Aber hallo, Herr Tuchel!

Aber hallo und nun mal halblang, verehrter Thomas Tuchel. Was Sie und die BVB-Mannschaft heute (vor allem in der ersten Halbzeit) beim 4:0 gegen die zuvor hoch eingeschätzten Gladbacher entfacht haben, das, ja das… wäre selbst zu Jürgen Klopps besten Zeiten noch ein Ausreißer nach oben gewesen.

Also müssen wir wohl gleich mal auf die Euphorie-Bremse treten: Der Gegner hat halt manches zugelassen. Es war auch Fortune im Spiel. Es war nur die erste von 34 Bundesliga-Partien. Und was dergleichen Runterbringer-Sprüche mehr sind. Aber etwas hibbelig werden wir jetzt doch – und scharren schon mit den Füßen, um die nächsten Begegnungen möglichst rasch zu erleben.

Rasanter BVB-Konter, heute vom Sky-Bildschirm abgeknipst.

Rasanter BVB-Konter, heute vom Sky-Bildschirm abgeknipst.

Nähme man das heutige Auftaktspiel zur neuen Saison zum Maßstab, so müsste man ein wenig übermütig werden. Tabellenplatz zwei hinter den Bayern (die mit Hamburg den leichteren Widersacher hatten) hat man wahrlich nicht unbedingt erwarten dürfen. (Und auf Rang drei hat sich gleich Schalke positioniert, als sollte es ein besonders guter Jahrgang für den Revierfußball werden.) Übrigens sangen die Dortmunder Fans heute gegen Schluss das „Steigerlied“…

Man möchte es schon jetzt nicht mehr hören, dass mit Trainer Tuchel beim BVB „mehr Akribie“ und gleichsam Wissenschaftlichkeit einkehre. Es mag ja etwas dran sein, doch kommt bestimmt noch einiges hinzu, weit über Berechnung und Rationalität hinaus. Zwar spielen sie keinen reinen Hurra- und Husaren-Fußball mehr, wie so oft in der jüngeren Vergangenheit, doch fehlen keineswegs die schwunghaften, rasanten, ja magischen Momente.

Zugegeben, auch ich habe zu jenen gehört, die Henrikh Mkhitaryan schon beinahe abgeschrieben hatten, nachdem er in der vorigen Spielzeit eine dermaßen traurige und melancholische Gestalt zu sein schien. Wie ist der Mann nur aufgeblüht! Es möge andauern.

Auch ein zwischenzeitlich geschmähter Ilkay Gündogan findet offenbar zu einstiger Stärke zurück. Und eine Neuverpflichtung wie Julian Weigl, von den zuletzt eher desolaten Münchner „Sechzigern“ gekommen, erweist sich bislang als Glücksgriff und weckt weitere Hoffnungen. Tuchel findet offenbar die richtigen Worte und Gesten, um den Spielern Selbstvertrauen einzuflößen. Sollte er tatsächlich der ideale Klopp-Nachfolger sein?

Es fällt auf, wie jeweils das ganze Team den Torschützen und Vorbereitern gratuliert. Der Mannschaftsgeist stimmt, wenn man derlei Zeichen richtig deutet. Und ja: Da wird streckenweise feiner, ja sogar feingeistiger Fußball zelebriert. Und man ahnt sogleich, warum Thomas Tuchel bestimmte Spielertypen, denen man nicht gar so viel Intelligenz nachsagt, lieber nicht in den Vordergrund bringt. Wir wollen natürlich keine Namen nennen.

Eine Prognose für die Saison? Ach, nö. Genießen wir die Freude des Augenblicks und die Vorfreude auf mehr.




Schmerzlicher Abschied: Jürgen Klopp verlässt nach der Saison den BVB

Wie ärgerlich, dass mal wieder die „Bild“-Zeitung die Nachricht zuerst hatte: BVB-Trainer Jürgen Klopp hat um Auflösung seines bis 2018 reichenden Vertrages gebeten.

Soeben hat Jürgen Klopp die Nachricht offiziell in einer Pressekonferenz bestätigt – sichtlich bewegt, zeitweise zaudernd, mit stockender Stimme. Der Entschluss falle ihm „unglaublich schwer“, aber die Entscheidung habe jetzt getroffen werden müssen, damit der Verein die nächste Saison planen könne. Es sei somit die „absolut richtige Entscheidung“, fernab von aller Sentimentalität und Romantik.

In aller Bescheidenheit sei’s gesagt: Vor einigen Monaten hatte ich an dieser Stelle für einen Neuanfang auf Sparflamme plädiert – möglichst mit neuem Trainer und nicht mehr mit lauter millionenschweren Stars, sondern mit dem Rüstzeug fürs solide Mittelfeld. Hernach kann man ja immer noch auf Höheres aus sein. Ein solcher Weg der kleineren Schritte scheint nun eingeschlagen zu werden. Es wäre nur vernünftig.

BVB-Trainer Jürgen Klopp am 9. August 2014 (©Foto: Tim.Reckmann/Wikipedia - Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

BVB-Trainer Jürgen Klopp am 9. August 2014 (©Foto: Tim.Reckmann/Wikipedia – Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Da Borussia Dortmund in der kommenden Spielzeit voraussichtlich an keinem europäischen Wettbewerb teilnehmen wird (und wenn doch, dann allenfalls an der nur mäßig attraktiven Europa League), empfiehlt sich finanzielle Zurückhaltung auf jeden Fall. Auch sollte klar sein, dass vorerst Vereine wie Wolfsburg, Gladbach oder Leverkusen in der Bundesliga hinter den Bayern rangieren.

Gleichwohl möchte Klopp, wie er heute sagte, mit dem BVB noch die verbleibenden Maximalziele erreichen und möglichst noch einmal mit dem Lastwagen rund um den Borsigplatz fahren. Voraussetzung dafür wäre der Pokalsieg… Und man kann sich vorstellen, dass Klopp und die Mannschaft angesichts des bevorstehenden Abschieds noch einmal ungeahnte Reserven ausschöpfen.

Zurück zu jetzigen Realität. In den Blickpunkt ist jüngst auch das Wirken des Dortmunder Sportdirektors Michael Zorc gerückt, der für die Einkaufspolitik verantwortlich zeichnet. Zunächst hatte er vielfach eine glückliche Hand, doch in letzter Zeit sind ihm einige derart kapitale Fehleinschätzungen unterlaufen, dass man durchaus an ihm zweifeln darf.

Besonders die beiden Spieler Ciro Immobile (für 19,4 Mio. Euro aus Turin geholt) und Henrikh Mkhitaryan (Ablöse 27,5 Millionen Euro)* haben nicht einmal ansatzweise die Erwartungen erfüllt. Auch die anfangs frenetisch gefeierte Rückholung des Japaners Shinji Kagawa aus Manchester erwies sich als falsche Maßnahme.

Man könnte noch weitere Namen nennen. Doch zuletzt haben auch das ganze Gefüge der Mannschaft und der Draht zum Trainer nicht mehr funktioniert, so dass man nicht nur einzelnen Akteuren die Schuld zuweisen darf. Trotzdem sollten einige Spieler sich bald andernorts umschauen, wo sie vielleicht Besseres bewirken können.

Jürgen Klopp hat ersichtlich resigniert, er wirkte an der Seitenlinie oft kläglich hilflos – ganz anders als in früheren Tagen. Es ist wohl nur konsequent, wenn er im Sommer eine „Auszeit“ nimmt und danach neue Herausforderungen z. B. in der englischen Premier League sucht, in London oder Manchester. Wer weiß, vielleicht nimmt er dann den BVB-Kapitän Mats Hummels gleich mit auf die Insel. Oder der macht dort schon mal vorher Quartier. In der heutigen Pressekonferenz bestritt Klopp freilich, konkrete Pläne für seine Zukunft als Trainer zu haben.

Ob der angebliche Nachfolger Thomas Tuchel, der auch schon in Mainz in Klopps Fußstapfen trat, nach Dortmund und zur Borussia passt, könnte sich beizeiten weisen. Brennenden Ehrgeiz brächte er jedenfalls mit. Über Sympathien ließe sich später immer noch streiten. Übrigens: Fragen zur Klopp-Nachfolge wurden heute beim BVB aus Prinzip nicht beantwortet.

Mit dem Abgang von Klopp, der 2008 zum BVB kam, geht in Dortmund eine große Fußballzeit dem Ende entgegen. Er hat mit dem BVB nicht nur zwei deutsche Meisterschaften und einen Pokalsieg errungen, sondern auch international für Aufsehen gesorgt, indem er das Finale der Champions League erreichte. In einer Stadt, der der Fußball so viel bedeutet wie keiner zweiten im Lande, ist Klopp ein (zunächst imaginares) Denkmal sicher. Der dauerhafte Dank aller BVB-Fans ist ihm eh gewiss.

Zeitweise sah selbst der FC Bayern München, verglichen mit Borussia Dortmund, ziemlich dürftig aus. Die Herrschaften von der Säbener Straße reagierten – wie üblich – vor allem mit pekuniären Mitteln, indem sie die BVB-Protagonisten zu sich holten: Götze wurde weggekauft, Lewandowski mit besten Aussichten weggelockt. Inzwischen sind die Südlichter längst wieder die Chefs auf dem Rasen. Aber eines schönen Tages…

(* Ablösesummen laut www.transfermarkt.de)




Borussia Dortmund und die Sehnsucht nach dem gefestigten Mittelmaß

Hält man es mit Borussia Dortmund, so leidet man seit Wochen und Monaten – wie eigentlich noch nie in den letzten Jahrzehnten. Und das nach all den Freuden und Erfolgen der vorherigen Spielzeiten…

Gewiss, es gibt weitaus Wichtigeres als den Fußball. Geschenkt. Und klar, man kann das alles – vor allem von außen her – hochkomisch, süffisant oder hämisch betrachten. Doch verkennt man dann, was Fußball in Dortmund bedeutet, nämlich mehr als in jeder anderen deutschen Stadt, Gelsenkirchen wohl inbegriffen. Dort kommen, schon geographisch bedingt, prozentual mehr Fans aus angrenzenden Städten. Egal.

