der Geschichtswissenschaft eingehend recherchiert und bislang unbekannte Details zutage gefördert. Der BVB, dessen Präsident Reinhold Lunow ein Vorwort geschrieben hat, hat die Untersuchung nach Kräften unterstützt. Gut so.

Wertvolle Pionierarbeit hatte schon 2002 Gerd Kolbe mit seiner Publikation „Der BVB in der NS-Zeit“ geleistet, für die er noch zahlreiche Zeitzeugen befragen konnte. Im Sinne der zunehmend aufgewerteten „Oral History“ hat er mündlich überlieferte Quellen gesichert, die später nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten. Darauf ließ es sich aufbauen. Inzwischen konnten aufschlussreiche Akten und Dokumente (auch Fotografien) gesichtet werden, sofern sie nicht im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden. Erschwerend kam hinzu: Da der BVB in seinen Anfängen ein Arbeiterverein war, haben die Mitglieder weniger Schriftliches hinterlassen, als dies im bürgerlichen Umfeld der Fall gewesen wäre.

Unterschiedlich „nazifizierte“ Vereine

Um ein Fazit des neuen Buches vorwegzunehmen: Die Borussen haben sich gegen eine Vereinnahmung durch die NS-Machthaber nicht wehren können, doch hielt sich diese für längere Zeit in Grenzen. Die meisten anderen Vereine ließen sich bereitwilliger oder in vorauseilender Fügsamkeit gleichschalten. Andernorts gehörten deutlich mehr Vereinsmitglieder zugleich NS-Organisationen an, und zwar oft schon sehr frühzeitig.

Ein nachvollziehbarer Befund lautet so: Es gab Unterschiede, was den Grad der „Nazifizierung“ angeht. Schon der soziologische Hintergrund der jeweiligen Vereine gab eine Richtung vor, wobei man von etwaigen heutigen Sympathien strikt absehen muss. Demnach waren damals bürgerliche Clubs wie etwa der VfB Stuttgart, Werder Bremen (wo anfangs gar höhere Schulbildung Voraussetzung war), Alemannia Aachen oder 1860 München in aller Regel anfälliger für Indienstnahme, desgleichen die größeren Vereine in Nürnberg, Fürth und Kaiserslautern. Sie waren schnell „auf Linie“.

Bürgerliche und proletarische Milieus

Proletarisch grundierte Vereine wie der BVB (Ursprünge in den Stahlwerksvierteln rund um den Borsigplatz) oder auch Hertha BSC Berlin (Wurzeln im „roten Wedding“) waren hingegen zumindest von der Genese und vom Milieu her widerständiger, ihre Mitglieder hatten vor 1933 überwiegend KPD oder SPD gewählt. In Dortmund kam noch ein katholischer Impuls von früheren „Zentrums“-Wählern hinzu – nicht zuletzt durch polnische Zuwanderer. Allerdings konnte aus all dem kein offener Widerstand gegen das NS-Regime erwachsen. Allenfalls insgeheime Sabotage-Akte waren möglich, wenn auch sehr riskant. Eine bewegende und schließlich betrübliche Geschichte solchen Zuschnitts rankt sich um den kommunistisch orientierten BVB-Platzwart Heinrich Czerkus, der lange von Leuten im Verein systematisch gewarnt wurde, wenn die Gestapo sich näherte – bis eigens ein V-Mann auf ihn angesetzt wurde. Czerkus wurde von den Nazis ermordet.

Der BVB galt in den 1930er Jahren noch als Verein, für den man sich nur in seinem engeren Umkreis und nicht in der ganzen Stadt interessierte. Also stand er nicht so sehr im Fokus, auch nicht in dem der NS-Parteigenossen. Ganz anders der FC Schalke 04, der damals die renommierteste Mannschaft des ganzen Reichs stellte. Also ließen sich die NS-Chargen stets gern mit den „Knappen“ ablichten.

Borussia Dortmund hatte seinerzeit keine jüdischen Spieler, so dass man auch nicht gezwungen war oder gedrängt wurde, jemanden auszuschließen, wie dies bei vielen anderen Vereinen geschah – selbst bei solchen, die von jüdischen Bürgern (mit)gegründet worden waren. Kein Dortmunder Verdienst also, sondern eine Folge der Mitgliederstruktur.

Verdruckster Umgang nach dem Krieg

Erhellend auch das Kapitel über den Umgang mit dem Thema in der Nachkriegszeit. Mindestens bis zur Jubiläumsschrift von 1969 (der BVB 09 wurde damals 60 Jahre alt) muss die Haltung dazu als verdrängend, verlogen und verdruckst bezeichnet werden. In der erwähnten Broschüre wurden zwar Bilder aus der NS-Zeit gezeigt, freilich hatte man sie dilettantisch retuschiert (Übermalung von Hakenkreuzfahnen etc.) und damit „entschärft“. Es dauerte noch eine ganze Weile, letztlich bis in die späten 90er Jahre, bevor endlich offen über die NS-Verstrickungen geredet wurde – wenigstens von jüngeren Jahrgängen.

Das Buch dürfte zum Standardwerk über den BVB in jenen finsteren Zeiten werden. Zwar ist man in manchen Fragen auf Spekulationen angewiesen, doch klingen die Mutmaßungen zumeist plausibel und werden transparent ausfbereitet. Vor allem aber hat sich die intensive Quellenarbeit ausgezahlt. Im steten Wechsel zwischen Blicken aufs größere Ganze und biographische Nahansichten zeichnen Fischer und Wojatzek ein vielschichtiges Zeitbild, das auch Widersprüche und Leerstellen umfasst.

Rolf Fischer / Katharina Wojatzek: „Borussia Dortmund in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945″. Metropol Verlag, Berlin. 256 Seiten mit zahlreiche Schwarzweiß-Abbildungen, 24 Euro.




60 Jahre Bundesliga – und der zwecklose Versuch, online eine BVB-Karte zu kaufen

Kurz nach 12 Uhr – und noch 55 Minuten Wartezeit bis zum Eintritt in den eigentlichen Ticketshop. (Screenshot von der BVB-Homepage)

Tätäääää! Großer Tusch. Heute ist es auf den Tag genau 60 Jahre her, dass die Bundesliga ihren Spielbetrieb aufgenommen hat. Die Gründung der höchsten deutschen Spielklasse war übrigens vom DFB in Dortmund beschlossen worden. Und das allererste Liga-Tor hat Timo Konietzka vom BVB erzielt – beim Auswärtsspiel gegen Werder Bremen. Die Grünweißen haben dann doch noch 3:2 gewonnen. Naja, Schwamm drüber. Es lässt sich derweil gar nicht ermessen, wie viel gesamtgesellschaftlicher Gesprächsstoff und verbra(u)chte Lebenszeit sich aus der Liga ergeben hat.

Apropos Lebenszeit. Damit zu einem allzeit dringlichen Thema beim BVB. Nein, es geht nicht um weitere Spielertransfers, sondern um dies: Während man sich andernorts schlicht und einfach eine Karte kauft, um ein Spiel zu sehen, ist das in Dortmund anders. Ganz anders. Hier muss man Zeit opfern und großes Glück haben. Selbst im europäischen Vergleich ist der Kartenabsatz beispiellos. Da sage noch jemand, die Bundesliga sei kein Erfolgsmodell. Hier ist sie jedenfalls eins.

In jedem Falle ausverkauft

Bei 81.365 Zuschauern wird im größten deutschen Stadion regelmäßig „ausverkauft“ gemeldet. Egal, gegen wen die Partie bestritten wird. Scherzbolde sagen, das Westfalenstadion sei schon proppenvoll, wenn der Platzwart den Rasen mäht. Satte 55.000 Plätze werden bereits durch Dauerkarteninhaber belegt (abzüglich derer, die am jeweilen Spieltag verhindert sind, ihre Tickets aber anderweitig vergeben). Bleiben rechnerisch also gerade mal 26.365 „freie“ Plätze, von denen wiederum das Gäste-Kontingent abgezogen werden muss – je nach Gegner mal mehr, mal weniger. Von Frei- und Gefälligkeitskarten (für Sponsoren etc.) mal ganz abgesehen.

Beispiel: Am 23. September geht es für die Borussia gegen den VfL Wolfsburg, der – gelinde gesagt – nicht allzu viele Fans zur Fahrt nach Dortmund mobilisiert. Also bleiben ein paar Plätze mehr für heimische Fans übrig. Doch was nützt es?

Habe mich also heute ins Abenteuer der Online-Kartenvergabe gestürzt. Wohlgemerkt: Es geht nicht etwa gegen die ungeliebten Bayern oder dito Leipzig, sondern eben gegen das nicht übermäßig attraktive Wolfsburg. Noch dazu kann ich mich – theoretisch mit zigtausend anderen Leuten – als Vereinsmitglied einloggen. Für uns Auserwählte gibt es den „freien“ Vorverkauf einen Tag vor dem offiziellen. Doch was nützt es?

„Ebenfalls per Zufallsprinzip“

Der Online-Zugang zum Ticketshop ist am entsprechenden Vorverkaufstag aus guten Gründen streng geregelt. Zitat aus der bürokratisch trockenen Erläuterung:

„Erst mit Beginn des Vorverkaufs (um 12 Uhr) wird eine festgelegte Anzahl an Personen per Zufallsprinzip in den Ticketshop gelassen. Alle Fans, die nicht sofort in den Shop geführt werden können (Hahaha! d. Red.), befinden sich dann in einem Warteraum, der transparent die Zeit angibt, bis die jeweilige Person an der Reihe ist. Die Position im Warteraum wird ebenfalls per Zufallsprinzip zugeteilt…“

Und wenn man sich nun schon um 10 Uhr einloggt? Dann bringt das offenbar auch keinen Vorteil: „Der Zeitpunkt, wann der Ticketshop (vor 12 Uhr) aufgerufen wird, ist nicht entscheidend für die spätere Ticketvergabe!“

Viele geben vorzeitig auf

Nun muss man also im virtuellen Warteraum ausharren. Ein kleines Männlein, das durch einen gelben Streifen auf ein Ziel hin schreitet, zeigt den Fortgang an. Wie niedlich. Jedoch ein schwacher Trost. Erste Meldung: 55 Minuten (!) Wartezeit bis zum ersehnten Eintritt in den Ticketshop. Offenbar geben an diesem Punkt manche schon auf, denn die Wartezeit verkürzt sich nun schneller, als die Uhrzeit voranschreitet. Plötzlich sind es „nur“ noch 42 Minuten, dann sprungweise 35, 29, 25, 18, 14, 8, 6, 5, 3… Bereits um 12.14 Uhr plus ein paar Sekunden ist die imaginäre Null-Linie erreicht, ich darf in die heiligen Hallen eintreten. Großes Oh und Ah!

Doch was ist das? Die knappe Viertelstunde hat anscheinend schon ausgereicht, dass andere Fans den gesamten Kartenbestand abräumen konnten. Ich verkneife es mir, sie „gierige Geier“ zu nennen. Ich wäre ja im Erfolgsfalle selbst einer gewesen. Jedenfalls heißt es an dieser Stelle, dass keine Karten mehr zur Verfügung stünden.

Einen anderen Browser benutzen? Längst probiert. Dauerfeuer mit der F5-Aktualisierungstaste? Zwecklos. Da muss man sich wohl ins Schicksal fügen.

 




Eine Stadt, in Schwarzgelb gehüllt: Borussia Dortmund stand kurz vor der Meisterschaft – aber dann…

Die Kluft fürs Wochenende lag bereit. (Foto: Bernd Berke)

An einem einzigen Tor sind sie gescheitert… Bayern eins zu viel, der BVB eins zu wenig. Hallers verschossener Elfer, Adeyemis Verletzung. Ja, man könnte lange lamentieren. Doch was hilft’s? Borussia Dortmund hätte heute wirklich und wahrhaftig deutscher Fußballmeister werden können – erstmals wieder seit 2012, als es unter Jürgen Klopp sogar ein BVB-Double mit Pokalsieg gegeben hat. Hier die Zeilen, die vor dem entscheidenden Spiel gegen Mainz geschrieben wurden:

In der Stadt wird seit Tagen eigentlich über nichts anderes mehr geredet. Spätestens am Pfingstwochenende wird hier und im Umland so ziemlich alles in Schwarzgelb gehüllt sein, alle denkbaren Verrücktheiten im Zeichen dieser Farben inbegriffen. Nervosität und Vorfreude steigen von Stunde zu Stunde. Da wird sogar die gestern verkündete, überraschende (nur vorübergehende?) Rettung des Dortmunder Karstadt-Hauses zur lokalen Randnotiz, wenn auch zu einer erfreulichen.

Man muss nicht alles wieder herbeten, was dazu geführt hat, dass der Meistertitel in greifbar(st)e Nähe gerückt ist. Doch ein paar Faktoren sollten genannt werden: die immense Formsteigerung von Spielern wie Donyell Malen und Karim Adeyemi (welch eine pfeilschnelle „Flügelzange“!) oder auch dem immer stabileren Emre Can; die geradezu unglaubliche Wiederkehr des Sébastien Haller; der ungeahnte „zweite oder dritte Frühling“ von Mats Hummels; Gregor Kobel, der – wie man so schön sagt – immer mal wieder „die Unhaltbaren hält“. Na, und so weiter. Und natürlich hat Herzblut-Trainer Edin Terzic einen Riesenanteil an der ungemein erfolgreichen Rückrunde. Und nein: Es liegt keinesfalls nur an der Schwäche der Bayern, wenn es dem BVB gelingt. Es liegt auch und vor allem an eigenen Qualitäten. Jawoll!

Die tabellarische Ausgangslage ist bestens, doch kein Anlass zur Selbstzufriedenheit (was man der Mannschaft auch nicht nachsagen kann). Neben arg verfrühtem Siegestaumel bei etlichen Fans mehren sich nun auch die Unkenrufe aus allerlei Richtungen: „Vielleicht vergeigen sie es kurz vor der Ziellinie doch noch!“ Sollen wir uns nun ein nervenschonendes oder ein maximal spannendes Finale wünschen, das sich womöglich erst in der Nachspielzeit entscheidet? Mh. Dauerhafte Schnappatmung wäre der Gesundheit nicht unbedingt zuträglich. Und ob sie quer durch die Republik einen schönen Nervenkitzel haben, ist doch wohl zweitrangig, oder? Es soll bitteschön klar ausgehen.

Ich halte jedenfalls dafür, dass „zwischen Flensburg und Freiburg“ (um noch so ein Klischee zu bemühen) eine satte Mehrheit eher Dortmund den Titel gönnt als den Bayern. Natürlich bedeutet die Meisterschaft in dieser oft gebeutelten Stadt auch ungleich mehr als drunten im begünstigten Süden, wo sie es kaum noch anders kennen, als gelangweilt die Schale abzuräumen und wo sie schon zu Tausenden vorzeitig die Allianz-Arena (aka „Arroganz-Arena“) verlassen, wenn „dahoam“ vorentscheidend gegen Leipzig verloren wird.

So ähnlich hätte es wieder aussehen können: Impression vom Meister-Corso des BVB am 15. Mai 2011, hier mit (v. li.) Mario Götze, Lucas Barrios und Nuri Sahin. (Foto: Bernd Berke)

Wie es heißt, hat es vor dem entscheidenden Heimspiel gegen Mainz 05 weit über 300.000 Kartenanfragen gegeben. Zwar steht in Dortmund das größte deutsche Stadion, das immerhin knapp über 81.000 Zuschauer fasst, doch hört und liest man von exorbitanten Ticket- und Übernachtungspreisen, die die 1000-Euro-Marke überschreiten.

Für viel Ärger hat im Vorfeld dies gesorgt: Der Fußballsender Sky/Wow mag am Samstag partout keine großen Public Viewing-Ereignisse in Dortmund zulassen und es Kneipen mit Sky-Lizenz nicht einmal erlauben, ihre Bildschirme so zu drehen, dass sie von außen sichtbar sind. Wahrscheinlich ist es (ohne dass sie es zugeben dürften) auch der Stadt und der Polizei so ganz recht, weil dann nicht noch mehr riskante Events stattfinden. Der Sonntag mit einem möglichen Meister-Corso dürfte mit vorab geschätzten 200.000 bis 400.000 Fans zwischen Borsigplatz, Wallring und „Dortmunder U“ schon genug Probleme bereiten. Freilich: Gerade weil der Massenzulauf am Samstag vielleicht noch nicht richtig kanalisiert wird, sondern wahrscheinlich spontan entsteht, ist die Lage keineswegs ungefährlich. Kann und soll man sich beispielsweise mit Kindern in die City trauen?

Übrigens: Manche in Schwarzgelb frohlocken, dass heute Schalke absteigen kann. Andere sagen, sie würden jedenfalls das „Derby“ arg vermissen. Und wenn dann auch noch Bochum… Das wäre fürs Revier ja gar nicht auszudenken. Also bitte, Leute, gebt Euch einen Ruck: Daumendrücken hier wie dort. Und wenn’s nur wegen der Derbys ist.

 




Der BVB verteilt alljährlich über 155.000 Plastikkarten – muss das denn sein?

Hiermit oute ich mich als Mitglied des BVB – und möchte mich gleich in eine schwarzgelbe Angelegenheit einmischen. Nein, es geht nicht um die sportliche Situation. Auch nicht um irgendwas mit Corona. Sondern? Um die Öko-Chose.

Ich weiß nicht, wie das bei anderen Clubs läuft. Beim BVB bekommt man jedenfalls alljährlich eine neue Mitgliedskarte – aus Plastik. Moment mal! Das hört sich jetzt nicht allzu nachhaltig an, oder? Und was man da an Geld sparen könnte, wenn man die Dinger nur alle paar Jahre austauschen würde! Material- und Personalkosten. Postgebühren. Hallo, Herr Watzke?! Geld sparen…

Jedes Jahr eine neue schwarzgelbe Mitgliedskarte… (Foto: BB)

Liegt die Wechselfreudigkeit etwa daran, dass es jetzt ein anderes Trikot-Design mit geändertem Sponsor gibt, so dass das Foto auf der Karte nicht mehr damit übereinstimmt und der neue Sponsor sich beklagen könnte? Keineswegs. Auf meinem nagelneuen Mitgliedsausweis für 2022 ist ein Pokalsieger-Jubelfoto von 2012 zu sehen, also aus glorreichen Kloppo-Zeiten – mit Spielern wie Lewandowski, Kagawa, Gündogan, Kehl und Weidenfeller, die damals die Bayern im furiosen Finale mit 5:2 abgefertigt haben. Sie trugen Trikots, die inzwischen längst nostalgisch wirken.

Mal ehrlich: Ich muss nicht immerzu durch die Mitgliedskarte daran erinnert werden, dass wir jetzt 2022 haben. Und es geht ja um richtige Mengen. Der BVB hat über 155.000 Mitglieder, also werden dieser Tage mal wieder entsprechend viele Plastikkarten ausgegeben. Den bedrohlichen Berg muss man sich einmal bildlich vorstellen. Die abgelaufenen Exemplare werden ja mutmaßlich weit überwiegend weggeworfen. Devotionaliensammler vielleicht ausgenommen.

Zwei Unterschiede weist die neue Karte im Vergleich zur alten auf, von einer geringfügig geänderten Schriftart mal abgesehen: Zum einen fehlt diesmal die Nummer der Ticket-Hotline (warum?), zum anderen ist eine Art Prüfziffer hinzugekommen. Apropos: Die Frage nach der Gültigkeit – z. B. wegen des Vorrangs beim Ticketkauf – muss sich doch anders lösen lassen, als durch eine immer und immer wieder ersetzte Karte; zum Beispiel durch einen informativen Magnetstreifen (selbstredend unter strengster Beachtung des Datenschutzes). Giro- oder Kreditkarten werden doch auch nicht jährlich ausgewechselt.

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P. S.: Das Beratungshonorar nach üblichen BVB-Sätzen bitte auf mein Konto.

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Nachtrag am 11. März 2023:

Nanu! Soeben (pünktlich zum Tag des Revierderbys) ist der Mitgliedsausweis für 2023 ff eingetroffen – mitsamt einer Mitteilung, die tatsächlich auf Nachhaltigkeit hinausläuft. Zitat:

„Als Beitrag zum Klima- und Umweltschutz hat dieser Mitgliedsausweis eine Gültigkeit von 09 Jahren, also in diesem Falle für die Jahre 2023 bis 2031. Damit können wir über die Jahre hinweg gerechnet mehr als eine Million Plastikkarten einsparen.“

Bravo! Geht doch! Und, wie gesagt: Das Honorar zu den üblichen Sätzen… 😉




Vom IT-Campus zum „Theatermacher“ – eine kleine Dortmunder Betrachtung in Zeiten des Home-Office

Dort, wo jetzt noch ein markanter Hallenbau am Ufer der Emscher das Bild beherrscht, soll der neue IT-Campus entstehen. (Bild: p)

„Hoesch-Spundwand“, abgekürzt HSP, war viele Jahre ein Sorgenkind unter den Dortmunder Industriebetrieben, bis es dann 2015 endgültig zumachte – keine profitablen Aufträge und keine Aussicht auf Besserung. Was blieb, war im Westen der Stadt ein großes Industrieareal entlang der Emscher mit einer imposanten Halle, von der Emscherallee aus in ganzer Schönheit zu bestaunen. Und dann kamen die Planer.

„Wie das Google-Hauptquartier“

Im Lokalteil der Dortmunder Zeitungen – ja, für die, die nicht von hier sind und es nicht wissen: es gibt nur noch einen Lokalteil in Dortmund, der von den Ruhr-Nachrichten produziert und den die Funke-Titel WAZ und Westfälische Rundschau übernehmen – war nun zu lesen, wie toll das dort alles wird, auf dem ehemaligen HSP-Gelände und darüber hinaus. Rund um die Fachhochschule, die sich hier ansiedeln soll, werden so genannte „Science Factories“ entstehen, die so etwas wie „fliegende Klassenzimmer“ für die Fachhochschulstudenten sein sollen und in denen aus Ideen konkrete Anwendungsfälle werden. In der Informationstechnologie, so Klaus Brenscheidt von der Industrie- und Handelskammer, gelte es, „den Kampf gegen China aufzunehmen“. „Wie das Google-Hauptquartier“ soll die Geschichte funktionieren, Mitte der 2030er Jahre sollen rund 210 Unternehmen mit durchschnittlich jeweils 43 Arbeitsplätzen entstanden sein, was rechnerisch 9030 Arbeitsplätze ergibt und 26 Millionen Euro jährlich in das Dortmunder Steuersäckel spülen soll.

Die Kunst ist schon da: „Zur kleinen Welle“ heißt die archaisch-bedrohliche, gleichwohl begehbare Skulptur, die raumlabor Berlin vor einigen Jahren an den Rand der renaturierten Emscher stellte. (Foto: p)

Lieber zu Hause bleiben

Etwas nüchterner betrachtet ist gemeint, daß die Firma Thelen Gruppe für eine Gesamtsumme von rund zwei Milliarden Euro (immerhin) viel neue Bürofläche schaffen will, in 150 würfelförmigen Gebäuden mit einer Bruttogeschoßfläche von 200.000 Quadratmetern, so genannten Innovationskuben. Das sind beeindruckende Zahlen, keine Frage.

Doch scheint an dieser Stelle ein fußballkaiserliches „Schau’n mer mal“ angebracht. Als man mit diesen Planungen begann, hieß der Oberbürgermeister Sierau, gab es Covid 19 noch nicht, und keiner redete vom Home-Office. Mittlerweile kann man durchaus Zweifel haben, ob die fröhliche Campus-Idee noch funktioniert, oder ob die Damen und Herren Informationstechnologiker nicht lieber zu Hause bleiben zum arbeiten. Dann würde es nichts mit dem innovativen Würfelspiel. Aber wir wollen nicht unken.

Theater im Home-Office

Das Prinzip Home-Office, wir wechseln den Schauplatz, hat die Dortmunder Theaterleitung schon stark verinnerlicht. Seit 2020 ist Julia Wissert im Amt, doch das Große Haus konnte bislang noch nicht bespielt werden, wegen Corona. Als wieder etwas möglich war, hatte die Dortmunder Kulturverwaltung schon beschlossen, es gut sein zu lassen in der Spielzeit 20/21. In einer gewissen Folgerichtigkeit gab es Auskünfte zur anstehenden Spielzeit 2021/22 dann auch nur als Pressetext. Die anderen Bühnen in der Nachbarschaft, stellvertretend sei Bochum genannt, veranstalteten hingegen recht ordentliche Programm-Pressekonferenzen im Internet; für Dortmund bleibt lediglich die Hoffnung, daß im Herbst endlich wieder Leben im Theater einzieht. Wenn die Inzidenzen mitspielen, sozusagen.

Kay Voges, von 2010 bis 2020 Intendant des Dortmunder Theaters und ist seitdem Direktor der Wiener Volksbühne. (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Dortmunder „Theatermacher“ für Wien

Schauen wir jetzt noch nach Wien: Dort arbeitet Kay Voges, etliche Jahre Dortmunder Schauspielchef, an seiner Eröffnungspremiere im Oktober. Das Publikum des Wiener Volkstheaters, dessen Chef er seit einiger Zeit ist, will er mit einem, wenn man so sagen darf, überaus österreichischen Stoff in den Bann schlagen, verfaßt von einem erklärten Österreich-Hasser. Der Witz daran ist, daß wir in Dortmund die Inszenierung schon lange kennen – mit dem stattlichen Andreas Beck in der Titelrolle und einigen weiteren bekannten Namen aus Voges’ Dortmunder Zeit (u.a. Uwe Rohbeck). Den „Theatermacher“ von Thomas Bernhard hatte Voges seinerzeit gut begründet auf die Bühne des Dortmunder Theaters gestellt, weil es dort die erste große Produktion nach langem renovierungsbedingtem Exil in der Industriehalle „Megastore“ war.

Die Wiener sind schwierig

Also eine Win-win-Situation – eine Inszenierung, zwei Theater? Gelegentlich wird man mal nachschauen müssen, wie die Wiener es aufgenommen haben. Sie, die Wiener, gelten nämlich als schwieriges, verwöhntes Publikum, kein Vergleich mit den freundlichen Ruhris. Ob die Wiener sich von einem Piefke erzählen lassen wollen, wie sie so sind?

Smartes Rhinozeros

Ach ja, dies soll nicht unerwähnt bleiben: Das bombastische IT-Bauprojekt auf dem HSP-Gelände in Dortmund hat längst auch schon einen innovativen Namen erhalten. „Smart Rhino“ haben sie es genannt. Das klingt nach Kleinwagen mit alternativer Antriebstechnik, soll aber, so ist dem bereits zitierten Lokalteil zu entnehmen, Bezug nehmen auf das Plastik-Rhinozeros, das im Konzerthaus das Licht der Welt erblickte und das das Stadtmarketing der Stadt in vielen bunten Ausführungen als zweites Wappentier verordnet hat. Eigentlich würde der Adler reichen, auch zukünftig. Das wäre dann so etwas wie „Smart Eagle“. Doch vielleicht fällt dem Volksmund noch ganz etwas anderes ein.

 

 




Der BVB feiert den Pokalsieg: Ach, wenn doch der Trainer und viele Spieler bleiben würden!

Dortmunder Jubel über den Pokalsieg (Screenshot der ARD-Übertragung)

Tja, was soll man da sagen, da ist man beinahe sprachlos: Mit einem verdienten 4:1 hat Borussia Dortmund gegen RB Leipzig den DFB-Pokal gewonnen. Darauf hätte man vorher nicht unbedingt gewettet. Nicht in dieser Höhe. Nicht in dieser Art und Weise.

Edin Terzic, bis vor kurzer Zeit noch Assistenz-Trainer von Lucien Favre, hat diese Mannschaft insgesamt und hat einzelne Protagonisten sehr schnell besser gemacht. Er hat spürbar Herzblut einfließen lassen. Spieler wie Marco Reus, Mo Dahoud und Manuel Akanji sind unter seiner Ägide geradezu aufgeblüht. Jadon Sancho hat sein Formtief überwunden. Und von Erling Haaland ist nur in den höchsten Tönen zu reden. Um nicht all die anderen zu erwähnen, die wesentliche Anteile am Erfolg haben. Mats Hummels ohnehin. Guerreiro, Bellingham. Aber auch der 35jährige „Oldie“ Łukasz Piszczek, der mit diesem Titel seine Profikarriere beendet, bei dem darob Tränen der Freude flossen und den die ganze Mannschaft heftig hochleben ließ. Das waren schon erhebende, ja berauschende Momente, wenn man es mit den Schwarzgelben hält!

