Warum lag der Sportkatalog für den früheren Bochumer Intendanten in meinem Briefkasten?

Also, das wird mir jetzt wohl niemand erklären können. Ich selbst bin auch ziemlich ratlos.

Ein durchaus rätselhafter Adressaufkleber (Foto: Bernd Berke)

Der Reihe nach: Jetzt traf der höchst umfangreiche Verkaufskatalog einer Hagener Sportartikel-Firma bei mir ein. Bleischwer lag er im Briefkasten. Mit zahllosen Angeboten für Vereine und Schulen. Utensilien für alle denkbaren Sportarten. Medizinbälle, Sprossenwände, Trampoline, Rugby-Ausrüstungen, Schwimmhilfen, Billardtische, Tischtennisplatten, Laufhürden, Torgestänge. All das und noch tausendfach mehr. Krasse Sachen dabei.

So weit, so halbwegs normal. Nur: Diese Firma hat mir vorher noch nie etwas geschickt. Auch hatte ich dort noch gar nichts bestellt und habe das auch nicht vor. Wahrscheinlich hat einer dieser ruchlosen Adressenhändler meine Daten weiterverkauft. Möge ihn die Pestilenz…

Doch nein. Offenbar war ich persönlich gar nicht gemeint. Der namentlich Angeschriebene zählt vielmehr zur Theater-Prominenz. Der Katalog war – unter meiner Anschrift – an Elmar Goerden adressiert, den ehemaligen Bochumer Schauspiel-Intendanten (im Amt 2005-2010). Nun gut, ich habe ihn, zusammen mit einem Kollegen, im Jahr 2005 einmal interviewt und später ein paar seiner Inszenierungen besprochen. Seine damalige Theaterarbeit habe ich in recht guter Erinnerung behalten. Auf welche wundersame Weise er aber mit meiner Adresse verknüpft und unter dem Label Revierpassagen angeschrieben worden ist, erscheint mir völlig schleierhaft. Als Goerden in Bochum tätig war, hat es die Revierpassagen noch gar nicht gegeben.

Mal kurz die Suchmaschine angeworfen: Was hat Elmar Goerden in den letzten Jahren so gemacht? Nun, hauptsächlich hat er offenbar als Gastregisseur an verschiedenen Bühnen in Wien inszeniert – weitab vom Ruhrgebiet. Auch kein Ansatzpunkt.

Wenn ich mich recht entsinne, hat Goerden einmal kurz vor einer Laufbahn als Profi-Fußballer gestanden und ist dann doch ans Theater gegangen. Immerhin eine vage Verbindung zum Sport. Oder sollte er etwa Trainingsgeräte für „seine“ Schauspieler*innen benötigen? Zählte nicht mal Fechten zur Schauspielausbildung? Fragen über Fragen. Absurde Vermutungen, die in semantischen Sackgassen enden. Ein postalischer Irrläufer, fürwahr.

Und jetzt? Bin ich mal gespannt, wessen Post mich demnächst ereilt. Die für Leander Haußmann? Für Frank-Patrick Steckel? Für Matthias Hartmann? Wetten werden noch angenommen.




„Unaufgeregteste Großstadt“ der Republik oder etwa doch ein Provinznest?

Abseits des Fußballs gibt es immer wieder Anlässe, sich über Verhältnisse in Dortmund aufzuregen.

Stichwort neonazistische Umtriebe. Stichwort Verwahrlosung und Laden-Leerstände bis in die Innenstadt hinein. Stichwort desolate Zustände in Teilen der Nordstadt. Ach, ich werde des Aufzählens müde.

Da können Lokalpolitiker und harmoniegeneigte Lokalpresse (also praktisch nur noch die Ruhr Nachrichten) noch so jubeln oder beschwichtigen: Diese finanziell gebeutelte Kommune droht in vielen Bereichen dauerhaft auf den absteigenden Ast zu geraten.

Abriss des ehemaligen Gymnasiums an der Dortmunder Lindemannstraße (Foto: Bernd Berke)

Abriss des ehemaligen Gymnasiums an der Dortmunder Lindemannstraße (Foto: Bernd Berke)

Nicht nur Lokalpatrioten widerstrebt überdies jedes Ranking, bei dem Dortmund schlecht abschneidet – und das kommt oft genug vor, sei’s bei Statistiken aus dem Bildungsbereich, bei Einkommenstabellen oder Arbeitslosenzahlen.

Ein neueres Beispiel einer solchen Liste kommt von der Job- und Karriere-Plattform „Xing“, die unter ihren Mitgliedern eine (freilich alles andere als repräsentative) Umfrage veranstaltet hat.