Bayerns onanistische Meisterschaft

Hat man anfangs noch meinen können, die Misere der Borussia liege vor allem an der mangelnden Chancenverwertung, also am Glücksfaktor, so muss man sich längst eingestehen, dass derzeit beim BVB richtig schlechter, ja zuweilen schon erbärmlicher und wahrhaftig abstiegswürdiger Fußball praktiziert wird, und zwar schlimmstenfalls vom gesamten Team. Sind das wirklich dieselben Spieler, die vor nicht allzu langer Zeit als Rivalen der Bayern gegolten haben? Die Münchner werden diesmal auf geradezu onanistische Weise die Meisterschaft einfahren.

Alles Krisengerede "für umme"? Schön wär's ja. (Foto: Bernd Berke)

Alles Krisengerede „für umme“? Schön wär’s ja. (Foto: Bernd Berke)

Nach und nach sind die vormals Verletzten zurückgekehrt, Nationalspieler zuhauf und auch ein paar – nun ja – „Weltmeister“. Doch die damit verbundene Hoffnung hat getrogen. Es hat sich nichts Grundlegendes geändert. Hie und da ein paar lichte Momente. Dann wieder Finsternis. Da kenne sich noch einer aus. Selbst die Fachleute in den Sportredaktionen rätseln hin und her.

Willkommene Winterpause

Wie gut, dass jetzt wenigstens Winterpause ist. Endlich Erholung vom wirkungslosen Gekicke. Heute haben die Dortmunder sogar noch Dusel gehabt, dass die Freiburger nur remis gespielt haben. So liegt der BVB „lediglich“ auf dem Abstiegsplatz 17 – mit hauchdünnem Ein-Tores-Vorsprung auf den allerletzten Rang. Doch wird man ab Ende Januar erleben, dass der BVB plötzlich wie Phoenix aus der Asche steigt? Man wagt es zu bezweifeln. Die psychologischen Nachteile sind nicht gering.

Bei etlichen Spielen hatte man den Eindruck, die jeweiligen Widersacher könnten jederzeit einen Treffer erzielen, der BVB hingegen sei nie mehr wieder dazu in der Lage. Vielfach fallen die Gegentore auf derart surreale, groteske und absurde Weise, als sei da ein teuflisches Verhängnis im Spiel. Auch in der Champions League, deren Verlauf zunächst Auftrieb verhieß, ging es nach und nach bergab. Die Krise kristallisiert und verfestigt sich.

Sie haben die „Seuche“

Sie haben die „Seuche“, wie man so sagt. Liegt die Mannschaft einmal hinten, bleibt es in aller Regel auch dabei. Die Angst vor Fehlern bringt Fehler hervor. Es scheint den unbegreiflich Verzagten schier unmöglich zu sein, sich einmal entscheidend aufzuraffen und ein Spiel in der Tendenz umzudrehen. In manchen Partien stimmt auch der bloße Einsatz nicht mehr durchweg, also das Mindestmaß dessen, was die Zuschauer erwarten dürfen. Die meisten von ihnen stehen dennoch nibelungentreu zum Verein. Noch immer kommen rund 80.000 zu den Heimspielen im Westfalenstadion. Eigentlich unglaublich.

Doch allmählich könnte die Stimmung kippen. Manche ertappen sich bei vielleicht gar nicht mehr so ketzerischen Gedankenspielen, die jetzt auch zunehmend in Online-Kommentarspalten Platz greifen: Demnach müsste jetzt schleunigst Trainer Jürgen Klopp das Feld räumen und in nobler Einsicht einem Nachfolger Platz machen. Aber wem nur? Mit Thomas Tuchel, dessen Name häufiger genannt wird, käme womöglich abermals einer, der vorher in Mainz war. Und was hieße das?

Wer glaubt noch an die Wende?

Tatsächlich nervt Klopps allwöchentlich neu angesetzte Mixtur aus Zerknirschung und Kampfansage. Erreicht er denn mit seinen Appellen die Spieler noch? Im Vergleich zu früher wirkt er an der Seitenlinie in gewissen Momenten hilflos und zuweilen resigniert, ja fast erloschen. Glaubt er wirklich selbst noch an eine Wende?

Doch was kann ein Trainer schon ausrichten, wenn die Spieler wieder und wieder so agieren wie seit Saisonbeginn? Es ist, als herrsche da eine ansteckende Bräsigkeit, die gar zu viele Mitstreiter erfasst. Wäre es da nicht besser, den einen oder anderen „Star“ (mit deutlich gesunkenem Marktwert) leichten Herzens ziehen zu lassen und auf einen Neubeginn mit Nachwuchsleuten zu setzen? Wollen wir über die Neueinkäufe der jüngeren Zeit reden? Nein, lieber nicht. Wollten sie uns nur eines Besseren belehren…

Kampfschweine für schmutzige Siege

Unterdessen wird hie und da der Zukauf weiterer Kräfte in der Winterpause gefordert. Ohne Anführungsstriche kommt man hier nicht aus: Die vom Erfolg verwöhnten, nicht mehr „hungrigen“, angeblichen „Schönwetter-Spieler“ sollen vorzugsweise durch „Arbeitstiere“ oder sogenannte „Kampfschweine“ ersetzt werden, die notfalls brachial zu Werke gehen, was man ja im Revier eh am meisten zu schätzen wisse.

Ach, ach! Und dabei hat der BVB in den letzten Jahren immer wieder just durch schönes, einfallsreiches Spiel begeistert. Und nun sollen, ja müssen statt der Ästhetik „schmutzige Siege“ her. Das tut schon sprachlich weh.

Die Leute mit (bislang) glanzvollen Namen werden ohnehin rasch das Weite suchen, wenn der BVB nicht mehr in der Champions League vertreten sein wird. Fast sehnt man sich schon nach ganz normalen Zeiten soliden, gefestigten Mittelmaßes mit Steigerungs-Potenzial. Wenn’s geht, dann aber bitte noch in der ersten Liga.

In diesem Sinne: Frohes Fest & Guten Rutsch – nur nicht zu tief!




Marco Reus gibt’s nicht mehr! Die ganze Wahrheit zur BVB-Krise!

Die Kunst der Verstellung Foto: G. Herholz

Die Kunst der Verstellung
Foto: G. Herholz

Mal Klartext: Dieser „Marco Reus“, den sie da beim Fahren ohne Führerschein erwischt haben, das soll wirklich ER sein, der einzig wahre MARCO REUS vom Ballspielverein Borussia 09 e.V. Dortmund? Niemals!

Der Original-Reus würde das charakterlich überhaupt nicht durchhalten, so etwas Fahrlässiges und andere Menschen Gefährdendes wie jahrelangen Verkehr ohne. Und dieser gewiefte Taktiker soll zudem so blöd gewesen sein, einen gefälschten niederländischen Führerschein vorzuzeigen? Kann gar nicht. Unser aller echter Marco – ehrlich, authentisch, dribbelstark – stellte auf der BVB-Homepage früh klar: „Ich habe den besten Job der Welt. Viele wissen das nicht zu schätzen, lassen sich gehen und schlagen über die Stränge. Das ist nicht mein Ding“.

„Reus“ oder Reus? Transfer und Transplantat
Also, wenn der mehrfach radarfallen-geblitztdingste „Reus“ tatsächlich nicht der modell-athletische Reus sein sollte, den wir kennen, dann ergäbe alles plötzlich tiefen Sinn. Kein Wunder, dass „Reus“, also der Reus-Imitator, nicht nur keinen deutschen Führerschein hatte, er konnte ihn gar nicht haben, selbst wenn er einen gemacht hätte. Daher die vielen Ausreden: Der echte Reus, unser jugendlicher Stürmer und Dränger, dieser Reus ist seit Monaten längst bei einem anderen Verein unter Vertrag. So. Und jetzt komm‘ ich: Der ganze Transfer konnte nur gelingen, weil Reus sein Gesicht verlor, indem er sich sein Gesicht operieren ließ! Verstehen Sie? Nein? O.k., ist auch ganz schön abgezockt.

Gesichtskorrekturen
Also, ich frage Sie: Kennt sich der BVB etwa nicht aus mit OPs am Kopf? Na? Jetzt dämmert’s Ihnen, was? Ja! Genau! Jürgen Klopps Haartransplantation! Kloppo damals zur Bild: „ (…) zunächst schwoll mein Gesicht immer mehr an. Sechs Tage lang! Ich dachte: Was, wenn das nicht mehr weggeht?!“

Aber J.K. hat Glück gehabt. Zack, ein paar Wochen untergetaucht, und dann wieder auf, als neuer Mensch, jünger, irgendwie noch an Klopp erinnernd, aber unterm Strich doch ganz anders – vor allem in jüngster Zeit. So wurde Klopp zum Modell für Reus.

Der Mann, den sie Reus nannten
Von wegen! Reus und monatelanges Verletzungspech! Außenbandriss, Knochenödem… Dass ich nicht lache! Der Mann hat für Dortmund überhaupt nicht mehr gespielt, weil er schlicht nicht mehr in Dortmund war. Plötzlich wird völlig verständlich, warum der BVB dermaßen orientierungslos im Abstiegskampf herumstolpert. Nach dem Wechsel der BVBler Götze und Lewandowski zu Bayern läuft eben auch Reus längst nicht mehr für den BVB auf, sondern nur noch sein Körper-Double.

Ich jedenfalls bin ziemlich sicher, dass auch Reus heute schon bei … heraus damit … den Bayern spielt! Was wissen wir eigentlich genau über „Sinan Kurt“, der als 18-jähriger angeblich von Mönchengladbach (!) zu Bayern gewechselt ist? Nichts, wir wissen fast nichts. Gehen Sie mal unter Google-Bilder zu den Fotos von „Kurt“ und Reus, fällt Ihnen da nicht auch etwas auf? Diese frappierende Ähnlichkeit?