Was nun?  Kaum auszudenken, wenn sie sich jetzt auch doch noch die Teilnahme an der Champions League sichern. Sie sind auf dem besten Wege. Man möchte es bedauern, dass Trainer Terzic nach dieser Saison entweder wieder in die zweite Reihe rückt oder bei einem anderen Club sein Glück sucht, weil es ja beschlossene Sache ist, dass Marco Rose als neuer Cheftrainer aus Mönchengladbach kommen wird. Doch es ist kaum anzunehmen, dass Terzic einen Verein finden wird, mit dem er so innig verbunden ist, wie mit dem BVB. Vielleicht sieht man ihn eines Tages, zum Spitzentrainer gereift, in Dortmund wieder. Hoffentlich behält die Mannschaft jetzt und bis dahin ihr enormes Potential. Zu dem oder jenem sagen wir laut und deutlich: hiergeblieben! Doch ob sie auf uns hören?

Und jetzt wird erst einmal gefeiert. Aber hübsch coronagerecht, nech?!




Trotz BVB-Kantersieg: Reus und Hakimi fuchsteufelswild

Das Tabellenbild sieht gar nicht so übel aus, doch bei manchen Spielern brennt die Sicherung durch… (Screenshot von Kicker online)

Der BVB hat 5:0 gegen Union Berlin gewonnen. Glatte Sache. Ungebrochener Fußball-Jubel in und um Dortmund. Sollte man meinen. Doch nun kommt ein mittelgroßes ABER:

Was waren denn das für zwei beleidigte Leberwürste, die sich nach einiger Spieldauer nicht auswechseln lassen mochten? Verstehen sie es als Majestätsbeleidigung, wenn sie durch einen anderen Spieler „ersetzt“ werden; noch dazu, wenn es durchaus nachvollziehbar ist, weil sie bei hoher Führung für den kommenden Dienstag (DFB-Pokalspiel bei Werder Bremen) geschont werden sollen?

Erst trat Achraf Hakimi nach seiner Auswechslung wutentbrannt gegen eine Flasche am Spielfeldrand und warf seine Schuhe von sich. Hatte man (sprich: Trainer Lucien Favre) etwa gegen seinen Ehrbegriff verstoßen, was immer das überhaupt heißen könnte?

Noch gravierender dann freilich der befremdliche Vorgang ein paar Minuten später: Auch der Mannschaftskapitän und erfahrene Nationalspieler Marco Reus, der eigentlich ein Vorbild sein sollte, ist mit seiner Auswechslung absolut nicht einverstanden und schmeißt sein Tape fuchsteufelswild auf den Boden, quasi dem Trainer (dem Rest der Mannschaft, dem Publikum, aller Welt?) vor die Füße. Fast sah es so aus, als hätte er seine Kapitänsbinde weggeworfen.

Nach meinem Verständnis sollte es für Reus‘ Verhalten eine saftige Geldstrafe vom Verein geben. Im Wiederholungsfalle dürfte ein anderer Spieler Kapitän werden, beispielsweise Mats Hummels. Und Hakimi? Hat sich eine Verwarnung redlich verdient.

Über die Beweggründe mag man rätseln. Sind durch die winterlichen Neuverpflichtungen (Erling Haaland, Emre Can) Hierarchie, Gehaltsgefüge und damit die psychologische Balance der Mannschaft etwa ins Wanken geraten? Verkraftet es ein Reus nicht, dass er selbst zuletzt reihenweise Chancen versiebt hat, während Erling Haaland einen Treffer nach dem anderen erzielt und entsprechend gefeiert wird? Du meine Güte: Der Bursche aus Norwegen ist nun mal der Mann der Stunde. Das wird man vielleicht verkraften können – erst recht im Sinne des Vereins und seiner Ziele.

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Wir erinnern uns an Reus‘ goldene Worte in einem TV-Kurzinterview: „Ist das euer Ernst? Kommt mir nicht mit eurer Mentalitäts-Scheiße! Das geht mir so auf die Eier mit euch, ehrlich!“




Donnerwetter, gleich drei Treffer! Wie es für Erling Haaland beim BVB anfing

Ihr werdet schon sehen, wie ich diesmal die Kurve von Kultur zu Fußball kriege, nämlich so:

Gestern hatte ich mit einem Museumsleiter aus einer Nachbarstadt von Dortmund zu tun. Er meinte, der Lokalstolz in seiner Gemeinde halte sich sehr in Grenzen, die Leute fühlten sich eher den Stadtteilen und Vororten zugehörig. Wollten sie ins Zentrum fahren, sagten sie „Ich fahre in die Stadt.“ Ich entgegnete, dass das in Dortmund aber ähnlich sei. – Darauf er: „Das stimmt, aber in Dortmund gibt es etwas, das hält alles und alle zusammen: der BVB.“

Erling Haaland, hier noch im Trikot von RB Salzburg – am 4. Juli 2019. (Foto: Werner100359 bei Wikimedia Commons / Link zur Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Dortmunds Neuzugang Erling Haaland, hier noch im Trikot von RB Salzburg – am 4. Juli 2019. (Foto: Werner100359 bei Wikimedia Commons) / Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Recht hat der enorm kunstsinnige Mann, dem auch Fußballverstand gegeben ist. Vom Proll bis zum Prof. können sich hier praktisch alle oder wenigstens in überwältigender Mehrheit auf Borussia einigen. Mehr noch: Ungemein viele Menschen tragen an beliebigen Wochentagen BVB-Klamotten oder zumindest Jacken und Pullover mit dem Vereinslogo. Okay, manchmal kann einem das auch ziemlich auf die Nerven gehen. Man würde sich etwas mehr Stilempfinden wünschen.

Egal. Lassen wird das jetzt. Heute gibt es etwas zu berichten, was an Wahnwitz grenzt. Da kickten die Dortmunder – zum Rückrundenauftakt der Bundesliga – auswärts in Augsburg (sozusagen bei „Urmelchen“) und versiebten in der ersten Halbzeit reihenweise Großchancen, so dass man schon das Schlimmste zu ahnen bereit war.

Und tatsächlich: Nachdem vor allem Marco Reus sich durchs Verstolpern bester Chancen quasi als bester Abwehrspieler des Gegners erwiesen hatte, machten die Leute aus der Puppenkiste ein Tor nach dem anderen. Erst führten sie 1:0, dann 2:0, dann zwischenzeitlich 3:1. Das war’s dann wohl?

Nichts da! BVB-Trainer Lucien Favre war bestens beraten, als er in der 56. Minute den Neuzugang Erling Haaland einwechselte, diesen offenkundig hochtalentierten Norweger, der erst Anfang Januar von RB Salzburg gekommen war. Der 19jährige mit dem Bubigesicht, den man von daher durchaus für 17 halten könnte, erfüllt offenbar in idealer Weise den steinalten Sportreporter-Spruch, der da lautet: „Er weiß, wo das Tor steht.“

In der kurzen Zeit seines Einsatzes, gerade mal rund 35 Minuten, erzielte Haaland gleich drei Treffer und stellte mit diesem Hattrick gleich einen Langzeitrekord auf: Er ist nun der jüngste Spieler der gesamten Ligageschichte, der in seinem Debütspiel dreifach getroffen hat. Am Ende stand es folglich doch noch 5:3 für den BVB.

Welches etwas gottes- und kirchenlästerliche Wortspiel hat doch mein Lieblings-Fußball-Fanzine-Blog www.schwatzgelb.de kürzlich in die Überschrift gesetzt: „O Haaland, reiß die Himmel auf!“

Man muss das gesehen haben, wie der 1,94 m große Kerl sich vollkommen furchtlos ganz vorne reinstellt und sogleich vehement den Ball fordert, wie er schlicht und einfach Bock aufs notorisch wiederholte „Einnetzen“ hat. Seine Tore markiert er mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit. Schon jetzt dürfte er sich bei den Verteidigern, die es mit ihm zu tun bekommen werden, einigen Respekt verschafft haben. Und von der Gewichtsklasse her ist er in der Lage, sich im Getümmel ganz anders durchzusetzen als der schmächtige Paco Alcacer, den es offenbar schon wieder zurück nach Spanien zieht.

Greifen wir mal vor und greifen wir hoch: Nun darf man sich sogar schon auf die Duelle mit Paris St. Germain in der Champions League (18. Februar und 11. März) freuen. Mal schauen, was Haaland mit seinen Neben- und Hinterleuten da bewirken kann. Wahrscheinlich kommt der von Thomas Tuchel trainierte, großmächtige Widersacher mit Weltstars wie Mbappé und Neymar noch ein bis drei Jahre zu früh, doch daran kann man wachsen.

Jaja, ich weiß. Abwarten, ob Erling Braut Haaland (für deutsche Ohren ein witziger zweiter Vorname, oder?) das so oder ähnlich durchhält. Und überhaupt. Richtig. Völlig richtig. Aber heute wird man sich verdammt nochmal freuen dürfen, nech?




…und immer wieder die Frage nach Wembley – Zum Tod der Dortmunder Torwart-Legende Hans Tilkowski

Große Trauer – nicht nur beim BVB: Die Torwartlegende Hans Tilkowski ist mit 84 Jahren gestorben. Aus diesem Anlass noch einmal ein (erstmals im Juli 2017 in ähnlicher Form erschienener) Beitrag des Gastautors Heinrich Peuckmann über den legendären Torhüter von Borussia Dortmund und Westfalia Herne:

Untrennbar war seine Fußballkarriere mit einem einzigen Tor verbunden. „Herr Tilkowski“, riefen ihm bis zuletzt wildfremde Menschen zu, „ich habe da mal eine Frage.“ Und noch im Umdrehen antwortete er: „Der war nicht drin!“ Hans Tilkowski und das Wembley-Tor, er wurde es einfach nicht los.

Torwart-Legende Hans Tilkowski an seinem 70. Geburtstag im Juli 2005. (Foto: Helmut S. / Redaktion "Die Kirsche" - Permission: Wikimedia Commons) - Permission: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:Hans_Tilkowski.jpg&action=edit

Hans Tilkowski an seinem 70. Geburtstag im Juli 2005. (Foto: Helmut S. / Redaktion „Die Kirsche“ – Wikimedia Commons)

1966 hat dieses Tor, das keines war, das WM-Finale entschieden, die Engländer wurden  Weltmeister, Hans Tilkowski blieb die Ehre, Torhüter im Endspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft gewesen zu sein.

Vor oder hinter der Torlinie?

Der aserbaidschanische Linienrichter Tofiq Bachramow hat die folgenreiche Entscheidung nach einem Schuss von Geoff Hurst getroffen. Tilkowski hatte den Ball noch mit den  Fingerspitzen berührt und an die Unterkante der Latte gelenkt, von wo er, da war er sich sicher, auf und nicht hinter die Torlinie tickte. Schiedsrichter Dienst aber folgte der Meinung von Bachramov und erkannte auf Tor. Es war das 3:2 für England und die Entscheidung bei dieser WM. 

Als 2009 die deutsche Fußballnationalmannschaft in einem WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan antreten musste, sind Tilkowski und ich im Vorfeld des Spiels nach Baku gereist. Bachramow war nämlich nicht einfach nur ein Linienrichter, er war später der berühmteste Fußballfunktionär des Landes geworden, er hat den Verband nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion gegründet. Es gibt eine Briefmarke mit seinem Konterfei, nach seinem Tod wurde das Nationalstadion nach ihm benannt und überlebensgroß, in Bronze gegossen, steht sein Denkmal davor.

Eine versöhnliche Rede an den früheren Linienrichter

Der aserbaidschanische Fußballverband und Vertreter der deutschen Industrie wünschten sich vor dem Länderspiel eine versöhnliche Geste. Was lag da näher, als Hans Tilkowski einzuladen? Und wenn es um Werte wie Versöhnung oder soziales Engagement geht, war Tilkowski immer ansprechbar. Da lebte fort, was er als Kind einer Bergarbeiterfamilie in Dortmund-Husen erfahren hat, Solidarität nämlich und ein tief empfundenes Gerechtigkeitsgefühl.

Vor der versammelten Presse, vor Fernsehen, Funktionären und Regierungsvertretern hat er in Baku, unter dem Bachramow-Denkmal stehend, eine beeindruckende Rede zur Fairness im Sport gehalten. Der erste Satz stand natürlich schon beim Abflug fest: „Der Ball war nicht drin.“ Aber dann wies Tilkowski auf die völkerverbindende Funktion des Fußballs hin, der es immer wieder schaffe, Menschen zusammen zu führen und so seinen Beitrag zu leisten zu einer friedlichen Welt. Zum Schluss hob er den Kopf und  sprach das Denkmal direkt an: „Tofiq, wenn du noch leben würdest, hätten wir garantiert ein schönes Gespräch über Fairplay im Sport.“

Es begann beim Vorortverein SV Husen

Das kam gut an, Tilkowski war ein überzeugender Botschafter des deutschen Fußballs. Trotz solcher Momente, seine Karriere auf das  Wembley-Tor zu reduzieren, ist aber ebenso falsch  wie ungerecht. Beim SV Husen, dem Dortmunder Vorortverein, hat er begonnen, Fußball zu spielen. Ganz nebenbei hat er auch noch geboxt, es waren die beiden Sportarten, die Arbeiterjungen im Ruhrgebiet damals gerne ausübten. Samstags boxen, sonntags Fußball.

Der Fußball war aber doch Tilkowskis große Liebe. Nach der Zwischenstation beim SuS Kaiserau, dem Verein im Schatten der Sportschule, wo er schon als ganz junger Mann in der ersten Mannschaft spielte, wechselte er 1955 zu Westfalia Herne in die Oberliga. Fußballlegende Ernst Kuzorra hätte ihn gerne „auf Schalke“ gesehen, aber Tilkowski hatte die Sorge, an deren Stammtorwart Orzessek nicht vorbeizukommen. Und er wollte vor allem eins, nämlich spielen.

Als Sepp Herberger aufmerksam wurde

Seine Entscheidung erwies sich als goldrichtig, Trainer Fritz Langner vertraute dem jungen Torwart und Westfalia konnte, nicht zuletzt dank seiner tollen Paraden und seines noch besseren Stellungsspiels, jahrelang die Klasse halten. Schnell fiel er Bundestrainer Herberger auf, der Torhüter ohne Showeinlagen liebte, und im April 1957 war es so weit. Beim Länderspiel in Amsterdam, das 2:1 gewonnen wurde, stand der junge Hans Tilkowski zum ersten Mal im Tor der deutschen Nationalmannschaft. Auf insgesamt 39 Einsätze hat er es gebracht und war damit für einige Zeit Rekordnationaltorhüter.

1959 wurde dann zum großen Jahr von Westfalia Herne. Noch vor den Großvereinen Schalke und Borussia Dortmund wurde völlig überraschend die westdeutsche Meisterschaft gewonnen. Bei der darauf folgenden Endrunde zur Deutschen Meisterschaft fehlte den Spielern allerdings die Kraft. Fritz Langner, unsterblich mit der Trainingsanweisung „Ihr fünf spielt jetzt vier gegen drei“, hatte wohl zu hart trainieren lassen.

Funkstille mit dem Bundestrainer

In dieser Zeit stieg Tilkowski zum Stammtorhüter der Nationalmannschaft auf. Er bestritt alle Qualifikationsspiele für die WM 1962 in Chile, beim Turnier selbst aber  erlebte er eine bitterböse Überraschung. Nicht er durfte nämlich spielen, sondern der unerfahrene Wolfgang Fahrian. Vier Jahre vorher hatte Herberger Tilkowski nicht zur WM in Schweden mitgenommen, weil er zu jung sei und zu wenige Länderspiele bestritten hätte. Vier Jahre später war Fahrian noch jünger und hatte noch weniger Länderspiele als Tilkowski 1958 bestritten. Der hat mit dem Bundestrainer danach für einige Zeit kein Wort mehr gewechselt.

Eineinhalb Jahre lang herrschte Funkstille zwischen den beiden, denn Tilkowski hatte seinen Stolz und ein bisschen war er auch ein westfälischer Dickkopf. Er stand in dieser Zeit trotzdem im Blickpunkt des Fußballs. 1964, mit Einführung der Bundesliga, war er  zu Borussia Dortmund gewechselt und lieferte mit dem Verein glanzvolle Spiele im Europapokal, vor allem gegen Titelverteidiger Benfica Lissabon.

1966 Europapokalsieger mit dem BVB

Tilkowski hielt in diesen Spielen, was zu halten war und immer auch ein bisschen mehr. Sogar in eine Europaauswahl wurde er berufen. Schließlich war es Herberger, der ganz gegen seine Gewohnheit nachgab. Ob er ihn mal anrufen dürfe, hat er ihn beim Bankett nach einem Europapokalspiel gefragt. Er durfte und am Neujahrstag 1964 stand Tilkowski wieder im Tor der Nationalmannschaft. Es war aber kein guter Neueinstand, das Spiel gegen Algerien ging mit 0:2 verloren.

Mit Borussia Dortmund feierte Tilkowski weiter Erfolge. 1965 wurde die Mannschaft Pokalsieger und im Jahr darauf gewann sie als erste deutsche Mannschaft einen Europapokal, den der Pokalsieger. Nach Libudas sagenhaftem Heber aus vierzig Metern wurde Liverpool in Glasgow mit 2:1 geschlagen.

Die deutsche Meisterschaft hätte die Mannschaft  auch gewinnen können. Trainer „Fischken“ Multhaup wollte den Feiern aus dem Wege gehen und die Mannschaft für die letzten Bundesligaspiele abseits vom Trubel in aller Ruhe vorbereiten, aber das ließ sich in Dortmund, das im Freudentaumel lag,  nicht durchsetzen. Nach vielen Feiern gingen die letzten drei Spiele allesamt verloren,  1860 München überflügelte im letzten Moment die Borussia und wurde Deutscher Meister. So blieb Tilkowski, 1965 Fußballer des Jahres, der Meistertitel verwehrt.

Zwei Jahre spielte er noch bei Eintracht Frankfurt, dann begann er eine Karriere als Trainer. Werder Bremen, der 1. FC Nürnberg, auch AEK Athen waren u.a. seine Wirkungsstätten.

Soziales Engagement – vor allem für Kinder

Danach engagierte sich Tilkowski für Sozialprojekte, für das Friedensdorf in Oberhausen zum Beispiel, wo in Kriegen verwundete Kinder operiert und wieder  gesund gepflegt werden. Er sammelte Geld für Aktionen der Unicef, für leukämiekranke Kinder und vieles mehr. Eine Hauptschule in Herne ist nach ihm benannt worden. Natürlich sorgte Tilkowski dafür, dass diese  Multikulti-Schule einen Bolzplatz bekam, getreu seinem Motto, dass der Fußball über alle Unterschiede hinweg Gemeinschaft stiftet.

Außerdem war er Botschafter für den westfälischen Fußball-  und Leichtathletikverband und wies beharrlich daraufhin, dass Westfalen und das Ruhrgebiet viel zu bieten haben, auch im Sport. Er musste in dieser Eigenschaft oft in die Sportschule Kaiserau, wo er als junger Spieler unter Leitung von Dettmar Cramer seine Torwartausbildung erfuhr und wo inzwischen ein Neubau nach ihm benannt wurde. So schloss sich bei ihm, der immer wieder gerne nach Kaiserau zurückkam, der Kreis.

Auch mit über 80 noch drahtig und rege

Skandale ware Tilkowski fremd. Er war noch immer mit seiner Frau Luise, mit der er drei Kinder hat, verheiratet.

Wer diesen drahtigen, geistig regen und immer, wenn es um eine gerechte Sache ging, streitbaren Mann sah, mochte ihm das Alter von über 80 Jahren kaum abnehmen. Er müsste, so dachte man, nur seine Torwartkluft anziehen, dann könnte es wieder losgehen…




Trotz eher geringfügiger Titelchancen: In Dortmund grassiert mal wieder das schwarzgelbe Fußballfieber, denn vielleicht…

Vor ziemlich genau 8 Jahren wurde eine Hausfassade in Dortmund meisterschaftsgerecht umgestaltet. (Foto: Bernd Berke)

In jenem Moment noch unvollendet: Vor ziemlich genau 8 Jahren wurde diese Dortmunder Hauswand meisterschaftsgerecht umgestaltet. (Foto: Bernd Berke)

Jetzt dreht man hier in Dortmund schon wieder durch. Zumindest stehen viele Leute kurz davor. Denn rein theoretisch hat der BVB noch Chancen auf den Gewinn der Deutschen Fußballmeisterschaft. Für Schalker kurz erläutert: Dat is‘, wennze die Schale kriss‘.

BVB-Geschäftsführer Watzke wird mit dieser fast übermütigen Einlassung zitiert: „Meine Hoffnung wird jeden Tag größer. Ich bin selber ganz verwundert, weil ich eigentlich Skeptiker bin.“ Er habe, so Watzke demnach weiter, das „Gefühl, dass wir vor großen Dingen stehen“. Er könne es auch nicht erklären. Tja, wer kann das schon?

Unterdessen heißt es bereits, dass die Stadt Dortmund zu etwaigen Meisterfeiern mindestens rund 200.000 Fans erwarte (im verwöhnten München wären es wahrscheinlich gerade mal ca. 20.000 Versprengte, wenn überhaupt). Auch hat man hier bereits die Strecke für einen Autokorso ausgeguckt und abgesteckt: Start wäre am Sonntag um 14:09 Uhr, der Lindwurm der Freude würde sich vom Gelände der Westfalenhütte via Borsigplatz bis zum Ziel am Hohen Wall durch die Gegend winden. Nun gut, so etwas will ja wirklich von längerer Hand geplant sein. Aber es wirkt schon ein wenig vermessen, darüber zu reden. Man sollte es überhaupt nicht beschreien, da bin ich abergläubisch. Nicht schon vorher grölen: „Ey, hömma, Meista!“

Wenn schon, dann so richtig schweinemäßig ungerecht!

Zwischenzeitlich hat die Mannschaft des BVB ja so manches getan, um ihre Titelchancen zu vergeigen. Neun Zähler Vorsprung waren unversehens und erstaunlich rasch dahingeschmolzen. Tiefpunkte waren die grottigen Spiele ausgerechnet gegen Bayern und Schalke. Da hat Trainer Lucien Favre ganz traurig geguckt.

Doch unverhofft ist Borussia Dortmund noch einmal auf zwei Punkte an die Bayern herangekommen – bei ungleich schlechterem Torverhältnis. Bekanntlich muss man am morgigen letzten Liga-Spieltag bei der anderen Borussia in Gladbach antreten, für die es noch um etwas geht (Teilnahme an der Champions League), während Bayern die zuletzt so wechselhaften Frankfurter empfängt, die gleichfalls noch gut Punkte gebrauchen können (wg. Teilnahme an der Europa League oder gar an der Champions League). Den Münchnern reicht jedenfalls ein schnödes Unentschieden. Doch ihr etatmäßiger Torwart Manuel Neuer fällt aus – und es brodeln die Gerüchte um eine Entlassung von Trainer Kovac. Psycho!

Hoffentlich entscheidet nicht irgend ein dubioser Video-„Beweis“ über Wohl und Wehe, ein aus unerfindlichen Gründen zurückgenommener Elfmeter, ein erst aberkanntes und dann doch noch anerkanntes Törchen, ein angebliches Abseits, ein harmloses Foul mit anschließender „Schwalbe“, ein vermeintliches Handspiel („An-ge-schos-sääään! – Wo soll er denn hin mit der Hand?“). Wenn schon, dann soll’s aber so richtig schweinemäßig ungerecht zugehen, damit man hernach alles auf den Schiri schieben kann. Ganz wie früher. Hach. Und wenn wir schon bei Ungerechtigkeiten sind: Nicht unbedingt die Besseren sollen gewinnen (gähn!), sondern die Richtigen, hoho. Keine Widerrede jetzt!

Jeder Aspekt der bevorstehenden „Endspiele“ wird nun um und um gewälzt. Ungemein wichtige Sportredakteure schreiten derzeit mit breiter Brust und dicker Hose durch die Medienhäuser. Soooo spannend war das Finale der Liga seit Jahren nicht mehr. Und sie haben es schon immer gewusst.

Lindner und Özdemir setzen auf Schwarzgelb, Kühnert nicht

BVB-Kapitän Marco Reus ist nach seiner Rot-Sperre wieder dabei – und vielleicht hat Jadon Sancho erneut seine genialischen Momente. Der Junge hat in der gesamten Bundesliga die meisten erfolgreichen Dribblings bestritten. Darauf hätte man auch ohne Statistik gewettet.

Apropos wetten. Jetzt wurden wieder Politiker und sonstige Promis ‚rauf und ‚runter befragt, auf wen sie denn tippen. Für ein Boulevardblatt ist eine sinistre „Wahrsagerin“ angetreten. Außerdem gerade gelesen: Christian Lindner setzt auf „seinen“ BVB (der Mann sitzt im Wirtschaftsrat des Vereins, trotzdem hat man ein mulmiges Gefühl, wenn er Schwarzgelb so höchstpersönlich für sich vereinnahmt), Cem Özdemirs Hoffnungen gehen in dieselbe Richtung. Aber nix mit rot-gelb-grün. Denn Kevin Kühnert hält es mit Bayern München. Der soll bloß aufpassen, dass er nicht auf einmal enteignet wird! Das geht manchmal ganz flott – und schon is‘ der Ball wech…




In den besten Momenten fast schwerelos: Der „neue“ BVB spielt bestimmt nicht perfekt, aber unwiderstehlich mitreißend

Jetzt doch mal wieder ein paar Zeilen über Fußball. Über Fußballkultur, um euphorisch zu werden. Kurz und gut: Die letzten Spiele des BVB waren vielleicht nicht perfekt, phasenweise sogar holprig, aber dann – auf einmal dieser wundersame Wandel – allesamt unwiderstehlich mitreißend. Man muss schon an Jürgen Klopps oder auch Ottmar Hitzfelds beste Zeiten zurückdenken, um Vergleichbares zu finden.

Da hängt es... und der Erwerb soll sich bitteschön auch gelohnt haben. (Foto: BB / © Trikot: Borussia Dortmund)

Da hängt es nun… und der Erwerb soll sich bitteschön auch gelohnt haben. (Foto: BB / © Trikot: Borussia Dortmund)

Wie sich die im Durchschnitt sehr junge Mannschaft jeweils in den zweiten Halbzeiten aufgerafft hat, als wüchsen ihr Flügel, das war schon außerordentlich beeindruckend. So etwas wie die (nach Anfangsschwierigkeiten) ungeahnten Erfolge gegen Frankfurt und erst recht gegen Augsburg oder auch das satte 7:0 gegen Nürnberg hat man schon lange nicht mehr gesehen. Zugegeben: Glück ist dabei. Aber auch eine Menge Können.

Nicht nur Willensakte

Besser noch: Es waren nicht nur reine Kraft- und Willensakte, sondern Steigerungen, die in den schönsten Momenten ins wunderbar Spielerische und beinahe ins Schwerelose abhoben. Der neue Trainer Lucien Favre hat offenbar schon großartige Arbeit geleistet. Stets verweist er darauf, dass er und das Team noch Zeit bräuchten. Er hat sicherlich recht. Nun gut. Wir warten ab, was da noch kommen mag.

Wer war nochmal „Auba“?

Als hätte ich’s geahnt, habe ich zwei Tage vor dem Spiel gegen die tapferen, wenn auch arg rustikalen Augsburger das Trikot mit der Nummer 9 und der Aufschrift Paco Alcacer erworben – mit BVB-üblichem Torschützen-Rabatt. Und da zaubert der Spanier als Einwechselspieler gleich schon wieder drei Treffer, darunter den entscheidenden Freistoß in der allerletzten Sekunde. Wenn er so oder ähnlich weiter macht, wird man sich bald fragen: Aubameyang – wer war denn das nochmal?

Jedenfalls sollten sie den einstweilen vom FC Barcelona nur ausgeliehenen Stürmer unbedingt an den BVB binden. Angeblich sind die entsprechenden Verträge schon unterschriftsreif und die festgelegte Ablösesumme soll „nur“ bei rund 23 Millionen Euro liegen, was nach Lage der Dinge tatsächlich ein Schnäppchen wäre, so absurd es klingt. Die Aussichten, dass er in Dortmund bleibt, sollen jedenfalls sehr gut stehen.

