Bye-bye, Sabine – ein Nachruf auf die Dortmunder Krimiautorin Sabine Deitmer

Die Krimiautorin Sabine Deitmer, die jetzt mit 72 Jahren gestorben ist. (Foto: Klauspeter Sachau / Literaturhaus Dortmund)

Die Dortmunder Krimiautorin Sabine Deitmer, die jetzt mit 72 Jahren gestorben ist. (Foto: Klauspeter Sachau / Literaturhaus Dortmund)

Die eloquente, couragierte und warmherzige Schriftstellerin Sabine Deitmer gab der deutschsprachigen Kriminalliteratur wichtige Impulse. Nicht nur, weil sie den Spielraum des Komischen in diesem Genre erweiterte, sondern auch, weil sie das Verhältnis zwischen Opfern und Tätern neu auslotete, ebenso wie die Diskrepanz zwischen männlichem Blick und weiblicher Sicht auf kriminelle patriarchalische Strukturen.

Sabine Deitmer, die am 11. Januar mit 72 Jahren gestorben ist, lud ich das erste Mal Ende der 80er-Jahre ins soziokulturelle Zentrum Ruhrwerkstatt nach Oberhausen ein. Damals war sie mit ihren überaus erfolgreichen Kurzgeschichten auf Lesereise. „Bye-bye, Bruno – Wie Frauen morden“, Stories, in denen angesichts körperlicher wie struktureller Gewalt jeweils ein männliches Auslaufmodell von aufbegehrenden Frauen einfallsreich und quasi in Notwehr entsorgt wurde.

Problembären wie Bruno

In einem Interview kommentierte Deitmer ihre damalige Schreibe so – und das mag nach Zeitgeist klingen, reicht aber leider bis zur aktuellen „#Me Too“-Bewegung: „Männer vom Typ Bruno, die normalerweise von ihren Frauen viel Wertschätzung kriegen und gehätschelt werden, solche Männer zu karikieren und in ihrer Begrenztheit zu beschreiben, bereitet mir Vergnügen. Und gleichzeitig diese normalen Frauen, die doch so oft unterschätzt werden, etwas liebenswert aufzubauen, unter dem Motto: Die Frauen sind nicht so blöd, wie die Männer häufig meinen.“

Als ich 1996 Sabine Deitmer dann zu einer Lesung des Literaturbüros Ruhr einlud, hatte ich zuvor knapp sechzig Krimi-Autorinnen und -Autoren in NRW recherchiert, die mit ernst zu nehmenden Werken, Debüts, Hörspielen oder Kriminalgeschichten in Erscheinung getreten waren, darunter fünfzehn Frauen. Immer noch zu wenig. In den USA – so Deitmer damals – waren schon gut fünfzig Prozent der Krimiautoren Frauen.

Also gestaltete Sabine Deitmer ihn hierzulande beherzt mit, den Boom sogenannter Frauenkrimis, auch den der Regionalkrimis, der „local crime stories“. Deren beste Autorinnen und Autoren wussten um die wichtige Verbindung von sozialer/regionaler/lokaler Verwurzelung und Weltoffenheit. Gute Krimis mit der Region (und deren sozialen Milieus) als Spielraum und Kulisse entlarven zwar bornierte Provinzialität, gehen aber nie selbst darin auf. Denn ob nun Vorort oder Weltbühne: Immer findet sich das Kleinkarierte, Provinzielle im Weltläufigen, immer findet sich auch das Großartige im scheinbar Kleinen.

Belesene Autorin, schreibende Leserin

Sabine Deitmer war schon früh eine versierte und weltoffene Leserin, auch eine Leserin vermeintlich schlichterer Formate und Bewunderin kleiner Helden, war Enid Blyton-Fan, Kalle Blomquist-Hörerin, später Jerry-Cotton-Leserin.

