Das Furchtbare, so nah: Es hat gebrannt

Es hat gebrannt. In „unserer“ kleinen Straße. Es war schrecklich. Zwei Menschen sind dabei ums Leben gekommen.

Wir haben sie gar nicht näher gekannt – und sind nachträglich fast froh darum. Es gibt in dieser Straße Nachbarn, die uns ungleich mehr bedeuten. Doch auch so betrifft es einen schon. Man ist benommen und bekommt kaum etwas Alltägliches zustande.

Wie bedrohlich nah einem das Schicksal rücken kann. Wie sehr man an Vergänglichkeit erinnert wird, die ja eigentlich allgegenwärtig ist. Nur denkt man sonst meistens nicht daran. Doch der Anblick der hoch lodernden Flammen weckt, mag auch der Brandherd über hundert Meter entfernt liegen, unmittelbar Urängste. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es in Kriegsgebieten ist. Doch. Man sollte es sich vor Augen halten.

Seltsames Gefühl, die Straße, durch die man tagtäglich geht, urplötzlich als landesweiten Aufmacher in den Fernseh-Nachrichten zu sehen – mit jenem Haus, das lichterloh in Flammen steht. Mit womöglich giftigen Rauchwolken, die sich weithin verbreitet haben. Wir sollen alle Fenster geschlossen halten und Radio hören. In der nahen Grundschule behalten sie die Kinder aus unserer Straße nach der letzten Stunde wohlweislich in Obhut – bis Eltern oder Großeltern sie abholen. Eine sehr vernünftige Entscheidung.

Ein TV-Team von SAT.1 (sie betreiben in Dortmund ihr NRW-Landesstudio) hat auch bei uns geschellt und wollte sicherlich Spektakuläres hören. Das kam natürlich nicht in Frage. Selbst wenn wir Genaueres gewusst hätten. Inzwischen gibt es Online-Beiträge bei Bild, Spiegel und dergleichen. Wenn die Medienmaschinerie einmal in Gang gekommen ist… Ähnliches habe ich vor Jahr und Tag nach einem Hurrikan in der Karibik erlebt. Diese ausgebufften, notgedrungen abgestumpften Vollprofi-Katastrophen-Reporter. Machen auch nur ihren Job? Naja. Lassen wir das.

Viele Löschzüge und zahllose Feuerwehrleute im gesamten Viertel, es mögen um die hundert Einsatzkräfte gewesen sein; mit schwerem Gerät und Atemmasken, etlichen Leitern, wahren Wassermassen. Ein Großeinsatz. Viele Stunden lang haben sie das wütende Feuer bekämpfen müssen. Wie es heißt, konnten sie zunächst nicht in das Reihenhaus vordringen, das offenbar mehrfach verriegelt war. Irgendwann muss die Treppe eingestürzt sein. Jetzt steht da eine Ruine. Die Brandursache ist noch unbekannt.

Immer noch, rund acht Stunden nach dem Alarm, muss man letzte Glutnester eindämmen und höllisch aufpassen, dass die beiden direkten Nachbarhäuser nicht noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden.

Es klingt vielleicht wohlfeil, sei aber eigens gesagt: Großen Respekt vor der gefährlichen Arbeit der Feuerwehrleute! Selbst für sie war es kein gewöhnlicher Einsatz, manche mussten psychologisch betreut werden, wie man hört. Und man fragt sich umso mehr, wie Leute auch nur auf die Idee kommen können, solche Retter bei ihren Einsätzen anzupöbeln.

Im Lauf des Vormittags immer wieder Gruppen und Grüppchen in der Nachbarschaft, die das so schwer Fassbare bereden wollen. Nur zu verständlich: Man will nicht allein sein mit solchen furchtbaren Geschehnissen.

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P. S.: Selbstverständlich wabern auch wüste Gerüchte zu Umständen und Ursachen. Und vereinzelt gerieren sich Leute als wahre Feuer- und Brandschutzexperten. Aber auch das ist menschlich.

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Nachtrag am 10. Januar

Kein Gerücht, sondern bestätigt: Inzwischen ermittelt in dem Fall eine Mordkommission. Das berichten u. a. die Ruhrnachrichten. Ja, sind wir denn mitten in einem „Tatort“ angekommen? Wird morgen Dortmunds Kommissar Faber alias Jörg Hartmann hier auftauchen?