Zugänge passen ins Gefüge

Aber auch die anderen Neuzugänge passen recht genau ins Gefüge, allen voran der Belgier Axel Witsel, der mit seiner Routine für dringend benötigte Stabilität sorgt, und der ebenfalls sehr zuverlässige Däne Thomas Delaney. Dazu die Sturm- und Drang-Abteilung mit frühreifen Talenten wie Pulisic, Sancho oder auch Bruun Larsen. Die nicht immer standfesten, doch sichtlich ehrgeizigen und steigerungsfähigen Akanji, Diallo und Hakimi. Natürlich nicht zu vergessen der gebürtige Dortmunder Kapitän Marco Reus, der die Mitspieler zu motivieren versteht. Wenn jetzt auch noch Mario Götze zu alter Stärke zurückfände, wär’s kaum auszuhalten. Dann hätte der BVB veritable Chancen, den derzeit kriselnden Bayern ein spannendes Rennen um die Meisterschaft zu liefern und in der Champions League mehr als achtbar abzuschneiden.

Trotzdem lieber mit Rückschlägen rechnen

BVB-Sportdirektor Michael Zorc hat also bei der Sichtung des Marktes offenbar das richtige Händchen bewiesen. Man darf auch annehmen, dass Sebastian Kehl, der neu bestallte Leiter der Lizenzspielerabteilung, zumindest klimatisch auch schon etwas bewirkt hat. Sollten zudem die fachlichen Ratschläge von Matthias Sammer im Hintergrund geholfen haben? Warum nicht?

Aber träumen wir nicht zu früh. Rechnen wir lieber mit zwischenzeitlichen Rückschlägen oder gar Krisen. Erwarten wir lieber erst einmal weniger als das Mögliche und Wahrscheinliche.




Globaler Hype um ein Training in Dortmund-Brackel: Weltrekord-Sprinter Usain Bolt zu Gast beim BVB

Welch ein Hype! Usain Bolt, als 100-Meter-Weltrekordler schnellster Mensch unseres Planeten (jedenfalls zu Fuß), hat heute öffentlich beim Bundesligisten Borussia Dortmund mittrainiert – und im Testspiel gleich ein Kopfballtor erzielt. Auch hat er einen „Elfer“ souverän verwandelt. Nach rund einer Stunde war er allerdings sichtlich aus der Puste…

Usain Bolt (rechts) beim Lauftraining im BVB_Trikot. (Screenshot vom YouTube-Kanal des BVB)

Usain Bolt (rechts) beim Lauftraining im BVB-Trikot. (Screenshot: YouTube-Kanal des BVB)

Schon im Vorfeld hatte es halbironisch großmundig geheißen: „Dortmund, mach dich bereit!“ Man fühlte sich glatt an die lang zurück liegenden Tage erinnert, als der für alle Zeiten weltbeste Boxer Cassius Clay (später: Muhammad Ali) sein „I am the Greatest“ postulierte.

Usain Bolt bevorzugt bekanntlich die siegesgewisse Bogenschießer-Geste. Gelbe Trikots müssten ihm übrigens liegen, ist er doch in dieser Farbe auch als Sprinter für sein Heimatland Jamaika angetreten. Die gerade mal 5 Grad plus, die beim Training in Dortmund herrschten, dürften freilich nicht seine Lieblings-Temperatur sein.

War es nur ein harmloses Späßchen, oder hat Bolt mit 31 Jahren tatsächlich noch Ambitionen auf eine Fußball-Karriere? Oder sollte etwa der Sportartikel-Ausrüster, auf den der BVB und Bolt gleichermaßen zurückgreifen (Quizfrage: weder Adidas noch Nike, sondern welches Tier…?), hier einen speziellen Crossover-Werbecoup gelandet haben? Man muss das Ganze wohl mit mehrfachem Augenzwinkern zur Kenntnis nehmen. Global verbreitete Reklame auch für die Stadt, die dutzendfach genannt wurde, ist es nebenher sowieso. Nach dem Extra-Honorar für Bolt wollen wir lieber nicht fragen, sonst geht die Neiddebatte wieder los.

Das heftig gewollte und gepushte Ereignis war selbstverständlich live zu verfolgen. Ich habe es auf einem BVB-Kanal bei YouTube gesehen, mit munterem englischem Dialog-Kommentar, der offenbar für die interessierte Weltgemeinde zwischen Jamaika, Japan, Australien und China gedacht war.

Elfmeter versenkt: Usain Bolt am Punkt. (Screenshot: YouTube-Kanal des BVB)

Elfmeter versenkt: Usain Bolt am Punkt. (Screenshot: YouTube-Kanal des BVB)

Am Ort des Geschehens waren immerhin rund 1400 Fans dabei, als es auf dem Trainingsgelände im Dortmunder Ortsteil Brackel zur Sache ging. Hinzu kamen etwa 140 akkreditierte Medienvertreter, darunter 25 Kamerateams und rund 25 Fotografen. Wer wollte auch nicht für die Nachwelt festhalten, wie Mario Götze einen Traumpass auf Usain Bolt spielt?

Leider waren nicht alle BVB-Stars mit von der Partie. Manche sind verletzt, andere weltweit bei Länderspiel-Begegnungen im Einsatz. Jammerschade vor allem, dass es nicht zum Laufduell zwischen Usain Bolt und dem ebenfalls recht pfeilschnellen Pierre-Emerick Aubameyang kommen konnte. Der Mann, der sich aus dem BVB-Vertrag herausgelümmelt hat, treibt sich halt nun bei Arsenal London herum. Wie man hört, richten sich Bolts fußballerische Amibitionen ebenfalls nach England. Sein Lieblingsverein soll Manchester United sein. Die sollen dort auch ziemlich gut zahlen, dem Vernehmen nach sogar noch ein bisschen besser als der BVB…

Jedenfalls soll das alles auch Labsal für die zuletzt öfter geschundene BVB-Seele sein. Die englischsprachigen Kommentatoren spekulierten, ob sich Bolts Siegermentalität ansteckend auf Borussia Dortmund auswirken könne. Sie hielten diesen Effekt durchaus für möglich. Wir werden ja sehen.

 




Nach dem Debakel gegen Salzburg: Servus, Peter Stöger! Der BVB muss sich völlig neu orientieren…

Ach, du meine Güte! Der BVB ist gegen RB Salzburg aus der Europa League ausgeschieden. Gegen Salzburg! Und zwar völlig verdient. Die Österreicher waren im Hin- und Rückspiel eindeutig stärker und wacher als Borussia Dortmund.

Noch BVB-Trainer: Peter Stöger gegen Ende des Rückspiels gegen RB Salzburg. (Screenshot der Sky-Übertragung)

Noch BVB-Trainer, resignativ gestimmt: Peter Stöger kurz vor dem Ende des Rückspiels gegen RB Salzburg. (Screenshot der Sky-Übertragung)

Und jetzt? Muss der (österreichische) BVB-Trainer Peter Stöger nach der Saison wohl seiner Wege gehen. Gewiss: Er ist sympathisch. Er hat Humor. Aber das genügt eben doch nicht. Wenn er jetzt auch noch den entscheidenden Platz vier in der Bundesliga vergeigt… Oha!

BVB-Geschäftsführer Watzke ist keineswegs schuldlos: Der Sauerländer hat – nach Jürgen Klopps Abgang – den Erfolgstrainer Thomas Tuchel ‚rausgeekelt. Er hat zunächst den glücklosen Niederländer Peter Bosz als Nachfolger geholt. Dann hat er Peter Stöger, den Trainer des desolaten Tabellenletzten Köln, antreten lassen. Die Erfolge, die Stöger in Dortmund hatte, kamen beinahe allesamt glücklich zustande. Der Offenbarungseid hätte schon viel früher geleistet werden müssen.

Hochnotpeinlich war schon das Ausscheiden aus der Champions League, vor allem gegen die Pseudo-Giganten aus Nikosia. Danach wähnte man sich – im alten Größenwahn – schon als Gewinner der Europa League. Denkste!

Gegen die Mannschaft aus der bislang nicht gerade sonderlich fußballaffinen Mozartstadt Salzburg war schon wieder Sense. Wat willze gegen die Nockerln ausrichten? Nix. Zu kaum einem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, dass da noch etwas ginge… Und nun vergleiche man mal die Ablösesummen und die Gehaltsstrukturen! Ach, es ist einigermaßen trist.

Es läuft einfach nicht. Es fehlt jede Leichtigkeit. Wenn überhaupt Siege verzeichnet werden, dann solche, die der Fußballgott gnädig verfügt hat. Arbeitssiege. Kampfsiege. Nichts leichthin Erspieltes.

Nein, wir wollen keine einzelnen Spielernamen nennen. Wir wollen auch nicht einen Mannschaftsteil gegen den anderen ausspielen. Was hier vorgeht, ist grundsätzlicher. Es fehlen die Leitfiguren. Es fehlen die Anstöße.

Nun, denn: Servus, Peter Stöger!

 

 




Was ist denn nur los mit Borussia Dortmund? Muss jetzt der Trainer schleunigst gehen?

Jetzt mal Butter bei die Fische: Borussia Dortmund ist derzeit schwach. Erschreckend schwach. So schwach wie lange nicht mehr. Als Jürgen Klopp, nach all den bahnbrechenden Erfolgen, auf einmal seine unerklärliche „schwarze Serie“ hatte, war es so ähnlich. Doch sein Nachnachfolger Peter Bosz kann, bis auf ein paar anfängliche Strohfeuer, noch keine nennenswerte Erfolgsserie aufweisen.

...und wieder ein Tor für die Bayern (das 0:3). (Screenshot: Sky-Übertragung)

…und wieder ein Tor für die Bayern (das 0:3). (Screenshot: Sky-Ticket-Übertragung)

Mit 1:3 haben sie soeben das Heimspiel gegen die Bayern verloren. Keine normale Niederlage. Sie haben nicht verloren wie der BVB, sondern – mit Verlaub – eher wie Mainz o5. Daran ändert auch der späte Anschlusstreffer in der 88. Minute nichts. Ansonsten: grottige Chancenverwertung, furchtbar wacklige Verteidigung; wie fast schon üblich in letzter Zeit.

Ist das heutige Gewürge etwa wieder in ca. 180 Länder übertragen worden? Gnade! Bitte nicht! Was sollen sie da draußen denken?

Nicht nur die in den letzten Wochen oft gescholtene Abwehr spielt weit unter Form, auch Mittelfeld und Angriff schwächeln deutlich, ja mitunter erbärmlich. Es könnte einem so vorkommen: Schießen die Gegner, ist beinahe jeder „drin“, zielen „wir“, geht praktisch alles daneben. Es ist wie verhext.

Fragt mich bitte nicht nach meiner Meinung über Neuzugänge wie „Toto“ (Toprak / Toljan), sonst werde ich vielleicht noch ausfallend. Aber es liegt beileibe nicht nur an ihnen. Der einstige Torjäger Aubameyang ist nur noch ein Schatten seiner selbst, sogar der sonst so unerschütterliche Sokratis bleibt unter seinen Möglichkeiten. Heute hat eigentlich nur Pulisic gänzlich überzeugt. Doch glücklos blieb auch er.

BVB-Geschäftsführer Watzke muss sich allmählich ernsthaft fragen, ob es richtig war, den doch recht erfolgreichen Trainer Thomas Tuchel achtkantig `rauszuwerfen und statt dessen den Holländer Peter Bosz zu holen. Der Mann mit dem eleganten Outfit hat binnen weniger Wochen nahezu alles vergeigt. Ihm fehlt einfach die Fortune.

Das Ausscheiden aus der Champions League ist gewiss, nicht einmal die Teilnahme an der Europa League ist gesichert. Ein zweifaches 1:1-Unentschieden gegen einen Club wie Apoel Nikosia entspricht bei weitem nicht den Ambitionen des Vereins.

Die Tabellenführung mit fünf Punkten Vorsprung auf die Bayern ist nicht nur rapide geschmolzen, sondern hat sich in einen Rückstand von sechs Punkten verwandelt. Auch Leipzig hat jetzt den BVB überholt, Schalke ist bereits punktgleich. Zu fürchten steht, dass die Dortmunder nach unten „durchgereicht“ werden.

Aufs „Aus“ im DFB-Pokal darf man sich wohl ebenfalls einrichten. In der kommenden Runde geht es ausgerechnet zu den Bayern nach München. Nach den heutigen Eindrücken ist dort kein Blumentopf zu gewinnen.

Die meisten Sportjournalisten haben sich inzwischen darauf geeinigt, dass Bosz nach seinem (offenbar von Gegnern inzwischen leicht berechenbaren) Hurra-Stil keinen „Plan B“ habe, also vorerst nicht mehr weiter wisse.

Es sieht also ganz so aus, als müsse „man“ die Reißleine ziehen und schleunigst einen Trainer holen, der ein Spielsystem installiert, das zu den Fähigkeiten des vorhandenen Kaders passt. Oder kann Bosz diese Kehrtwende noch selbst vollziehen? Ich wage zu zweifeln.

P.S.: Mir ist bekannt, dass es oft vernünftiger ist, vertrauensvoll zuzuwarten und nicht gleich alle Flinten ins Korn zu werfen. Doch es gibt Grenzen.




Irrwitz zwischen Dortmund und Barcelona: Der BVB verkauft den (derzeit) zweitteuersten Fußballer aller Zeiten

Seien es nun 140 oder 150 Millionen Euro, die Borussia Dortmund vom FC Barcelona für den hochbegabten, aber noch keineswegs ausgereiften Spieler Ousmane Dembélé kassiert. Derlei pekuniäre Details sind schon beinahe zweitrangig. Dass der vorherige Verein Stade Rennes auch noch ein millionenschweres Stück vom Kuchen abbekommt, mutet ebenfalls wie eine Petitesse an.

In solchen Dimensonen ist Dembélé jedenfalls (derzeit) der zweitteuerste Spieler aller Zeiten – hinter Neymar, der bekanntlich für 222 Mios von Barcelona nach Paris wechselte. Mal schauen, wie lange dieser Rekord Bestand hat. In Relation müssten jetzt Messi und Christiano Ronaldo je ca. eine halbe bis eine ganze Milliarde kosten, oder?

Natürlich sind das wahnwitzige, geradezu obszöne Preise, was denn sonst? Ans soziale Umfeld des Ruhrgebiets, in dem sich das zuträgt, und erst recht an Dembélés Herkunft darf man in diesem Zusammenhang eigentlich gar nicht denken.

Die Rendite für den börsennotierten Club kann sich jedenfalls sehen lassen. Für gerade mal 15 Millionen war der jetzt 20jährige Dembélé vor einem Jahr nach Dortmund gekommen, jetzt steht nahezu der zehnfache Betrag zu Buche.

Den herben sportlichen Verlust wird der BVB allerdings irgendwie wettmachen müssen, und zwar rasend schnell; bevor sich das Transferfenster Ende August wieder schließt. Schließlich steht seit gestern fest, dass man in der Champions League mal wieder gegen Real Madrid und Tottenham antreten muss.

Man kann jetzt schon wetten, dass Spieler, für die sich der BVB interessiert, sogleich immens im Markt-„Wert“ steigen dürften. Schließlich weiß ja alle Welt, wie viele Milliönchen neuerdings in die BVB-Kasse gespült werden. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass der Verein vor 13 Jahren um ein Haar in die Pleite geschlittert wäre…

Und nein: Dembélé wird trotz seiner tollen Dribbeltricks nicht in allerbester Erinnerung bleiben. Gewiss, er hat magische Momente gehabt, hat Fußball mitunter staunenswert zelebriert. Aber das unwürdige Gezerre um seinen Vertrag, seine geradezu kindische Weigerung, zum Training zu erscheinen – das war ungefähr das Gegenteil dessen, was sie in Dortmund von einem Spieler erwarten. Er möge also seiner Wege ziehen.




„Der war nicht drin!“ – über den Dortmunder Torwart Hans Tilkowski und den umstrittensten Treffer aller Zeiten

Unser Gastautor, der Schriftsteller Heinrich Peuckmann, über den legendären Torhüter von Westfalia Herne und Borussia Dortmund:

Untrennbar ist seine Fußballkarriere mit einem einzigen Tor verbunden. „Herr Tilkowski“, rufen ihm bis heute wildfremde Menschen zu, „ich habe da mal eine Frage.“ Und noch im Umdrehen antwortet er: „Der war nicht drin!“ Hans Tilkowski und das Wembley-Tor, er wird es einfach nicht los.

Torwart-Legende Hans Tilkowski an seinem 70. Geburtstag im Juli 2005. (Foto: Helmut S. / Redaktion "Die Kirsche" - Permission: Wikimedia Commons) - Permission: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:Hans_Tilkowski.jpg&action=edit

Hans Tilkowski an seinem 70. Geburtstag im Juli 2005. (Foto: Helmut S. / Redaktion „Die Kirsche“ – Wikimedia Commons)

1966 hat dieses Tor, das keines war, das WM-Finale entschieden, die Engländer wurden  Weltmeister, Hans Tilkowski blieb die Ehre, Torhüter im Endspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft gewesen zu sein.

Vor oder hinter der Torlinie?

Der aserbaidschanische Linienrichter Tofiq Bachramow hat die folgenreiche Entscheidung nach einem Schuss von Geoff Hurst getroffen. Tilkowski hatte den Ball noch mit den  Fingerspitzen berührt und an die Unterkante der Latte gelenkt, von wo er, da ist er sich sicher, auf und nicht hinter die Torlinie tickte. Schiedsrichter Dienst aber folgte der Meinung von Bachramov und erkannte auf Tor. Es war das 3:2 für England und die Entscheidung bei dieser WM. 

Als 2009 die deutsche Fußballnationalmannschaft in einem WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan antreten musste, sind Tilkowski und ich im Vorfeld des Spiels nach Baku gereist. Bachramow war nämlich nicht einfach nur ein Linienrichter, er war später der berühmteste Fußballfunktionär des Landes geworden, er hat den Verband nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion gegründet. Es gibt eine Briefmarke mit seinem Konterfei, nach seinem Tod wurde das Nationalstadion nach ihm benannt und überlebensgroß, in Bronze gegossen, steht sein Denkmal davor.

Eine versöhnliche Rede an den früheren Linienrichter

Der aserbaidschanische Fußballverband und Vertreter der deutschen Industrie wünschten sich vor dem Länderspiel eine versöhnliche Geste. Was lag da näher, als Hans Tilkowski einzuladen? Und wenn es um Werte wie Versöhnung oder soziales Engagement geht, ist Tilkowski immer ansprechbar. Da lebt fort, was er als Kind einer Bergarbeiterfamilie in Dortmund-Husen erfahren hat, Solidarität nämlich und ein tief empfundenes Gerechtigkeitsgefühl.

Vor der versammelten Presse, vor Fernsehen, Funktionären und Regierungsvertretern hat er in Baku, unter dem Bachramow-Denkmal stehend, eine beeindruckende Rede zur Fairness im Sport gehalten. Der erste Satz stand natürlich schon beim Abflug fest: „Der Ball war nicht drin.“ Aber dann wies Tilkowski auf die völkerverbindende Funktion des Fußballs hin, der es immer wieder schaffe, Menschen zusammen zu führen und so seinen Beitrag zu leisten zu einer friedlichen Welt. Zum Schluss hob er den Kopf und  sprach das Denkmal direkt an: „Tofiq, wenn du noch leben würdest, hätten wir garantiert ein schönes Gespräch über Fairplay im Sport.“

Es begann beim Vorortverein SV Husen

Das kam gut an, Tilkowski war ein überzeugender Botschafter des deutschen Fußballs. Trotz solcher Momente, seine Karriere auf das  Wembley-Tor zu reduzieren, ist aber ebenso falsch  wie ungerecht. Beim SV Husen, dem Dortmunder Vorortverein, hat er begonnen, Fußball zu spielen. Ganz nebenbei hat er auch noch geboxt, es waren die beiden Sportarten, die Arbeiterjungen im Ruhrgebiet damals gerne ausübten. Samstags boxen, sonntags Fußball.

Der Fußball war aber doch Tilkowskis große Liebe. Nach der Zwischenstation beim SuS Kaiserau, dem Verein im Schatten der Sportschule, wo er schon als ganz junger Mann in der ersten Mannschaft spielte, wechselte er 1955 zu Westfalia Herne in die Oberliga. Fußballlegende Ernst Kuzorra hätte ihn gerne „auf Schalke“ gesehen, aber Tilkowski hatte die Sorge, an deren Stammtorwart Orzessek nicht vorbeizukommen. Und er wollte vor allem eins, nämlich spielen.

Als Sepp Herberger aufmerksam wurde

Seine Entscheidung erwies sich als goldrichtig, Trainer Fritz Langner vertraute dem jungen Torwart und Westfalia konnte, nicht zuletzt dank seiner tollen Paraden und seines noch besseren Stellungsspiels, jahrelang die Klasse halten. Schnell fiel er Bundestrainer Herberger auf, der Torhüter ohne Showeinlagen liebte, und im April 1957 war es so weit. Beim Länderspiel in Amsterdam, das 2:1 gewonnen wurde, stand der junge Hans Tilkowski zum ersten Mal im Tor der deutschen Nationalmannschaft. Auf insgesamt 39 Einsätze hat er es gebracht und war damit für einige Zeit Rekordnationaltorhüter.

1959 wurde dann zum großen Jahr von Westfalia Herne. Noch vor den Großvereinen Schalke und Borussia Dortmund wurde völlig überraschend die westdeutsche Meisterschaft gewonnen. Bei der darauf folgenden Endrunde zur Deutschen Meisterschaft fehlte den Spielern allerdings die Kraft. Fritz Langner, unsterblich mit der Trainingsanweisung „Ihr fünf spielt jetzt vier gegen drei“, hatte wohl zu hart trainieren lassen.

Funkstille mit dem Bundestrainer

In dieser Zeit stieg Tilkowski zum Stammtorhüter der Nationalmannschaft auf. Er bestritt alle Qualifikationsspiele für die WM 1962 in Chile, beim Turnier selbst aber  erlebte er eine bitterböse Überraschung. Nicht er durfte nämlich spielen, sondern der unerfahrene Wolfgang Fahrian. Vier Jahre vorher hatte Herberger Tilkowski nicht zur WM in Schweden mitgenommen, weil er zu jung sei und zu wenige Länderspiele bestritten hätte. Vier Jahre später war Fahrian noch jünger und hatte noch weniger Länderspiele als Tilkowski 1958 bestritten. Der hat mit dem Bundestrainer danach für einige Zeit kein Wort mehr gewechselt.

Eineinhalb Jahre lang herrschte Funkstille zwischen den beiden, denn Tilkowski hat Stolz und ein bisschen ist er auch ein westfälischer Dickkopf. Er stand in dieser Zeit trotzdem im Blickpunkt des Fußballs. 1964, mit Einführung der Bundesliga, war er  zu Borussia Dortmund gewechselt und lieferte mit dem Verein glanzvolle Spiele im Europapokal, vor allem gegen Titelverteidiger Benfica Lissabon.

1966 Europapokalsieger mit dem BVB

Tilkowski hielt in diesen Spielen, was zu halten war und immer auch ein bisschen mehr. Sogar  in eine Europaauswahl wurde er berufen. Schließlich war es Herberger, der ganz gegen seine Gewohnheit nachgab. Ob er ihn mal anrufen dürfe, hat er ihn beim Bankett nach einem Europapokalspiel gefragt. Er durfte und am Neujahrstag 1964 stand Tilkowski wieder im Tor der Nationalmannschaft. Es war aber kein guter Neueinstand, das Spiel gegen Algerien ging mit 0:2 verloren.

Mit Borussia Dortmund feierte Tilkowski weiter Erfolge. 1965 wurde die Mannschaft Pokalsieger und im Jahr darauf gewann sie als erste deutsche Mannschaft einen Europapokal, den der Pokalsieger. Nach Libudas sagenhaftem Heber aus vierzig Metern wurde Liverpool in Glasgow mit 2:1 geschlagen.

Die deutsche Meisterschaft hätte die Mannschaft  auch gewinnen können. Trainer „Fischken“ Multhaup wollte den Feiern aus dem Wege gehen und die Mannschaft für die letzten Bundesligaspiele abseits vom Trubel in aller Ruhe vorbereiten, aber das ließ sich in Dortmund, das im Freudentaumel lag,  nicht durchsetzen. Nach vielen Feiern gingen die letzten drei Spiele allesamt verloren,  1860 München überflügelte im letzten Moment die Borussia und wurde Deutscher Meister. So blieb Tilkowski, 1965 Fußballer des Jahres, der Meistertitel verwehrt.

Zwei Jahre spielte er noch bei Eintracht Frankfurt, dann begann er eine Karriere als Trainer. Werder Bremen, der 1. FC Nürnberg, auch AEK Athen waren u.a. seine Wirkungsstätten.

Soziales Engagement – vor allem für Kinder

Danach engagierte sich Tilkowski für Sozialprojekte, für das Friedensdorf in Oberhausen zum Beispiel, wo in Kriegen verwundete Kinder operiert und wieder  gesund gepflegt werden. Er sammelte Geld für Aktionen der Unicef, für leukämiekranke Kinder und vieles mehr. Eine Hauptschule in Herne, wo er noch immer wohnt, ist  nach ihm benannt worden. Natürlich sorgte Tilkowski dafür, dass diese  Multikulti-Schule einen Bolzplatz bekam, getreu seinem Motto, dass der Fußball über alle Unterschiede hinweg Gemeinschaft stiftet.

Neuerdings ist er Botschafter für den westfälischen Fußball-  und Leichtathletikverband und weist beharrlich daraufhin, dass Westfalen und das Ruhrgebiet viel zu bieten haben, auch im Sport. Er muss in dieser Eigenschaft oft in die Sportschule Kaiserau, wo er als junger Spieler unter Leitung von Dettmar Cramer seine Torwartausbildung erfuhr und wo inzwischen ein Neubau nach ihm benannt wurde. So schließt sich bei ihm, der immer wieder gerne nach Kaiserau zurückkommt, der Kreis.

Auch mit 82 noch drahtig und rege

Skandale sind Tilkowski fremd. Er ist noch immer mit seiner Frau Luise, mit der er drei Kinder hat, verheiratet.

Am 12. Juli wurde er, der noch immer regelmäßiger Tribünenbesucher bei den BVB-Heimspielen ist, 82 Jahre alt. Wer diesen drahtigen, geistig regen und immer, wenn es um eine gerechte Sache geht, streitbaren Mann sieht, wird ihm das Alter kaum abnehmen. Er müsste, denkt man, nur seine Torwartkluft anziehen, dann könnte es wieder losgehen.




Ob Kultur oder Sport: Ohne Holländer geht es nicht! Jetzt wird Peter Bosz aus Amsterdam Trainer in Dortmund…

Soso, nach all den unwürdigen Machenschaften um den achtkantigen und nach meiner Meinung vereinsschädigenden Rauswurf Thomas Tuchels (lest die 5000 möglichen Links bitte bei Gelegenheit nach) bekommt der BVB also einen neuen Trainer. Und nach dem Vorbild gewichtiger Kultureinrichtungen im Revier ist es abermals ein Holländer.

Zur Feier des Tages schwenken wir schon mal niederländische Mini-Flaggen. (Foto: Bernd Berke)

Zur Feier des Tages schwenken wir schon mal niederländische Mini-Flaggen. (Foto: Bernd Berke)

Wie jetzt?

Nun, das Kulturzentrum „Dortmunder U“ hat bekanntlich seit Januar einen Chef aus den Niederlanden. Edwin Jacobs kam aus Utrecht. Und wer leitet seit 2015 die RuhrTriennale? Richtig, es ist der Holländer Johan Simons, der ab 2018 Intendant des Bochumer Schauspielhauses wird. Bei vakanten Posten dieser erstrangigen Güte schweift der suchende Blick also nicht selten aus dem Westen noch weiter westwärts. Nach englischem Vorbild, wo sie auf alles setzen, könnte man nun Wetten auf die künftige Leitung des Dortmunder Konzerthauses abschließen. Kommt er/sie aus den Niederlanden? Ja: Quote 1,5. Nein: Quote 3,5.