1947 in Jena geboren, wuchs sie in Düsseldorf auf. Studierte Anglistik und Romanistik. Ihre Magister-Arbeit schrieb sie über die „Rezeption von Kriminalromanen am Beispiel Agatha Christie“. Als Literatin versuchte sich Deitmer zunächst in der Dortmunder Gruppe „Frauen schreiben“. Aus dieser Zeit gibt es Texte von ihr in den Anthologien „Mitten ins Gesicht – weiblicher Umgang mit Wut und Hass“ (1984) und „Venus wildert – wenn Frauen lieben“ (1985).

1988 erschien „Bye-bye, Bruno“ und wurde ein Bestseller. Der Erfolg war so groß, dass sich männliche Autoren zügig dranhängten und parodistische Gegengeschichten herausbrachten: „Good bye, Brunhilde. Rache für Bruno!“ Bei aller Spottlust schien da männliches Autorenego durchaus angekratzt. Ganz listig vielleicht, aber eben überhaupt nicht lustig, diese Konter-Attacken auf „Brunhilde“, sind doch Frauen in der Realität sowieso überall und jederzeit Opfer männlicher Mordgier.

„Ich habe gelernt, wie eng der kreative Raum ist, der Frauen zugestanden wird. Wenn wir ihn erweitern wollen, müssen wir uns auf einiges gefasst machen“, diese Sätze Deitmers klingen beinahe auch wie ein Kommentar zur Causa Bruno/Brunhilde.

Weg von Killerinnen, hin zur starken Kommissarin

„Ich merke, dass mich Männerleichen allmählich langweilen …“, auch das ein gescheit- lakonischer Deitmer-Satz. Sie wollte weg von der resilienten Frau als kesser Killerin und wandte sich schließlich einer starken Frauenfigur zu, die als Ermittlerin ihre ganz eigenen Wege ging. Zwischen 1993 und 2007 trieb Sabine Deitmer auch ihre eigene Entwicklung als Romanautorin konsequent voran. „Kalte Küsse“ hieß der erste Krimi mit Kommissarin Beate Stein, es folgten „Dominante Damen“, „Neonnächte“, „Scharfe Stiche“ und „Perfekte Pläne“.

Beate Stein (welch sprechender Name) versucht, zumindest nach außen hin der harte Typ zu sein, hard boiled, tough woman. Deitmer charakterisierte ihre Protagonistin so: „Das ist eine ganz normale Frau, mit starken und schwachen Seiten. Sie ist klug genug, ihre schwachen Seiten nur denen zu zeigen, die damit umgehen können, ihrer blinden Freundin zum Beispiel. In ihrem Job ist sie kompetent und cool, schlagfertig und mit sarkastischem Humor. Ich wollte mit ihr eine Figur schaffen, die sich von der Institution nicht einmachen lässt, darin effizient und erfolgreich reagiert.“

„Neonnächte“ und „Kalte Küsse“ wurden von RTL verfilmt, zwei Romane wurden für den Rundfunk bearbeitet. Für „Dominante Damen“ gab es einen 2. Platz beim Deutschen Krimipreis, für „Scharfe Stiche“ den „Frauenkrimipreis der Stadt Wiesbaden“, für ihr Gesamtwerk erhielt Sabine Deitmer 2008 den renommierten Glauser-Ehrenpreis.

Abschied von einer Meisterin des beharrlichen Aufbruchs

Ich habe an Sabine immer das bewundert, was im Zen-Buddhismus als „Anfängergeist“ bezeichnet wird. Sie selbst hat das einmal für ihre Arbeit so formuliert:
„Das Schwierigste beim Schreiben ist für mich der Anfang. Ich muss mich selbst davon überzeugen, dass sich die Geschichte zu erzählen lohnt.“ „Recherchen mache ich ausgesprochen gern. (…) Da habe ich das Gefühl, dass ich mir über das Schreiben ein Stück mehr Welt erobern kann. Das finde ich … toll.“

Sabine Deitmer wird mir im Gedächtnis bleiben. Sie war eine von denen, die nicht darüber lamentierten, sondern die sie einfach zu schreiben begann: Literatur aus dem Ruhrgebiet, die Vergleiche nicht zu scheuen braucht.




