Vom „Peinlich-Auftritt“ bis zum „erklärten“ Tattoo – ein paar Maschen und Macken von „Bild online“

Den Teufel werde ich tun und die „Bild“-Zeitung lesen, nicht einmal im Netz. Um zu sehen, was da läuft, reichen in aller Regel die Online-Überschriften. Darin zeigen sich schon einige Grundlinien. Details sind unnötig, Feinheiten gibt es nicht. Es folgt keine Analyse, es folgen nur ein paar Anmerkungen.

Bei „Bild"-Schlagzeilen kriegt sogar das Pizzabrötchen schlechte Laune. (Foto: BB)

Bei manchen „Bild“-Schlagzeilen kriegt sogar das Pizzabrötchen schlechte Laune. (Foto: BB)

Das Blatt und sein virtuelles Gefolge ist, wie man nicht erst seit heute wissen kann, wieder deutlich perfider und populistischer geworden, man schlagzeilt sich mitunter bis an die Grenze zur Hetze.

Herrschaft der Clans

Mit besonderer Vorliebe/Hassliebe hat man sich in letzter Zeit dem arabischen Clan-Unwesen gewidmet, zumal in Berlin. Fast könnte man meinen, die Clans hätten schon längst die Herrschaft übernommen und die Politik sei völlig machtlos.

Bei politischen Ereignissen, beispielsweise beim Merkel-Rückzug und der Wahl der neuen CDU-Parteichefin (die natürlich auf Teufel komm ‚raus personalisiert werden konnten), sind sie nicht ganz so einfallsreich. Doch es ist wohl hauptsächlich die „Bild“, die sich an die Fahnen heften kann, das Kürzel AKK für Annegret Kramp-Karrenbauer medial durchgesetzt zu haben. Viele andere Presseorgane sind – anfangs mit distanzierter Ironie – bereitwillig gefolgt, weil’s ja auch typographisch deutlich bequemer ist.

Wenn es ans Sterben geht

Wenn es ans Sterben geht, sind seit jeher „Bild“ und nun auch „Bild online“ gerne dabei, etwa gleichsam Händchen haltend am Bett eines unheilbar Todkranken, der dafür allerdings ein paar Zitate hergeben muss. Ob’s vertraglich geregelt ist? Keine Ahnung.

Hierbei befleißigen sich die „Bild“-Reporter eines feierlichen Tremolo-Tonfalls, der sich schnell ins Heuchlerische steigern kann. Wird ein „Star“ (hier gibt es fast so viele „Stars“ wie Sterne am Himmel) ernstlich krank oder erleidet einen Unfall, so lautet die Standard-Formulierung: „Sorge um (XYZ)“, zuweilen auch „Große Sorge um…“ Ja nachdem, wie weit oben der Betreffende mutmaßlich auf der Leserskala steht.

Gar kein Halten gibt es mehr bei mörderischer Kriminalität, aber das kennt man ja seit Jahrzehnten zur Genüge. Haben wir nicht schon als Kinder makaber zu scherzen beliebt „Mann geriet in Fleischwolf – Bild sprach zuerst mit den Klopsen“?

Ein Furz als Aufmacher

Um Harmloseres aufzugreifen: Einzelnen Fußballspielern, am allerliebsten von Bayern München, werden mitunter tagelang Spalten und Datenvolumen freigeräumt, damit sie sich unter Anleitung der Redaktion äußern können. Die Herren Lahm und Kimmich, ja selbst der Zweitligist Lasogga vom HSV haben jüngst dieses zwiespältige Privileg genossen und dabei womöglich vorübergehend ihren Marktwert steigern können. Im Falle von Lasogga wurde zudem die Mutter des Spielers grotesk in den Vordergrund gerückt. Gut vorstellbar, dass derlei kurze Serien mit den jeweiligen Spielerberatern eingestielt werden.