Ja, geht es denn überhaupt nicht mehr ohne die Leute aus dem flachen, topfebenen Nachbarland? Ist das jetzt unsere neue Leitkultur? Jedenfalls klingt der Akzent immer recht charmant und aufmunternd. Man weiß es spätestens seit Rudi Carrell.

Seine Oma  hielt zu Schalke

Zurück zum oft so bitteren Ernst des Fußballs. Der neue Mann beim BVB wird nicht nur Boss am Spielfeldrand, er heißt auch ungefähr so: Peter Bosz. Achtet mal drauf, wie oft wir ab sofort mit entsprechenden Wortspielen behelligt werden. Man soll ja auch keine sprachliche Steilvorlage verschenken, sondern beherzt einnetzen. Übrigens: Peter Bosz (Aussprache „Bosch“) spricht sehr gut Deutsch. Wohlfeile Scherze werden sich im Ruhrgebiet darum ranken, dass seine Großmutter angeblich Schalke-Fan gewesen ist.

Mijnheer Bosz (53) kommt von Ajax Amsterdam, wo es zuletzt Konflikte mit dem vielköpfigen Trainerstab gegeben haben soll. Mit dem jungen Team, das er nur für eine einzige Spielzeit betreut hat, ist er immerhin gleich ins Finale der Europa League vorgedrungen, das allerdings deutlich gegen Manchester United verloren wurde. Außerdem hat Bosz mit Ajax den zweiten Rang der höchsten niederländischen Liga („Eredivisie“) erreicht. Wobei zu sagen wäre, dass der dortige Fußball einiges von seinem früheren Glanz eingebüßt hat. An manchen großen Turnieren nimmt Oranje mangels Qualifikationserfolg gar nicht mehr teil, was stets hämische Gesänge deutscher Fans nach sich zieht.

Ein ordentlicher Karriereschritt

Mit dem BVB darf Peter Bosz gleich in der Champions League antreten, der Wechsel bedeutet also einen ordentlichen Karriereschritt für ihn. Er wird als Draufgängertyp beschrieben, als einer, der einen angriffslustigen Hurrastil spielen lasse. Gerühmt wird besonders sein Umgang mit jungen Talenten. Da hat er in Dortmund ein reiches Betätigungsfeld. Eine Aufzählung der Namen erspare ich uns.

Beim BVB erhält er jedenfalls einen Vertrag bis 2019. So war auch sein Vertrag in Amsterdam datiert – ebenso wie Tuchels Vertrag in Dortmund. Aber was sind heutzutage schon Verträge? Man kann die Leute ja notfalls kostspielig herauskaufen oder dito abfinden.

Sollte Bosz eines Tages beim BVB seine Mission (nicht) erfüllt haben, so kann ich euch schon jetzt eine bevorzugte Überschrift auf den Sportseiten nennen: „Der fliegende Holländer“. Jede Wette! So sind sie drauf, die für Leibesübungen zuständigen Redakteure.

Watzke wirkte seltsam verhalten

Auf die offizielle Deutung der Ereignisse haben wir natürlich demütig bis zur Pressekonferenz gewartet, die ab 15:15 Uhr per Livestream bei BVB total übertragen wurde. Ich mag hier keine ferndiagnostische Küchenpsychologie betreiben – und doch: Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wirkte bei seinem ersten Statement vor den Kameras äußerst verhalten, er rang nach Worten und wirkte nicht gerade froh. Anscheinend haben ihn die letzten Tage mitgenommen. Daraus leiten wir jetzt mal gar nichts ab.

Und Peter Bosz? Versicherte selbstverständlich, dass er den BVB für einen Superverein halte und in einem fast dreistündigen Gespräch mit Watzke und Sportdirektor Michael Zorc überzeugt worden sei, nach Dortmund zu kommen. Und ja: Dem Kartenspiel frönt der offenbar umgängliche Mann gelegentlich auch…

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P.S.: Alle, die seit Tagen vor lauter trunkener Vereinstreue nur noch nach vorn blicken und keinerlei Hergangs- oder gar Gewissenserforschung zulassen mochten, werden jetzt hörbar aufatmen. Nun spricht ja erst einmal keiner mehr über Tuchel.

P.P.S.: Voreiliges Unken ist ebenso unangebracht wie voreiliger Jubel über den neuen Trainer. Peter Bosz soll halt mal schauen und machen. Viel Glück und Erfolg dabei!




Pokal geholt – und jetzt soll Tuchel gehen?

Endlich geschafft! Der BVB hat, nach einigen vergeblichen Endspiel-Anläufen, im Berliner Olympiastadion gegen eine tapfere Eintracht aus Frankfurt den DFB-Pokal errungen. Und jetzt?

Ziemlich gelb: BVB-Triumph im Berliner Olympiastadion. (Vom ARD-Bild abgeknipst)

Ziemlich gelb: BVB-Triumph im Berliner Olympiastadion. (Vom ARD-Bild abgeknipst)

Jetzt wird erst einmal gefeiert. Morgen gibt’s die große schwarzgelbe Jubelorgie in Dortmund – mit Autokorso durch die Innenstadt. Wie sich das gehört. Und wie sie es in München so gar nicht mehr kennen. Dort werden Titel eher achselzuckend zur Kenntnis genommen. Und wehe, es gibt kein Double oder Triple…

Und dann?

Die BVB-Bosse werden doch wohl den Trainer Thomas Tuchel nicht entlassen? Was soll er denn noch abliefern? Letzten Samstag Platz drei in der Bundesliga, der die direkte Qualifikation zur Champions League bedeutet. Heute den DFB-Pokal. Und dabei haben wir die furchtbare Geschichte mit dem Bus und der Bombe gar nicht mal erwähnt. Diese Krise überwunden zu haben…

BVB-Trainer Thomas Tuchel im Moment der Genugtuung. (Vom ARD-Bild abgeknipst)

BVB-Trainer Thomas Tuchel im Moment der Genugtuung. (Vom ARD-Bild abgeknipst)

Und daraus soll man nun die Konsequenz ziehen, den Schweizer Lucien Favre aus Nizza nach Dortmund zu holen? Klingt irgendwie falsch, auch wenn Favre ein guter Trainer sein mag. Doch warum dieser Tage ausgerechnet der einstige BVB-Erfolgscoach Ottmar Hitzfeld für seinen Beinahe-Landsmann Favre plädiert („Favre passt zum BVB“), bleibt sein Geheimnis. Der gebürtige Lörracher, längst nicht mehr im Geschäft, hätte doch einfach mal schweigen können.

Dasselbe gilt für den Mannschaftskapitän Marcel Schmelzer, der offenbar noch gegen Tuchel nachgetreten hat, indem er die Nicht-Aufstellung Nuri Sahins fürs Finale heftig kritisiert und den Trainer dafür verantwortlich gemacht hat. Ach was! Moment mal: Wer stellt ein Team eigentlich auf? Die Fans? Der Kapitän? Oder gar der Trainer?

Um mal etwas weiter unten anzusetzen: Auf Schalke, wo sie in dieser Saison rein gar nichts erreicht haben, hätten sie einem wie Tuchel zu Füßen gelegen. Selbst dort, wo alleweil Chaos herrscht, würden sie ihm also gewiss nicht den Stuhl vor die Tür setzen.

Kurz noch dies notiert: Beim DFB haben sie offensichtlich einen grottenschlechten Geschmack. Was sollten diese golden gewandeten Deko-Miezen zur Pokalübergabe? Was um Himmels Willen sollte der Auftritt von Helene Fischer zur Halbzeitpause? Sofortiges Abschalten für 15 Minuten war das Mindeste.

Und was für ein Schwätzer war bei der ARD zugange? Kommentator Steffen Simon richtet sein Fähnlein – wie üblich – stets minutengenau nach dem Wind. Erst gerierte der Opportunist sich wie ein BVB-Fan, dann zwischenzeitlich wie ein Frankfurter – und schließlich schwenkte er wieder zu den Westfalen über. Schilfrohr am Mikro.




Martin Schulz, der BVB und die „Geißböcke“ – ein Fan-Fake oder nur ein Ausrutscher?

So, da hätten wir den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz also ertappt. Wobei? Ihr werdet es gleich sehen.

SPD-Spitzenmann Martin Schulz, hier beim Bundesparteitag am 19. März 2017 in Berlin. (Foto: Olaf Kosinsky / konsinsky.eu / Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

SPD-Spitzenmann Martin Schulz, hier beim Bundesparteitag am 19. März 2017 in Berlin. (Foto: Olaf Kosinsky / konsinsky.eu / Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Ein widerspenstiger Freund, seines Zeichens Fan des 1. FC Köln, wollte mich gestern ein bisschen ärgern und hat deshalb bei Facebook hämisch auf ein Foto von Schulz hingewiesen, das den Politiker mit einem BVB-Schal um den Hals zeigt. Nicht nur subkutane, sondern laut verkündete Botschaft: Bei BVB-Anhängern klappt’s auch nicht mit Wahlerfolgen. Und wenn man dann noch die schwarzgelben Borussen-Farben mit einer möglichen schwarzgelben Koalition in NRW zusammendenkt…

Halt! Erstens ist das natürlich reiner Unsinn und bloßes Wunschdenken eines notorischen Geißbocks. Zweitens muss man nicht einmal näher hinsehen, um zu erkennen, dass Martin Schulz mit dem BVB-Schal alles andere als froh ist. Er schaut dermaßen miesepetrig drein, als stünde der Abstieg (wessen Abstieg auch immer) unmittelbar bevor. Aus urheberrechtlichen Gründen kann ich das Bild hier nicht einfach hinsetzen, aber schaut doch bitte mal auf diesen Link.

Damit nicht genug. Drittens kommt Schulz, der in jungen Jahren eine Karriere als Fußballprofi angestrebt hat, bekanntlich aus Würselen bei Aachen. Drum stünde zu vermuten, dass sein Herz eher an dortigen Vereinen hängt. An Alemannia Aachen beispielsweise. Oder halt am 1. FC Köln. Es wabert also der vage Verdacht eines Fan-Fakes im Raum, wenn Schulz sich auf BVB-Farben einlässt.

Und siehe da! Die Suchmaschine spuckt tatsächlich sofort aus, dass Martin Schulz immer schon den Kölnern die Daumen drückt. Dabei wird er in dem entsprechenden Beitrag des Deutschlandfunks mehrmals als Vereins-„authentisch“ bezeichnet, wohingegen Altkanzler Gerhard Schröder, der in derlei Clubfragen treulose Gesell‘, nach leutseliger Lust und Laune mal den oder jenen Schal umgelegt hat.

Warum also hat Schulz sich (offenbar widerwillig) mit BVB-Schal ablichten lassen, warum hat er sich den offensichtlichen Tort angetan? Um hier noch ein paar ruhrige, westfälische und sonstige Stimmen abzufischen? Sollten bei hartnäckiger Suche etwa auch noch Schulz-Bilder mit Fanklamotten von Werder Bremen, Hertha BSC, dem VfB Stuttgart oder gar von Schalke auftauchen? Der Wahrheit die Ehre: Dergleichen habe ich einstweilen nicht gefunden. War also der BVB nur ein „Ausrutscher“?

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Hier noch ein paar hübsche Fundstücke:

Martin Schulz mit Schal von Holstein Kiel
Martin Schulz mit Trikot des 1. FC Köln
Martin Schulz mit Trikot von Rhenania Würselen

Wer findet mehr?




Zur Not kann man auch am Gegner seine Freude haben – über solche und solche Fußballfans

In dieser „englischen“ Fußballwoche geht’s gleich zweimal rund in der Bundesliga: Heute (Dienstag, 4. April, 20 Uhr) trifft der BVB im heimischen Dortmunder Westfalenstadion * auf den Hamburger SV, am Samstag (8. April, 18:30 Uhr) geht’s zu den Bayern nach München. Anlass genug für diesen Beitrag: Unser Gastautor, der Schriftsteller Heinrich Peuckmann, schreibt über verschiedene Arten von Fußballfans:

Dortmunder Torjubel im Westfalenstadion beim 3:0-Sieg gegen Tottenham Hotspur. (Foto: Bernd Berke)

Dortmunder Torjubel im Westfalenstadion beim 3:0-Sieg gegen Tottenham Hotspur. (Foto: Bernd Berke)

Meine drei Söhne sind brav, sie sind ihrem Vater gefolgt und Fußballfans geworden. Und weil sie auch noch gut erzogen sind, haben sie die Vorliebe ihres Vaters übernommen. Sie sind Fans von Borussia Dortmund.

Zwei Dauerkarten haben wir und gehen in wechselnden Kombinationen ins Stadion. Und dabei stellen wir immer neu fest, was wir schon vorher wussten. Fan ist nicht gleich Fan. Wir merken es beim Absingen der Fan-Lieder. „Borussia, unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz…“ ist ein Lied, das wir nicht mitsingen können. Der Fußball ist ein schöner Teil unseres Lebens. Wie genießen die Spiele im Stadion, haben Freude an den Fernsehübertragungen, aber unser ganzes Leben ist Borussia nicht. Und stolz sind wir auf das, was wir selber schaffen, ohne es freilich übermäßig nach außen zeigen zu wollen.

Sport ist doch nicht alles…

Fußball hat für uns einen Stellenwert, aber er dominiert uns nicht. Entsprechend gehen uns Fans, für die Fußball alles ist, gehörig auf die Nerven. Irgendwann saß so ein Fan in der Kneipe neben uns, brüllte rum, kommentierte alles (ohne viel Ahnung zu haben) und sprach uns immer wieder an. Bis es meinem jüngsten Sohn endgültig reichte. „Wir interessieren uns nur für Fußball, weil uns Gespräche über Baumärkte und Autos noch mehr langweilen“, sagte er dem Mann. An das erstaunte Gesicht mit dem offenen Mund erinnere ich mich gut. Man sah dem Mann deutlich an, wie sein Männerbild zusammenbrach.

Leute, die keine Ahnung vom Fußball haben, aber umso lauter rumbrüllen, sind schwer zu ertragen. Als ein Angriff unserer Borussia mal wegen Abseits abgepfiffen wurde, sprang der Mann neben uns auf. „Schieber!“, schrie er, „das war doch kein Abseits.“
„Setz dich“, sagten wir, „das war Abseits.“ Überrascht schaute er uns an. „Und ich dachte, ihr seid Borussenfans“, sagte er. „Sind wir“, antworteten wir, „aber Regel ist Regel. Also ist Abseits Abseits. Auch für uns.“

Als Juventus über die linke Seite kam

Dafür lieben wir jene Fans, die wirklich Ahnung haben. Bei einem Europapokalspiel gegen Juventus Turin saß mal ein junger Mann neben mir im Stadion, der wirklich was von Fußball verstand. Juventus griff über die rechte Seite an und dem Mann fiel auf, was mir auch auffiel. „Guck mal, was da gerade links passiert!“, rief er. „Unsere rennen alle nach rechts, die haben noch gar nicht gemerkt, dass die Gefahr gleich von der anderen Seite kommt.“ Tatsächlich liefen dort unbemerkt zwei Juve-Spieler in Stellung, als unsere Abwehrspieler sich endgültig rechts versammelt hatten, kam der präzise Flankenwechsel und zwei Juve-Spieler standen frei. Mit 1:3 haben wir das Spiel verloren. Mein Nachbar stand nach dem Schlusspfiff auf und gab mir zum Abschied die Hand. „Wir haben heute eine gute Mannschaft gesehen“, sagte er, „schade, dass es die falsche war.“ Ein Satz, der Fairness zeigte und vor allem Verständnis von der Sache.

Drei Jahre später standen sich übrigens die beiden Mannschaften wieder gegenüber, im Endspiel um die Champions League, und diesmal waren „wir“ besser. Längst hatte unsere Mannschaft dazu gelernt.

Mit einem Buch im Dortmunder Stadion

Ich sehe die Dinge gerne zusammen. Fußball und Kultur, Fußball und Religion. Einmal habe ich ein Fußballspiel wie einen Gottesdienst geschildert, und siehe da, es funktioniert. Viele der Riten sind wie aus der Kirche übernommen.

Einmal bin ich sehr früh ins Stadion gegangen, weil ich sonst keine Karte mehr bekommen hätte. Es war noch die Zeit, als man an den Schaltern neben dem Stadion Eintrittskarten kaufen konnte. Heute gibt es die Schalter gar nicht mehr, die Karten sind immer verkauft. Immerhin über 80.000 pro Spiel! Weil ich also früh im Stadion sein würde, steckte ich ein Buch ein, Stefan Austs „Baader-Meinhof-Komplex“, das ich spannend fand.

Ich las also, während die Spieler sich unten warm machten und plötzlich bemerkte ich die scheelen Blicke meiner Nachbarn. Was will der denn hier, schienen sie zu denken, hat der sich verlaufen? Jedenfalls sprachen sie nicht mit mir, wie man das sonst ganz selbstverständlich im Stadion tut. Bis plötzlich ein Verteidiger der gegnerischen Mannschaft, der einen Mordsschuss hat, auf unser Tor zulief und nicht angegriffen wurde. „Passt auf da“, schrie ich und sprang erregt auf, aber es half nichts. Der Spieler zog ab und es stand eins zu null für den Gegner. Ich setzte mich wieder. „Hab ich´s nicht gesagt?“, sprach ich meine Nachbarn an. Jetzt schauten sie mich noch erstaunter an. Einer, der Bücher liest im Stadion und trotzdem Ahnung hat. Fortan wurde ich in die Gespräche einbezogen.

Unsere Helden Hans Tilkowski und Aki Schmidt

Mein Freund seit Jugendzeit, der frühere Pressesprecher von Borussia, ist mir in diesem Punkt ähnlich. Er sieht die Dinge auch in Zusammenhängen. Gleich mehrere meiner Romane und Sachbücher, in denen Fußball eine Rolle spielt, hat er in einer Pressekonferenz im Stadion vorgestellt. Wenn Borussia ruft, das wissen wir beide, kommt die Presse. Die Aufmerksamkeit, die auf diese Weise erzeugt wurde, hat meinen Büchern gut getan.

Seit Jugend an, er noch früher als ich, sind wir ins vergleichsweise kleine Stadion „Rote Erde“ gegangen und haben unseren Helden, den Nationalspielern Hannes Tilkowski und Aki Schmidt zugejubelt. Später wurden sie unsere Freunde und wir redeten und reden mit ihnen gerne über alte Zeiten. Wir als kleine Jungs auf der Tribüne, unsere Helden unten auf dem Rasen. Wenn ich meinen Söhnen Anekdoten aus dieser Zeit erzähle, lachen sie. „Telefon, Papa, das letzte Jahrhundert hat wieder angerufen.“

Der Stürmer, der fast alles verstolperte

Spotten tun nicht nur sie, sondern wir alle gerne, das will ich gerne zugeben. Irgendwann und irgendwo muss man seinen Frust ja ablassen. Von Gewalt, von sinnlosem Krakeelen aber sind wir weit entfernt. Es ist ein paar Jahre her, dass Borussia gegen den Abstieg spielte. Einen Stürmer hatten wir damals, der beinahe jeden Ball verstolperte. Wenn er ihn verloren hatte, grätschte er hinterher und beförderte ihn bestenfalls ins Aus. „Kämpfen tut er aber“, kommentierten die Dortmunder Fans dann, immer in der Hoffnung, dass der Junge irgendwann besser würde. Wurde er aber nicht. Als er wieder mal den vierten oder fünften Angriff durch seine Stolperei unterbrochen hatte und wieder jemand kommentierte, dass er immerhin schnell sei und kämpfen würde, sprang ein Freund von mir erregt auf und schrie: „Was ist das hier? Ist das Leichtathletik oder Fußball?“

Bei einem späteren Spiel lag dieser Spieler verletzt auf dem Rasen und mein ältester Sohn kommentierte: „Ich glaube, es geht gut aus, Papa. Er kann nicht weiterspielen.“
Überhaupt lieben wir Humor. Unser früherer Klasseverteidiger Julio Cesar, brasilianischer Nationalspieler, hat in einem Spiel mal zwei Ecken hintereinander ins Tor geköpft und wurde dann, unter dem Jubel der Zuschauer, ausgewechselt, weil das Spiel längst entschieden war. Bei der nächsten Ecke aber sprangen wir trotzdem auf und riefen: „Julio, Julio.“

Ein verbotener Vereinsname

Den Namen unseres Erzrivalen Schalke nehmen wir übrigens nicht in den Mund, auch ich zögere jetzt, ihn hier zu schreiben. Als ich mal eine Delegation aus Schuldezernenten bei einer Stadionführung in Dortmund begleitete, habe ich ihnen vorher erklärt, dass sie den Namen im Stadion nicht erwähnen sollen. Wer unbedingt von unserem Erzrivalen reden wolle, müsse von Herne-West sprechen. Die Dezernenten haben das für einen Witz gehalten, aber als Aki Schmidt bei seiner Führung ebenfalls immer Herne-West sagte, wurde ihnen bewusst, dass das absolut ernst gemeint war. Selbst bei dem Revierderby wird der Name unseres Gegners im Stadion nicht erwähnt. „Und jetzt die Mannschaftsaufstellung der Blauen …“, ruft unser Stadionsprecher ins Mikrophon.

Fußball ist schön, er ist unterhaltsam. Für meine Söhne und mich kommt ein kleines Nebenergebnis hinzu. Wir sind, wenn zwei von uns zum Stadion fahren, für drei Stunden unter uns. Wir haben Zeit, über alles Mögliche zu reden, über Fußball natürlich, aber auch über alles andere, was uns bewegt: Politik, Bücher, Religion, unsere Pläne …

Nicht das Hobby versauen lassen

Warum sich also schlagen? Warum Gewalt im Stadion bis hin zum Niederschießen eines Fans, wie das vor ein paar Jahren in Italien geschah? Straßenschlachten der Hooligans wie kürzlich gegen Leipzig? Wir wollen Freude haben, an unserer Mannschaft, die seit Jahren oft einen wunderbaren Fußball spielt, zur Not aber auch an der gegnerischen Mannschaft, wenn sie einen guten Ball spielt.

In einem meiner Krimis wird ein Fußballer ermordet, der zu den gewalttätigen Fans, die sich auch noch rassistisch äußern, gesagt hat, dass sie zu Hause bleiben sollten, weil ihr Handeln nichts mit Fußball zu tun hat. Mein Kommissar macht sich auf die Suche nach Täter und als er ihn hat, ruft er seinen Sohn von Leipzig aus an. „Wann kommst du nach Hause?“, fragt der Sohn. „Heute bleibe ich noch in Leipzig und esse in Auerbachs Keller“, antwortet mein Kommissar. „Aber morgen fahre ich ganz früh los, dann bin ich rechtzeitig zum Spiel von Borussia im Stadion. Von solchen Dummköpfen lasse ich mir doch nicht mein Hobby versauen.“

Meine Söhne lachten, als sie es lasen. „Das war wieder ganz unser Papa“, sagten sie. „Diesmal in der Verkleidung seines Kommissars.“

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* Westfalenstadion lautet der richtige Name, im Kommerz-Sprech heißt der Fußballtempel „Signal-Iduna-Park“ (Anm. Bernd Berke)




Er wird fehlen – „Aki“ Schmidt, BVB-Legende

Unser Gastautor Heinrich Peuckmann zum Tod des legendären BVB-Spielers Alfred „Aki“ Schmidt:

Der frühere VBV-Spieler Alfred "Aki" Schmidt im Juli 2008. (Foto: © Arne Müseler - www.arne-mueseler.de / Link zur Wikipedia-Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Der frühere VBV-Spieler Alfred „Aki“ Schmidt im Juli 2008. (Foto: © Arne Müseler – www.arne-mueseler.de / Link zur Wikipedia-Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Alfred Schmidts erfolgreiche Fußballkarriere begann mit einer Enttäuschung. 1956 war er vom Dortmunder Vorortverein SpVgg Berghofen zur großen Borussia gewechselt, die gerade eine schwache Saison in der Oberliga West hinter sich hatte und deshalb neue Spieler suchte und auch den Trainer wechselte. Mit Trainer Helmut Schneider ging es wieder aufwärts und 1956 wurde Borussia zum ersten Mal Deutscher Meister.

„Aki“, wie ihn alle nannten, konnte diesen Erfolg jedoch nur von der Tribüne aus beobachten, denn er musste erst einmal die damals übliche Wechselsperre von einem Jahr absitzen. Danach aber wurde er zur erhofften Verstärkung für den BVB und schaffte es sogar, in vielen Spielen den erfolgreichen Torschützen Alfred „Nipo“ Niepieklo zu ersetzen.

Wieder qualifizierte sich Dortmund für das Endspiel, Alfred bestritt während dieser Saison seine ersten drei Länderspiele und schoss bei seinem ersten Einsatz gegen die Niederlande gleich den Siegtreffer zum 2:1. Bei diesem Länderspiel war übrigens auch Akis späterer Mannschaftskollege Hans Tilkowski erstmals dabei, ein weiterer Westfale.

Vom Trainer enttäuscht

Dann aber folgte für Aki die größte Enttäuschung seiner Karriere. Schneider hatte sich nämlich entschieden, 1957 mit derselben Mannschaft wie im Vorjahr im Endspiel anzutreten. Beim 4:1-Sieg gegen den Hamburger SV saß Aki Schmidt auf der Ersatzbank, Alfred Niepieklo schoss zwei der vier Tore. Zwei Endspiele mit derselben Mannschaft zu gewinnen ist ein einmaliger Vorgang in der deutschen Fußballgeschichte. Außer Borussia hat das keine andere Mannschaft geschafft.

Schon am Vortag hatte Aki Schmidt gehört, dass Trainer Schneider das Endspiel ohne ihn plane, enttäuscht wollte er nach Hause reisen, aber die Mitspieler drängten ihn zum Bleiben. Erst kurz vor dem Spiel kam Schneider in Akis Zimmer und teilte ihm seine Entscheidung mit. Schneider hätte dabei Tränen in den Augen gehabt, sagt Aki, aber ob die wirklich echt waren, dazu will er sich nicht äußern. Er vermutete jedenfalls einen anderen Hintergrund. Hätte er gespielt, wären entweder Niepieklo oder Kelbassa draußen geblieben. Die beiden aber waren eng verwandt, ihre Kinder hatten geheiratet und so, meinte Aki, haben sie Schneider erklärt, dass sie entweder beide spielen oder gar keiner. Eine Vermutung, beweisen lässt sie sich nicht.

Die Tipps von Sepp Herberger

An der positiven Einstellung des damaligen Bundestrainers Sepp Herbergers zu Schmidt änderte sich dadurch aber nichts. Er mochte den vielseitig einsetzbaren blonden Halbstürmer aus Dortmund, zum einen, weil er sowohl offensiv als auch defensiv spielen konnte, zum anderen, weil Aki gerne den Ball direkt abspielte und damit für Tempo in den Angriffen sorgte. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit, damals war es eher die Ausnahme.

"Aki" Schmidt (links) und unser Gastautor Heinrich Peuckmann. (Foto: privat)

„Aki“ Schmidt (links) und unser Gastautor Heinrich Peuckmann. (Foto: privat)

Herberger gab Tipps, wie Schmidt lernen sollte, noch schneller abzuspielen. Beim Spaziergang durch die Stadt, gab Herberger vor, sollte Aki üben, mit einem Blick die Situation zu erfassen. Wo stehen die Leute, wo steht jemand allein. So könne er lernen, eine Situation schnell zu erfassen, was ihm dann im Spiel zugute kommen würde. Herberger, meint Aki Schmidt, sei schon damals seiner Zeit weit voraus gewesen.

Freundschaft migt Helmut Rahn

Bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden war Aki Schmidt dabei und bestritt das erste Spiel gegen Argentinien, das 3:1 gewonnen wurde. Dabei verletzte er sich allerdings und verpasste so die beiden folgenden Vorrundenspiele, die jeweils 2:2 endeten, aber beim zweiten Sieg der deutschen Mannschaft im Viertelfinale gegen Jugoslawien konnte er wieder mitwirken. Mit Leuten wie Fritz Walter, Hans Schäfer und Helmut Rahn, allesamt Weltmeister von 1954, hat er damals zusammen gespielt, worauf er noch heute stolz ist. Mit Helmut Rahn verband ihn eine besondere Freundschaft. Rahn wünschte nämlich immer, das Zimmer bei der Nationalmannschaft mit Aki zu teilen. Die beiden kamen aus dem Ruhrgebiet, sie waren gradlinig im Reden und verstanden sich somit glänzend.