Spielerschutzprogramm
Die Wahrheit liegt mal wieder auf dem Platz herum: Marco Reus, und das ist so sicher wie das Amen in der Autobahn-Kirche, wird als „Sinan Kurt“ mit neuer Identität bei Bayern München Schritt für Schritt an das Leben als Rekordmeister gewöhnt. Jünger wirkt er, das ist schön, aber extrem nachgeschult werden muss er schon noch, gecoacht, therapiert, damit er nicht – wie Klopp – durch eine Transplantation traumatisiert unvermittelt in den Misserfolg schlittert.

Also: Wenn SIE diese Zeichen nicht lesen können, ich kann’s.

Bleibt allein die Frage offen, wer das Körper-Double ist, das da seit einiger Zeit als Spielerdarsteller „Marco Reus“ über den Platz und die Autobahnen simuliert, und der (oder für den man) jetzt die 540.000 € Bußgeld zahlt. Wie viel Spielgeld erhielt Uli Hoeneß vom Adidas-Chef? 20 Millionen? Ich frag‘ ja bloß – und wäre Ihnen dankbar, wenn auch Sie hier nicht weiter recherchieren würden. Da kämen Dinge ans Tageslicht, die will wirklich niemand wissen.

P.S.
Unter uns:  Vertauschen Sie einmal die Buchstaben des Namens MARCO REUS. MARCOREUS = EURO R CMAS! Klar? EURO(S) ARE CHRISTMAS! Capito?
GELD, DAS IST WIE WEIHNACHTEN.
Da kann ich mich nur anschließen. Für Geld würde auch ich alles tun.




Lebloser Liveticker

Früher standen „Ticker“ (in grauer Vorzeit waren damit Fernschreiber gemeint) mal für halbwegs wichtige Nachrichten, die wenigstens ein Stückchen Papier wert waren. Heute wird bekanntlich jeder Flach- und Unsinn online mit einem „Liveticker“ verfolgt.

Beispielsweise heute wieder: Die Mannschaft des krisengeplagten BVB hebt zum Flug nach Istanbul ab und die Ruhrnachrichten sind atemlos online dabei. Es könnten aber auch eine andere Homepage und eine andere Geschehnislosigkeit sein.

Erregender Screenshot (vom Mac abgeknipst: Bernd Berke)

Erregender Screenshot (vom Mac abgeknipst: Bernd Berke)

Alles andere wäre ja eine Nachricht; wenn sie beispielsweise n i c h t nach Istanbul aufbrächen. Sie müssen halt am Mittwoch da unten in der Champions League bei Galatasaray antreten. Also müssen sie vorher hin. So wird das Selbstverständliche in lauter kleine Zeithäppchen zerhackt und wie folgt dargeboten:

Zitat: „11.50 Uhr: Mehr vom Abflug der Borussen gleich in Bild und Ton an dieser Stelle. Dranbleiben!“

Stillhaltebefehl also. Wird natürlich befolgt. Die Spannung ist ja auf dem Siedepunkt angelangt.

Und dann die Erlösung: „12.14 Uhr: Der BVB-Flieger befindet sich jetzt in der Luft und wird gegen 15 Uhr in Istanbul eintreffen.“

Wie gut, dass ich drangeblieben bin.

Nur wenig später darf man auf einer langen, langen Klickstrecke auch noch Fotos aus der Dortmunder Abflughalle sehen. Dazu gibt’s noch ein dürftiges Filmchen. Profis mit Rollkoffern. Profis in Anzügen. Und Autogramme geben sie auch noch. Aha, aha.

Auch bei der Landung wird hernach Vollzug gemeldet. Es soll an nichts fehlen.

Es passiert nichts Nennenswertes, aber dieses Nichts wird unentwegt breitgetreten. Auf die nächste Nullnachricht zu warten, ist an Sinnlosigkeit kaum zu überbieten. Früher hätte man gesagt: Macht euren Bericht erst mal fertig, dann lesen wir (vielleicht) das Resultat. Heute soll man die Formulierungsnöte Schritt für Schritt begleiten. So leblos kann „live“ sein.




Der CL-Spieltag bei facebook: „Nun macht die Pocke doch endlich mal ‚rein!“

Da saß ich früher auf meiner angestammten Schale im Block 44, Reihe 13, Platz 52, war nach Jahrzehnten des ermüdenden Stehens und lästigen Bierduschens in der schwatz-gelben Wand froh, wenn die mich dann als „Sitzplatzkanacken“ beschimpften und freute mich, dass ich Dede beim Sprint über die linke Außenbahn beinahe auf die Schulter hätte klopfen können.

Heute, finanziell nicht mehr ganz so flüssig, bequeme ich mich entweder ins Sofa und schaue aus der Ferne, wie mein BVB Erfolge erstürmt. Und vermisse bisweilen Levent Aktoprak, meinen vieljährigen Sitzplatz-Nachbarn, wie er jubelnd Nuri Shahin zubrüllt, dass er doch schneller laufen möge.

BVB-Trikot, zum Spieltag aus dem Schrank geholt (Foto: Bernd Berke)

BVB-Trikot, zum Spieltag aus dem Schrank geholt (Foto: Bernd Berke)

Aber da habe ich inzwischen längst eine ganz neue Fan-Kultur ausgemacht und beginne sie immer intensiver zu genießen. Und ich kann sagen, dass es einen Riesenspaß macht, ein Spiel am nächsten Tage noch mal via facebook Revue passieren zu lassen. Das gewinnt zunehmend mehr an Spaßfaktor. Vor allem dann, wenn wir mal wieder – wie gegen Neapel – einen bravourösen Sieg zu feiern hatten. Ich bin überzeugt, Herbert Antoine Arthur Zimmermann, der unvergessene Radiosprecher, dessen „unaufgeregter“ Reportagestil die 1954-Weltmeisterschaft begleitete, hätte da auch so seine Freude dran gehabt.

„Und ab geht’s! // Kick-off!“, informiert zum Auftakt die BVB-Seite die facebook-Gemeinde. Wir alle beben vor Erwartung.

Bald darauf schreibt dieselbe Quelle, dass da ein Elfer verhängt wurde, den Marco Reus sicher versenkte. Klingt ungefähr so:

TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOR für Borussia Dortmund! Marco Reus verwandelt den Elfmeter!
//
GOOOOOOOOOOOOOOOOAL! Marco Reus sends Pepe Reina the wrong way from the penalty spot!

“Jaaa, Reus”, textet entzückt Gabriella Wollenhaupt.

Wow, ich kann die Glückseligkeit in den Augen aller mir persönlich bekannten Borussen sehen und fühle nach, wie sich nach dem Jubel (habe nie hingeguckt, wenn es einen Strafstoß gab) die unzähligen Kehlen anrauten. Aber nicht zu früh freuen.

„Vollgas geht’s weiter“, stellt BVB-facebook fest.

Während mein Puls sich ein wenig sediert, wetterleuchtet im „Tempel“, wie Frank Fligge, Freund, Kollege und Chronist der schwarz-gelben Ereigniswelt das Westfalenstadion rühmend nennt, bereits Wunderfeines auf dem Rasen.

„JAWOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOLL! Da ist das 2:0! Nachdem Neapel zuvor noch auf der Linie klären konnte, versenkt Kuba Błaszczykowski den Ball jetzt im gegnerischen Kasten!
//
GOOOOOOOOOOOOOOAL! KUBA makes it 2-0!“

Ok, dass  Lorenzo Insigne ein 2:1 gelingt, sei hier am Rande vermerkt, aber auch nur knapp und am Rande, so wie es der fratzebookende Spielbericht vermerkt.

Viel spannender Sven Benders Nase, die im harten Kampf brach, sein Mut aber nicht, der „eiserne Manni“ macht weiter und fightet sich durchs Spiel. Ganz nach dem Motto, das Klaus Schürholz mit Mannschaftsfoto postet: „Wir geben alles!“ Und um das noch zu toppen, legt er das „Wandbild“ (tobende Südtribüne) nach, dessen Titel alles über Dortmund sagt: „Die Farben der geilsten Stadt“.

Kristian Frigelj mischt sich ein und geht offenbar ein wenig nach. Sei BVB-Heißluftballon ist von ihm untertitelt: „Aufwärmen!“

Wieder Klaus Schürholz im Stile eines Kurt Brumme: „Auba“. Wesentlich moderner und frenetisch jauchzt Ingo Scherlinki: „Aubamejaaaaaaa! Kann also doch nicht nur schnell. Sondern auch gut. Den viel schwierigeren Ball macht er rein. Spitzer Winkel, Lupfer. Und was ändert’s? Nichts. Gar nichts! Denn: Dortmund immer noch nur ein Tor vom Ausscheiden entfernt. Ich halt das alles nicht mehr aus.“

„Ich bin zu alt dafür“, schimpft Jochen Nospickel, dessen Nerven offenbar ganz still und leise bersten.

„Kuba“, stellt Klaus Schürholz nüchtern fest. Manfred Kowitzke redet dazwischen, wird aber als hartnäckiger Fan des FC Köln von niemandem ernst genommen. Klaus Schürholz entfährt gar ein knurrendes „Schnauze!“

Die Besonnenheit auf zwei Beinen, Bernd Berke, wird ungeduldig: „Nun macht die Pocke doch endlich mal ‚rein!“ Gabriella Wollenhaupt schließt sich an: „Haut die Kugel rein, Jungs!!“ Bald darauf sind sie beide wie unzählige andere erlöst: „Endlich… Auba!!!“ Manfred, den niemand ernst nimmt, sobald er über Fußball philosophiert, räumt fair ein, dass das diesmal ja alles gut gelaufen sei. Ich freue mich für ihn, er hat mal ein richtig gutes Fußballspiel miterlebt.

Und mit noch einem freue ich mich, weil er sein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk und die Spannung des Abends frei von Kreislaufattacken überleben konnte: Norbert Dickel, Held von Berlin, alles Gute zum Geburtstag.