Ein Kerl, zerklüftet wie eine Fjordküste – Frank-Patrick Steckels strenge Inszenierung von Ibsens Rarität „Brand“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. „Alles oder nichts!“ Unerbittlicher Leitsatz von Henrik Ibsens Dramenheld „Brand“. Halbheiten duldet er nicht. Lauheiten verzeiht er nicht. Ein strenger Patron. Hausherr Frank-Patrick Steckel hat ihn auf die Bochumer Bühne gestellt. War auch er wieder streng mit dem Publikum?

Steckel stemmt erneut einen dramatischen Monolithen. Eine einzige deutsche Inszenierung (1974 in Heidelberg) hat das 1865 von Ibsen in Italien verfaßte „dramatische Gedicht“ in den letzten vierzig Jahren erlebt. Ibsen wollte von Süden aus den Norwegern die Leviten lesen. Und auch Steckel nimmt die Zuschauer in die Zucht, man amüsiert sich bei ihm nicht zu Tode. Weit über vier Stunden hat man auszuharren. Der Brocken steht erratisch in der Landschaft. Das ist eine Qual, aber auch eine widerständige Qualität.

Dieser Pfarrer und seltsame Prediger ist jedem Kompromiß abhold. Er opfert sie samt und sonders hin, die nicht ihren ganzen Besitz und notfalls ihr Leben für seine hochfahrende Gottmenschen-Idee hingeben wollen: seinen Jugendfreund Ejnar, seine Mutter, sein Kind, seine Frau, seine Kirche.

Derlei fürchterliche Unbeirrbarkeit steigert zwar das Drama, läßt aber keine Entwicklung zu. Die Musik (Elena Chernin), schier unaufhörlicher Sirenensang, deutet es an: Es geht immer in eine Richtung – von Anfang an schnurstracks auf vermeintliche Gipfel der Utopie, in Wahrheit aber auf den Abgrund zu. Da kichert der Troll. Ibsen selbst hat dramatische Knoten später ungleich wirksamer geschürzt.

Vier Darsteller verkörpern die Titelfigur

Die Übermenschen-Last wird in Bochum auf vier Schultern verteilt. Nacheinander spielen Stephan Ullrich, Ulrich Wiggers, Jochen Tovote und Oliver Nägele den stets pechschwarz gekleideten Brand. Die Abfolge hat weniger mit dem Alterungsprozeß als damit zu tun, daß die Figur zerklüftet ist wie eine Fjordküste. An den Schnittstellen, beim Darstellerwechsel, tritt Brand gleichsam neben sich selbst. Ein undeutlicher, charakterlich schillernder Kerl, seiner Willensmacht zum Trotz.

Die Inszenierung schält splittrige Widersprüche heraus: Mal ist Brand ein eisig-einsamer Gottsucher, dann ein von allen guten Geistern verlassener Sekten-Guru. Da verdammt er mannhaft den landläufigen Durchschnitt; doch schnell erschrickt man darüber, in welch totalitäres Gebaren diese Überhebung führt. Gegen Schluß kehrt Brand gar den Sozialrevolutionär hervor.

„Als ob’s das Reich der Freiheit wär’…“

Gespielt wird die Übersetzung von Christian Morgenstern. Mit seinen Reimen haben die Darsteller zu kämpfen. Zuweilen wirkt diese Sprache heute komisch, sie klappert und knittelt vor sich hin. Man hätte eine Menge streichen können. Etliches wiederholt sich, nur leicht variiert. Freilich gibt es auch Stellen, an denen man aufhorcht: „Als ob’s das Reich der Freiheit wär‘ / Lief das Volk des Herrn in Horden / Der Wohlstandslüge hinterher.“ Hat da gerade jemand „Ostdeutschland“ gesagt?

Doch gottlob haben die Bochumer das Stück nicht mit Gewalt in die Gegenwart gezerrt. Sie behandeln es sorgsam, als legten sie eine Fundstätte frei. Zudem dürfen wir uns an einem grandiosen Bühnenbild (Andrea Schmidt-Futterer) sattsehen, einer ins Un- endliche weisenden Eiswüste, dann und wann verdüstert und verengt. Und nicht zuletzt: Die Darsteller, nehmt alles nur in allem, sind auf der Höhe. Neben dem Brand-Quartett besonders zu nennen: Martina Krauel als Brands somnambule Frau Agnes.

Brand hätte das Ganze nicht gefallen, denn es ist halt weder alles noch nichts. Aber es ist durchaus etwas!