Insgesamt 20 Länderspiele hat Aki in diesen Jahren bestritten, erreichte mit Borussia auch das Endspiel um die Meisterschaft 1961, verlor aber gegen den 1. FC Nürnberg mit 0:3.

Bayern München verschmäht

Dann gab es einen Bruch beim BVB. Erfolgreiche Spieler hörten auf, es folgten keine gestandenen Spieler nach, sondern Talente aus den unteren Spielklassen, die erst einmal Zeit brauchten, um sich an den Spitzenfußball zu gewöhnen. Eigentlich hatte Aki ebenfalls geplant, den Verein zu verlassen. Ein glänzendes Angebot von Bayern München lag ihm vor, damals noch nicht der Spitzenverein von heute, aber Bayern wollte vorankommen und um Aki Schmidt herum eine Mannschaft aufbauen, die erfolgreich war. Borussias Vorstand bekam Wind von dieser Sache, lud Aki zum Gespräch und unterbreitete ihm ebenfalls ein gutes Angebot. Es war nicht so gut wie das der Bayern, aber akzeptabel. Aki entschied sich für Borussia, die Liebe zu seiner Heimatstadt Dortmund spielte dabei eine Rolle.

Der „Einbruch“ bei Borussia bewirkte, dass Aki nicht mehr im Blickwinkel von Herberger stand. Eine mehrjährige Länderspielpause trat ein, wodurch Aki auch die Teilnahme an der WM 1962 in Chile verpasste. Dann aber, 1963, fand Borussia, dank Trainer Hermann Eppenhoff, zu alter Stärke zurück, drang bis ins Endspiel vor, dem letzten vor der Gründung der Bundesliga. Aki konnte endlich seinen ersten großen Titel gewinnen. Mit 3:1 wurde der 1.FC Köln geschlagen. Nach einem Endspiel auf der Tribüne und einem verlorenen vier Jahre später gegen Nürnberg wurde Aki mit sechs Jahren Verzögerung endlich Deutscher Meister.

Schwierige Rechenaufgabe

Dabei hätte es durch einen dummen Zufall beinahe gar nicht geklappt. Borussia hatte damals ein großartiges Sturmduo, Jürgen „Charly“ Schütz und Friedhelm „Timo“ Konietzka hießen die beiden, die prächtig miteinander harmonierten und Tore am Fließband schossen. Kein Wunder, dass beide den Sprung ins Nationalteam schafften. „Max und Moritz“ nannten die Fans die beiden liebvoll wegen ihres blinden Zusammenspiels auf dem Platz. Diese Harmonie bestand jedoch nur während des Spiels, richtig gute Freunde außerhalb des Stadions waren sie nicht, verriet Aki.

Der erste Fehler in der Vorbereitung zum Endspiel unterlief der Mannschaftsleitung. Man hatte nämlich ein Bett zu wenig im Hotel in Stuttgart gebucht. Aki entschied, dass er mit Außerläufer „Jockel“ Bracht und mit Charly ein Zweibettzimmer teilen sollte. Dann musste eben einer auf der Besucherritze schlafen.

Zum Schlafen aber kamen die drei nicht, denn Charly Schütz hatte ein großes Problem. Er hatte nämlich einen Vertrag beim AS Rom unterschrieben und wurde am Tag nach dem Endspiel in der italienischen Hauptstadt erwartet. War der Vertrag gut, den er unterschrieben hatte? Vor allem, war er lukrativ? Diese Fragen bewegten Charly Schütz während der Nacht und so begann er, Lire in D-Mark umzurechnen, was ihm aber schwer fiel. Charly rechnete laut, sprang aus dem Bett, schrieb mit Bleistift irgendwelche Zahlen auf die Tapete und strich ein paar Nullen weg. „Aki“, rief er dann, „die haben mich betrogen! Ich kriege viel zu wenig Geld.“ Und dann begann er noch mal zu rechnen, Lire in D-Mark und zurück, gar nicht so einfach. Ein großes mathematisches Problem!

Keine Chance bei Helmut Schön

Erst am frühen Morgen hätten sie ein wenig schlafen können, erzählt Aki. Charly Schütz hat denn auch schlecht gespielt, wahrscheinlich hat er noch während des Spiels gerechnet, immerhin reichte es aber, um Aki die Vorlage zum 3:0 zu geben. „Das habe ich für dich getan“, hat er erzählt, „weil du mir immer geholfen hast.“ Das war nicht falsch, Aki hat den Mannschaftskollegen gerne geholfen, nur einmal, beim Umrechnen der Währung, hat es nicht geklappt.

Die folgenden Jahre wurden für Aki Schmidt dann sehr erfolgreich. Noch fünfmal spielte er in der Nationalmannschaft, so dass er auf insgesamt 25 Länderspiele kam, wobei er jetzt der Mannschaftskapitän war. Der erste und bisher einzige, den Borussia Dortmund in der lange Geschichte der Nationalmannschaft gestellt hat. 1964, beim 4:1-Sieg gegen Finnland, stand er zum letzten Mal im Nationalteam. Es war ein denkwürdiges Länderspiel, denn es war gleichzeitig das letzte von Sepp Herberger. Und weil Aki in diesem Spiel Mannschaftskapitän war, hielt er die Abschiedsrede und sagte darin den denkwürdigen Satz: „Einen Bundestrainer wie Sie wird es nie wieder geben.“ Nachfolger Helmut Schön saß dabei und hörte zu. Niemals hat er Aki zu einem Länderspiel eingeladen…

5:0-Heimsieg gegen Benfica

Im Europapokal der Landesmeister war Borussia sehr erfolgreich. Im Viertelfinale schaltete Borussia den Titelverteidiger Benfica Lissabon aus. Im Hinspiel in Portugal unterlag man noch mit 1:2, wobei Hannes Tilkowski im Tor sein wohl bestes Spiel für den BVB ablieferte und eine weitaus höhere Niederlage verhinderte, weil er nahezu alles hielt. Im Rückspiel aber wurde Benfica mit sage und schreibe 5:0 abgefertigt. Es war wohl das beste Spiel im alten Stadion „Rote Erde“, das der BVB je abgeliefert hat.

Im Halbfinale gegen Inter Mailand traf Aki dann auf Horst Szymaniak, seinen Freund aus der Nationalmannschaft, der damals in Italien spielte. Beim Hinspiel in Dortmund, das 2:2 ausging, seien sich die beiden aus dem Weg gegangen, hat Szymaniak später erzählt. „So konnten wir beide glänzen.“

Das Rückspiel wurde dann mit 0:2 verloren, wobei Inter-Star Suarez den Dortmunder Mittelfeldspieler „Hoppy“ Kurrat brutal in den Unterleib trat, so dass Hoppy nicht weiterspielen konnte. Es war ein Foul, das man nur als Körperverletzung werten kann und das strafrechtlich hätte verfolgt werden müssen, aber Suarez bekam nicht einmal die rote Karte.

Libudas unvergessene „Bogenlampe“

Der Europapokal wurde für Aki und die Dortmunder aber trotzdem noch zu einer Erfolgsgeschichte. 1965 schlug der BVB Alemannia Aachen beim Pokalendspiel in Hannover mit 2:0, wobei Aki schon nach zehn Minuten das erste Tor schoss. Der unvergessene „Emma“ Emmerich sorgte acht Minuten später für den Endstand. Damit war Borussia für den Europapokal der Pokalsieger qualifiziert und gewann ihn in einem denkwürdigen Endspiel gegen Liverpool in Glasgow mit 2:1. Unvergessen ist „Stan“ Libudas Bogenlampe, die in der Verlängerung die Entscheidung brachte.

Borussia Dortmund war damit die erste deutsche Mannschaft, die einen Europapokal gewann, nicht etwa Bayern München. Und hätte die Vereinsführung auf Trainer „Fischken“ Multhaup gehört, wäre der BVB auch noch Deutscher Meister geworden. Aber die Vereinsführung wollte den Fans die Siegesfeier nicht vorenthalten, verzichtete auf eine sinnvolle Vorbereitung auf die noch ausstehenden Bundesligaspiele und ließ die Mannschaft feiern. „Wir sind kaum ins Bett gekommen“, sagt Aki Schmidt im Rückblick. So gingen die beiden letzten Spiele verloren und 1860 München wurde Deutscher Meister, nicht der BVB.

Danach begann in Dortmund der Niedergang, der bis zum Abstieg führte. Aki Schmidt beendete 1967 seine Karriere und wurde zuerst Trainer in Regensburg, woher seine Frau stammte und danach in Offenbach, das damals in der Bundesliga spielte. Im Pokal warf er 1970 ausgerechnet seinen alten Verein BVB aus dem Rennen, schaffte überraschend den Einzug ins Finale und gewann den Pokal fast sensationell gegen den 1. FC Köln, in dessen Reihen viele Nationalspieler mitwirkten.

Repräsentant des Vereins

Später kehrte Aki nach Dortmund zurück und wurde allseits beliebter Fan-Beauftragter, zuerst allein, später zusammen mit seinem alten Kumpel „Emma“ Emmerich. Ein tolles Duo sind die beiden gewesen, die bei den Stadionführungen witzig miteinander umgingen. Unglaublich oft hat Aki damals hören müssen, wie Emma von Besuchern nach seinem Sensationstor gegen Spanien bei der WM in England befragt wurde. Fast von der Torlinie aus knallte Emma den Ball ins Netz. Aki wusste, dass Emma solche Torschüsse drauf hatte, oft genug hat er selbst darunter gelitten, wenn er bei einem Angriff über Emmerich mitlief, der aber, anstatt abzugeben, aus den unmöglichsten Winkeln draufschoss. So manches Mal hat er ihn deshalb angemeckert, denn eine Vorlage hätte eher zum Tor geführt als Emmas Torschüsse aus spitzem Winkel.

Nach Emmas Tod und inzwischen fast 80 Jahre alt wurde Aki Schmidt zum Repräsentanten des BVB ernannt. Wenn er Lust dazu hatte, machte er noch Stadionführungen. Die waren beliebt und immer witzig. Außerdem fuhr er vor den Auswärtsspielen des BVB zu den jeweiligen Gegnern und machte dort Pressekonferenzen zur Vorbereitung auf das Spiel mit. Das bescherte ihm manche Begegnung mit alten Nationalspielern und gab ihm die Gelegenheit, Anekdoten zu erzählen, von denen er immer welche auf Lager hatte. Sie werden uns nun fehlen. Am vergangenen Freitag, 11. November, ist Aki im Alter von 81 Jahren gestorben.




Wie Borussia Dortmund bei der Integration helfen kann – Migranten aus aller Welt erzählen

Reshat Toshi stammt aus dem Kosovo, floh 1997 nach Deutschland und fand damals dank eines BVB-Fanclub-Vorsitzenden eine langersehnte Wohnung. Daraus entwickelte sich – wie könnte es anders sein – Begeisterung für die Borussia, die bis heute Bestand hat. Das ist eine von vielen Geschichten, die man in dem Buch „Schwarzgelbe Freunde überall auf der Welt“ nachlesen kann.

Zahlreiche Migranten und Flüchtlinge erzählen in dem 160 Seiten starken Band ihre Geschichte, in der der BVB oder einer seiner Fanclubs maßgeblich zur Integration beigetragen haben.

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Das Buch erscheine passend zu einer Zeit, in der Migration und Integration beherrschende Themen seien, sagte BVB-Präsident Dr. Reinhard Rauball, als ihn Moderator Levent Aktoprak bei der der Präsentation im Borusseum nach dem Stellenwert des Buches fragte. Man wolle ein deutliches Zeichen setzen, dass sich Fußball und speziell der BVB als eine große Familie verstehen und dies über alle Religionen, Hautfarben, Sprachen und Kulturen hinweg. Apropos: Moderator Aktoprak, in Ankara geboren, hat an der Publikation auch selbst mitgewirkt und erzählt, wie er als Journalist sich mehr und mehr für den BVB begeisterte, bis er später Vorsitzender eines kulturell und sozial engagierten Fanclubs wurde.

In einer anderen Geschichte berichtet der gebürtige Tunesier Faouzi Bibani, wie er bereits in Afrika sein Herz für den BVB entdeckte hat. Vor inzwischen 23 Jahren kam er in die Bundesrepublik und lernte schnell über einen Fanclub in Werl viele Menschen kennen. Dank dieser großen Zahl an Kontakten habe er sich in Deutschland schnell sehr wohl gefühlt. Die Unterstützung, auf die er bauen konnte, gibt der 43-Jährige heute gerne weiter und hilft Flüchtlingen beim Ausfüllen von Formularen oder erklärt ihnen, was sie über Deutschland wissen sollten.

Mit dem Taxiunternehmer Mustafa Güner kommt ein Mann zu Wort, der sich durch einen besonderen Ortswechsel der Schar der BVB-Fans anschloss. Er zog Ende der 70er Jahre zum Borsigplatz, wodurch sich dann „der Bezug zum BVB entwickelte“. Sein soziales Engagement in heutiger Zeit, das vor allem auch den Kindern gilt, steht in enger Verbindung mit Menschen, die er dank der Borussia kennen gelernt hat.

Viele Nationen, viele Kulturen prägen aber nicht nur das Bild rund um den Borsigplatz, gern auch als Wiege des BVB bezeichnet. Lars Ricken, der von 2003 bis 2007 für den BVB insgesamt 301 Bundesligaspiele absolvierte (mit 41 Toren), schreibt ganz locker und selbstverständlich: „Schon zu meiner aktiven Zeit waren wir eine Multi-Kulti-Truppe“. Es sei vollkommen egal gewesen, ob Europäer, Amerikaner, Asiat, Afrikaner oder Australier: Das Ziel habe stets gelautet, den Sieg für den BVB zu holen.

Down under übrigens ist bislang der einzige Kontinent, auf dem noch kein BVB-Fanclub existiert. Natürlich gibt es die meisten der 750 Clubs in Deutschland. Aber auch in anderen Staaten Europas oder auch in Afrika, Asien oder Amerika haben sich Fans zusammengetan.

Ein früherer Soldat der einstigen britischen Armee im Ruhrgebiet berichtet, dass er „seiner“ Borussia auch der heutigen skandinavischen Heimat die Treue hält. Kinder- und Jugendbuchautor Hermann Schulz, der viel auf Reisen ist, berichtet über die Begeisterung, die er gerade bei jungen Afrikanern angetroffen hat. Solche und andere Passagen werfen allerdings die Frage auf, ob es in dem Buch doch nur um reine PR für den BVB geht.

Für Reinhard Rauball ist indes die Veröffentlichung bestens geeignet, den Wert der Fankultur hervorzuheben. Wenn gerade jetzt wieder, vor Saisonbeginn, über die Millionensummen der bei den Fußballertransfers diskutiert werde, dürfe man nicht vergessen, worauf es im Fußball auch besonders ankomme: „Wir-Gefühl“ und Miteinander.

Uwe Schedlbauer & Andreas Goldberg: „Schwarzgelbe Freunde überall auf der Welt“. Verlag Die Werkstatt, 160 S., 16,90 Euro




Viele junge Indianer, kaum Häuptlinge: Muss man sich Sorgen um den BVB machen?

Greifen wir gleich die Überschriftenfrage auf: Muss man sich Sorgen um Borussia Dortmund machen? Ich glaube schon. Denn was war das in den letzten Wochen? Ein beunruhigender Ausverkauf von Leitfiguren.

Nicht genug damit, dass Mats Hummels zu den Bayern ging, zog es die beiden wichtigsten Kreativkräfte Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan zu den zwei Krösus-Clubs in Manchester.

Hab' da noch so'n altes Trikot 'rumhängen. Soll ich's a) in die Tonne kloppen, b) verschenken oder c) testen, was es noch bei EBay bringt? (Foto: BB)

Hab‘ da noch so’n altes Trikot rumhängen. Soll ich es a) in die Tonne kloppen, b) vermodern lassen, c) verschenken oder d) testen, was es noch bei EBay bringt? (Foto: BB)

Ach, wie herzig hatte Mkhitaryan noch vor kurzer Zeit versichert, er werde Dortmund verlassen, wenn der Trainer Thomas Tuchel geht. Es hörte sich so an, als binde er sein Schicksal an das des Fußball-Lehrers, dem er einiges zu verdanken hat. Der Umkehrschluss freilich, dass er bleiben würde, wenn dieser Trainer bleibt, der war schon rein logisch nicht zulässig. Und wenn dann noch eine dieser parasitären Existenzen (genannt Spielerberater) am großen Rad dreht, dann zählt eh nur noch der Mammon. Wobei man ja auch in den Reihen von Borussia Dortmund nicht gerade Peanuts verdient…

Genug davon. Es ist passiert.

Was aber jetzt? Ungefähr parallel zum erwähnten Ausverkauf wurden, nahezu im Stakkato-Rhythmus, lauter Neuverpflichtungen verkündet; überwiegend Namen, die man bislang noch nicht so kannte. Doch diese Leute werden allesamt bereits als europaweit begehrte Supertalente bejubelt – zumindest von interessierter Seite. Man wird ja sehen.

Wir versuchen mal, die Übersicht zu gewinnen. Dies sind die bislang sechs Transfers zum BVB, namentlich nach Alphabet sortiert:

Der Spanier Marc Bartra kommt vom FC Barcelona nach Dortmund, der Franzose Ousmane Dembélé von Stade Rennes, der Portugiese Raphael Guerreiro vom französischen Club FC Lorient, der Spanier Mikel Merino von CA Osasuna, der Türke Emre Mor vom dänischen Club FC Nordsjaelland und der Deutsche Sebastian Rode von Bayern München.

Alles klar?

Ein so genannter „Leitwolf“, „Führungsspieler“ oder gar möglicher Kapitän ist jedenfalls nicht darunter. Wie denn auch? Die Hälfte der Neuen ist im zarten Alter von 18 (Mor), 19 (Dembélé) oder 20 Jahren (Merino). Auf sie warten beispielsweise der hochbegabte US-Amerikaner Christian Pulisic (17) und der schon vergleichsweise etablierte EM-Spieler Julian Weigl (20).

Viele Indianer, so gut wie keine Häutplinge. Wie soll man mit lauter „Jungen Wilden“ in der Bundesliga und in der Champions League bestehen? Schön wär’s ja… Doch das Ganze hört sich nach einem Abenteuer mit höchst ungewissem Ausgang an.

Auch ein gewiefter Trainer wie Thomas Tuchel wird aus diesem Kader höchstwahrscheinlich nicht im Eiltempo ein schlagkräftiges Team formen können; zumal mit Marco Reus (27) einer der verbliebenen Leistungsträger länger ausfällt. Da darf man schon dankbar sein, dass mit dem Polen Jakub „Kuba“ Blaszczykowski (30) ein erfahrener Spieler aus Florenz zurückkehrt. Hoffentlich bleibt er.

Stellt man den größten Umbruch seit mindestens einem Jahrzehnt in Rechnung, müsste man sich als Realist in der kommenden Saison auf eine Liga-Platzierung zwischen 5 und 12 sowie auf einen zeitigen Abschied von „Europa“ einrichten, oder? Falls sich das Team unfallfrei einspielt, können die dann folgenden Jahre vermutlich nur besser werden.

Es gibt Fans, die in dieser riskanten Situation notfalls einen Pakt mit dem Teufel schließen und/oder sogar zähneknirschend die Rückkehr von Mario Götze gutheißen würden, auf dass er mit Reus harmoniere wie in früheren Zeiten. Überdies halten sich Gerüchte, dass der BVB mit der jetzt prall gefüllten Kasse z. B. den Nationalstürmer André Schürrle aus Wolfsburg holen könnte; eine Perspektive, von der sich etwa www.schwatzgelb.de gar nicht begeistert zeigt.

Andere suchen sich in gewohnter Nibelungentreue mit den üblichen Durchhalte-Sprüchen zu trösten, der Verein sei größer und wichtiger als jeder einzelne Spieler. Ach was. Und wie viele Punkte kriegt man dafür?

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P.S.: Ich lasse mich – wie stets – gern eines Besseren belehren.




90 Jahre „Kampfbahn Rote Erde“: Wenn Gerd Kolbe erzählt, wird die Geschichte lebendig

Eigentlich war das damals alles saugefährlich. Die Dortmunder „Kampfbahn Rote Erde“ war für 35000 Besucher ausgelegt, manchmal aber kamen 45000 oder gar 50000 und fanden notdürftig „Platz“, auch im Geäst der Bäume ringsum. Was da alles hätte passieren können!

Das Marathontor der 1926 eröffneten "Kampfbahn Rote Erde". (Foto: Bernd Berke)

Das Marathontor der 1926 eröffneten „Kampfbahn Rote Erde“. (Foto: Bernd Berke)

Nun, falls tatsächlich etwas Schlimmes geschehen sein sollte, so hat sich die damalige Presse offenbar nicht weiter darüber aufgeregt und es ist allenfalls mündlich in kleineren Zirkeln überliefert worden.

„Wellenbrecher“ erst in den 60ern

Erst in den 60er Jahren, als der BVB (frühe Meisterschaften anno 1956, 1957 und 1963 – es kamen später bekanntlich noch einige hinzu) hier auch im Europapokal spielte, wurden zwischen den Stehplätzen erstmals „Wellenbrecher“ installiert, die das wahnwitzige Gedrängel kanalisieren sollten. Heute würde kein Mensch mehr solch ein Stadion für Spitzenfußball genehmigen. Doch ehedem war es ein Stolz der Stadt und es bleibt ein längst denkmalgeschütztes Juwel.

Warum wir darauf kommen? Die Kampfbahn Rote Erde, bis 1974 auch das BVB-Stadion, ist soeben (am 6. Juni) 90 Jahre alt geworden – und das ist wirklich mal einen Rückblick wert; besonders, wenn er so kundig und unterhaltsam gerät wie jener des früheren Stadtpressesprechers Gerd Kolbe (71), der jetzt zum Jubiläum eine mit „Dönekes“ gespickte Stadionführung übernahm.

Einer der besten BVB-Kenner

Ein Kreis von rund 50 Interessenten hat Kolbe gebannt gelauscht. Die meisten hatten die Kampfbahn noch aus alten Zeiten in bester Erinnerung. Auch ich habe dort schon als Kind auf den Rängen gestanden. An dieser Stelle könnt ihr euch bitte einen wehmütigen Seufzer denken.

Gerd Kolbe bei seiner Stadionführung (Foto: Bernd Berke)

Gerd Kolbe bei seiner Stadionführung (Foto: Bernd Berke)

Was hier zu lesen steht, geht weit überwiegend auf Gerd Kolbes Vortrag zurück. Und wahrlich: Er dürfte einer der besten BVB-Kenner auf dem Erdenrund sein, darüber hinaus weiß er auch generell in der Sportgeschichte und in der politischen Historie Bescheid. Wohl mindestens bundesweit einmalig: Von 1976 bis 1981 war er sogar Stadtsprecher und BVB-Pressesprecher in Personalunion. 2006 fungierte er als Organisator des Dortmunder Parts der Fußball-WM.

Impulse vom Stadtplaner Hans Strobel

Nun aber schnell zurück zum Stadionbau. Impulse und Entwürfe stammten vom ebenso autoritären wie visionären Architekten und Stadtplaner Hans Strobel (1881-1953), nach dem heute die Strobelallee am Stadion benannt ist. Sein Studienort München hätte den Mann gerne behalten, doch er kam – auf Umwegen über Bremen und Leipzig – im Oktober 1914 nach Dortmund. Rund zehn Jahre später gab er die Anstöße zum Bau der „Roten Erde“ und der (alten) Westfalenhalle, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Der Nachfolgebau wurde 1952 eröffnet.

Die 1920er Jahre waren eine Zeit, in der die Realisierung von Großprojekten mitunter rasend schnell vonstatten ging. Kaum zu fassen: Vom Ratsbeschluss bis zur endgültigen Fertigstellung (!) dauerte es bei der Westfalenhalle gerade mal von März bis November 1925.

Syburger Ruhrsandstein bevorzugt

Die anfängliche Idee, das Stadion in den 1918 eingemeindeten Vororten Brackel oder Wambel zu errichten, wurde rasch verworfen. Strobel wollte in der Nähe des historischen Steinernen Turms bauen lassen. Und so kam es dann auch.

Beim Stadionbau, dessen Umsetzung nur unwesentlich länger dauerte als bei der Halle, wurden zahlreiche Arbeitslose eingesetzt. Ungeheure Erdmassen mussten zur Begradigung des Geländes bewegt werden, ganz zu schweigen von abertausend Tonnen Ruhrsandstein, die mit Pferdefuhrwerken aus der Gegend um die Hohensyburg herbeigeschafft wurden, welche damals weit vor den Toren Dortmunds lag. Ruhrsandstein prägt übrigens auch die mächtigen Bauten des Dortmunder Hauptfriedhofs, der ebenfalls von Hans Strobel geplant wurde.

Mieses Wetter zur ersten Eröffnung

Am 6.6.1926 wurde der elegant, aber stellenweise auch trutzig wirkende Stadionbau eröffnet. Es kamen allerdings nur rund 8000 Leute, weil das Wetter so mies war. Pech für die bürgerlichen Vereine, die sich mit den Arbeitervereinen auf keine gemeinsame Eröffnung einigen mochten und zuerst an der Reihe waren.

Eine Woche später brachten – bei ungleich besserer Witterung – die proletarischen Sportler 30000 Menschen zur Zweiteröffnung auf die Beine. Ein Höhepunkt der Großveranstaltung war jenes anspruchsvoll choreographierte Schachspiel mit verkleideten Menschen als lebenden Figuren. Mag sein, dass es das meistbesuchte Schachspiel aller Zeiten gewesen ist. Der revolutionäre Ausgang stand jedenfalls fest: Am Ende musste ein Bauer (stellvertretend für die Arbeiter) den König besiegen…

Heutiger Tribünenblick in der "Roten Erde" (Foto: Bernd Berke)

Heutiger Tribünenblick in der „Roten Erde“ (Foto: Bernd Berke)

Nachzutragen bliebe noch eine Anekdote der bürgerlichen Eröffnung, die Gerd Kolbe geradezu genüsslich vorträgt: Eine Dortmunder Stadtauswahl kickte gegen Wacker München und verlor haushoch mit 1:11. Das Ergebnis hätte freilich noch übler ausfallen können, hätte nicht der Münchner Rechtsaußen Karl(chen) Reiter seinen Aktionsradius auf etwa 10 Meter beschränkt. Er ließ sich auch durch seine Mitspieler nicht bewegen, selbigen zu erweitern.

Warum sich der Rechtsaußen kaum rührte

Schlimmer noch: Nach dem Seitenwechsel wollte Richter auf ähnlich Weise Linksaußen sein, also auf derselben Platzseite nahezu regungslos verharren. Des Rätsels Lösung: Er hatte sich in eine Frau aus Dortmund-Dorstfeld verliebt und wollte ihrem Tribünensitz möglichst nahe bleiben. Er ist denn auch der Liebe wegen in Dortmund geblieben. So holt man Spieler aus München hierher!

Ein eigenes Kapitel verdienen die Begegnungen mit Schalke 04 in der „Roten Erde“. In den 30er und 40er Jahren kassierte der BVB regelmäßig „Packungen“, wobei etwa das 0:7 aus der ersten Partie vom 7.3.1937 noch vergleichsweise glimpflich war.

Anfangs mit den Schalkern befreundet

Wie Gerd Kolbe zu berichten weiß, schauten die Dortmunder damals in aller Freundschaft und sehnsüchtig bewundernd zu den damaligen Schalker Serienmeistern auf. Den Titel des Jahres 1934 feierten die Schalker – aus Berlin kommend – sogar zuerst mit einem Corso in Dortmund, bevor sie nach Gelsenkirchen weiter reisten. So etwas ist seit vielen Jahrzehnten nicht mehr vorstellbar.

Impression vom Eingangsbereich des Stadions (Foto: Bernd Berke)

Ruhrsandstein: Impression vom Eingangsbereich des Stadions (Foto: Bernd Berke)

Am 14. November 1943 errang Borussia Dortmund mit 1:0 den allerersten Erfolg gegen Schalke. Es war nur drei Tage nach einem verheerenden Bombenangriff auf die Stadt. Trotzdem oder gerade deswegen war das Stadion voll. Die Menschen wollten einfach mal etwas anderes erleben als den Weltkriegsalltag.