Irgendwie gibt’s an einem BVB-Spieltag wirklich so etwas wie eine facebook-Familie.

 

 




Wunder gibt es immer wieder – drei neue Bücher über den Fußball im Westen

Fußball erledigt sich nicht dem dem 1:0 oder sonst einem Resultat. Will man übers Nachplappern von dürren Fakten und über die Betrachtung schwankender Formkurven hinaus gelangen, muss man die Ereignisse in Zusammenhänge bringen, gewichten und nachbereiten. Auch kurzatmiger Tagesjournalismus reicht dazu nicht aus. Deshalb gibt es Fußballbücher. Hier ein paar Neulinge auf dem Markt:

In bescheidener Taschenbuch-Ausstattung und denkbar schmucklos (ohne jede Illustration) kommt Daniel C. Schmidts Band „111 Gründe, Borussia Dortmund zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 240 Seiten, 9,95 Euro) daher. Der Untertitel klingt heranwanzend einschmeichelnd, als wollte der in Berlin ansässige Verlag den Fans um den Bart streichen: „Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt“. Nun ja.

bvb

Außerdem nerven diese 111-, 101- oder 99-Bücher gelegentlich. Da werden die Themen oft in ein nicht so recht passendes Zahlenraster gepresst, es wird hier abgeschnitten und da angestückelt. Doch derlei Vorwürfe treffen auf den vorliegenden Band kaum zu. Der ausgiebige Streifzug führt tatsächlich durch weite Teile des BVB-Universums. Recht kundig und elegant elegant bewältigt der Autor die kurzweiligen Kapitel über Tradition, Finanzen, Rekorde, Abstürze und Wiedergeburten (und einige andere).

Daniel C. Schmidt (Berliner mit Studium in Manchester und London, wo er sicherlich britische Fankultur eingesogen hat, was ihn nahezu zwangsläufig zum BVB leiten musste) hat zudem einen Blick für nette Nebensachen und folgt gelegentlich der oft erhellenden popkulturellen Inspiration. Man liest solche Bücher nicht von A bis Z in einem Rutsch, doch hier liest man sich schon mal streckenweise fest. Nach der Lektüre versteht auch der bislang halbwegs neutrale Beobachter womöglich besser, was gerade diesen Verein so faszinierend macht. Aber es soll ja verbohrte Menschen geben.

Knapp angefügt: In derselben Reihe ist Kai Twilfers Buch „111 Gründe, den Ruhrpott zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, 280 Seiten, 9,95 Euro) erschienen. Der Schalke-Fan und Bestsellerschreiber („Schantall, tu ma die Omma winken“), der zudem mit Regionalia handelt, grast so ziemlich alles ab, was man erwartet: Bude, Currywurst, Hochofen, Schimanski, natürlich auch Fußball… Als gegen Ende die 111 noch nicht erreicht sind, pappt er auch noch ein paar Abschnitte übers „Umland“ (Rhein-, Sauer- und Münsterland, Niederlande) an. Ungerecht verkürztes Fazit: Viel Zeilenschinderei, doch leider keinerlei touristischer Service.

Zurück zum Fußball – mit zwei Bänden, die auch auf dem Gabentisch etwas hermachen:

„Wir Kinder der Bundesliga. 50 Jahre Fußball erster Klasse an Rhein und Ruhr“ (Klartext Verlag, 366 Seiten, 24,95 Euro) heißt ein geradezu lexikalisch üppiger Band im Albumformat, dessen Titel etwas in die Irre führt. Es geht halt (aus NRW-Perspektive) um Geschichte und Geschichten der vor 50 Jahren in Dortmund gegründeten Liga, deren Fährnisse viele von uns seit Kindesbeinen begleitet haben. Nicht nur BVB und Schalke werden ebenso liebevoll wie kritisch durch die Jahrzehnte begleitet, sondern eben auch die Bundesliga-Vereine von Bochum, Essen, Duisburg, Köln, Düsseldorf und Gladbach.

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Es ist ein abwechslungs- und einfallsreiches Buch geworden. Nicht nur wechseln munter die Darstellungsformen (z. B. mit etlichen eingestreuten Interviews, die manche Innenansicht zur Liga-Historie bieten), sondern man hat sich auch ersichtlich viel liebevolle Mühe mit Bildauswahl und Layout gegeben. Die Herausgeber Heiko Buschmann, Ulrich Homann und Ralf Piorr weiten den Blick an vielen Stellen deutlich übers Fußballerische hinaus, so dass viel vom jeweiligen Zeitgeist der Jahrzehnte seit den 1960ern einfließt. Prognose: Ein erfrischend aufspielendes Buch, das sich in der Spitzengruppe festsetzen kann.

Ganz neu liegt Frank Fligges Anfang November erschienenes Buch vor, gleichfalls im soliden Katalogformat mit festem Einband: „Jetzt muss ein Wunder her. Die 25 grössten Spiele im Fussballtempel des BVB“ (Klartext-Verlag, 176 Seiten, 19,95 Euro). Das etwas unschöne Doppel-S verdankt sich jeweils der Versalien-Schreibung auf dem Titel.

Ich liebe Transparenz, daher ein paar Vorbemerkungen: Frank Fligge ist der Bruder des BVB-Pressesprechers Sascha Fligge, was kein Schaden gewesen sein dürfte. So kommt man doch noch etwas geschmeidiger an Hintergrund-Infos heran – und auch an prominente Gastbeiträge fürs Buch, die von Lars Ricken, Sebastian Kehl, Michael Zorc, Jürgen Klopp und Kevin Großkreutz stammen. Es wäre fahrlässig gewesen, solche Kontakte nicht zu nutzen.

Zweitens sollte gesagt werden, dass ich Frank Fligge aus gemeinsamen Jahren bei der „Westfälischen Rundschau“ kenne. Freilich weiß er, dass ich keine Gefälligkeits-Rezensionen schreibe. Inzwischen arbeitet der ausgesprochen ehrgeizige Journalist in der Zentrale der Funke-Gruppe (vormals WAZ-Gruppe) im Qualitätsmanagement. Auch der Essener Klartext-Verlag gehört zur Funke-Gruppe. Womit denn alles wunderbar offen zutage läge…

Layout 1

Dass das Buch ordentlich geschrieben ist, hat man vom studierten Literaturwissenschaftler Frank Fligge nicht anders erwartet. Ein mehr als heimlicher „Hauptdarsteller“ ist hier das 1974 mit einem Match gegen den ewigen Rivalen Schalke eingeweihte Westfalenstadion, jener „Tempel“ also, der heute einen Sponsorennamen trägt, welcher bei den Fans nicht gerade beliebt ist. Genau dieser Sponsor zählt zu den Förderern des vorliegenden Buchs. Dreimal dürft ihr raten. Eine schon fast dialektische These des Buches lautet übrigens, dass nicht nur der BVB das Stadion groß gemacht habe, sondern das Stadion auch den BVB.

Auswahl und Sortierung haben mich zunächst etwas irritiert. Hier geht es zwar weit überwiegend um den BVB, doch zählen auch in Dortmund ausgetragene WM-Partien (1974, 2006) sowie ein veritables UEFA-Cup-Finale (Liverpool – Alaves, 2001) zu den legendären Partien. Nun ja, auch diese Begegnungen mögen den Genius Loci bereichert haben.

Doch das ist letztlich nur Beigabe zu den großen Partien von Borussia Dortmund, seien es Relegations-Dramen, Derbys, Entscheidungen um die Meisterschaft oder europäische Auftritte. Hier kann man sie noch einmal nachschmecken, wobei die wahre Essenz solcher Spiele rein verbal nur ganz schwer zu vermitteln ist. Im Grunde müsste solchen Büchern eine DVD mit den markantesten Szenen beiliegen. Doch die hat man ja zum großen Teil im Kopf, oder?

Fligge ist zwar eindeutig glühender BVB-Anhänger, gibt aber den Verstand nicht am Drehkreuz vor der Tribüne ab. Auch dunkle Stunden und zwischenzeitliche Fehlentwicklungen kommen vor, es ist also ein wohlwollendes, aber kein haltlos jubelndes Buch.

Wenn es schon ums Stadion geht, hätte ich mir übrigens noch ein etwas ausführlicheres Kapitel zur Baugeschichte gewünscht – und vereinzelt etwas originellere Fotos. Optisch überwiegt denn doch die Jubelarie. Aber bitte: Nach einer schmerzlichen Woche wie dieser (mit BVB-Niederlagen gegen Arsenal und Wolfsburg) kann man derlei Augen- und Seelentrost gebrauchen.




Supporting Fans – ein Stimmungsbild aus Dortmund

Schotten, Dänen und Schweden sind in der Stadt. Dudelsackspieler dominieren den Sound in der City. Wir sind in Dortmund. Es ist zwölf Uhr mittags. Das „Roadcorner“ ist aufgebaut und macht sich bereit für die mehr oder weniger trinkstarken Fans. Papiersammler säubern den Platz, machen ihn fotografiersauber für die internationalen Gäste.

Vor dem BVB-Fanshop stehen Verkäuferinnen in standesgemäßem Outfit und rauchen. Später werden sie dazu nicht mehr kommen, denn auch der auswärtige Fan will Souvenirs haben oder seine Zugehörigkeit demonstrieren. „Ich bin vom Stamm der Gelbschwarzen.“

Schotten sind da

Schotten sind da

Wir schreiben Mittwoch, den 6. November 2013. Heute findet das Rückspiel in der Champions League zwischen dem BVB und Arsenal London statt. Nicht einmal das Achtelfinale, nein, ein Vorrundenspiel.  Und hier ist nicht die Rede von den berüchtigten englischen Fans, den Hooligans mit den roten Köpfen und Bier statt Blut in den Adern. Nein, hier geht es um die „Supporters“.

