Zwischen Ost und West: Hans Joachim Schädlich und die „Bruchstücke“ seines Lebens

Er wurde zum Doktor der Philosophie promoviert und hatte eine Stelle als Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR ergattert. Hans Joachim Schädlich hätte Karriere machen können. Doch mit der Diktatur der Einheitspartei hatte er nichts am Hut.

Dann fing er auch noch an, eigene Texte zu schreiben, in denen er ironisch und lakonisch den zermürbenden Alltag im realen Sozialismus sezierte und das ideologische Brimborium des Arbeiter- und Bauernstaates in seine verlogenen Einzelteile zerlegte. Die Verlage mieden seine Texte wie der Teufel das Weihwasser.

Bei privaten Zusammenkünften von ost- und westdeutschen Autoren in Ost-Berlin lernte er Günter Grass kennen. Der war sofort begeistert von den Prosastücken Schädlichs und meinte euphorisch: Seit Uwe Johnson habe niemand mehr „so eindringlich, aus der Sache heraus, die Wirklichkeiten der DDR angenommen und auf literarisches Niveau umgesetzt.“ Auf Vermittlung von Grass erschien 1977 im westdeutschen Rowohlt Verlag „Versuchte Nähe“, das literarische Debüt des in der DDR fortan als Staatsfeind verfolgten Autors, der, um nicht im Gefängnis zu landen, sein Heil in der Bundesrepublik suchte.

Auch jetzt, fast 50 Jahre später, kommt Schädlich immer wieder auf diese seltsame Zeit zu sprechen, als die DDR-Bonzen wild um sich schlugen und viele Künstler in den Westen ausreisten. Schädlich, inzwischen 90 Jahre alt, erinnert sich an „Bruchstücke“ seines bewegten Lebens. In knappen Erzähl-Fragmenten ist dabei auch mehrfach von Günter Grass die Rede: von der Hilfe, die er dem mittellos im Westen ankommenden Autor gewährt, von der Freundschaft, die nach der Wende schnell zerbricht.

Erst Freundschaft, dann Streit mit Günter Grass

Schädlich hatte in seinem Roman „Tallhover“ (1986) die fiktive Biografie eines Spitzels der politischen Polizei ausgebreitet, die Grass in „Das weite Feld“ (1995) aufgriff und fortschrieb. Aus Tallhover machte Grass, „im gewendeten Zustand“, einen Hoftaller und ließ den an der Wende verzweifelnden Fonty sagen: „Was heißt hier Unrechtsstaat! Innerhalb dieser Welt der Mängel lebten wir in einer kommoden Diktatur.“ Das bringt Schädlich in Rage, er schreibt an Grass: „Wie >angenehm< diese Diktatur war, hättest Du von Leuten wissen können, die Erfahrungen mit der Stasi gemacht haben.“

Von den Stasi-Opfern erzählt Schädlich in seinen „Bruchstücken“, seinen Begegnungen mit Sarah Kirsch, Jürgen Fuchs, Bernd Jentzsch, Gerulf Pannach, Christian Kunert. Oder er erzählt, wie Jurek Becker (der später in den Westen ausreiste und für seinen Freund Manfred Krug tolle Drehbücher schrieb) eine kleine Feier ausrichtete: „In der Mitte des Raumes“, schreibt Schädlich, „thronte Stefan Heym auf einem Sessel. Heym wusste von Becker, dass mein Buch ,Versuchte Nähe‘ im Westen erschienen war. Und er wusste, dass ich einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Er sagte zu mir: Was wollen Sie im Westen. Sie kennen sich nicht aus. Worüber wollen Sie dort schreiben. Boy loves Girl?“

Hans Joachim Schädlich: „Bruchstücke“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2025, 191 Seiten, 24 Euro.