Nur zwei Länderspiele

Die Rivalität oder später teilweise gar Feindschaft zwischen den beiden Revier-Vereinen sei just ab 1943 gewachsen, so Kolbe. Und seit dem Zweiten Weltkrieg hatten, man weiß es, zumeist die Dortmunder sportlich die Oberhand.

Der BVB ist also gebührend erwähnt worden. Doch die Kampfbahn Rote Erde (sprachliche Herkunft wahrscheinlich nicht farblich, sondern von „gerodeter“ Erde) war keineswegs allein die Domäne der Borussen und nicht einmal des Fußballs überhaupt. Es gab in der „Roten Erde“ auch nur mickrige zwei Länderspiele: 1935 gegen Irland und 1967 gegen Albanien.

Radrennen und legendäre Boxkämpfe

Dafür dominierten oft andere Sportarten. Hier fanden große Radrennen ebenso statt wie 1955 eine WM im Feldhandball. Nicht zu vergessen die spektakulären Boxkämpfe, beispielsweise am 20. Juli 1952 der Triumph des amtierenden Dortmunder Schwergewichts-Europameisters Heinz Neuhaus gegen den Hamburger Hünen Hein ten Hoff vor 50000 Zuschauern – durch K.o. in der ersten Runde.

Auch dabei soll, Gerd Kolbe zufolge, die Liebe buchstäblich den Ausschlag gegeben haben, denn der Hamburger hatte die Angewohnheit, zum jeweiligen Pausengong seine Gefährtin huldvoll aus dem Ring herab zu grüßen. Dies kriegten Neuhaus und seine Betreuer spitz – und Neuhaus setzte seine gefürchtete Rechte gezielt in dem Moment ein, als Hein ten Hoff mit den Gedanken schon wieder bei seiner Liebsten war…

Gigantisch: Heute überragt die Tribüne des Westfalenstadions (vulgo Signal-Iduna-Park) jene der Kampfbahn Rote Erde bei weitem. (Foto: Bernd Berke)

Gigantisch: Heute überragt die Tribüne des Westfalenstadions (vulgo Signal-Iduna-Park) jene der Kampfbahn Rote Erde bei weitem. (Foto: Bernd Berke)

1927 ging rund ums Stadion der Deutsche Katholikentag über die Bühne – allen voran mit dem päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli, der später (1939 bis 1958) ein politisch nicht unumstrittener Papst wurde. Und leider hatte auch Adolf Hitler in der Arena seinen Auftritt, als er SA-Paraden abnahm. Gerd Kolbe: „Ein Stadion kann sich nicht wehren.“ Stimmt sicherlich. Aber man darf ergänzen: Menschen hätten es vielleicht gekonnt.

Heute Regionalliga und Leichtathletik

Zur Fußball-WM 1974 wurde das zunächst als Zwillingsbau geplante Westfalenstadion direkt neben die Kampfbahn Rote Erde gesetzt, zunächst noch auf gleicher Traufhöhe, aber sehr viel moderner. Heute überragt der Gigant die „Rote Erde“ bei weitem und ist Deutschlands größte Fußballarena. Im alten Stadion tritt derweil die zweite Mannschaft des BVB in der Regionalliga West an, ansonsten regiert dort die Leichtathletik.

Aber jetzt haben wir noch gar nicht (nach)erzählt, warum der famose US-Leichtathlet Jesse Owens 1937 n i c h t in der Kampfbahn Rote Erde gelaufen und gesprungen ist. Und auch nicht, wie das zuging, als ein Polizeihund den Schalker Friedel Rausch am 6. September 1969 in der Kampfbahn in den Hintern biss, was noch heute ein Grinsen auf die Gesichter vieler BVB-Anhänger zaubert. Naja, dazu vielleicht ein andermal.




Nun jauchzet und frohlocket: Löw hat doch nicht alle Dortmunder aussortiert

Man möchte bitterlich auflachen. Von Borussia Dortmund, dem besten Tabellenzweiten seit Anbeginn der Bundesliga, nimmt „Jogi“ Löw gerade mal zwei Spieler mit zur Fußball-EM nach Frankreich: den 20jährigen Julian Weigl und Mats Hummels, der unterdessen eigentlich gar kein „richtiger“ BVB-Mann mehr, sondern quasi schon ein halber Bayer ist.

Sind alle BVB-Leistungen "für umme", wenn's nach Jogi geht? (Foto: BB)

Sind alle BVB-Leistungen „für umme“, wenn’s nach Jogi geht? (Foto: BB)

Zum Vergleich: Von Wolfsburg und Schalke, zwei Teams, die in der Liga zutiefst enttäuscht haben, fahren ebenfalls je zwei Spieler mit. Ja, da ist doch wohl etwas aus der Balance geraten. Und gezz ma‘ ährlich: Diese Ansicht hat zwar etwas mit einer gewissen Neigung zum BVB zu tun, aber beileibe nicht mit engstirniger Nibelungentreue zum schwarzgelben Verein. Engstirnig? Ich? Niemals!

Schon im 27 Spieler umfassenden, vorläufigen Kader standen n i c h t die hochtalentierten Dortmunder Abwehrkräfte Schmelzer, Ginter, Durm und Bender. Mindestens einen oder zwei von ihnen hätte man nach Lage der Dinge wenigstens im erweiterten Kreis erwarten dürfen. In Erwägung der jüngsten Torwartleistungen der Neuer-Stellvertreter Ter Stegen und Leno (bei der Testspiel-Pleite gegen die Slowakei) hätte man sich auch noch den BVB-Keeper Roman Weidenfeller wünschen können, obwohl er nicht mehr der Allerjüngste ist.

Aber nichts da! Löw hat’s anders gewollt. Man könnte argwöhnen, er hätte eine schlimme Farballergie gegen Schwarzgelb.

Pechvogel Ilkay Gündogan hatte sich bereits im Vorfeld verletzt; wie eigentlich immer, wenn es darauf ankommt. Und heute, ja heute hat Löw auch noch den BVB-Stürmer Marco Reus aus dem Aufgebot gestrichen – just wegen einer Verletzung. Die Blessuren von Hummels und vor allem von Bastian Schweinsteiger werden derweil viel optimistischer ausgelegt. Da bestünden baldige Heilungschancen, so dass die Turnierteilnahme nicht gefährdet sei, heißt es. Geht’s da etwa nach dem bloßen Prinzip Hoffnung? Wir werden ja sehen, ob der langjährige Bayern-Arzt Müller-Wohlfahrt mit seiner Einschätzung recht behält.

Doch nun jauchzet und frohlocket: Löw hat ja nicht alle Dortmunder aussortiert.

Ich gebe zu, dass mir als Dortmunder die Vorfreude auf die EM etwas vergällt worden ist und frage mich, ob wirklich Leistung das alleinige Auswahlkriterium gewesen ist – oder ob nicht doch auch Wohlverhalten und unverbrüchliche Loyalität zum Trainer eine gewichtige Rolle gespielt haben. Löw mag keine Widerspenstigen, sondern wohl eher brave Jasager.

Auch landsmannschaftlicher Sympathien und Antipathien ist der Bundesjogi ja nicht ganz unverdächtig. Es gibt eine interessante Aufstellung, die zeigt, von welchen Vereinen er die über 80 Debütanten seiner Amtszeit geholt hat. Gewiss, immerhin je zehn Dortmunder und Schalker waren zwischenzeitlich dabei. Aus Löws geliebtem Südwesten (Stuttgart 7, Freiburg 4) durften – fast ohne Rücksicht auf schlechte Tabellenplätze und Abstiegsnöte – elf Neulinge ran. Das erscheint einem doch etwas überproportional.

Überraschender Spitzenreiter ist übrigens Bayer Leverkusen mit 13. Ob’s daran liegt, dass Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler das eine oder andere gute Wort eingelegt hat? Oder hat er andernfalls mit seinen gefürchteten Wut-Interviews gedroht?




Mats, wat machste nur?

Ich geb’s ja zu, ordentlich Zweckoptimismus war schon dabei, als ich dieser Tage Bernd Berke, meinem Freund im schwatz-gelben Geiste, seine Zweifel über die zukünftige sportliche Heimat des Spielers Mats Hummels nehmen wollte. Ich schrieb, dass dieser ewig beim BVB bleiben werde. Aber ich bin nun mal ein gutgläubiger Mensch.

Solche Szenen wird Mats Hummels nicht mehr erleben: Momentaufnahme vom Meister-Corso durch die Dortmunder Innenstadt im Mai 2011. (Foto: Bernd Berke)

Solche Szenen wird Mats Hummels nicht mehr erleben: Momentaufnahme vom Meister-Corso durch die Dortmunder Innenstadt im Mai 2011. (Foto: Bernd Berke)

Ich setze nun gern auch mal die Intelligenz voraus, die ich bei Menschen zu erkennen glaube, deren eloquente Art, die eigene Arbeit zu analysieren, durchdacht erscheint. Okay, Mats Julian Hummels habe ich da allem Anschein nach ziemlich überschätzt. Hätte er Liverpool genannt als letzte Herausforderung einer angejahrten Karriere, oder den königlichen Verein in Spanien mit hauseigener Gelddruckmaschine, dann hätte ich das Profi-Gesabbel von der sportlichen Herausforderung ja noch verstanden. Aber Bayern? Nee. Die hatten ihn nach eigenem Bekunden schlecht behandelt. Die hatten nachweislich seine überragende Veranlagung nicht wahrgenommen. Die hatten seinen Vater und Berater gefeuert. Alles vergessen?

Mann, wie müssen die sprengend mit ihrem Gehaltsgefüge umgehen. Anders wäre doch so eine vollkommen unverständliche Affinität kaum zu erklären. Hier der unvergleichliche BVB, die unvergleichliche Südtribüne. Hier in Dortmund: das bestfrequentierte Stadion Europas. Hier ein Verein mit funktionierenden Strukturen, bei dem der Spieler Mats Julian Hummels geliebt und höchst geachtet wurde. Und hier der Verein, dessen großartige Arbeit erst den großartigen Spieler Mats Julian Hummels erst zu dem machte, der er wurde.

Torjubel im (wie üblich) ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, vulgo Signal Iduna Park. (Foto: Bernd Berke)

Torjubel im (wie üblich) ausverkauften Dortmunder Westfalenstadion, vulgo Signal Iduna Park. (Foto: Bernd Berke)

Und dort die „Buyern“, mit einem Stadion, das höflichen Applaus spendet, wo Dortmunds Südtribüne in leidenschaftliche Raserei übergeht. Dort die Buyern, die sich nur mit dem Ankauf der spielerischen Klasse bei konkurrierenden Vereinen in der Liga deren sportliche Qualität vom Hals halten können. Dort die zugegeben beste Vereinsstruktur der Liga, bei gleichzeitigem Verschleiß des “Spielermaterials”. Und da ist Mario Götze nur ein Beispiel.

Mats Hummels hatte das Zeug, eine Dortmunder Legende zu werden. Er wäre so einer wie Nobby gewesen, oder Kalle Riedle oder Timo. Ihm hätten Türen offen gestanden, wo der Süden applaudierend Spalier gestanden hätte, wenn sie von ihm durchschritten worden wären. So wird er nun in der Vergessenheit versinken, in der zahlreiche schon darben, die mal für den BVB gespielt haben. Und bei den Buyern ist er schon jetzt einer von vielen.

Bleibt zu hoffen, dass er Borussia Dortmund viel, viel Geld einbringt, für das der BVB wieder Talente in seine Mannschaft holen kann, sie zu sportlicher Höhe führt – und die dann von Bayern weggekauft werden. So brächte er doch noch zusätzlich was für den Verein, der ihn so wertvoll machte.

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Der Beitrag ist in ähnlicher Form zuerst in Rudi Bernhardts Blog dasprojektunna.de erschienen.




5. Mai 1966 – Dortmund – Liverpool: Da gibt’s doch ein Jubiläum zu feiern, und zwar zünftig!

Ist das eigentlich schon jemandem so richtig aufgefallen? Am 5. Mai 2016 jährt sich der wohl legendärste sportliche Erfolg einer Dortmunder Mannschaft zum 50. Mal.

Na klar. Hunderttausende von Fußball-Statistikern haben solche Daten allemal im Archiv und im Sinn, wenn auch vielleicht nicht aktuell „auf dem Schirm“: Am 5. Mai 1966 holte Borussia Dortmund im Hampden Park zu Glasgow als erstes deutsches Team einen Fußball-Europapokal – mit einem seinerzeit sensationellen 2:1-Sieg gegen den FC Liverpool.

Diesen Aufkleber bekam ich vor wenigen Tagen von einem Trödelhändler auf dem Flohmarkt in Dortmund-Wambel. Er beschwor die Echtheit und Originalität. Ich habe meine Zweifel. Egal. Jedenfalls erinnert der Sticker an 1966. (Foto: Bernd Berke)

Diesen Aufkleber bekam ich vor wenigen Tagen von einem Trödelhändler auf dem Flohmarkt in Dortmund-Wambel geschenkt. Er beschwor die Echtheit und Originalität. Ich habe meine Zweifel. Egal. Jedenfalls erinnert der Sticker an 1966. (Foto: Bernd Berke)

Eine ganze Generation von Fußballfans erinnert sich lebhaft an das Match und an den entscheidenden Treffer, die unglaubliche „Bogenlampe“, die Libuda in der Verlängerung (106. Minute) vollbrachte. Die Betagten erzählen heute noch ihren Kindeskindern davon.

Moment mal. Liverpool? Da klingelt doch neuerdings wieder etwas. Genau. Seit ein paar Monaten ist dort bekanntlich die BVB-Kultfigur Jürgen Klopp Trainer.

Ich weiß ja nicht, was der BVB so vorhat, um das Jubiläum angemessen zu begehen. Tages- oder wochengenau geht’s eh nicht so richtig. Am 7. und 14. Mai stehen Bundesliga-Partien gegen Frankfurt und Köln an. Am 21. Mai steigt in Berlin das DFB-Pokalfinale, womöglich mit Dortmunder Beteiligung. Schon am 10. Juni beginnt die Fußball-EM in Frankreich. Auch dort dürften ein paar Borussen gefragt sein.

Es wird also zeitlich ganz engmaschig, zumal auch die Liverpooler Spieler etliche Partien vor sich haben.

Und doch, und doch: Es ist zumindest eine schöne Vorstellung, zum 50. Jahrestag des Europapokalsiegs die Spielpaarung von 1966 zu wiederholen – mit den besten Teams von Klopp und Tuchel und allem Drum und Dran. Und mit Spielern von „damals“ auf der Ehrentribüne. Vielleicht könnte man’s ja gegen Ende der Sommerpause nachholen? Quasi als Teil der Vorbereitung auf die nächste Saison?

Mit der Organisation solcher Ereignisse von der ersten Tuchfühlung bis zur Realisierung kenne ich mich wahrlich nicht aus. Aber mal im Konjunktiv gesprochen: Wie wär’s denn, wenn nun die richtigen Leute ein paar Gedanken darauf verschwendeten und auf kurzen Dienstwegen kommunizierten? Dann würde die Idee vielleicht schneller reifen, als man jetzt denkt. Das Stadion, sofern man in Dortmund spielte, wäre jedenfalls proppenvoll. Das Fernsehen würde sich auch nicht lange bitten lassen. Sprich: Einnahmen garantiert.

Wie bitte? Diese ganzen Traum- und Planspiele seien überflüssig? Weil es ja eh zur Begegnung BVB – FC Liverpool komme, und zwar am 18. Mai im Baseler St.Jakob-Park beim Wunschfinale der Europa League. Rein theoretisch jedenfalls…

Ja dann. Dann würde ich mal nix gesagt haben wollen. Andernfalls sollten wir auf die Idee aber doch noch zurückkommen. Und zwar ganz fix.

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Hier noch ein rund zehnminütiger Spielausschnitt vom 5.5.1966 (falsche Datierung in der YouTube-Überschrift) mit englischem Kommentar. Der Sprecher über den Dortmunder Siegtreffer: „What a ridiculous goal !“




Integration (nicht nur) auf dem Rasen – Fußball war im Ruhrgebiet stets eine verbindende Kraft

Der folgende Beitrag macht klar, warum Fußball gerade im Ruhrgebiet so ungemein wichtig ist. Ein Text unseres Gastautors Heinrich Peuckmann, Schriftsteller aus Bergkamen:

Wenn Borussia Dortmund gegen Schalke 04 spielt, steht das halbe Ruhrgebiet Kopf. Unglaubliche Emotionen werden frei, bei den Verlierern fließen Tränen, bei den Siegern brechen Jubelstürme aus. Kaum jemand, der das Revier nicht kennt, versteht, warum der Fußballsport hier eine so große Bedeutung hat. Man muss ein Stück in die Geschichte des Ruhrgebiets zurückgehen, um einleuchtende Erklärungen zu finden.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war das Ruhrgebiet eine eher verschlafene Region, die Städte waren klein, Landwirtschaft und bescheidener Handel entlang des Hellwegs prägten das Leben der Menschen. Dann setzte mit Macht und ungeheurem Tempo die Industrialisierung ein, Kohle und Stahl bestimmten für über 100 Jahre die Arbeitswelt. Und dafür mussten Arbeitskräfte angelockt werden, nicht ein paar, sondern gleich Hunderttausende.

Wäre 1955 fast ins Finale um die Deutsche Meisterschaft vorgedrungen: die Herner Vorort-Mannschaft des SV Sodingen.

Wäre 1955 fast ins Finale um die Deutsche Meisterschaft vorgedrungen: die Herner Vorort-Mannschaft des SV Sodingen.

Innerhalb weniger Jahre schwollen die Städte zwischen Ruhr und Lippe, Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg zu Großstädten an. Aus Süddeutschland kamen Zuwanderer (bis heute gibt es im Ruhrgebiet „Bayern- oder Alpenvereine“, bei deren Festen tatsächlich in Lederhosen getanzt wird), aus Schlesien und Ostpreußen. Im Ruhrgebiet war man traditionell protestantisch, nun kamen viele Katholiken hinzu, etwas, was damals von großer Bedeutung war. Die Neuen sprachen anders, sie hatten auch andere Namen: Szepan, Konopczinski, Tilkowski, Nowak… Die „Pollacken“ nannte man sie damals durchaus abfällig im Revier.

Wie deutlich zwischen den Menschen, aber auch den Schichten unterschieden wurde, kann man bis heute an einer Gastwirtschaft in der kleinen Gemeinde Bönen ablesen. Bei „Timmering“ gab es rechts einen Eingang für die Steiger der Zeche und für ihre Frauen, die beide einen eigenen Raum in der Wirtschaft hatten. Den Haupteingang, zwei kleine Steintreppen hoch, nahmen die Bergleute, aber links gab es noch einen dritten Eingang. Der war für die Zuwanderer bestimmt, für die „Pollacken“ eben, mit denen sich die Einheimischen lange Zeit nicht gemein machen wollten. Im Keller befanden übrigens die Umkleidekabinen für den Fußballverein VfL Altenbögge, und weil der kurz nach dem Krieg in der obersten Liga spielte, haben sich dort alle großen Stars von Schalke, Westfalia Herne und Borussia Dortmund irgendwann mal umgezogen. Die Sitzbänke stehen noch da, man sollte sie unter Denkmalschutz stellen.

Das Trennende zwischen den Menschen wog also schwer, umso wichtiger wurde daher das, was sie verband. Und das war vor allem der Fußball. Dieser oder jener war zwar ein „Pollacke“ und katholisch war er auch noch, aber er schwärmte wie seine Arbeitskollegen von der Zeche für Hamborn 07 oder den SV Sodingen. Also gab es Berührungspunkte, also kam man sich näher.

Es waren damals noch nicht die Großvereine, sondern kleine Vereine in jeder Stadt, sogar in jedem Stadtteil, die die Menschen, über alle Unterschiede hinweg, zusammenführten. Und erfolgreich waren diese Vereine noch dazu. Der SV Sodingen zum Beispiel im Vorort von Herne hatte sein Stadion auf dem Gelände der Zeche „Mont Cenis“ und mit der Schließung dieser Zeche begann auch sein Abstieg.

1955 aber wäre der SV Sodingen beinahe in das Endspiel um die deutsche Meisterschaft vorgedrungen, das dann mit hauchdünnem Vorsprung der 1. FC Kaiserslautern mit seinen Weltmeistern Fritz und Ottmar Walter erreichte. In dieser Zechenmannschaft spielten gleich mehrere Nationalspieler und wenn man ihre Namen aufzählt, merkt man, woher sie stammten: Sawitzki, Adamek, Konopczinski (B-Nationalmannschaft), Cieslarczyk. Aber auch Nationalspieler wie Jupp Marx oder Gerd Harpers standen in den Reihen des SV. Die Namen verraten, hier fand eine funktionierende Integration statt, die eben nicht auf das Spielfeld beschränkt blieb, sondern sich auf die Zuschauerränge und damit in der Folge auch auf den Arbeitsplatz übertrug.

„Hännes“ (Johann) Adamek, echter polnischer Landadel, war damals bei allen so berühmt, dass irgendwann der katholische Priester bei einer Predigt die Sodinger als gottloses Volk beschimpfte. Sie würden niemals von Gott reden, beklagte er, sondern immer nur von „Hännes“ Adamek. Wie sehr darin Religiöses mitschwang, nämlich das grundsätzliche Einverständnis mit dem Mitmenschen, egal von welcher Herkunft, hat er nicht kapiert. Wie weit diese Zuwanderung damals ging, belegt eine Geschichte, die gerne im Ruhrgebiet kolportiert wird. Als die Schalker Mannschaft mal zu einem Gastspiel nach Polen fuhr, fragte der dortige Fußballverein an, wie viele Zimmer man denn im Hotel reservieren solle. Die Antwort war ganz einfach: „Eines für den Trainer, die Spieler schlafen bei ihren Verwandten.“

Der Zusammenhalt im Schmelztiegel Ruhrgebiet ist also mit der Zeit gewachsen, der Fußball als Sozialkitt hat einen erheblichen Teil dazu beigetragen. Im Grunde waren Solidarität und Hilfsbereitschaft sowieso existentiell nötig, denn die Arbeit unter Tage war gefährlich. Jeden Tag konnte die Situation eintreten, dass ein Bergmann in Gefahr, oft genug in Lebensgefahr geriet. Da musste man sich auf den Kumpel (auch so ein Wort, das Verbundenheit ausdrückt) verlassen können. Da spielte es keine Rolle, ob evangelisch oder katholisch, ob „Pollacke“ oder nicht.

Aber ist das nicht alles Geschichte? Wirkt das tatsächlich bis heute nach?

Dazu ein Beispiel aus jüngster Zeit. Der Düsseldorfer Bürgermeister Elbers machte sich noch im Juni diesen Jahres über das Ruhrgebiet lustig. Dort, urteilte er, wolle er nicht tot über dem Zaun hängen. Dann kam das schwere Unwetter und in Düsseldorf brach der Notstand aus. Die Bäume ganzer Straßenzüge wurden umgeweht. Und wer half? Die Feuerwehren aus dem Ruhrgebiet. Ganz selbstverständlich, ohne Häme. „Hört mal, der Bürgermeister hat uns doch lauthals beschimpft!“ „Egal, die kannst du doch nicht im Stich lassen, wenn sie in Not sind.“ Genau, Solidarität ist etwas, das man im Ruhrgebiet mit der Muttermilch eingeflößt bekommt. Den Rest erledigten die Düsseldorfer selber und wählten Herrn Elbers ab. Klar, das Mitleid hielt sich in Dortmund und Umgebung in Grenzen.

Hans Tilkowski, ehemaliger Nationaltorhüter, berühmt geworden durch das Wembley-Tor von 1966, dessen Vater ebenfalls Bergmann war, spricht gerne vom Wir-Gefühl. Das muss die Menschen untereinander prägen, egal ob in einer Fußballmannschaft oder sonst wo. Sein Vater hat es, als er für drei Tage verschüttet wurde, auf der Zeche erlebt; sein Sohn Hans in den Mannschaften, in denen er gespielt hat.

Und wie ist es heute mit den türkischstämmigen Mitbürgern? Fragt man die Jungen nach ihrem Lieblingsverein, bekommt man oft zwei Antworten. Einmal nennen sie einen Istanbuler Verein, Besiktas, Galatasaray, Fenerbahce, dazu kommen dann Schalke oder Borussia. Eine symbolträchtige Antwort, die viel über die Integration aussagt. Ganz geglückt ist sie noch nicht, aber immerhin, ein Stückchen ist geschafft. Und sie läuft weiter.

Inzwischen nutzt auch der DFB die integrierende Kraft des Fußballs und sendet zum Beispiel Spots, in denen der Vater von Boateng, die Mutter von Özil und andere Spielereltern zusammen grillen und ihr Zusammensein dann unterbrechen, um das Spiel ihrer Kinder zu sehen. Das Ruhrgebiet hätte dabei Pate stehen können.

Der Fußball errichtet Symbole, Leuchttürme in dieser Welt. Im Ruhrgebiet weiß man, wie viel der Fußball als so ein Leuchtturm bewirken kann.




Schmerzlicher Abschied: Jürgen Klopp verlässt nach der Saison den BVB

Wie ärgerlich, dass mal wieder die „Bild“-Zeitung die Nachricht zuerst hatte: BVB-Trainer Jürgen Klopp hat um Auflösung seines bis 2018 reichenden Vertrages gebeten.

Soeben hat Jürgen Klopp die Nachricht offiziell in einer Pressekonferenz bestätigt – sichtlich bewegt, zeitweise zaudernd, mit stockender Stimme. Der Entschluss falle ihm „unglaublich schwer“, aber die Entscheidung habe jetzt getroffen werden müssen, damit der Verein die nächste Saison planen könne. Es sei somit die „absolut richtige Entscheidung“, fernab von aller Sentimentalität und Romantik.

In aller Bescheidenheit sei’s gesagt: Vor einigen Monaten hatte ich an dieser Stelle für einen Neuanfang auf Sparflamme plädiert – möglichst mit neuem Trainer und nicht mehr mit lauter millionenschweren Stars, sondern mit dem Rüstzeug fürs solide Mittelfeld. Hernach kann man ja immer noch auf Höheres aus sein. Ein solcher Weg der kleineren Schritte scheint nun eingeschlagen zu werden. Es wäre nur vernünftig.

BVB-Trainer Jürgen Klopp am 9. August 2014 (©Foto: Tim.Reckmann/Wikipedia - Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

BVB-Trainer Jürgen Klopp am 9. August 2014 (©Foto: Tim.Reckmann/Wikipedia – Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Da Borussia Dortmund in der kommenden Spielzeit voraussichtlich an keinem europäischen Wettbewerb teilnehmen wird (und wenn doch, dann allenfalls an der nur mäßig attraktiven Europa League), empfiehlt sich finanzielle Zurückhaltung auf jeden Fall. Auch sollte klar sein, dass vorerst Vereine wie Wolfsburg, Gladbach oder Leverkusen in der Bundesliga hinter den Bayern rangieren.

Gleichwohl möchte Klopp, wie er heute sagte, mit dem BVB noch die verbleibenden Maximalziele erreichen und möglichst noch einmal mit dem Lastwagen rund um den Borsigplatz fahren. Voraussetzung dafür wäre der Pokalsieg… Und man kann sich vorstellen, dass Klopp und die Mannschaft angesichts des bevorstehenden Abschieds noch einmal ungeahnte Reserven ausschöpfen.

Zurück zu jetzigen Realität. In den Blickpunkt ist jüngst auch das Wirken des Dortmunder Sportdirektors Michael Zorc gerückt, der für die Einkaufspolitik verantwortlich zeichnet. Zunächst hatte er vielfach eine glückliche Hand, doch in letzter Zeit sind ihm einige derart kapitale Fehleinschätzungen unterlaufen, dass man durchaus an ihm zweifeln darf.

Besonders die beiden Spieler Ciro Immobile (für 19,4 Mio. Euro aus Turin geholt) und Henrikh Mkhitaryan (Ablöse 27,5 Millionen Euro)* haben nicht einmal ansatzweise die Erwartungen erfüllt. Auch die anfangs frenetisch gefeierte Rückholung des Japaners Shinji Kagawa aus Manchester erwies sich als falsche Maßnahme.