Dänen hängen ein Banner vor ein Restaurant. „Arsenal Denmark“ steht da drauf. Die Dänen besetzen also ein Stück Deutschland. Welch ein Coup! Vor einer Kneipe wird ein nächstes Banner angebracht:  „Arsenal Scotland“. Aha! Schottische Fans in Kilts begleiten eine Londoner Truppe. Das ist so, als würd eine Gebirgsblaskapelle aus Bayern die Auswärtsspiele des BVB begleiten. Oder gibt es so was? Auf Schalke habe ich so was mal entdeckt, ist aber lange her. Das war eine Mädchengruppe aus Regensburg, die Olaf Thon so toll fand.

Hier blasen Schotten in den Dudelsack, dass die Reinoldikirche den Sound in ihren dicken Mauern speichern wird und man noch in Jahren, wenn man genau horcht, Dudelsacksounds hören wird. Es ist das lauteste Analog-Instrument der Welt. Wieder wird ein Banner an einer Markise angebracht. Hier heißt es „Costa del GOONERS“, was immer das sein mag. Auf jeden Fall gröhlen die Fans auf Englisch. Zwischen den Texten sieht man die Grafik einer Kanone. Das ist sicher sportlich gemeint. Gunners, aha!

StadtmusikErste Mannschaftswagen beziehen Stellung. Die Polizisten tragen grüne Kampfanzüge mit der Aufschrift „Polizei“. Ohne diesen Hinweis könnte man sie für die Armee irgendeines Schurkenstaates halten. Schulpflichtige Jugendliche tauchen auf. Sie tragen Plastiktüten. Wie lange darf man das noch? Schulranzen wäre konsequenter. Inzwischen – Gesänge an allen Ecken. Londoner wurden noch nicht gesichtet, auch keine äußerlich erkennbaren Borussen. Die Supporters sind die Vorhut. Warten wir ab, welche Reihenfolge nach dem Spiel stattfindet. Dänen, Schweden und Schotten feiern auf jeden Fall, denke ich. Thanks to German Beer.

(Fotos:Dman)




Schlapphüte und andere Trends: BVB-Spielerfrau Jana Kirch als neue Kolumnistin der Ruhrnachrichten

Der Dortmunder Lokalteil der Ruhrnachrichten (RN) hat jetzt eine neue Mitarbeiterin. Sie heißt Jana Kirch.

Ja, und?

Nun, Jana Kirch veröffentlicht seit gestern eine regelmäßige Kolumne mit dem herzigen Titel „Janas schöne Aussichten“. Darin – so die Ankündigung – werde sie ab sofort „von Mode, gemütlichen Cafés, ihren Lieblings-Hotels und von ihren persönlichen Erlebnissen rund um Borussia Dortmund“ berichten.

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Jana Kirch geb. Flötotto ist nicht irgendwer. Die Ehefrau des BVB-Ergänzungsspielers Oliver Kirch trägt vor allem als weit gereistes Model (New York, Paris etc.) und Boutique-Inhaberin (Bielefeld & Sylt) zum wahrscheinlich nicht allzu schmalen Familieneinkommen bei.

Nebenher betreibt „der schönste Neuzugang beim BVB“ („Bild“) auch noch ein Blog namens ohlalalovelylife, das so geschniegelt aussieht, als werde es von einer Agentur gezimmert. Der Titel dürfte jedenfalls auch für die RN-Kolumne richtungweisend sein. Zum Auftakt wird Jana Kirch vom lokalen Monopolisten auch folgerichtig so zitiert: „Ich möchte mich allen schönen Dingen widmen, die uns in der Alltagshektik manchmal unbemerkt zu entgleiten drohen.“

Genau. Bloß keine garstigen Sachen. Bei den Ruhrnachrichten ist somit künftig noch ein bisschen mehr Harmonie und Harmlosigkeit angesagt als ohnehin schon. „Trends ins Dortmund und der ganzen Welt“ will die neue Mitarbeiterin vorstellen. Zu Beginn empfiehlt sie schicke Outfits für die Sommerfestival-Saison: „Besonders große Schlapphüte à la Saint Laurent erleben dieses Jahr ein Revival.“ Gut, dass man das jetzt im Lokalteil erfährt. Sonst hätte man doch glatt wieder den stocksteifen Mini-Hut aus dem Vorjahr aufgesetzt.

Wir fragen jetzt nicht, durch welche Verquickungen, auf welchen Wegen und Umwegen ein solches Arrangement zustande kommt, warum also die Gattin eines BVB-Kickers partout eine Spalte des Lokalblatts füllen muss. Wir fragen auch nicht nach der Honorierung und danach, welchen Anteil womöglich die RN-Redaktion an den Texten hat. Erst recht wollen wir nicht wissen, was das liebliche Geplänkel im Lokalteil einer Tageszeitung zu suchen hat. Auch interessiert es uns nicht mal ansatzweise, ob die eine oder andere modische Empfehlung vielleicht auch in den Boutiquen von Frau Kirch käuflich zu erwerben ist. Oder etwa doch?




Endlich! Ein völlig objektiver Vorbericht zum Finale der Champions League

Hier nun ein paar völlig objektive, hochkulturelle Zeilen zum Spiel der Spiele: Nein, dieses Match lässt sich – um es mit einem legendären Lapsus aus Kickermund zu sagen – wirklich nicht mehr weiter „hochsterilisieren“.

Wenn am kommenden Samstag um 20.45 Uhr MEZ im Londoner Wembley-Stadion Borussia Dortmund und der FC Bayern München das Finale der Champions League austragen, dann fiebert natürlich alle Fußballwelt mit. In Dortmund herrscht allenthalben Ausnahmezustand. Um es vorsichtig zu formulieren. Wenn (sehr frei nach Peter Handke) das Wünschen bei der Kartenvergabe noch geholfen hätte, so würden Hunderttausende in Schwarzgelb nach London kommen.

Laube in einem Dortmunder Kleingartenverein, abgelichtet am 22. Mai 2013. (Foto: Bernd Berke)

Laube in einem Dortmunder Kleingartenverein, abgelichtet am 22. Mai 2013. (Foto: Bernd Berke)

Exaltierte Leitmedien wie „Spiegel online“ bringen seit vielen Tagen den immer mit neuen Gerüchten und Parolen gefütterten Countdown bis zum Anstoß. Jede halbgare Äußerung aus beiden Lagern, jede Blessur wird da im bebenden Tonfall vermeldet und breit ausgewalzt. Der Ausfall des verletzten Mario Götze wird vollends als Tragödie von shakespearschen Dimensionen dargestellt; wie denn überhaupt der bevorstehende Götze-Transfer von Dortmund nach München das Weltgebäude hat wanken lassen. Naja, wenigstens hat offenbar die eine oder andere Redaktion gewackelt. Schlimmer noch: Heute bemächtigt sich auch eine seltsam besetzte Talkshow des Themas.

Das Feld der Emotionen besetzt

BVB-Trainer Jürgen Klopp erklärt Borussia Dortmund gleich zum spannendsten Fußballprojekt der Welt und wirbt flammend um die Herzen aller echten Fans auf dem Globus. Der Wahlspruch des Vereins, „Echte Liebe“, besetzt – zwischen Leidenschaft und Marketing – das emotionale Feld, während der Widersacher aus dem Süden vorwiegend mit Geld, Geld und nochmals Geld assoziiert wird und darum vielfach gern „Buyern München“ genannt wird. Ja, ja, ja, auch in Dortmund werden ein paar Groschen umgesetzt – und doch besteht da ein Unterschied.

Glaubt man der wahnwitzig ausufernden Vorberichterstattung, so ist ganz Deutschland gespalten in Schwarzgelb und Rot. Es wäre interessant zu erfahren, wie die Sympathien international verteilt sind. Eins ist klar: Die meisten Polen halten schon mal zu Dortmund. Doch die frischgewagte, husarenhafte BVB-Spielweise unter Klopp hat überdies neue Anhänger auf dem ganzen Kontinent gewonnen. Die bloße Vorstellung, dass sie in Lokalen von Rio, Buenos Aires, Tokyo oder Peking ein Dortmunder Tor bejubeln, ist herzerwärmend.

Sich heraushalten? Geht kaum!

Wer sich übrigens aus all dem heraushalten will, verhülle am besten sein Haupt, lasse die Rollos herunter, schalte alle Geräte ab oder begebe sich gleich für eine Zeit ins Kloster. Doch wer weiß, was sie dort am Samstag machen?

Bei nüchterner Betrachtung der Fakten (doch wer wird denn da nüchtern bleiben?) gehen die Bayern als haushohe Favoriten ins Finale. Sie können wahrscheinlich ihre Bestbesetzung aufbieten, während bei Dortmund nicht nur Götze fehlt, sondern zwei Verteidiger, Mats Hummels und Lukasz Piszczek, angeschlagen sind. Auch haben die Bayern eine nahezu makellose Saison hingelegt, so dass man sich fragt, was der künftige Trainer Pep Guardiola dort eigentlich noch richten soll.

Aber warten wir’s ab. Es gibt – sehr frei nach William Shakespeare – Dinge zwischen beiden Strafräumen, die sich unsere Schulweisheit nicht träumen lässt.

Im Fall eines Bayern-Sieges würde man sich drunten etwas freuen und dann bald zur Tagesordnung übergehen. Es wäre sicherlich kein Vergleich zu dem, was in und um Dortmund los wäre, wenn…

Warten wir’s ab. Es gibt Dinge zwischen Auslinien, Pfosten und Eckfahnen, die sich unsere…

Aggression und Zurückhaltung

In München kassiert man Titel ein und hakt sie ab. Viele Anhänger sind schlichtweg saturiert. Das „Mia san mia“-Denken ist weit verbreitet, die entsprechende Denkungsart des (anderweitig „angeschlagenen“) Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß kommt einem fast schon gemütlich-folkloristisch vor, wenn man sie mit der unerbittlich aggressiven Stoßrichtung des Matthias Sammer vergleicht.

Demgegenüber wirkt die Zurückhaltung des Dortmunder Präsidenten Reinhard Rauball, des Geschäftsführers Hans-Joachim Watzke und des Sportdirektors Michael Zorc geradezu nobel. In der angeblichen Proletenstadt zeigt man inzwischen deutlich mehr Stil als an der Isar. Nur Jürgen Klopp darf schon mal gepflegt ausrasten. Jawohl, Kloppo darf das.

