Wenn sich die Künstler drängeln – Die „Nacht der Lieder“ des ZDF in der Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Weniger wäre wieder einmal mehr gewesen. Die „ZDF-Nacht der Lieder“ in der nicht ganz gefüllten Westfalenhalle bot nicht weniger als zehn Programmpunkte, die sich – im steten Wechsel zwisehen zwei Bühnen – schier endlos von 16 Uhr bis nach 2 Uhr früh hinzogen. Das macht bei einem Vorverkaufspreis von 25 DM schlappe 2,50 DM pro Gruppe. Wo gibt’s das schon?

Aber auch die Gegenrechnung hat einiges für sich: zehn Gruppen, das bedeutet neunUmbaupausen; es bedeutet, daß jede Formation nur kurz auftreten und sich nicht richtig entfalten kann; es bedeutet, daß das Publikum über eine Marathondistanz von 10 Stunden ausharren und diesmal – wollte es nicht um die ersten Gruppen geprellt werden – wochentags zur frühen Nachmittagsstunde auf der Matte stehen mußte. Schließlich dürfte es auch dem gewieftesten Veranstalter schwerfallen, zehn Auftritte zusammenzustellen, die mehr miteinander zu tun haben, als daß jeweils Stimmen und Instrumente erklingen. „Lieder“ ist ein sehr dehnbarer Begriff.

Ein eindeutiger Glanzpunkt, wie ihn vor Jahresfrist Angela Branduardi setzte, fehlte diesmal. Es gab freilich auch keine „Ausfälle“. Randy Newman, der zynische Beschreiber US-amerikanischen Spießerlebens, dessen Live-Auftritte so rar sind, konnte einem leid tun. Die große Halle war sicher nicht das richtige Forum für seine Lieder, die intimere Atmosphäre brauchen. Newman war denn auch der einzige, dem keine Zugabe abgefordert wurde. Zuvor hatte Stefan Waggershausen, seit Beginn seiner Plattenkarriere erstmals auf der Bühne, ein passables Live-Debüt gegeben. Die holländischen „Bots“ mühten sich, mit ihren friedensbewegten Liedern die allmählich sattsam bekannten Rituale („Aufstehn!“) auszulösen.

Sally Oldfields Gruppe bot wohltuend entspannte und entspannende Musik. Zu später Stunde folgten die drei Auftritte, die am meisten umjubelt wurden: Chris de Burgh, Wolfgang Ambros und der Italiener Lucio Dalla brachten den lang entbehrten Schwung in die Halle. Dallas Anlage war freilich so großzügig ausgesteuert, daß man in Lautsprechemähe das große Ohrenflattem bekam. Seine Titel, so mitreißend sie auch sind, weisen sämtlich ein Einheitsstrickmuster auf. Nach Mitternacht erzeugte „Zupfgeigenhansel“ mit leiseren Folkloretönen noch einmal „alternative Nestwärme“, bevor Klaus Lage & Druck für Kehraus-Klang in der schon halbleeren Arena sorgten.

Das ZDF sendet Ausschnitte aus dem Konzert am 26. März




Ovationen für die „Bots“ und ein Kuß für Lerryn

Von Bernd Berke

Die holländischen „Bots“, Kultgruppe der Friedensbewegung und seit ihrem Auftritt im November 1981 auch in Dortmund keine unbekannte Größe mehr, gaben in der vollbesetzten Westfalenhalle II erneut ihre musikalische Visitenkarte ab. Mit von der Partie: Der Frankfurter Liedermacher Lerryn, der nebenbei deutsche Texte für die „Bots“ schreibt, Klaus Lage mit der Rockgruppe „Druck“ und Karl-Heinz Hansen, SPD-Dissident, der Attacken gegen die Bundesregierung vortrug.

Gemeinsamer Nenner aller Mitwirkenden war der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“. Die Qualität der Beiträge war unterschiedlich. Während bei Klaus Lage und „Druck“, die allerdings laut Ansage erst zweimal zusammen gespielt hatten, so gut wie nichts „über die Rampe kam“, heizten die „Bots“ dem überwiegend jugendlichen Publikum ein. In ihrem geschickt bis routiniert aufgebauten Auftritt kamen die Zugnummern („Aufsteh’n“, „Entrüstung“, „Was wollen wir trinken?“) zum Schluß und entfachten Tanzlust.

Die Gruppe ließ dabei eine erstaunliche Vielfalt musikalischer Formen erkennen: Von Folk-Anklängen bis hin zu Hard-Rock und Jazz-Rock reichte die Bandbreite. Leider verstand man, der unzureichenden Akustik wegen, nicht immer die kompletten Texte. Doch die meisten Zuschauer kannten den Wortlaut wohl ohnehin aus’wendig. So ging es dann bei der „Bots“-Darbietung eher um Solidaritätsgefühle als um kritische Neuanstöße. Die hatte zuvor Dr. Dieter Dehm alias „Lerryn“ gegeben, der sich nicht scheute, einige taktische Entscheidungen der „Grünen“ bei der Auseinandersetzung um die Frankfurter „Startbahn West“ zu kritisieren. Das freilich trug ihm den Unmut einiger Zuschauer ein, die eine klärende Richtigstellung verlangten. Lerryn erhielt aber auch den unmittelbarsten Beilfall des Abends: Als sein Lied gegen ein behindertenfeindliches Gerichtsurteil verklang, fuhr ein Rollstuhlfahrer an die Bühne heran und gab dem Liedermacher einen Kuß.

Die größten Ovationen aber wurden erwartungsgemäß den „Bots“ zuteil. Zu ihrem Lied, das zum Aufstehen ermuntert, mußte sich keiner mehr erheben, denn es standen oder tanzten schon alle. Dem Quintett wurden schließlich mehrere Zugaben abverlangt.

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WR-Lokalteil Dortmund