Man könnte noch weitere Namen nennen. Doch zuletzt haben auch das ganze Gefüge der Mannschaft und der Draht zum Trainer nicht mehr funktioniert, so dass man nicht nur einzelnen Akteuren die Schuld zuweisen darf. Trotzdem sollten einige Spieler sich bald andernorts umschauen, wo sie vielleicht Besseres bewirken können.

Jürgen Klopp hat ersichtlich resigniert, er wirkte an der Seitenlinie oft kläglich hilflos – ganz anders als in früheren Tagen. Es ist wohl nur konsequent, wenn er im Sommer eine „Auszeit“ nimmt und danach neue Herausforderungen z. B. in der englischen Premier League sucht, in London oder Manchester. Wer weiß, vielleicht nimmt er dann den BVB-Kapitän Mats Hummels gleich mit auf die Insel. Oder der macht dort schon mal vorher Quartier. In der heutigen Pressekonferenz bestritt Klopp freilich, konkrete Pläne für seine Zukunft als Trainer zu haben.

Ob der angebliche Nachfolger Thomas Tuchel, der auch schon in Mainz in Klopps Fußstapfen trat, nach Dortmund und zur Borussia passt, könnte sich beizeiten weisen. Brennenden Ehrgeiz brächte er jedenfalls mit. Über Sympathien ließe sich später immer noch streiten. Übrigens: Fragen zur Klopp-Nachfolge wurden heute beim BVB aus Prinzip nicht beantwortet.

Mit dem Abgang von Klopp, der 2008 zum BVB kam, geht in Dortmund eine große Fußballzeit dem Ende entgegen. Er hat mit dem BVB nicht nur zwei deutsche Meisterschaften und einen Pokalsieg errungen, sondern auch international für Aufsehen gesorgt, indem er das Finale der Champions League erreichte. In einer Stadt, der der Fußball so viel bedeutet wie keiner zweiten im Lande, ist Klopp ein (zunächst imaginares) Denkmal sicher. Der dauerhafte Dank aller BVB-Fans ist ihm eh gewiss.

Zeitweise sah selbst der FC Bayern München, verglichen mit Borussia Dortmund, ziemlich dürftig aus. Die Herrschaften von der Säbener Straße reagierten – wie üblich – vor allem mit pekuniären Mitteln, indem sie die BVB-Protagonisten zu sich holten: Götze wurde weggekauft, Lewandowski mit besten Aussichten weggelockt. Inzwischen sind die Südlichter längst wieder die Chefs auf dem Rasen. Aber eines schönen Tages…

(* Ablösesummen laut www.transfermarkt.de)




Borussia Dortmund und die Sehnsucht nach dem gefestigten Mittelmaß

Hält man es mit Borussia Dortmund, so leidet man seit Wochen und Monaten – wie eigentlich noch nie in den letzten Jahrzehnten. Und das nach all den Freuden und Erfolgen der vorherigen Spielzeiten…

Gewiss, es gibt weitaus Wichtigeres als den Fußball. Geschenkt. Und klar, man kann das alles – vor allem von außen her – hochkomisch, süffisant oder hämisch betrachten. Doch verkennt man dann, was Fußball in Dortmund bedeutet, nämlich mehr als in jeder anderen deutschen Stadt, Gelsenkirchen wohl inbegriffen. Dort kommen, schon geographisch bedingt, prozentual mehr Fans aus angrenzenden Städten. Egal.

Bayerns onanistische Meisterschaft

Hat man anfangs noch meinen können, die Misere der Borussia liege vor allem an der mangelnden Chancenverwertung, also am Glücksfaktor, so muss man sich längst eingestehen, dass derzeit beim BVB richtig schlechter, ja zuweilen schon erbärmlicher und wahrhaftig abstiegswürdiger Fußball praktiziert wird, und zwar schlimmstenfalls vom gesamten Team. Sind das wirklich dieselben Spieler, die vor nicht allzu langer Zeit als Rivalen der Bayern gegolten haben? Die Münchner werden diesmal auf geradezu onanistische Weise die Meisterschaft einfahren.

Alles Krisengerede "für umme"? Schön wär's ja. (Foto: Bernd Berke)

Alles Krisengerede „für umme“? Schön wär’s ja. (Foto: Bernd Berke)

Nach und nach sind die vormals Verletzten zurückgekehrt, Nationalspieler zuhauf und auch ein paar – nun ja – „Weltmeister“. Doch die damit verbundene Hoffnung hat getrogen. Es hat sich nichts Grundlegendes geändert. Hie und da ein paar lichte Momente. Dann wieder Finsternis. Da kenne sich noch einer aus. Selbst die Fachleute in den Sportredaktionen rätseln hin und her.

Willkommene Winterpause

Wie gut, dass jetzt wenigstens Winterpause ist. Endlich Erholung vom wirkungslosen Gekicke. Heute haben die Dortmunder sogar noch Dusel gehabt, dass die Freiburger nur remis gespielt haben. So liegt der BVB „lediglich“ auf dem Abstiegsplatz 17 – mit hauchdünnem Ein-Tores-Vorsprung auf den allerletzten Rang. Doch wird man ab Ende Januar erleben, dass der BVB plötzlich wie Phoenix aus der Asche steigt? Man wagt es zu bezweifeln. Die psychologischen Nachteile sind nicht gering.

Bei etlichen Spielen hatte man den Eindruck, die jeweiligen Widersacher könnten jederzeit einen Treffer erzielen, der BVB hingegen sei nie mehr wieder dazu in der Lage. Vielfach fallen die Gegentore auf derart surreale, groteske und absurde Weise, als sei da ein teuflisches Verhängnis im Spiel. Auch in der Champions League, deren Verlauf zunächst Auftrieb verhieß, ging es nach und nach bergab. Die Krise kristallisiert und verfestigt sich.

Sie haben die „Seuche“

Sie haben die „Seuche“, wie man so sagt. Liegt die Mannschaft einmal hinten, bleibt es in aller Regel auch dabei. Die Angst vor Fehlern bringt Fehler hervor. Es scheint den unbegreiflich Verzagten schier unmöglich zu sein, sich einmal entscheidend aufzuraffen und ein Spiel in der Tendenz umzudrehen. In manchen Partien stimmt auch der bloße Einsatz nicht mehr durchweg, also das Mindestmaß dessen, was die Zuschauer erwarten dürfen. Die meisten von ihnen stehen dennoch nibelungentreu zum Verein. Noch immer kommen rund 80.000 zu den Heimspielen im Westfalenstadion. Eigentlich unglaublich.

Doch allmählich könnte die Stimmung kippen. Manche ertappen sich bei vielleicht gar nicht mehr so ketzerischen Gedankenspielen, die jetzt auch zunehmend in Online-Kommentarspalten Platz greifen: Demnach müsste jetzt schleunigst Trainer Jürgen Klopp das Feld räumen und in nobler Einsicht einem Nachfolger Platz machen. Aber wem nur? Mit Thomas Tuchel, dessen Name häufiger genannt wird, käme womöglich abermals einer, der vorher in Mainz war. Und was hieße das?

Wer glaubt noch an die Wende?

Tatsächlich nervt Klopps allwöchentlich neu angesetzte Mixtur aus Zerknirschung und Kampfansage. Erreicht er denn mit seinen Appellen die Spieler noch? Im Vergleich zu früher wirkt er an der Seitenlinie in gewissen Momenten hilflos und zuweilen resigniert, ja fast erloschen. Glaubt er wirklich selbst noch an eine Wende?

Doch was kann ein Trainer schon ausrichten, wenn die Spieler wieder und wieder so agieren wie seit Saisonbeginn? Es ist, als herrsche da eine ansteckende Bräsigkeit, die gar zu viele Mitstreiter erfasst. Wäre es da nicht besser, den einen oder anderen „Star“ (mit deutlich gesunkenem Marktwert) leichten Herzens ziehen zu lassen und auf einen Neubeginn mit Nachwuchsleuten zu setzen? Wollen wir über die Neueinkäufe der jüngeren Zeit reden? Nein, lieber nicht. Wollten sie uns nur eines Besseren belehren…

Kampfschweine für schmutzige Siege

Unterdessen wird hie und da der Zukauf weiterer Kräfte in der Winterpause gefordert. Ohne Anführungsstriche kommt man hier nicht aus: Die vom Erfolg verwöhnten, nicht mehr „hungrigen“, angeblichen „Schönwetter-Spieler“ sollen vorzugsweise durch „Arbeitstiere“ oder sogenannte „Kampfschweine“ ersetzt werden, die notfalls brachial zu Werke gehen, was man ja im Revier eh am meisten zu schätzen wisse.

Ach, ach! Und dabei hat der BVB in den letzten Jahren immer wieder just durch schönes, einfallsreiches Spiel begeistert. Und nun sollen, ja müssen statt der Ästhetik „schmutzige Siege“ her. Das tut schon sprachlich weh.

Die Leute mit (bislang) glanzvollen Namen werden ohnehin rasch das Weite suchen, wenn der BVB nicht mehr in der Champions League vertreten sein wird. Fast sehnt man sich schon nach ganz normalen Zeiten soliden, gefestigten Mittelmaßes mit Steigerungs-Potenzial. Wenn’s geht, dann aber bitte noch in der ersten Liga.

In diesem Sinne: Frohes Fest & Guten Rutsch – nur nicht zu tief!




Der CL-Spieltag bei facebook: „Nun macht die Pocke doch endlich mal ‚rein!“

Da saß ich früher auf meiner angestammten Schale im Block 44, Reihe 13, Platz 52, war nach Jahrzehnten des ermüdenden Stehens und lästigen Bierduschens in der schwatz-gelben Wand froh, wenn die mich dann als „Sitzplatzkanacken“ beschimpften und freute mich, dass ich Dede beim Sprint über die linke Außenbahn beinahe auf die Schulter hätte klopfen können.

Heute, finanziell nicht mehr ganz so flüssig, bequeme ich mich entweder ins Sofa und schaue aus der Ferne, wie mein BVB Erfolge erstürmt. Und vermisse bisweilen Levent Aktoprak, meinen vieljährigen Sitzplatz-Nachbarn, wie er jubelnd Nuri Shahin zubrüllt, dass er doch schneller laufen möge.

BVB-Trikot, zum Spieltag aus dem Schrank geholt (Foto: Bernd Berke)

BVB-Trikot, zum Spieltag aus dem Schrank geholt (Foto: Bernd Berke)

Aber da habe ich inzwischen längst eine ganz neue Fan-Kultur ausgemacht und beginne sie immer intensiver zu genießen. Und ich kann sagen, dass es einen Riesenspaß macht, ein Spiel am nächsten Tage noch mal via facebook Revue passieren zu lassen. Das gewinnt zunehmend mehr an Spaßfaktor. Vor allem dann, wenn wir mal wieder – wie gegen Neapel – einen bravourösen Sieg zu feiern hatten. Ich bin überzeugt, Herbert Antoine Arthur Zimmermann, der unvergessene Radiosprecher, dessen „unaufgeregter“ Reportagestil die 1954-Weltmeisterschaft begleitete, hätte da auch so seine Freude dran gehabt.

„Und ab geht’s! // Kick-off!“, informiert zum Auftakt die BVB-Seite die facebook-Gemeinde. Wir alle beben vor Erwartung.

Bald darauf schreibt dieselbe Quelle, dass da ein Elfer verhängt wurde, den Marco Reus sicher versenkte. Klingt ungefähr so:

TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOR für Borussia Dortmund! Marco Reus verwandelt den Elfmeter!
//
GOOOOOOOOOOOOOOOOAL! Marco Reus sends Pepe Reina the wrong way from the penalty spot!

“Jaaa, Reus”, textet entzückt Gabriella Wollenhaupt.

Wow, ich kann die Glückseligkeit in den Augen aller mir persönlich bekannten Borussen sehen und fühle nach, wie sich nach dem Jubel (habe nie hingeguckt, wenn es einen Strafstoß gab) die unzähligen Kehlen anrauten. Aber nicht zu früh freuen.

„Vollgas geht’s weiter“, stellt BVB-facebook fest.

Während mein Puls sich ein wenig sediert, wetterleuchtet im „Tempel“, wie Frank Fligge, Freund, Kollege und Chronist der schwarz-gelben Ereigniswelt das Westfalenstadion rühmend nennt, bereits Wunderfeines auf dem Rasen.

„JAWOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOLL! Da ist das 2:0! Nachdem Neapel zuvor noch auf der Linie klären konnte, versenkt Kuba Błaszczykowski den Ball jetzt im gegnerischen Kasten!
//
GOOOOOOOOOOOOOOAL! KUBA makes it 2-0!“

Ok, dass  Lorenzo Insigne ein 2:1 gelingt, sei hier am Rande vermerkt, aber auch nur knapp und am Rande, so wie es der fratzebookende Spielbericht vermerkt.

Viel spannender Sven Benders Nase, die im harten Kampf brach, sein Mut aber nicht, der „eiserne Manni“ macht weiter und fightet sich durchs Spiel. Ganz nach dem Motto, das Klaus Schürholz mit Mannschaftsfoto postet: „Wir geben alles!“ Und um das noch zu toppen, legt er das „Wandbild“ (tobende Südtribüne) nach, dessen Titel alles über Dortmund sagt: „Die Farben der geilsten Stadt“.

Kristian Frigelj mischt sich ein und geht offenbar ein wenig nach. Sei BVB-Heißluftballon ist von ihm untertitelt: „Aufwärmen!“

Wieder Klaus Schürholz im Stile eines Kurt Brumme: „Auba“. Wesentlich moderner und frenetisch jauchzt Ingo Scherlinki: „Aubamejaaaaaaa! Kann also doch nicht nur schnell. Sondern auch gut. Den viel schwierigeren Ball macht er rein. Spitzer Winkel, Lupfer. Und was ändert’s? Nichts. Gar nichts! Denn: Dortmund immer noch nur ein Tor vom Ausscheiden entfernt. Ich halt das alles nicht mehr aus.“

„Ich bin zu alt dafür“, schimpft Jochen Nospickel, dessen Nerven offenbar ganz still und leise bersten.

„Kuba“, stellt Klaus Schürholz nüchtern fest. Manfred Kowitzke redet dazwischen, wird aber als hartnäckiger Fan des FC Köln von niemandem ernst genommen. Klaus Schürholz entfährt gar ein knurrendes „Schnauze!“

Die Besonnenheit auf zwei Beinen, Bernd Berke, wird ungeduldig: „Nun macht die Pocke doch endlich mal ‚rein!“ Gabriella Wollenhaupt schließt sich an: „Haut die Kugel rein, Jungs!!“ Bald darauf sind sie beide wie unzählige andere erlöst: „Endlich… Auba!!!“ Manfred, den niemand ernst nimmt, sobald er über Fußball philosophiert, räumt fair ein, dass das diesmal ja alles gut gelaufen sei. Ich freue mich für ihn, er hat mal ein richtig gutes Fußballspiel miterlebt.

Und mit noch einem freue ich mich, weil er sein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk und die Spannung des Abends frei von Kreislaufattacken überleben konnte: Norbert Dickel, Held von Berlin, alles Gute zum Geburtstag.

Irgendwie gibt’s an einem BVB-Spieltag wirklich so etwas wie eine facebook-Familie.

 

 




Wunder gibt es immer wieder – drei neue Bücher über den Fußball im Westen

Fußball erledigt sich nicht dem dem 1:0 oder sonst einem Resultat. Will man übers Nachplappern von dürren Fakten und über die Betrachtung schwankender Formkurven hinaus gelangen, muss man die Ereignisse in Zusammenhänge bringen, gewichten und nachbereiten. Auch kurzatmiger Tagesjournalismus reicht dazu nicht aus. Deshalb gibt es Fußballbücher. Hier ein paar Neulinge auf dem Markt:

In bescheidener Taschenbuch-Ausstattung und denkbar schmucklos (ohne jede Illustration) kommt Daniel C. Schmidts Band „111 Gründe, Borussia Dortmund zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 240 Seiten, 9,95 Euro) daher. Der Untertitel klingt heranwanzend einschmeichelnd, als wollte der in Berlin ansässige Verlag den Fans um den Bart streichen: „Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt“. Nun ja.

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Außerdem nerven diese 111-, 101- oder 99-Bücher gelegentlich. Da werden die Themen oft in ein nicht so recht passendes Zahlenraster gepresst, es wird hier abgeschnitten und da angestückelt. Doch derlei Vorwürfe treffen auf den vorliegenden Band kaum zu. Der ausgiebige Streifzug führt tatsächlich durch weite Teile des BVB-Universums. Recht kundig und elegant elegant bewältigt der Autor die kurzweiligen Kapitel über Tradition, Finanzen, Rekorde, Abstürze und Wiedergeburten (und einige andere).

Daniel C. Schmidt (Berliner mit Studium in Manchester und London, wo er sicherlich britische Fankultur eingesogen hat, was ihn nahezu zwangsläufig zum BVB leiten musste) hat zudem einen Blick für nette Nebensachen und folgt gelegentlich der oft erhellenden popkulturellen Inspiration. Man liest solche Bücher nicht von A bis Z in einem Rutsch, doch hier liest man sich schon mal streckenweise fest. Nach der Lektüre versteht auch der bislang halbwegs neutrale Beobachter womöglich besser, was gerade diesen Verein so faszinierend macht. Aber es soll ja verbohrte Menschen geben.

Knapp angefügt: In derselben Reihe ist Kai Twilfers Buch „111 Gründe, den Ruhrpott zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 280 Seiten, 9,95 Euro) erschienen. Der Schalke-Fan und Bestsellerschreiber („Schantall, tu ma die Omma winken“), der zudem mit Regionalia handelt, grast so ziemlich alles ab, was man erwartet: Bude, Currywurst, Hochofen, Schimanski, natürlich auch Fußball… Als gegen Ende die 111 noch nicht erreicht sind, pappt er auch noch ein paar Abschnitte übers „Umland“ (Rhein-, Sauer- und Münsterland, Niederlande) an. Ungerecht verkürztes Fazit: Viel Zeilenschinderei, doch leider keinerlei touristischer Service.

Zurück zum Fußball – mit zwei Bänden, die auch auf dem Gabentisch etwas hermachen:

„Wir Kinder der Bundesliga. 50 Jahre Fußball erster Klasse an Rhein und Ruhr“ (Klartext Verlag, 366 Seiten, 24,95 Euro) heißt ein geradezu lexikalisch üppiger Band im Albumformat, dessen Titel etwas in die Irre führt. Es geht halt (aus NRW-Perspektive) um Geschichte und Geschichten der vor 50 Jahren in Dortmund gegründeten Liga, deren Fährnisse viele von uns seit Kindesbeinen begleitet haben. Nicht nur BVB und Schalke werden ebenso liebevoll wie kritisch durch die Jahrzehnte begleitet, sondern eben auch die Bundesliga-Vereine von Bochum, Essen, Duisburg, Köln, Düsseldorf und Gladbach.

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Es ist ein abwechslungs- und einfallsreiches Buch geworden. Nicht nur wechseln munter die Darstellungsformen (z. B. mit etlichen eingestreuten Interviews, die manche Innenansicht zur Liga-Historie bieten), sondern man hat sich auch ersichtlich viel liebevolle Mühe mit Bildauswahl und Layout gegeben. Die Herausgeber Heiko Buschmann, Ulrich Homann und Ralf Piorr weiten den Blick an vielen Stellen deutlich übers Fußballerische hinaus, so dass viel vom jeweiligen Zeitgeist der Jahrzehnte seit den 1960ern einfließt. Prognose: Ein erfrischend aufspielendes Buch, das sich in der Spitzengruppe festsetzen kann.

Ganz neu liegt Frank Fligges Anfang November erschienenes Buch vor, gleichfalls im soliden Katalogformat mit festem Einband: „Jetzt muss ein Wunder her. Die 25 grössten Spiele im Fussballtempel des BVB“ (Klartext-Verlag, 176 Seiten, 19,95 Euro). Das etwas unschöne Doppel-S verdankt sich jeweils der Versalien-Schreibung auf dem Titel.

Ich liebe Transparenz, daher ein paar Vorbemerkungen: Frank Fligge ist der Bruder des BVB-Pressesprechers Sascha Fligge, was kein Schaden gewesen sein dürfte. So kommt man doch noch etwas geschmeidiger an Hintergrund-Infos heran – und auch an prominente Gastbeiträge fürs Buch, die von Lars Ricken, Sebastian Kehl, Michael Zorc, Jürgen Klopp und Kevin Großkreutz stammen. Es wäre fahrlässig gewesen, solche Kontakte nicht zu nutzen.

Zweitens sollte gesagt werden, dass ich Frank Fligge aus gemeinsamen Jahren bei der „Westfälischen Rundschau“ kenne. Freilich weiß er, dass ich keine Gefälligkeits-Rezensionen schreibe. Inzwischen arbeitet der ausgesprochen ehrgeizige Journalist in der Zentrale der Funke-Gruppe (vormals WAZ-Gruppe) im Qualitätsmanagement. Auch der Essener Klartext-Verlag gehört zur Funke-Gruppe. Womit denn alles wunderbar offen zutage läge…

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Dass das Buch ordentlich geschrieben ist, hat man vom studierten Literaturwissenschaftler Frank Fligge nicht anders erwartet. Ein mehr als heimlicher „Hauptdarsteller“ ist hier das 1974 mit einem Match gegen den ewigen Rivalen Schalke eingeweihte Westfalenstadion, jener „Tempel“ also, der heute einen Sponsorennamen trägt, welcher bei den Fans nicht gerade beliebt ist. Genau dieser Sponsor zählt zu den Förderern des vorliegenden Buchs. Dreimal dürft ihr raten. Eine schon fast dialektische These des Buches lautet übrigens, dass nicht nur der BVB das Stadion groß gemacht habe, sondern das Stadion auch den BVB.

Auswahl und Sortierung haben mich zunächst etwas irritiert. Hier geht es zwar weit überwiegend um den BVB, doch zählen auch in Dortmund ausgetragene WM-Partien (1974, 2006) sowie ein veritables UEFA-Cup-Finale (Liverpool – Alaves, 2001) zu den legendären Partien. Nun ja, auch diese Begegnungen mögen den Genius Loci bereichert haben.

Doch das ist letztlich nur Beigabe zu den großen Partien von Borussia Dortmund, seien es Relegations-Dramen, Derbys, Entscheidungen um die Meisterschaft oder europäische Auftritte. Hier kann man sie noch einmal nachschmecken, wobei die wahre Essenz solcher Spiele rein verbal nur ganz schwer zu vermitteln ist. Im Grunde müsste solchen Büchern eine DVD mit den markantesten Szenen beiliegen. Doch die hat man ja zum großen Teil im Kopf, oder?

Fligge ist zwar eindeutig glühender BVB-Anhänger, gibt aber den Verstand nicht am Drehkreuz vor der Tribüne ab. Auch dunkle Stunden und zwischenzeitliche Fehlentwicklungen kommen vor, es ist also ein wohlwollendes, aber kein haltlos jubelndes Buch.

Wenn es schon ums Stadion geht, hätte ich mir übrigens noch ein etwas ausführlicheres Kapitel zur Baugeschichte gewünscht – und vereinzelt etwas originellere Fotos. Optisch überwiegt denn doch die Jubelarie. Aber bitte: Nach einer schmerzlichen Woche wie dieser (mit BVB-Niederlagen gegen Arsenal und Wolfsburg) kann man derlei Augen- und Seelentrost gebrauchen.




Er war ein Essener Alien in München: Otto Rehhagel wird heute 75 Jahre alt

Ich hatte ja schon mal begründet, warum ich Fußball und alles, was mit ihm zusammenhängt für ein hohes Kulturgut halte, namentlich bei uns, im Revier. Heute (9. August 2013) um 20.30 Uhr geht nun die Saison wieder los und ich hoffe mit vielen meiner Freunde darauf, dass dieser 1. Saisonspieltag startgünstigst für den Ballspielverein Borussia Dortmund verläuft.

Bei dieser Gelegenheit geht mir auf, dass jemand seinen 75. Geburtstag genau heute feiert, der mich bis heute nicht davon überzeugen konnte, völlig unschuldig an der schwärzesten Niederlage aller Zeiten meiner Borussia gewesen zu sein: 29. April 1978, Rheinstadion Düsseldorf, 0:12 kleine Borussia gegen die große. Höchste Niederlage aller Zeiten des BVB, höchster Sieg aller Bundesligazeiten – entsetzlich. Nie wieder tauchte danach der Name Peter Endrulat einigermaßen gewichtig im deutschen Fußball auf. 12 mal die Kiste gefüllt, das blieb von ihm als Keeper beim BVB in Erinnerung. Ein Siegerländer, der mal hinter Norbert Nigbur bei dessen Verein spielte, na ja.

Otto Rehhagel, aufgenommen am 26. März 2008. (Bild: Antonis Kyrou / via photopin/flickr)

Otto Rehhagel, aufgenommen am 26. März 2008. (Bild: Antonis Kyrou / via photopin/flickr)

Ach so, und der Trainer beim BVB hieß damals Otto Rehhagel, bei vielen von uns bis heute Otto „Torhagel“, und der hat heute Geburtstag. So, nun weiß jede Leserin, die immer auf Ballhöhe ist, jeder Leser, der die jeweils aktuelle Abseitsregel erklären kann, warum ich bis ans Ende unser beider Tage dem Otto nie verzeihen kann, dass er ausgerechnet bei meinem erklärten Lieblingsverein an diesem Tag alles falsch gemacht hat, was ein Trainer nur falsch machen kann.

Und dennoch – selbst ich muss einsehen, dass es sich bei diesem Maler und Anstreicher, dessen Blutgrätschen als Aktiver beim TuS Helene Essen, bei Rot-Weiß Essen, bei Hertha BSC Berlin und beim FC Kaiserslautern gefürchtet waren und der nur eines mehr liebte als den gepflegten Fußball: den erfolgreichen Fußball (für den er auch gern mal auf den gepflegten verzichtete), dass er ein ganz Großen ist. Ob als Spieler oder als Trainer. Dabei hätte er fast noch mit „Boss“ Helmut Rahn zusammen gespielt, doch der hatte 1960 RWE bereits in Richtung Köln verlassen. Und Pelé, der Mega-Künstler, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Ehrenmitglied bei den Essenern.

Bei Werder Bremen ging der Star Otto Rehhagel dann auf, nachdem er das damalige Dortmund versenkt hatte und vom FC Rockenhausen (ist in Rheinland-Pfalz) über Kaiserlautern, Bielefeld, Düsseldorf wieder bei SV Werder gelandet war. Da eilte er von Erfolg zu Erfolg, behielt fast immer Recht, wenn er Spieler wie beispielsweise Manni Burgsmüller holte, gewann ein Selbstbewusstsein, dass er bisweilen anscheinend den obersten Hemdkragenknopf nicht mehr zu bekam, nannte Jürgen Flimm seinen Freund und ließ der anrainenden Journaille das Gefühl, ihre Experten seien so überflüssig wie ein zweiter Ball während des Spiels.

Irgendwann stach ihn der Hafer derartig, dass er glaubte, seine spezielle Handhabung der ihn umgebenden Menschen auch in München bei den Bayern anwenden zu können. Doch das dortige Präsidium war nicht das von Werder, der dortige Manager war um einiges ausgebuffter als Willi Lemke, die dortige Journaille war weniger einfach einzuschüchtern und die Mannschaft weniger einsichtig, als die in Bremen. Der Fall war tief, verletzend und eilig, Uli Hoeneß war zum Abschied zwischen unverschämt und rotzbengelfrech, Otto ziemlich beleidigt und daher sann er auf Rache, nahm den Trainerjob bei Kaiserslautern an, sorgte dafür, dass die flott wieder aufstiegen und haute als Aufsteiger die Bayern weg, wurde Meister – Demütigung Richtung München.

Später dann – auf typische Otto-Manier – wurde er Nationaltrainer, zwar nicht in Deutschland, dafür bei den Hellenen und führte die stolzen Nachfahren des Perikles zur Europameisterschaft. Getreu seinem Motto, dass nur erfolgreicher Fußball besser ist als der schöne. König Otto war auf dem Thron, von dem ihn niemand stoßen konnte, kein Kaiser Franz, kein Diktator Uli und kein nöhlender Pressemensch. Otto Rehagel sorgte eben da für seine größten Erfolge, wo fast keiner mit ihnen rechnete. Und da, wo wir populistisch behaupten würden, dass mit solchen Mannschaften jeder gewinnen könne, fiel er auf die gern mal zu hoch getragene Nase.