Ich gebe zu: Sollte Sammer am Samstag aus gutem Grund zornig mit den Zähnen knirschen, so würde mich das doppelt und dreifach er-götzen!




Ein Monat mit den Ruhrnachrichten

Vor einigen Wochen habe ich mich an dieser Stelle von meinem langjährigen Abo der „Westfälischen Rundschau“ verabschiedet, weil diese Geisterzeitung keine eigene Redaktion mehr hat. Im April, der sich nun dem Ende zuneigt, habe ich ein Monats-Probeabo der Ruhrnachrichten (RN) bezogen. Ich werde es nicht in einen regulären Bezug übergehen lassen. Und warum nicht?

Ohne ins Detail einzelner Beiträge gehen zu können, sei eine Begründung gewagt. Vorab noch dies: Es geht hier nicht um Kollegenschelte, sondern um (Auswirkungen von) Strukturen.

P1060109Der Dortmunder Lokalteil (der seit Anfang Februar auch in der „Rundschau“ zu finden ist) mag angehen. Sie versuchen, „nah am Leser“ zu sein, wie es so schön heißt. Freilich bekommt man jetzt über Wochen hinweg den Eindruck, dass dort die tägliche Anspannung nachgelassen hat. Die RN haben am Ort keine Tageszeitungs-Konkurrenz mehr, können also hin und wieder die Zügel schleifen lassen.

In dieser Stadt und ihrem Umland muss jetzt jeder, der öffentlich wirken will, sich – noch mehr als vordem – mit den Ruhr Nachrichten gut stellen. Im Gegenzug geht diese eher CDU-geneigte Zeitung aber auch meist nicht allzu kritisch mit jenen um, die das Sagen haben. Niemand, und hätte er noch so ein edles Anliegen, kann ihnen mehr so kommen: „Wenn Sie es nicht bringen, dann gehe ich eben zur Konkurrenz…“

Auch habe ich mir glaubhaft sagen lassen, dass einzelne RN-Redakteure nun auf ziemlich hohem Ross sitzen, was etwa den Umgang mit Veranstaltern angeht. In einer Quasi-Monopolstellung glauben manche wohl, dass sie es sich halt erlauben können.

Die eigentliche Schwäche der Ruhrnachrichten ist allerdings der (über)regionale Haupt- oder Mantelteil. Es gibt Tage, da stammen gefühlte oder auch gezählte 70 bis 80 Prozent der Nachrichten und Berichte von den Agenturen dpa oder AFP. Das heißt, sie werden eben nicht in Dortmund recherchiert und geschrieben, sondern hier nur aufbereitet und zusammengestellt, gelegentlich auch kommentiert. So wirft sich die offenbar unterbesetzte Mantelredaktion nicht gerade häufig mit eigenen Schwerpunkten und Akzenten in die Bresche. Eine Ausnahme bildet die ansonsten allenfalls mittelprächtige Kulturseite. Hier wartet man überwiegend mit Eigenbeiträgen auf.

Nach dem Kraut- und Rüben-Prinzip

Die Verteilung im Blatt scheint – beginnend mit einer oft chaotisch layouteten Titelseite – vielfach dem Kraut-und-Rüben-Prinzip zu folgen. Man hat es versäumt, das Erscheinungsbild behutsam zu modernisieren und zu ordnen. Jetzt verspürt man wohl erst recht keinen Druck mehr, dies kostspielig nachzuholen.

P1060111Bei den Aufmachern auf der Titelseite ist die Redaktion zuweilen nicht allzu wählerisch. Tiefpunkt in den letzten Wochen war in der Ausgabe vom 9. April ein lieblos zusammengeschusterter, höchst redundanter Textaufmacher übers Wetter („Jetzt kommt der Frühling“), in dem gleich mehrfach zeilenschinderisch betont wurde, dass Regen der Preis für höhere Temperaturen sein werde. Zeitungen, die etwas auf sich halten, fangen ein solches Thema vorne lieber mit einem guten Bild auf und bringen einen etwaigen längeren Text im Inneren. Weiteres Beispiel ähnlichen Kalibers: Am 17. April wurden Rangeleien zwischen BVB-Fans um Tickets fürs Heimspiel gegen Madrid zum Aufmacher der ersten Seite.

„Da müssen wir durch – jeden Tag“

Die RN-Redaktion scheint gelegentlich froh zu sein, wenn sie meint, nicht mit Politik oder Wirtschaft „nach oben gehen“ zu müssen. Sie nutzt in diesem Sinne beinahe jede Chance. Politik ist ja auch garstig. Hauptsache, dass die im Schnitt herzlich harmlosen Glossen-Dreispalter am Fuß der Titelseite stehen und arglos milde Laune stiften. Just heute (30. April) steht da, sozusagen in eigener Sache, eine Glosse über die Flut oft bedeutungsloser Informationen, denen Journalisten ausgesetzt seien. Seufzer am Schluss: „Aber wir müssen da durch – jeden Tag“. Ach, die Kollegen tun einem leid.

Apropos BVB. Als Kennzeichen journalistischer Unabhängigkeit gilt es, sich nicht mit einer Sache gemein zu machen – ein Prinzip, gegen das in der Regionalpresse und speziell in Sportteilen häufig verstoßen wird. Die Ruhrnachrichten sind mächtig stolz darauf, als „Medienpartner“ des BVB zu firmieren und auf der Erfolgswelle des Vereins mitzuschwimmen. Ein Signal für die seit jeher enge Verbundenheit war es, dass der ehemalige RN-Sportredakteur Sascha Fligge 2012 als Pressesprecher zur Borussia gegangen ist. Schon sein Vorgänger Josef Schneck war von den Ruhr Nachrichten zum BVB gekommen. Da kann man von einer langjährigen Liaison sprechen.

Die Euphorie gänzlich verfehlt

Umso unverständlicher die RN-Titelseite vom 10. April – nach dem wahnwitzigen 3:2 gegen Málaga, das unbedingt in die Annalen des BVB eingeht. Die stocknüchterne Schlagzeile „3:2 – BVB im Halbfinale“ gibt auch nicht annähernd die euphorische Stimmungslage des Abends wieder – das müssen die Kollegen hinten im Sportteil besorgen („Wahnsinn in Schwarzgelb“). Erst einen Tag später sucht man das Versäumte auf Seite eins mühsam wettzumachen. Doch da passiert gleich der nächste Lapsus: Textaufmacher ist diesmal aus unerfindlichen Gründen die laue Vermutung, dass es eventuell „doch keinen zweiten verkaufsoffenen Adventssonntag geben“ werde. Wohlgemerkt, in der Augabe vom 11. April. Welch ein „Aufreger“…

Nach dem Anschlag beim Boston-Marathon bringt man es am 20. April fertig, das vermutlich nichtssagendste von allen verfügbaren Fotos auf die Titelseite zu stellen; noch dazu in einem unsinnigen Bildzuschnitt. Man vergleiche nur, was andere Zeitungen am selben Tag gebracht haben.

Natürlich gibt es auch gelungene Ausgaben, lesenswerte Texte, ansehnliche Bilder. Doch Tag für Tag finden sich lieblose Überschriften, die oft genug in die Irre führen und vom Text nicht gedeckt sind; Texte, die ihr Thema bei weitem nicht durchdringen und einen ratlos zurücklassen. Und immer mal wieder kommt es zu gravierenden Fehleinschätzungen. So fand sich zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Platzvergabe im NSU-Prozess auf der Titelseite nur eine dürre 11-Zeilen-Meldung.

Dauerhaftes Manko: Eine richtige Fernseh- oder gar Medienseite leisten sich die RN nicht, erst recht nicht mit rezensierenden Bestandteilen. Programmschema und Kurztipps müssen in aller Regel reichen.

Unerfahrene Mitarbeiter gesucht

Als sollte das Niveau noch gesenkt und die Blattproduktion nochmals verbilligt werden, suchten die Ruhrnachrichten am 17. April in einem treuherzigen Zweispalter des Dortmunder Lokalteils freie Mitarbeiter, die keine journalistische Erfahrung haben müssten.

Selbst wenn die WAZ jetzt weitere Stellen kürzt und auch ihren zentralen Essener Newsdesk verkleinert, wird sie doch im Vergleich mit den RN höchstwahrscheinlich immer noch den deutlich besseren Mantelteil vorweisen können. Ich sage das ganz nüchtern, ohne rasende Begeisterung.

Erst recht wird man wehmütig beim weiteren Blick zurück. Vor allem in jener Zeit, als es die „Westfälische Rundschau“ noch in voller Besetzung gab, hat die Konkurrenzlage auch in und um Dortmund das Geschäft belebt. Die WR-Redaktion hat stets einigen Ehrgeiz daran gesetzt, die Ruhr Nachrichten zu übertrumpfen – vielfach mit Erfolg. Mir scheint, dass auch die RN damals besser gewesen sind. Eine vergleichbare Ambition ist den Ruhrnachrichten heute nur noch selten anzumerken.

Andreas Rossmann schrieb denn auch am 28. Januar 2013 im Feuilleton der FAZ: „Die Schließung der Redaktion trifft Dortmund hart. Denn die WR war lange die bessere und, trotz SPD-Nähe und -Beteiligung, gegenüber der von Sozialdemokraten beherrschten Stadtverwaltung kritischere und engagiertere Zeitung.“

Triumph am regionalen Markt

Es ist doppelt betrüblich, dass in Dortmund, Lünen und Schwerte eine Zeitung wie die RN den Marktsieg davonträgt und gleichsam „triumphiert“. Man muss verlegerisch schon ziemlich ungeschickt operieren, um mit einem insgesamt besseren Produkt so zu scheitern.