Jagd nach dem begehrtesten Auto der Welt – doch Martin Walkers Krimi „Grand Prix“ kommt dabei nur mühsam voran

Im Périgord lebt man heute wie Gott in Frankreich. Herrliche Trüffel, köstliche Weine, leckere Speisen. Außerdem kann man dort ausgedehnte Wanderungen unternehmen oder mit dem Boot auf klaren Flüssen paddeln. Wo einst bittere Armut und verheerende Landflucht herrschte, haben längst gut betuchte Aussteiger die verfallenen Landhäuser renoviert und die Touristen ihr Freizeitparadies gefunden.

Um die Gegend überregional noch attraktiver zu machen und den internationalen Geldadel herbei zu locken, hat Bruno, Polizei-Chef von Saint-Denis, eine Idee. Für Leute mit dem nötigen Kleingeld organisiert er eine Oldtimer-Rallye.

Doch der Lockruf nostalgischen Abenteuers wird nicht nur von kauzigen Kapitalisten erhört, die gern mit offenem Verdeck durch eine sommerliche Landschaft brausen. Auch dubiose Sammler strömen herbei, die auf der Jagd sind nach dem wertvollsten und begehrtesten Auto aller Zeiten: einen in den Wirren des 2. Weltkriegs verschollenen sportlich-schnittigen Bugatti aus einer Serie von nur vier je gebauten Exemplaren. Ausgerechnet im Périgord, so geht die Legende, verliert sich die Spur des Autos im Dunkeln der Geschichte. Spätestens jetzt ist klar: Wo das Jagdfieber ausbricht und Millionengewinne die Hirne vernebeln, sind Neid und Mord nicht weit.

Melange aus Gaumenfreuden und Gewalt

„Grand Prix“ ist bereits „der neunte Fall für Bruno, Chef de police“. Martin Walker, der schottische Journalist, der als Berater politischer Think-Tanks in Washington arbeitet und sich seine Auszeiten im beschaulich-schönen Périgord gönnt, hat als Krimi-Autor eine ebenso simple wie erfolgreiche Formel gefunden: Er mischt Gaumenfreuden mit Gier, Genuss mit Gewalt. Wo das Leben leicht und die Natur herrlich ist, wirken menschliche Sünden und hinterhältige Morde, geheimdienstliche Machenschaften und terroristische Attacken noch ein wenig perverser.

Weil das Böse überall ist und nie zur Ruhe kommt, darf Polizei-Chef Bruno selten das machen, was er am liebsten hat: mit seinem Pferd ausreiten, mit Freunden ausgiebig feiern und sich mit den ihm reihenweise zu Füßen liegenden Frauen zu Schäferstündchen verabreden.

Doch die bisher von Martin Walker ziemlich launig angerührte Melange aus purer Lebens- und nackter Mord-Lust gerät ihm diesmal allerdings etwas fade und allzu leicht vorhersehbar. Die Jagd nach dem verschollenen Oldtimer wirkt müde und inszeniert, die sich in Saint-Denis ein Stelldichein gebenden Geldwäscher und Erbschleicher durchschaut man auf den ersten Blick.

Die Geschichte kommt nur mühsam voran, die Spannung ist gleich Null. Auch dass Bruno seine alte Flamme Isabelle wieder trifft und sich – ganz nebenbei – um einen aus ärmlichen Verhältnissen kommenden Jungen kümmert, der von seinen Mitschülern gemobbt wird und in die Kriminalität abzudriften droht, hilft der Story nicht recht auf die Beine.

Bruno ist ein sympathischer Kerl, aber ihm fehlen einfach die intellektuelle Tiefe, die ironische Melancholie und künstlerische Ader seines venezianischen Kollegen Commissario Brunetti. Bruno ist nett, aber auch ein bisschen langweilig.

Martin Walker: „Grand Prix“. Der neunte Fall für Bruno, Chef de police. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Michael Windgassen. Diogenes, 384 Seiten, 24 Euro.




