Sie waren eigentlich schon immer da: Ein halbes Jahrhundert „Stones“

Ja, sie waren eigentlich schon immer da, sie waren das musikalische Inventar ganzer Generationen, sie oder eigentlich wohl mehr ihre anhängenden Fans, ihre Follower durch die sich wandelnden Zeiten, begingen schon zahllose Jubiläen und heute haben wir wieder eines, an das wir uns erinnern: Heute, genau vor 50 Jahren, traten „The Rollin‘ Stones“ (damals noch ohne „g“) zum ersten Mal öffentlich unter diesem Namen auf – im Marquee-Club in London.

Bei realistischer Rückschau wurde die Premiere von Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Dick Taylor, Ian Stewart und Tony Chapman ganz und gar nicht mit huldvollem Staunen aufgenommen, ja sogar Buh-Rufe sollen vernommen worden sein. Das Publikum, das noch nicht ahnen konnte, gerade einem Jahrhundert-Ereignis beizuwohnen, hätte lieber mehr lupenreinen Blues zu sich genommen, wie ihn Alexis Korner, der eigentlich der Star des Abends sein sollte, von sich gab – und sie riefen nach dieser Musik. Hingegen fand Keith Richards in verklärender Erinnerung , dass die junge Truppe ganz prima aufgenommen worden war – so jedenfalls berichtete er es mal autobiografisch.

Nun haben schon viele sich über die „Stones“ ausgelassen, haben in den zurückliegenden 50 Jahren mannigfaltige Details beleuchtet, die sie fachmännisch und –fraulich aus ebenso mannigfaltigen Blickwinkeln betrachtet hatten. Ich mag eigentlich nur so ein bisschen damaligen Zeitgeist spiegeln, in meinen Erinnerungen baden und erzählen, dass es uns dann und wann ähnlich ging, den „Stones“ und mir (und vielen, vielen anderen), obwohl gutes Essen und eine lebenslange Abstinenz von härteren Drugs mein Gesicht nicht so plastisch plissierten wie das von Keith Richards, dessen Neigung, gemeinsam mit seinem Kumpel Mick Jagger zur absoluten Dauerwurst des Rock werden zu wollen, mich hoffen macht, noch ein paar Jährchen durchhalten zu können, mit dem Rhythmus der „Stones“.

Diese und einige andere Stones-Platten gehören in jede vernünftige Sammlung. (Foto: Bernd Berke)

Diese und einige andere Stones-Platten gehören in jede vernünftige Sammlung. (Foto: Bernd Berke)

Es ist eigentlich gleichgültig, was mir ins Gehör gelangt, ob „Jumpin‘ Jack Flash“ oder „As Tears go by“, ob „Little Red Rooster“ oder „Get off of my Cloud“ und natürlich „Satisfaction“ – in mir nährt sich immer mal wieder der Verdacht, dass ich jeden Titel, den sie je eingespielt haben, zumindest erkenne, vielleicht sogar kenne. Dabei sind sie alle, und damit sei von mir Laien eine jede der zahlreichen „Stones“-Formationen gemeint, die Hinterhof-Combo geblieben, die sie einst waren, die einhämmernde Truppe, die, von Mick Jaggers Rumpelstilzchen-Hüpfen angetrieben, selbst meine Füße zum Wippen zwingen und die bisweilen auch mal die Töne trifft, die gemeint waren, als sie den Song schufen.

Gern erinnere ich mich an eine Skizze, die ein wesentlich kundigerer Mensch als ich verbalisiert hat, an dessen Namen ich mich aber nicht erinnern kann. Er beschrieb Keith Richards als die heimliche Seele der „Stones“, dessen Spiel erstaunlich viel Ännäherung an die gewünschte Melodie schaffe. Es fehlte ihnen vom ersten Tag an die filigrane Experimentierfreude ihrer Kurz-Zeitgenossen, der „Beatles“, was sie aber keineswegs zu den viel beschriebenen Gegnern machte, die eine gern gepflegte Fama sich bastelte. Die Musiker tauschten (gegen Geld, versteht sich) dann und wann sogar hitverdächtige Titel untereinander.

Ich vermute, dass es diese urwüchsige Authentizität ist, die sie so überlebensfähig im schnellebigsten Metier überhaupt macht. Die alten Herren liefern über Jahre hinweg aufregende Bühnenshows ab und entlocken den Kehlen ihres stets gemischtaltrigen Publikums immer wieder jauchzende Begeisterung, mögen die Stücke auch noch so tradiert erscheinen. Die Eltern hörten sie in jungen Jahren, die Kindern hörten sie, inzwischen auch die Enkel. Das Entzücken kennt keine Altersbeschränkung. Von so manchem Vater, der mit Tochter und deren aktuellem Freund einen Auftritt der „Stones“ besuchte, hörte ich, dass seine tuschelnd geäußerte Frage vor der Ticket-Kontrolle gelautet habe: „Wo kriege ich denn hier noch einen Joint her?“ Wollte vorglühen, ehe er textsicher jedes Lied in tontreffender „Stone“-Manier mitsingt.

Ja, sie waren eigentlich immer da. Es fällt schwer, sich Zeiten vorzustellen, da es keine „Stones“ mehr auf der Bühne geben könnte, da die beiden ewigen Frontmänner ihre zerschlissenen Antlitze nicht mehr ans Mikrofon halten und aus Leibeskräften „Satisfaction“ brüllen.