Seit jeher haben die Ruhrnachrichten in Dortmund eine ungleich höhere Präsenz. Sie liegen in allen nennenswerten Geschäften aus, hatten stets mehr Familienanzeigen und Werbeprospekte als die Mitbewerber. Nur leicht übertrieben gesagt: Die RN scheinen zudem großen Wert darauf zu legen, dass in einem regelmäßigen Turnus alle Dortmunder auf Fotos im Blatt auftauchen. Leider wiegen solche scheinbar läppischen Äußerlichkeiten ziemlich schwer. Es geht nicht immer nur um hehren Journalismus.

Genug. Das war’s. Mit diesem Beitrag. Und mit dem RN-Abo. Und bitte, lieber RN-Verleger Lambert Lensing-Wolff, für dieses bescheidene kleine Consulting berechne ich nur den branchenüblichen Satz.




„Unaufgeregteste Großstadt“ der Republik oder etwa doch ein Provinznest?

Abseits des Fußballs gibt es immer wieder Anlässe, sich über Verhältnisse in Dortmund aufzuregen.

Stichwort neonazistische Umtriebe. Stichwort Verwahrlosung und Laden-Leerstände bis in die Innenstadt hinein. Stichwort desolate Zustände in Teilen der Nordstadt. Ach, ich werde des Aufzählens müde.

Da können Lokalpolitiker und harmoniegeneigte Lokalpresse (also praktisch nur noch die Ruhr Nachrichten) noch so jubeln oder beschwichtigen: Diese finanziell gebeutelte Kommune droht in vielen Bereichen dauerhaft auf den absteigenden Ast zu geraten.

Abriss des ehemaligen Gymnasiums an der Dortmunder Lindemannstraße (Foto: Bernd Berke)

Abriss des ehemaligen Gymnasiums an der Dortmunder Lindemannstraße (Foto: Bernd Berke)

Nicht nur Lokalpatrioten widerstrebt überdies jedes Ranking, bei dem Dortmund schlecht abschneidet – und das kommt oft genug vor, sei’s bei Statistiken aus dem Bildungsbereich, bei Einkommenstabellen oder Arbeitslosenzahlen.

Ein neueres Beispiel einer solchen Liste kommt von der Job- und Karriere-Plattform „Xing“, die unter ihren Mitgliedern eine (freilich alles andere als repräsentative) Umfrage veranstaltet hat.

Gerade mal 845 Nutzer haben daran teilgenommen. Piepegal. Daraus lassen sich trotzdem knackige Ergebnisse filtern und dann kraftvoll ausposaunen. Man nehme also die zwölf einwohnerstärksten Städte Deutschlands und frage, in welchem Ort der Xingler (oder Xingling, Xingle?) gern bzw. ungern arbeiten würde. Und welche Weltsensation kommt heraus? In Front liegt Hamburg (hier wollen 42% gern arbeiten) vor München, Berlin, Köln und Stuttgart; am schäbigen Ende rangiert Essen (48 Prozent winken ab) vor Dortmund, Leipzig, Dresden und Frankfurt. Na klar. Immer mal wieder feste druff auf Ruhris und Ossis.

Zuweilen glaubt man allerdings tatsächlich, dass Dortmund mit seinen rund 580 000 Einwohnern Züge eines Provinznestes hat. Wollte man’s positiv wenden, so kramte man die gute alte Formulierung aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ hervor: Dortmund sei die „unaufgeregteste Großstadt der Republik“, hieß es dort mal vor Jahr und Tag. Der Satz gilt, mit einer Prise Ironie gesprochen, heute noch.

Und wo hätte ich nun neuerdings Kennzeichen der Provinzialität entdeckt? Dazu zwei vermeintlich unscheinbare, doch kennzeichnende Beispiele.

Beispiel 1: In der ganzen großen Stadt findet sich freitags kein einziger Briefkasten, der noch nach 19 Uhr geleert würde – auch nicht an der Hauptpost. Man muss statt dessen in sehr entlegene Ecken von Hagen oder Essen (exotischer Ortsteil Vogelheim) fahren, um dann noch dringliche Post loszuwerden. Eine Angelegenheit der Deutschen Post, gewiss. Und nicht ganz so ärgerlich wie der schlampige Umgang der Deutschen Bahn mit dem Dortmunder Hauptbahnhof. Aber immerhin.

Briefkasten mit freitäglicher Abendleerung - weit draußen in Hagen. (Foto: Bernd Berke)

Briefkasten mit freitäglicher Spätabendleerung – weit draußen in Hagen. (Foto: Bernd Berke)

Beispiel 2: Am allzeit defizitären Dortmunder Flughafen, der vor allem Billigflieger-Verbindungen nach Osteuropa offeriert, sich als internationaler Airport versteht und derzeit versucht, das Nachtflugverbot aufzuweichen, leistet man sich einen geradezu lächerlichen Service-Mangel. Auf der Besucherterrasse, die viele Menschen mit ihren Kindern aufsuchen, ist kein einziges Kindergericht erhältlich. Ja, die Betreiber sehen sich nicht einmal in der Lage, einfach mal kleinere Portionen für kleinere Leute zu servieren. Das ist eine ähnliche Negativwerbung wie hie und da im Westfalenpark, wo an bestimmten Punkten oft die geringsten Bedienungsstandards missachtet werden. Genau dort, wo die meisten Gäste von außerhalb auftauchen, zeigt man sich besonders unwillig.

Wenn wir schon mal beim Querulieren sind, sei nun auch noch dies angemerkt: Dortmund ist nicht grade reich an historischem Baubestand. Da wiegt es schon doppelt schwer, dass jetzt an der Lindemannstraße das einstige Königliche Gymnasium (später Kaserne, Staatliches Gymnasium, Lehrerseminar) aus dem Jahr 1907 kurzerhand abgerissen wurde, um einem ein ziemlich gesichtslosen Wohn- und Geschäftshaus mit dem superschicken Namen „Four Windows“ Platz zu machen. Die lokal leider konkurrenzlosen Ruhr Nachrichten vermelden den baulichen Verlust ohne kritischen Unterton. Man wird doch keine Investoren verschrecken wollen…

Ja, ich gebe zu, dass ich mich mit dem Bauwerk auch persönlich verbunden fühle. Ich bin in der parallel laufenden Arneckestraße aufgewachsen. Der Balkonblick über den begrünten Hinterhof fiel auf den mächtigen Giebel und den klassisch gegliederten Baukörper des damaligen Gymnasiums. Damit verschwindet also auch wieder ein Stück der Kindheit. Als ich jetzt dort Fotos vom Abriss gemacht habe, kam gleich jemand auf mich zu und sagte: „Das da tut mir in der Seele weh. Hier bin ich zur Schule gegangen.“ Worauf ein längeres, recht einvernehmliches Gespräch über Dortmunder Defizite folgte.

Unabhängig davon frage ich mich, ob die Denkmalschützer hier nichts Erhaltenswertes gesehen haben und warum ausgerechnet die Bewohner des umliegenden, linksliberal und grün-alternativ geprägten Kreuzviertels (mit Abstrichen: Dortmunds „Prenzlauer Berg“) in dieser Angelegenheit still und stumm geblieben sind.

Warum wohl trifft es viele so hart, wenn einer wie Mario Götze den Lockungen aus München folgt? Weil es hier manchmal doch etwas trist wäre, wenn wir den Fußball und den jetzt so grandiosen BVB nicht hätten! Na gut: Und noch ein paar andere herrliche Sachen.




Hoeneß, Götze und der ganze Mist

Die Nachricht kam überfallartig: Wie zuerst die „Bild“-Zeitung berichtete, wechselt Mario Götze am 1. Juli 2013 für 37 Mio. Euro von Borussia Dortmund zum FC Bayern München. Inzwischen hat der BVB den Bayern-Coup bestätigt.

Bereits als Neunjähriger hat der gebürtige Allgäuer und womöglich begabteste deutsche Fußballer beim BVB gespielt, vorher hat er in Dortmund-Hombruch gekickt. Er galt also längst (ebenso wie die in Dortmund geborenen Marco Reus und Kevin Großkreutz) als einer der „Dortmunder Jungs“, als familienverbunden und „bodenständig“; als einer, der wegen ein paar Millionen nicht gleich abhebt. Auch hat Götze in Interviews immer gern das Hohelied auf Dortmund gesungen.

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Nun müssen wir dieses idyllische, sicherlich sehr naive Bild schleunigst revidieren. Es ist natürlich wieder nichts mit den hehren Sprüchlein à la „Elf Freunde müsst ihr sein“! Zwar hatte Götze seinen Vertrag beim BVB bis 2016 verlängert, doch gab es offenbar eine Ausstiegsklausel, derzufolge er den Verein für just 37 Mio. Euro vorzeitig verlassen darf. So weit ist formal alles in Ordnung.

Aber irgendwann muss mir mal einer schlüssig erklären, wieso jemand, der bereits viele Millionen anhäuft, partout noch mehr Millionen scheffeln will – und das trotz sportlicher Perspektiven, die eventuell gar nicht schlechter sind als in München.

Wer hat der „Bild“ den Tipp gegeben?

Dass diese Transfer-Geschichte ausgerechnet mit teuflischer Pünktlichkeit zum Halbfinale der Champions League öffentlich lanciert wird, dürfte erhebliche Unruhe im Dortmunder Team stiften. Der FC Bayern hatte seit jeher ein Interesse daran, die Bundesligakonkurrenz zu schwächen, nicht nur durch Wegkauf der wichtigsten Spieler. Da hegt man denn doch den Verdacht, der diskrete Tipp an das Boulevardblatt könnte aus den Kreisen der obersten Bayern-Etage gekommen sein. Dort haben sie ja auch indirekt mit der Steueraffäre Hoeneß zu tun, von der sie liebend gern ablenken möchten.

Und jetzt mal ganz wild spekuliert: Könnte dieser heiße Tipp an die „Bild“ gar mehr oder weniger stillschweigend mit der Erwartung verknüpft sein, dass dort wohlwollender oder zumindest weniger zupackend über den Steuerfall Hoeneß berichtet wird? Es gab ja schon immer Leute, die gehofft haben, mit der „Bild“ (wieder) den Fahrstuhl nach oben zu besteigen.