TV-Nostalgie (30): Als das HB-Männchen vor Wut in die Luft ging

Kann man in diesem Falle von TV-Nostalgie reden? Nun ja, wie man’s nimmt. Wir lassen mal fünfe gerade sein. Fernseh-Legenden müssen jedenfalls nicht unbedingt aus Fleisch und Blut sein. Manche waren auch mit feinem Stift und noch dazu schwer vom Leben gezeichnet: allen voran das immerzu gestresste HB-Männchen.

Das Kerlchen, dem jedes Vorhaben schiefging, war eine der bekanntesten Werbefiguren des Fernsehens. Von 1957 bis 1974 war das zornige HB-Männchen auf den Bildschirmen zu sehen, danach war Zigarettenreklame nur noch für ein weiteres Jahrzehnt (bis 1984) im Kino erlaubt.

Arabisch rückwärts gezetert

Inoffiziell hieß das HB-Männchen Bruno. Doch er selbst hat uns in den Trickfilmen (Urheber: Roland Töpfer) nie seinen Namen verraten, denn Bruno „sprach“ ganz und gar unverständlich. Angeblich war es Arabisch, das mit überhöhter Bandgeschwindigkeit rückwärts abgespult wurde. Je zorniger dieser Bruno wurde, umso mehr verzerrte sich sein Gezeter, bis er buchstäblich in die Luft ging.

HB-Männchen Bruno scheitert an einem Paternoster-Aufzug (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=5R6384xqWx4)

HB-Männchen Bruno scheitert an einem Paternoster-Aufzug (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=5R6384xqWx4)

Das HB-Männchen war ein Wutbürger sondergleichen und ein hartnäckiger Einzelkämpfer mit offenbar enorm hohem Blutdruck. Nie hat man gesehen, ob er vielleicht Frau und Kind(er) gehabt hat. Doch er war von Herausforderungen des Alltags umgeben, hatte lauter Dinge als Widersacher und geriet häufig in Zeitnot. Dies waren auch Zeichen der Wirtschaftswunder-Jahre.

Die Tücke der Objekte

Nur ein paar Beispiele: Da waren unendlich viele Geräte, die nicht funktionieren wollten; da war der Ventilator, der im Büro alles Papier aufwirbelte; das Klappbett, das ein Eigenleben führte; da waren Hammer und Säge, mit denen er sich verletzte; Dosen und Flaschen, die er im Lebensmittelladen umriss. Und so weiter und so fort in mehr als 400 Filmen. So viel Pech auf einem Haufen.

Das Schema der kleinen Geschichten war durchweg gleich: Immer hatte Bruno mit der Tücke der Objekte zu kämpfen. Anfangs pfiff er noch fröhlich und unternehmungslustig („Freut euch des Lebens“ oder „Auf in den Kampf, Torero“). Aber beim Versuch, den jeweils ersten, noch geringen Schaden zu beheben, machte er alles nur noch schlimmer und schlimmer, bis schließlich ein furchtbares Chaos oder eine schreckliche Sauerei angerichtet war. Dann ging das HB-Männchen vor Wut explosionsartig in die Luft.

„Dann geht alles wie von selbst“

Doch immer nahte Rettung. Der völlig erschöpfte Bruno wurde eingefangen von einer freundlichen kleinen Figur mit königlichem Mantel. Mit den Worten „Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen?“ reichte die Gestalt eine Zigarette der Marke HB – und schon beim ersten Zug waren Brunos Probleme behoben, alles klappte nun ohne sein Zutun: „Dann geht alles wie von selbst“, hieß die Formel zum guten Schluss.

Welch eine dreiste Lüge, die auf diese Art höchstens im Trickfilm möglich war! Trotzdem (oder gerade deshalb?) hat man sich damals über die Filmchen gefreut, sie waren oft der kurze Höhepunkt des gesamten Werbefernsehens. Da mag heimliche Schadenfreude ebenso mitgespielt haben wie das Gefühl der Entspannung am Ende. Außerdem war Rauchen damals in allen Lebenslagen noch so selbstverständlich, dass man sich keine Gedanken darüber machte…

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)