Gerade mal 845 Nutzer haben daran teilgenommen. Piepegal. Daraus lassen sich trotzdem knackige Ergebnisse filtern und dann kraftvoll ausposaunen. Man nehme also die zwölf einwohnerstärksten Städte Deutschlands und frage, in welchem Ort der Xingler (oder Xingling, Xingle?) gern bzw. ungern arbeiten würde. Und welche Weltsensation kommt heraus? In Front liegt Hamburg (hier wollen 42% gern arbeiten) vor München, Berlin, Köln und Stuttgart; am schäbigen Ende rangiert Essen (48 Prozent winken ab) vor Dortmund, Leipzig, Dresden und Frankfurt. Na klar. Immer mal wieder feste druff auf Ruhris und Ossis.

Zuweilen glaubt man allerdings tatsächlich, dass Dortmund mit seinen rund 580 000 Einwohnern Züge eines Provinznestes hat. Wollte man’s positiv wenden, so kramte man die gute alte Formulierung aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ hervor: Dortmund sei die „unaufgeregteste Großstadt der Republik“, hieß es dort mal vor Jahr und Tag. Der Satz gilt, mit einer Prise Ironie gesprochen, heute noch.

Und wo hätte ich nun neuerdings Kennzeichen der Provinzialität entdeckt? Dazu zwei vermeintlich unscheinbare, doch kennzeichnende Beispiele.

Beispiel 1: In der ganzen großen Stadt findet sich freitags kein einziger Briefkasten, der noch nach 19 Uhr geleert würde – auch nicht an der Hauptpost. Man muss statt dessen in sehr entlegene Ecken von Hagen oder Essen (exotischer Ortsteil Vogelheim) fahren, um dann noch dringliche Post loszuwerden. Eine Angelegenheit der Deutschen Post, gewiss. Und nicht ganz so ärgerlich wie der schlampige Umgang der Deutschen Bahn mit dem Dortmunder Hauptbahnhof. Aber immerhin.

Briefkasten mit freitäglicher Abendleerung - weit draußen in Hagen. (Foto: Bernd Berke)

Briefkasten mit freitäglicher Spätabendleerung – weit draußen in Hagen. (Foto: Bernd Berke)

Beispiel 2: Am allzeit defizitären Dortmunder Flughafen, der vor allem Billigflieger-Verbindungen nach Osteuropa offeriert, sich als internationaler Airport versteht und derzeit versucht, das Nachtflugverbot aufzuweichen, leistet man sich einen geradezu lächerlichen Service-Mangel. Auf der Besucherterrasse, die viele Menschen mit ihren Kindern aufsuchen, ist kein einziges Kindergericht erhältlich. Ja, die Betreiber sehen sich nicht einmal in der Lage, einfach mal kleinere Portionen für kleinere Leute zu servieren. Das ist eine ähnliche Negativwerbung wie hie und da im Westfalenpark, wo an bestimmten Punkten oft die geringsten Bedienungsstandards missachtet werden. Genau dort, wo die meisten Gäste von außerhalb auftauchen, zeigt man sich besonders unwillig.

Wenn wir schon mal beim Querulieren sind, sei nun auch noch dies angemerkt: Dortmund ist nicht grade reich an historischem Baubestand. Da wiegt es schon doppelt schwer, dass jetzt an der Lindemannstraße das einstige Königliche Gymnasium (später Kaserne, Staatliches Gymnasium, Lehrerseminar) aus dem Jahr 1907 kurzerhand abgerissen wurde, um einem ein ziemlich gesichtslosen Wohn- und Geschäftshaus mit dem superschicken Namen „Four Windows“ Platz zu machen. Die lokal leider konkurrenzlosen Ruhr Nachrichten vermelden den baulichen Verlust ohne kritischen Unterton. Man wird doch keine Investoren verschrecken wollen…

Ja, ich gebe zu, dass ich mich mit dem Bauwerk auch persönlich verbunden fühle. Ich bin in der parallel laufenden Arneckestraße aufgewachsen. Der Balkonblick über den begrünten Hinterhof fiel auf den mächtigen Giebel und den klassisch gegliederten Baukörper des damaligen Gymnasiums. Damit verschwindet also auch wieder ein Stück der Kindheit. Als ich jetzt dort Fotos vom Abriss gemacht habe, kam gleich jemand auf mich zu und sagte: „Das da tut mir in der Seele weh. Hier bin ich zur Schule gegangen.“ Worauf ein längeres, recht einvernehmliches Gespräch über Dortmunder Defizite folgte.

Unabhängig davon frage ich mich, ob die Denkmalschützer hier nichts Erhaltenswertes gesehen haben und warum ausgerechnet die Bewohner des umliegenden, linksliberal und grün-alternativ geprägten Kreuzviertels (mit Abstrichen: Dortmunds „Prenzlauer Berg“) in dieser Angelegenheit still und stumm geblieben sind.

Warum wohl trifft es viele so hart, wenn einer wie Mario Götze den Lockungen aus München folgt? Weil es hier manchmal doch etwas trist wäre, wenn wir den Fußball und den jetzt so grandiosen BVB nicht hätten! Na gut: Und noch ein paar andere herrliche Sachen.