Leute aus dem Fußball-Business, und seien es solche aus der dritten Reihe, können überhaupt buchstäblich jeden Furz absondern, über den dann breit berichtet wird. In mehreren Folgen wurde jüngst ein reichlich unbekannter Kicker bekakelt, über den es hieß „…furzt im TV“. Dazu sah man schemenhafte Fernsehbilder von jemandem, der sich vor Lachen schier wegwirft. Das ist schätzungsweise der Humor von Vierjährigen.

Übrigens: Gelegentlich und gar nicht mal selten bestreitet „Bild“ die Aufmacher-Geschichten gerade nicht mit wahnwitzigen Sensationen, sondern strickt sie aus Banalitäten wie Gehaltslisten oder Alltags-Tipps („Lebenshilfe“). Das sind eigentlich noch die angenehmsten Stories. Oder die am wenigsten unangenehmen.

Wo die Katzenberger eine Größe ist

Immerzu wird in und von „Bild“ etwas erklärt, aber natürlich nicht im Sinne wirklicher Aufklärung, sondern nach folgendem Muster: Irgend eine D-Promi-Frau „erklärt ihr Horror-Tattoo“, eine andere „erklärt ihren Bühnen-Ausraster“. Oder man kommt uns gleich so kryptisch: „Menowin Fröhlich erklärt den ungewöhnlichen Namen seines 5. Kindes“. Hä? Wer? Wie? Was?

Über Tage und Wochen werden „Schicksale“ mit großer Penetranz verfolgt und ausgeschlachtet, wie etwa das des früh verstorbenen, so genannten „Kult-Auswanderers“ mit dem Spitznamen „Malle-Jens“ oder das eines gewissen Willi Herren. Ich weiß nicht, wer das ist und will es auch nicht wissen. Eigentlich dürfte man alles nur in Anführungsstrichen schreiben, denn nichts ist echt und wahr in dieser prolligen Boulevard-Welt.

Nur in diesem niederklassigen Sternchen-Kosmos schwillt selbst eine Gestalt wie Daniela Katzenberger („die Katze“) zur Mega-Größe an, nur hier ist Bohlen ein „Titan“. Hier gilt ja auch der „Ballermann“ als Instanz oder wenigstens als Fixpunkt. Und das ganze Leben ist ein Dschungelcamp. Oder so ähnlich.

…und immer wieder genüssliche Berichte vom „Liebes-Aus“

Eine weitere Marotte bei „Bild“ geht so: Statt „peinlicher Auftritt“ heißt es hier immer unweigerlich „Peinlich-Auftritt“, statt nutzlose oder unnütze Bauten schreibt man „Unnütz-Bauten“. Und so weiter. Es ist geradezu ein Überschriften-Prinzip.

Schon etwas älter ist die Masche, das Ende von Promi-Beziehungen mit dem Wort „Liebes-Aus“ (seit gestern im Fokus: Helene Fischer & Florian Silbereisen) zu markieren, was stets genüsslich vollzogen wird; besonders, wenn es um Leute wie Boris Becker geht. Perfide Fortführung solcher Geschichten: Dem oder der Verlassenen wird (möglichst mit neckischen Fotos garniert) vorgeführt, was der oder die Ex nun so treibt – und mit wem. Strickmuster: „Guck mal, Boris, mit wem Deine…“  Ansonsten wird jedes noch so banale Knipsbildchen auf vermeintliche erotische Geheimbotschaften abgesucht.

Apropos Anzüglichkeiten. Für „Bild“-gerechte Aufgeilung sind sodann – neben tätowierten Tussis und dito Mucki-Mackern aus den abgründigen Nacktshows des Privatfernsehens – die markenhaft so bezeichneten „Bild-Girls“ zuständig. Wie hieß noch der bewährte Dreiklang, ganz aus der Ferne auf eine alliterierende Kultursendung anspielend: „Titten, Tresen, Temperamente“…




Sensation: Ein Boulevardjournalist ruft bei mir an!

Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle einen Nachruf auf eine Kollegin veröffentlicht. Ein Umstand, den ich damals bewusst nicht zur Sprache gebracht habe, weil er absolut nichts mit ihren Verdiensten zu tun hatte: Die Frau war offenbar nicht eines natürlichen Todes gestorben.

Müßig zu sagen, dass jenes monströse Boulevardblatt das Delikt alsbald grell herausschrie.

Nun steht in Dortmund der mutmaßliche Mörder vor Gericht – und prompt bekam ich heute den Anruf einer hier ansässigen privaten TV-Produktionsfirma, die in diesem Falle fürs ZDF arbeitet. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass es sich ums nachmittägliche Boulevardmagazin „Hallo Deutschland“ handelt. Das Zeug habe ich noch nie gesehen, kann mir aber Machart und Duktus lebhaft vorstellen, da ich das Pendant in der ARD mal goutieren musste.

Im kumpelhaften, augenzwinkernd Einverständnis voraussetzenden Tonfall ließ der Anrufer durchblicken, die von ihm zu beliefernde Sendung interessiere sich nicht gerade für die Bayreuther Festspiele, wohl aber für Tötungsdelikte. „Da schauen wir natürlich hin.“ Natürlich.

(Foto: Bernd Berke)

(Foto: Bernd Berke)

Der kriegt keine Information und erst recht kein Statement von mir. Aber ich will doch mal hören, wie er vorgeht…

Seinen Tonfall kenne ich genau, im Laufe des Berufslebens trifft man ein paar Exemplare dieser Sorte; selbst dann, wenn man sich auf Kulturthemen verlegt. Solche Journalisten (die Berufsbezeichnung ist leider nicht gesetzlich geschützt) liegen fortwährend auf der Lauer, sie umschleichen einen mit hinterhältigen Fragen, sie wollen dir um jeden Preis eine „Geschichte“ abluchsen. Manche würden für eine steile Story ihre Großmutter verkaufen. Hilfsweise würde ich mal von Raubtierjournalismus reden, ohne Tiger ins Zwielicht ziehen zu wollen.

Offenbar hat der Mann, den „Kollege“ zu nennen ich mich scheue, sich einiges von mir erhofft. Ich hätte die Verstorbene doch viele Jahre lang dienstlich gekannt. Da wüsste ich doch wohl auch, auf welche Weise sie den Herrn Dr. B. (den mutmaßlichen Täter) kennen gelernt habe. Ob das Gerücht denn stimme, dass…

Oh, wie musste ich ihn enttäuschen. Den Namen mit B habe ich jetzt gerade von ihm erstmals gehört, und zwar im Klartext, nicht nur als Abkürzung. Als ich ihm das sage, hört man geradezu seine Kinnlade klappen. Er hat mir etwas verraten, erfährt aber im Gegenzug rein gar nichts von mir. So ein Pech.

Bis dahin hat er mit sonorer Stimme joviale Verbindlichkeit und Entgegenkommen signalisiert, nun merkt man, wie’s plötzlich pressiert, andernorts auf dieselbe Tour anzurufen. Wünsche dabei fröhliches Scheitern!

P. S.:
Mit einem Statement im Fernsehen habe ich mal ausgesprochen schlechte Erfahrungen gemacht. Vor etlichen Jahren war ich auf Jamaika, als dort ein Hurrikan ausbrach. Unser Flugzeug war das erste, das hernach wieder nach Deutschland zurückkehrte. Ein RTL-Kamerateam stürzte sich in Düsseldorf auf die Passagiere, so auch auf mich. Die paar Sätze, die ich gesagt habe, wurden durch Schnitt und Montage völlig sinnverdreht. Unvergessen der Moment, in dem der RTL-Reporter mich erregt fragte „Haben Sie Tote gesehen?“ und just in dem Augenblick heftig auf meine Augenpartie gezoomt wurde. Man hoffte auf mein Entsetzen und wollte es mir als Schauwert entreißen.