Okay, bald geht es los, ich wünsche dem erfolgreichen Otto noch ein paar schöne Geburtstagsstunden, jede Menge Spaß während des Spieltages – und heute würde es mich richtig freuen, wenn der knorrige Essener sich beim ersten Saisonspiel vor Schadenfreude die Oberschenkel blau klopft, weil der FC Bayern, wo er düstere Trainerstunden verlebte, mit null Punkten in die Bundesliga-Spielzeit startet.

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photo credit: tonikyrinfo via photopin cc




50 Jahre Bundesliga: Die persönliche Geschichte einer Nicht-Liebe

Heute geht’s wieder los: 9. August 2013, 20.30 Uhr, München. Der FC Bayern tritt an gegen Borussia Mönchengladbach. Und am Sonntag wird die neue Bundesliga-Saison für das Ruhrgebiet in Gelsenkirchen eröffnet: FC Schalke 04 gegen den Hamburger SV. 50 Jahre alt wird die höchste deutsche Spielklasse: Am 24. August 1963 startete der erste Spieltag der neuen Bundesliga.

Von Anfang an mischten Revier-Vereine kräftig mit: Dortmund, der Meidericher SV und Schalke gehören zu den sechzehn Gründungs-Clubs. Das erste Tor der Fußballgeschichte gehört mittlerweile fast schon zum Allgemeinwissen: Der Dortmunder Timo Konietzka schoss es nach nur 58 Sekunden. Auch der erste Tabellenführer kam aus dem Pott: Der Meidericher SV hatte sich mit einem 4:1 in Karlsruhe den ersten Platz gesichert.

Das Ziel: Die Meisterschale. Wo wird sie in der Jubiläums-Saison bleiben? Foto: DFL

Das Ziel: Die Meisterschale. Wo wird sie in der Jubiläums-Saison bleiben? Foto: DFL

50 Jahre Bundesliga: Für viele dürfte das Jubiläum ein Anlass sein, sich zurückzuerinnern, an glanzvolle Siege und bittere Niederlagen, an persönliche Fußball-Erlebnisse, Begegnungen, Adrenalinstöße in Stadien oder vor dem Fernseher, im Kreis von Fans und Freunden. So auch für den Autor dieser Zeilen – der sich freimütig zur Geschichte einer Nicht-Liebe bekennt …

Die wilden Gründerjahre: Das Ritual am Rundfunk

50 Jahre Bundesliga – das ist für mich, ich gestehe es, die Geschichte einer Nicht-Liebe. Das Fußballfieber hat mich höchstens als temporäre Temperaturerhöhung gestreift, nie mit heftigen Zwei-Mal-Fünfundvierzig-Minuten-Schüben in anhaltende Hitze versetzt. Trotzdem habe ich mir das „Kicker“-Sonderheft „50 Jahre Bundesliga“ gekauft. Aber warum?

Als die „wilden Gründerjahre“ begannen, war ich gerade mal zehn. Bundesliga bekam ich mit dank väterlichen Hörens der Live-Spielberichte am Samstagnachmittag: die aufgeregt sich überschlagenden Stimmen der Kommentatoren, das rhythmisch Auf und Ab des Gebrülls der Zuschauer. Bei uns in Würzburg, in der Fußballprovinz, war Bundesliga eine Sache ferner Orte: Nürnberg war der nächste – und der ordentliche Franke war Anhänger vom „Glubb“: Dieser, der 1. FC Nürnberg, trat mir in der Schule in Gestalt eines Mitschülers leibhaftig entgegen. Winfried war ein echter Fan. Hatte der Club gewonnen, ertönte am Montag Jubelgeschrei. Hatte er verloren, hing mein Kumpel apathisch in der Bank. Manchmal gab’s sogar Tränen.

Emma und die Rote Erde

Und wie sich der erblühende Jungmann ein Weib wählen soll, spürte der Knabe am Gymnasium den sozialen Druck der Pflicht, einen Lieblingsverein zu küren. Ich hatte keine Ahnung und wählte einfach Borussia Dortmund. Vielleicht, weil der Name des Stadions einen Hauch von Exotik verbreitete. Kampfbahn „Rote Erde“, das erzeugte Bilder von tapferen Recken, die im sonnendurchglühten roten Staub in gewaltigen Turnieren streiten. Vielleicht war es auch die Ferne: Der Nürnberger Club war wie das sommersprossige Nachbarsmädchen mit Zöpfen. In das verliebt man sich nicht. Aber die ferne, geheimnisvolle, unerreichbare Schönheit, die fesselt die schwärmerische Zuneigung. Vielleicht kamen auch die Fußballbildchen dazu, die es damals zum Sammeln gab. Ich erinnere mich genau: Ich besaß ein Bild von Lothar Emmerich. „Emma“ war einer der Dortmunder Superstars der sechziger Jahre, Torschützenkönig 65/66 und 66/67.

Impressionen am Dortmunder Stadion, dem größten in Deutschland. Wie andere Stadien auch ist es nach einem Finanzier benannt. Foto: Häußner

Impressionen am Dortmunder Stadion, dem größten in Deutschland. Wie andere Stadien auch ist es nach einem Finanzier benannt. Foto: Häußner

Dann gab es noch die Münchner „Löwen“ – und wir Kinder konnten mitsingen, wenn Torwart Petar „Radi“ Radenkovic, der mit seinem TSV 1860 München die Meisterschaft 65/66 gewann, in einem Schlager bekannte: „Bin i Radi, bin i König, alles and’re stört mich wenig …“. Fußballerschicksale sind manchmal grausam: Später hat wohl der Torwart des konkurrierenden FC Bayern selbst den Hit umgedichtet zu: „Bin i Radi, bin i Depp, König ist der Maier Sepp“.

Das war in den unruhigen Jahren 1968/69: Der Newcomer Bayern München war zum ersten Mal Meister, der junge Franz Beckenbauer Fußballer des Jahres und Gerd Müller mit sagenhaften 38 Treffern auf Platz eins der Torjägerliste. Und Nürnberg, der Meister von 1968, musste schmählich absteigen. Nicht nur Winfried tat das weh: Irgendwie war der Franke ins Herz getroffen, als den „Glubb“ der erste seiner zahlreichen Schicksalsschläge traf. Als 13-jähriger zeigt man so etwas nicht, sondern lässt seinen kleineren Bruder, dem die Verwandtschaft die Nürnberg-Begeisterung eingepflanzt hatte, Häme und Spott spüren. Naja, zugegeben, Dortmund hatte sich auf Platz 16 auch nur gerade so retten können …

Uwe Seeler in Schwarz-Weiß

Inzwischen war auch der Schwarz-Weiß-Fernseher in den Haushalt eingezogen und die 1966er-Weltmeisterschaft war das erste mediale Fußball-Ereignis: Uwe Seeler kickte sozusagen direkt im Wohnzimmer. Aber so langsam setzte bei mir die Distanzierung ein. Brot und Spiele für die Massen – das war nichts für den Heranwachsenden, der sich gerne intellektuell gab. Die Aufmerksamkeit verlagerte sich; das Dortmunder Schicksal – der Abstieg 1971/72 – besiegelte mein Interesse am Fußball ebenso wie der erste Geld-Skandal 1971. Denn damals wurde auch klar: Bundesliga, das ist das große Geschäft. Fünf Jahre später wurde für Roger van Gool die erste Ablöse-Million gezahlt, aus heutiger Vierzig-Millionen-Perspektive ein „Peanut“. Die Zeiten, in denen der Lauterer Torwart nebenbei die Vereinswirtschaft betrieb, die gingen zu Ende. Die Professionalisierung war unvermeidbar, die Begleiterscheinungen traurig.

Eine zaghafte Rückkehr zum Fußball – wann kam die? Vielleicht 2001, als Schalke die Schale schon sicher in Händen wähnte – und dann „brutal aus seinem Meisterjubel gerissen wurde und ins Tal der Tränen stürzte“. Das war so ein Moment, der zeigt: Fußball ist doch nicht nur das kalte Geschäft, sind nicht nur die Spielermarionetten, die von PR-Abteilungen mit fertig vorgestanzten Sätzen programmiert werden. Fußball hat doch etwas mit großen und tiefen Emotionen zu tun. Mit Zugehörigkeit. Mit Schicksal. Manche fußballskeptischen Freunde meinen, ich sei altersmilde geworden. Kann sein. Aber vielleicht eben auch altersweise.

Wallfahrtsort für Schalke-Fans - muss man nicht weiter vorstellen ... Foto: Häußner

Wallfahrtsort für Schalke-Fans – muss man nicht weiter vorstellen … Foto: Häußner

Seither hege ich eine solidarische Sympathie für die Gelsenkirchener. Und habe meine alten Dortmunder wiederentdeckt – nicht erst seit dem glanzvollen Meisterschaft-Doppel 2011/12. Geht gar nicht, sagen meine Freunde im Ruhrgebiet: Man kann nicht gleichzeitig für die Blau-Weißen und für die Schwarz-Gelben sein. Ist mir wurscht, sage ich als an der Ruhr gastierender Franke. Als solcher ist mir – und damit ist meine persönliche Fußball-Trias komplett – auch der „Club“ nicht ganz egal. Immerhin habe ich in Nürnberg mein erstes Bundesligaspiel live erlebt. Warten wir die Jahre ab: Wer weiß, wie sich die Fußball-Fieberkurve noch entwickelt. Wenn ich doch den Anfall kriege, weiß ich schon das Gegenmittel: Ich kauf‘ mir ein Ticket, am besten, wenn der Club auf Schalke spielt – oder in Dortmund…




Schlapphüte und andere Trends: BVB-Spielerfrau Jana Kirch als neue Kolumnistin der Ruhrnachrichten

Der Dortmunder Lokalteil der Ruhrnachrichten (RN) hat jetzt eine neue Mitarbeiterin. Sie heißt Jana Kirch.

Ja, und?

Nun, Jana Kirch veröffentlicht seit gestern eine regelmäßige Kolumne mit dem herzigen Titel „Janas schöne Aussichten“. Darin – so die Ankündigung – werde sie ab sofort „von Mode, gemütlichen Cafés, ihren Lieblings-Hotels und von ihren persönlichen Erlebnissen rund um Borussia Dortmund“ berichten.

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Jana Kirch geb. Flötotto ist nicht irgendwer. Die Ehefrau des BVB-Ergänzungsspielers Oliver Kirch trägt vor allem als weit gereistes Model (New York, Paris etc.) und Boutique-Inhaberin (Bielefeld & Sylt) zum wahrscheinlich nicht allzu schmalen Familieneinkommen bei.

Nebenher betreibt „der schönste Neuzugang beim BVB“ („Bild“) auch noch ein Blog namens ohlalalovelylife, das so geschniegelt aussieht, als werde es von einer Agentur gezimmert. Der Titel dürfte jedenfalls auch für die RN-Kolumne richtungweisend sein. Zum Auftakt wird Jana Kirch vom lokalen Monopolisten auch folgerichtig so zitiert: „Ich möchte mich allen schönen Dingen widmen, die uns in der Alltagshektik manchmal unbemerkt zu entgleiten drohen.“

Genau. Bloß keine garstigen Sachen. Bei den Ruhrnachrichten ist somit künftig noch ein bisschen mehr Harmonie und Harmlosigkeit angesagt als ohnehin schon. „Trends ins Dortmund und der ganzen Welt“ will die neue Mitarbeiterin vorstellen. Zu Beginn empfiehlt sie schicke Outfits für die Sommerfestival-Saison: „Besonders große Schlapphüte à la Saint Laurent erleben dieses Jahr ein Revival.“ Gut, dass man das jetzt im Lokalteil erfährt. Sonst hätte man doch glatt wieder den stocksteifen Mini-Hut aus dem Vorjahr aufgesetzt.

Wir fragen jetzt nicht, durch welche Verquickungen, auf welchen Wegen und Umwegen ein solches Arrangement zustande kommt, warum also die Gattin eines BVB-Kickers partout eine Spalte des Lokalblatts füllen muss. Wir fragen auch nicht nach der Honorierung und danach, welchen Anteil womöglich die RN-Redaktion an den Texten hat. Erst recht wollen wir nicht wissen, was das liebliche Geplänkel im Lokalteil einer Tageszeitung zu suchen hat. Auch interessiert es uns nicht mal ansatzweise, ob die eine oder andere modische Empfehlung vielleicht auch in den Boutiquen von Frau Kirch käuflich zu erwerben ist. Oder etwa doch?




„Du musst auch eine Drecksau sein“: Notizen vom ZDF-Talk zum Spiel Dortmund vs. Bayern

Allmählich drehen die Medien durch. Seit Wochen überschlägt sich die Berichterstattung vor dem Finale der Champions League. Borussia Dortmund gegen Bayern München im Londoner Wembley-Stadion ist das Spiel der Spiele. Jetzt ging es auch in Maybrit Illners ZDF-Talk um dieses Match, das am Samstag (20:45 Uhr) ins Haus steht.

Ich halte es mit dem guten alten Spruch des BVB-Altvorderen Adi Preißler: „Entscheidend is auf’m Platz.“ Alles Gerede vorher und nachher ist herzlich zweitrangig. So auch bei dieser Talkshow, deren Gästeliste nicht gerade Endspiel-Niveau erreichte. Vor allem fragte man sich, was um Himmels Willen Andrea Kiewel („ZDF-Fernsehgarten“) in dieser Runde zu suchen hatte. Sie war schon beim Sendereigen zum 50jährigen ZDF-Jubiläum – ebenfalls von Maybrit Illner moderiert – höchst präsent. Man kennt sich, man mag sich, man lädt sich ein…

Musste auch als Fußball-Talkerin herhalten: Andrea Kiewel vom ZDF-Fernsehgarten. (Foto: ZDF/Carmen Sauerbrei)

Musste auch als Fußball-Talkerin herhalten: Andrea Kiewel vom ZDF-Fernsehgarten. (Foto: ZDF/Carmen Sauerbrei)

Bloß keinen Aspekt auslassen

Maybrit Illner mühte sich, dem Thema alles, aber auch alles abzupressen. Bloß keinen Aspekt auslassen. Da ging es vor allem um den Mythos „Malocher gegen Millionäre“ und alle anderen Animositäten zwischen Bayern und dem BVB, die weidlich ausgekostet wurden. Bei Licht betrachtet, blieb jedoch von diesem angeblichen „Kulturkampf“ (Illner) substanziell nicht allzu viel übrig.

Man hatte versucht, die Runde möglichst gleichgewichtig zu besetzen. Ex-BVB-Kicker Frank Mill, der derzeit vereinslose Trainer Christoph Daum und Andrea Kiewel halten es eher mit der Borussia, der Journalist Claus Strunz und Moderator Markus Kavka hingegen mit den Bayern. Kleine Spitzen flogen hin und her, doch man tat einander nicht weh. Hörfunk-Fußballreporterin Sabine Töpperwien (WDR) gab sich öffentlich-rechtlich neutral, legte aber stets Wert auf die Formulierung „Ich habe übertragen“; ganz so, als sei sie für ihren Sender immer allein tätig. Nun gut. Ich gestehe freimütig, dass ich ihre Bundesliga-Berichte in ihrem ganzen knödelnden und gepressten Tonfall unsäglich finde.

Deutsche Gipfelgefühle

Apropos unerträglich. Man hält ja all diese Gipfelgefühle kaum noch aus: Deutschland ist doppelt an der Spitze des europäischen Fußballs angekommen, zudem gab ausgerechnet die britische BBC gestern bekannt, dass „wir“ weltweit das beliebteste Land seien. In dieser Talk-Sendung kam man freilich mental wieder etwas herunter, denn es wurde alles, aber auch wirklich alles durchgehechelt, was nur irgend aufs Finale in London bezogen werden konnte – bis hin zu den Chancen bei der nächsten Weltmeisterschaft oder den Scheichs und Oligarchen, die sich vor allem britischer Vereine bemächtigt haben. Wo aber wird solide gewirtschaftet? Richtig. Bei uns. Wo sonst?

Stammtischverdächtig

Wie bitte? Ja, selbstverständlich. Natürlich wurden auch Uli Hoeneß‘ Steueraffäre, der Götze-Transfer und Christoph Daums Kokain-Skandal von anno 2000 nochmals bekakelt. Und der wohltuend zurückhaltende Frank Mill musste zum wohl tausendsten Mal den Filmausschnitt von seinem legendären Pfostenschuss aus einem Meter Entfernung über sich ergehen lassen. Heilig’s Blechle!

An manch einem bayerischen oder westfälischen Stammtisch dürfte ähnlich (un)kundig debattiert werden. Stammtischverdächtig, aber irgendwie herrlich knorrig und kernig war auch der Satz des Abends, der von Christoph Daum eingeworfen wurde: „Du darfst nicht nur schön spielen, du musst auch eine Drecksau sein.“ In diesem Sinne freuen wir uns jetzt aufs Endspiel. Oder auch ganz anders. So mehr von innen heraus.




Endlich! Ein völlig objektiver Vorbericht zum Finale der Champions League

Hier nun ein paar völlig objektive, hochkulturelle Zeilen zum Spiel der Spiele: Nein, dieses Match lässt sich – um es mit einem legendären Lapsus aus Kickermund zu sagen – wirklich nicht mehr weiter „hochsterilisieren“.

Wenn am kommenden Samstag um 20.45 Uhr MEZ im Londoner Wembley-Stadion Borussia Dortmund und der FC Bayern München das Finale der Champions League austragen, dann fiebert natürlich alle Fußballwelt mit. In Dortmund herrscht allenthalben Ausnahmezustand. Um es vorsichtig zu formulieren. Wenn (sehr frei nach Peter Handke) das Wünschen bei der Kartenvergabe noch geholfen hätte, so würden Hunderttausende in Schwarzgelb nach London kommen.

Laube in einem Dortmunder Kleingartenverein, abgelichtet am 22. Mai 2013. (Foto: Bernd Berke)

Laube in einem Dortmunder Kleingartenverein, abgelichtet am 22. Mai 2013. (Foto: Bernd Berke)

Exaltierte Leitmedien wie „Spiegel online“ bringen seit vielen Tagen den immer mit neuen Gerüchten und Parolen gefütterten Countdown bis zum Anstoß. Jede halbgare Äußerung aus beiden Lagern, jede Blessur wird da im bebenden Tonfall vermeldet und breit ausgewalzt. Der Ausfall des verletzten Mario Götze wird vollends als Tragödie von shakespearschen Dimensionen dargestellt; wie denn überhaupt der bevorstehende Götze-Transfer von Dortmund nach München das Weltgebäude hat wanken lassen. Naja, wenigstens hat offenbar die eine oder andere Redaktion gewackelt. Schlimmer noch: Heute bemächtigt sich auch eine seltsam besetzte Talkshow des Themas.

Das Feld der Emotionen besetzt

BVB-Trainer Jürgen Klopp erklärt Borussia Dortmund gleich zum spannendsten Fußballprojekt der Welt und wirbt flammend um die Herzen aller echten Fans auf dem Globus. Der Wahlspruch des Vereins, „Echte Liebe“, besetzt – zwischen Leidenschaft und Marketing – das emotionale Feld, während der Widersacher aus dem Süden vorwiegend mit Geld, Geld und nochmals Geld assoziiert wird und darum vielfach gern „Buyern München“ genannt wird. Ja, ja, ja, auch in Dortmund werden ein paar Groschen umgesetzt – und doch besteht da ein Unterschied.

Glaubt man der wahnwitzig ausufernden Vorberichterstattung, so ist ganz Deutschland gespalten in Schwarzgelb und Rot. Es wäre interessant zu erfahren, wie die Sympathien international verteilt sind. Eins ist klar: Die meisten Polen halten schon mal zu Dortmund. Doch die frischgewagte, husarenhafte BVB-Spielweise unter Klopp hat überdies neue Anhänger auf dem ganzen Kontinent gewonnen. Die bloße Vorstellung, dass sie in Lokalen von Rio, Buenos Aires, Tokyo oder Peking ein Dortmunder Tor bejubeln, ist herzerwärmend.

Sich heraushalten? Geht kaum!

Wer sich übrigens aus all dem heraushalten will, verhülle am besten sein Haupt, lasse die Rollos herunter, schalte alle Geräte ab oder begebe sich gleich für eine Zeit ins Kloster. Doch wer weiß, was sie dort am Samstag machen?

Bei nüchterner Betrachtung der Fakten (doch wer wird denn da nüchtern bleiben?) gehen die Bayern als haushohe Favoriten ins Finale. Sie können wahrscheinlich ihre Bestbesetzung aufbieten, während bei Dortmund nicht nur Götze fehlt, sondern zwei Verteidiger, Mats Hummels und Lukasz Piszczek, angeschlagen sind. Auch haben die Bayern eine nahezu makellose Saison hingelegt, so dass man sich fragt, was der künftige Trainer Pep Guardiola dort eigentlich noch richten soll.

Aber warten wir’s ab. Es gibt – sehr frei nach William Shakespeare – Dinge zwischen beiden Strafräumen, die sich unsere Schulweisheit nicht träumen lässt.

Im Fall eines Bayern-Sieges würde man sich drunten etwas freuen und dann bald zur Tagesordnung übergehen. Es wäre sicherlich kein Vergleich zu dem, was in und um Dortmund los wäre, wenn…

Warten wir’s ab. Es gibt Dinge zwischen Auslinien, Pfosten und Eckfahnen, die sich unsere…

Aggression und Zurückhaltung

In München kassiert man Titel ein und hakt sie ab. Viele Anhänger sind schlichtweg saturiert. Das „Mia san mia“-Denken ist weit verbreitet, die entsprechende Denkungsart des (anderweitig „angeschlagenen“) Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß kommt einem fast schon gemütlich-folkloristisch vor, wenn man sie mit der unerbittlich aggressiven Stoßrichtung des Matthias Sammer vergleicht.

Demgegenüber wirkt die Zurückhaltung des Dortmunder Präsidenten Reinhard Rauball, des Geschäftsführers Hans-Joachim Watzke und des Sportdirektors Michael Zorc geradezu nobel. In der angeblichen Proletenstadt zeigt man inzwischen deutlich mehr Stil als an der Isar. Nur Jürgen Klopp darf schon mal gepflegt ausrasten. Jawohl, Kloppo darf das.

Ich gebe zu: Sollte Sammer am Samstag aus gutem Grund zornig mit den Zähnen knirschen, so würde mich das doppelt und dreifach er-götzen!




Hoeneß, Götze und der ganze Mist

Die Nachricht kam überfallartig: Wie zuerst die „Bild“-Zeitung berichtete, wechselt Mario Götze am 1. Juli 2013 für 37 Mio. Euro von Borussia Dortmund zum FC Bayern München. Inzwischen hat der BVB den Bayern-Coup bestätigt.

Bereits als Neunjähriger hat der gebürtige Allgäuer und womöglich begabteste deutsche Fußballer beim BVB gespielt, vorher hat er in Dortmund-Hombruch gekickt. Er galt also längst (ebenso wie die in Dortmund geborenen Marco Reus und Kevin Großkreutz) als einer der „Dortmunder Jungs“, als familienverbunden und „bodenständig“; als einer, der wegen ein paar Millionen nicht gleich abhebt. Auch hat Götze in Interviews immer gern das Hohelied auf Dortmund gesungen.

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Nun müssen wir dieses idyllische, sicherlich sehr naive Bild schleunigst revidieren. Es ist natürlich wieder nichts mit den hehren Sprüchlein à la „Elf Freunde müsst ihr sein“! Zwar hatte Götze seinen Vertrag beim BVB bis 2016 verlängert, doch gab es offenbar eine Ausstiegsklausel, derzufolge er den Verein für just 37 Mio. Euro vorzeitig verlassen darf. So weit ist formal alles in Ordnung.

Aber irgendwann muss mir mal einer schlüssig erklären, wieso jemand, der bereits viele Millionen anhäuft, partout noch mehr Millionen scheffeln will – und das trotz sportlicher Perspektiven, die eventuell gar nicht schlechter sind als in München.

Wer hat der „Bild“ den Tipp gegeben?

Dass diese Transfer-Geschichte ausgerechnet mit teuflischer Pünktlichkeit zum Halbfinale der Champions League öffentlich lanciert wird, dürfte erhebliche Unruhe im Dortmunder Team stiften. Der FC Bayern hatte seit jeher ein Interesse daran, die Bundesligakonkurrenz zu schwächen, nicht nur durch Wegkauf der wichtigsten Spieler. Da hegt man denn doch den Verdacht, der diskrete Tipp an das Boulevardblatt könnte aus den Kreisen der obersten Bayern-Etage gekommen sein. Dort haben sie ja auch indirekt mit der Steueraffäre Hoeneß zu tun, von der sie liebend gern ablenken möchten.

Und jetzt mal ganz wild spekuliert: Könnte dieser heiße Tipp an die „Bild“ gar mehr oder weniger stillschweigend mit der Erwartung verknüpft sein, dass dort wohlwollender oder zumindest weniger zupackend über den Steuerfall Hoeneß berichtet wird? Es gab ja schon immer Leute, die gehofft haben, mit der „Bild“ (wieder) den Fahrstuhl nach oben zu besteigen.

Doch halt! Das sind pure Phantasiespiele. Mag sein, dass sich alles ganz anders verhält. Die offizielle Münchner Lesart schaut so aus (Zitat aus „Spiegel online“): „Aus Rücksicht auf das anstehende Spiel des BVB wollten die Bayern den Wechsel ‚erst nach dieser Begegnung gegenüber dem BVB anzeigen’, heißt es in einer Presseerklärung der Münchner.“

Wie überaus rücksichtsvoll.

Geschwafel über „spanische Verhältnisse“

Dass Bayern-Präsident Uli Hoeneß kürzlich über „spanische Verhältnisse“ in der Bundesliga gebarmt hat (will sagen: nur zwei dominierende Vereine, nämlich Bayern und BVB, alle anderen hinken nach) und angeblich großmütig gegensteuern wollte, erweist sich jetzt als Geschwafel, als heiße Luft – wie so vieles, was Hoeneß im Laufe der Jahre von sich gegeben hat. Nun ahnt man auch, warum BVB-Trainer Jürgen Klopp im Gegenzug von „schottischen Verhältnissen“ geredet hat (will sagen: nur ein dominierender Verein, nämlich Bayern). Da muss Klopp schon etwas vom Götze-Deal gewusst haben.

Wie immer das fiskalische Verfahren um Uli Hoeneß ausgehen mag, so steht für mich doch eins fest: Bis gestern war ich in der rein sportlichen Frage noch schwankend bis neutral, doch jetzt drücke ich (und gewiss nicht nur ich) heute Abend und am nächsten Mittwoch dem FC Barcelona bei den Halbfinalspielen gegen die Bayern fest die Daumen. Señor Messi, walte Er seines Amtes und netze Er mit seinen Compañeros tüchtig ein!

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Abendlicher Nachtrag: Zur Zeit führt im Nachrichten-Rennen wieder Uli Hoeneß. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, ist Hoeneß bereits am 20. März festgenommen worden. Doch der Haftbefehl sei seinerzeit gegen Zahlung einer Kaution (5 Millionen Euro) außer Vollzug gesetzt worden. Der Vorgang sei aber vielleicht ein Hinweis darauf, dass Hoeneß‘ Selbstanzeige vom Januar möglicherweise nicht strafbefreiend wirke.

Spätabendlicher Nachtrag: Wenn ich schon mal die Daumen drücke! 4:0 für Bayern. Gewiss, nicht alle Tore waren regulär. Aber den Barça-Leuten muss jemand ein Schlafmittel in den Tee getan haben.

Zeitloser Nachtrag: sport1.de am 4. Januar 2012: „FC Bayern-Präsident Uli Hoeneß lehnt eine horrende Ablösesumme bei einem möglichen Transfer für Dortmunds Nationalspieler Mario Götze ab. „40 Millionen Euro oder mehr – das würden wir nie machen“, sagte Hoeneß der „Sport-Bild“ (…) Ohnehin glaubt Hoeneß nicht an einen bevorstehenden Götze-Transfer: „Wo sollte er denn bei uns im Moment spielen?““