Es war schon ein besonderer Tag, der vor 50 Jahren, als der unaufhaltsame Aufstieg der „Stones“ begann und in einen anscheinend unendlichen Gipfelaufenthalt mündete.




Nico: Die Frau mit der Sirenenstimme

Köln. Christa Päffgen war ein Weltstar, ja geradezu eine Ikone der Popmusik. Wie bitte? Christa Wer? Nun, weitaus bekannter war die gebürtige Kölnerin unter ihrem Künstlernamen „Nico“ – und geradezu legendär wurde sie als zeitweilige Sängerin der Kultband „Velvet Underground“.

Zur Erinnerung: Diese formidable Formation um Lou Reed und John Cale spielte anfangs unter der Ägide des Pop-Künstlers Andy Warhol, der auch das berühmte Bananen-Cover für ihre Debüt-Platte schuf. Das immens einflussreiche Album hieß „The Velvet Underground & Nico“ und war mit düsteren Titeln („I’m Waiting for my Man“, „Venus in Furs“, „Femme Fatale“, „Heroin“, „All Tomorrow’s Parties“) ein Meilenstein der Rockgeschichte. Nicht zuletzt lag es an Nicos suggestivem Sirenengesang, der sich mit hartem deutschen Akzent im Niemandsland zwischen Minimalismus und Nihilismus erging.

Die Ausstellung, mit der das Kölner Museum für Angewandte Kunst jetzt an Nico (1938-1988) erinnert, erweist sich mit zahlreichen Doku¬menten (Bilder, Texte, Filme und Töne – auch via Audioguide) als weit verzweigte Spurensuche. Sie ist mehr als eine bloße Reliquienschau.

Kaum zu glauben, in welchen Sphären sich diese Nico bewegt hat. Ihr Dasein als öffentliche Frau begann beileibe nicht erst im Pop-Geschäft. Nico wurde in hohem Maße zur Projektionsfläche diverser Männerphantasien. Wahrscheinlich ist sie daran zerbrochen; vielleicht auch am Überangebot der Freiheiten, das sich damals aufgetan hat.

Schon mit 16 Jahren wurde sie in Berlin als Model (damaliger Ausdruck: Mannequin) der Marke „Lolita“ entdeckt und zog bald nach Paris, wo sie den Künstlernamen „Nico“ annahm. Sie zierte die Titelseiten von Magazinen wie dem „Stern“ (1959 – Fotograf: Charles Wilp) oder des Zeitgeistblattes „Twen“ (1961). Auch die Glamour-Postillen „Elle“ und „Vogue“ wurden aufmerksam auf die Blondine mit der Aura zwischen Unschuld und Erfahrung. Später mengten sich mehr und mehr Schattierungen todessüchtiger Traurigkeit und von Dämonie mit hinein.

Eigentlich kein Wunder, dass ein auf optische Sensationen versessener Mann wie Federico Fellini sie dann 1960auch für den Film rekrutierte. Nico spielte eine kleine, aber seltsam faszinierende Rolle in dem Klassiker „La dolce vita“ (Das süße Leben) – neben den Stars Marcello Mastroianni, Anita Ekberg und Anouk Aimée. Einem gewissen Bob Dylan prägte sich Nicos kurzer Kinoauftritt derart ein, dass er ihr den Song „I’ll keep it with mine“ (1965) widmete. Folgenreicher Vorfall jener Jahre: Der Filmschönling Alain Delon schwängerte sie, wollte aber den gemeinsamen Sohn Ari nie anerkennen.

Nach dem furiosen Einsatz bei „Velvet Underground“ vagabundierte Nico durch die wildesten „Szenen“ der späten 60er Jahre. Klischee-Stichworte sind schnell genannt: Sex, Drogen, überdrehtes Leben am Rande des Todes. Nico faszinierte denn auch andere, früh verstorbene Rockgrößen: Jim Morrison (1943-1971) von den „Doors“ überredete sie zu musikalischen Solo-Projekten. Eine Zeit lang gehörte sie zu den Groupies im Gefolge der Rolling Stones, besonders der Gitarrist Brian Jones (1942-1969) war ihr zugetan. Stärkste Platte dieser Phase: „Chelsea Girl“ mit dem phänomenalen Titel „These Days“.

Zunehmend stilisierte die einstige Blondine zur dunklen, schläfrig wandelnden Erscheinung. Schwarz gefärbtes Haar, finster umflorter Blick, ausgezehrtes Gesicht. Später, in den 80er Jahren, gibt es erschreckende Bilder von einer aufgedunsenen, durch harte Drogen vorzeitig vergreisten Frau.

Den windungsreichen Weg, der immerzu bergab führt, kann man anhand der in Köln kenntnisreich ausgebreiteten Dokumente eingehend verfolgen. Hie und da könnte man glauben, Nico sehr nahe zu kommen; so etwa, wenn man die rasch hingefetzten Postkarten von ihrer zittrigen Hand liest. Diese fahrige, flüchtige Schrift, diese ziellose Signatur eines verletzlichen Menschen, der alle Wurzeln gekappt hat und sich nicht mehr zurechtfindet: Wort-Bruchstücke aus Herzen der Finsternis.

„Nico – Stationen einer Pop-Ikone“. Museum für Angewandte Kunst, Köln, An der Rechtsschule (neben dem Dom/Hauptbahnhof). Bis 1. Februar 2009. Geöffnet Di-So 11-17 Uhr. Eintritt 5 Euro. Internet: http://www.nico-cologne.de

(Der Beitrag stand am 21. November 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)