Doch halt! Das sind pure Phantasiespiele. Mag sein, dass sich alles ganz anders verhält. Die offizielle Münchner Lesart schaut so aus (Zitat aus „Spiegel online“): „Aus Rücksicht auf das anstehende Spiel des BVB wollten die Bayern den Wechsel ‚erst nach dieser Begegnung gegenüber dem BVB anzeigen’, heißt es in einer Presseerklärung der Münchner.“

Wie überaus rücksichtsvoll.

Geschwafel über „spanische Verhältnisse“

Dass Bayern-Präsident Uli Hoeneß kürzlich über „spanische Verhältnisse“ in der Bundesliga gebarmt hat (will sagen: nur zwei dominierende Vereine, nämlich Bayern und BVB, alle anderen hinken nach) und angeblich großmütig gegensteuern wollte, erweist sich jetzt als Geschwafel, als heiße Luft – wie so vieles, was Hoeneß im Laufe der Jahre von sich gegeben hat. Nun ahnt man auch, warum BVB-Trainer Jürgen Klopp im Gegenzug von „schottischen Verhältnissen“ geredet hat (will sagen: nur ein dominierender Verein, nämlich Bayern). Da muss Klopp schon etwas vom Götze-Deal gewusst haben.

Wie immer das fiskalische Verfahren um Uli Hoeneß ausgehen mag, so steht für mich doch eins fest: Bis gestern war ich in der rein sportlichen Frage noch schwankend bis neutral, doch jetzt drücke ich (und gewiss nicht nur ich) heute Abend und am nächsten Mittwoch dem FC Barcelona bei den Halbfinalspielen gegen die Bayern fest die Daumen. Señor Messi, walte Er seines Amtes und netze Er mit seinen Compañeros tüchtig ein!

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Abendlicher Nachtrag: Zur Zeit führt im Nachrichten-Rennen wieder Uli Hoeneß. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, ist Hoeneß bereits am 20. März festgenommen worden. Doch der Haftbefehl sei seinerzeit gegen Zahlung einer Kaution (5 Millionen Euro) außer Vollzug gesetzt worden. Der Vorgang sei aber vielleicht ein Hinweis darauf, dass Hoeneß‘ Selbstanzeige vom Januar möglicherweise nicht strafbefreiend wirke.

Spätabendlicher Nachtrag: Wenn ich schon mal die Daumen drücke! 4:0 für Bayern. Gewiss, nicht alle Tore waren regulär. Aber den Barça-Leuten muss jemand ein Schlafmittel in den Tee getan haben.

Zeitloser Nachtrag: sport1.de am 4. Januar 2012: „FC Bayern-Präsident Uli Hoeneß lehnt eine horrende Ablösesumme bei einem möglichen Transfer für Dortmunds Nationalspieler Mario Götze ab. „40 Millionen Euro oder mehr – das würden wir nie machen“, sagte Hoeneß der „Sport-Bild“ (…) Ohnehin glaubt Hoeneß nicht an einen bevorstehenden Götze-Transfer: „Wo sollte er denn bei uns im Moment spielen?““




Das Wunder von Dortmund

So etwas hat es schon ganz lange nicht mehr gegeben. Zu Beginn der Nachspielzeit down and out. Und dann…

Nach einem 0:1- und einem 1:2-Rückstand (Letzterer noch kurz vor Ende der Partie) hat Borussia Dortmund gegen Málaga tatsächlich noch das Halbfinale der Champions League erreicht. Man mag es immer noch kaum glauben. Es kommt einem wie höhere Fügung vor. Wäre es den Bayern passiert, würde man es „Dusel“ nennen. Aber so… ist es eben das Wunder von Dortmund.

Meistervogel

Es dürfte einer der allergrößten Momente in der langen Geschichte des Ruhrgebiets-Fußballs sein. Man kann da an so viele Augenblicke zurückdenken.

Wenn man als kleiner Junge schon im alten Dortmunder Stadion Rote Erde gestanden und mitgezittert hat, wenn man das Heutige mit all dem Vergangenen (und doch Bleibenden) überblendet, so überkommen einen vielleicht einige Tränen der Rührung. Da zieht sich ein gewisses Etwas durch die vielen Jahrzehnte, das einen ergreift. Nennt es, wie ihr wollt. Wir reden ein andermal darüber. Dann, wenn wir zur Analyse wieder fähig sind.

Jaja, es gibt Wichtigeres. Die Politik und all das. Doch wann haben wir zuletzt eine solche unmittelbare Freude auf politischem Felde verspürt? Das wäre mal etwas! Insofern birgt auch und gerade der Fußball – in ganz großen, ganz seltenen Momenten – einen ästhetischen Vorschein der Utopie, um mit Ernst Bloch zu reden.

Verzeiht das Gestammel. Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Und doch will es jetzt schon gesagt sein.

P.S.: Das Bild zeigt natürlich den schwarzgelben Wundervogel. Was sonst?




Zum Auftakt der 50. Bundesliga-Saison: BVB – der Meister legendärer Fußballereignisse

Ich hatte einen Traum. Er spulte sich in der vergangenen Nacht ebenso plastisch wie mein Hoffen weckend vor meinem inneren Auge ab. Und dann fiel es mir wie Schuppen aus Augen und Haaren: Der Ballspielverein Borussia Dortmund ist der ultimativ wertvollste Club Deutschlands, wenn es um historische Wegmale in der Nachkriegsgeschichte der Kicker unseres Landes geht.

Es war der BVB, der letztmalig Deutscher Meister nach der überlieferten Methode wurde, bevor die Bundesliga ins professionelle Leben gerufen wurde. 3:1 schlug er den 1. FC Köln in Stuttgart, und ich sehe es noch wie heute, wie der Kölner Keeper Fritz Ewert schier hilflos hinter dem Ball her hechtete, den ihm „Zange“ Wosab, „Aki“ Schmidt und – ja – „Hoppy“ Kurrat um die Ohren schossen.

Vor 50 Jahren, als die Bundesliga ins Leben tapste, war es der BVB, der gegen Werder Bremen spielte und nach nicht einmal einer Minute durch den unvergesslichen Timo Konietzka das erste Tor dieser taufrischen Liga erzielte.

Es war der BVB, der 1966 in Glasgow als erste deutsche Mannschaft überhaupt einen europäischen Wettbewerb gewann und den FC Liverpool nach Verlängerung mit 2:1 besiegte. Reinhold Wosab erzählte mir gern die Geschichte, wie „Stan“ Libuda nach dem Siegtor, von seinen Mitspielern fast erstickt, japste: „Gott sei Dank, was hätte ich nur meiner Frau gesagt!“ Er und andere waren in der Nacht von Trainer „Fischken“ Multhaup beim Kartenspiel erwischt worden und der unerbittliche Chef hatte mit hohen Geldstrafen gedroht, falls am Spieltag das Match verloren ginge.

Auch war es der BVB, der als erster deutscher Verein den Weltpokal aus Japan nach Dortmund holte, nachdem die Borussen 1997 als erste deutsche Mannschaft die Champions League gewonnen hatten. Vorher hieß das volksmundig Landesmeister-Pokal.

Jubel im Westfalenstadion, anno 2012. (Foto: Bernd Berke)

Jubel im Westfalenstadion, anno 2012. (Foto: Bernd Berke)

Vergangene Saison fuhr dieser BVB mit 81 Punkten wieder ein Rekordergebnis ein und nahm den netten Bayern auch diese Last ab, in der ewigen Punkteliste der Deutschen Meister vorn zu liegen.
Und da fällt mir, passend zu meinem Schlussakkord, noch eine – wahrscheinlich nie mehr erreichbare Einzigartigkeit ein: 1956/57 und 1957/58 bejubelten die Borussen zweimal hintereinander den Gewinn der Meisterschale – mit exakt der identischen Mannschaftsaufstellung: Kwiatkowski, Burgsmüller, Sandmann, Schlebrowski, Michallek, Bracht, Peters, Preißler, Kelbassa, Niepieklo, Kapitulski. Unnas Bürgermeister Werner Kolter überrascht fußballbegeisterte Gesprächspartner gern damit, dass er die Aufstellung rückwärts vom Sturm bis zum Torhüter aufsagen kann und zeigt sich damit stolz als Muttermilchfan seiner Mannschaft.

Heute beginnt mit der Partie Borussia Dortmund – Werder Bremen die 50. Bundesligasaison. Eine historische Zahl, die den BVB wieder zu ebenso historischen Taten ermuntern möge: Eine Meisterschaft in der Jubiläumssaison, die dritte Meisterschaft in Folge, was noch nie gelang.

Ziemlich blöde lächelnd gelangte ich wieder unter die Wachenden und machte mir postwendend Mut: Das ist schwarz-gelbe Fan-Kultur, das Unwahrscheinliche in die Nähe des wahrscheinlich Möglichen zu rücken.




Auch eine Glaubensfrage: Dortmund-Süd oder Lüdenscheid-Nord?

Immer ist von „Lüdenscheid-Nord“ die Rede, wenn Fußballanhänger aus Gelsenkirchen die verhasste Ballspielvereinigung Borussia vom Borsigplatz nicht beim echten Namen nennen wollen. Das, so meine ich, tut der Sauerland-Zentralstadt „Dortmund-Süd“ aber unrecht.

Lüdenscheid hat nämlich einiges zu bieten, wie ich kürzlich bei einem Besuch wieder bestätigt bekam. Sicher, die Architektur der Innenstadt wirkt zusammen gewürfelt, vor allem das klobige Rathaus kann man durchaus hässlich nennen, aber das Leben pulsiert, die Menschen scheinen ihre City zu mögen, und bei „Hulda am Markt“ fühlt man sich in alte Zeiten versetzt.

Lüdenscheids Rathaus. (Foto: hhp)

Und erst der Museumskomplex: Mit der Ida Gerhardi-Ausstellung gelang in den letzten Monaten ein großer Wurf, und sehr gern erinnere ich mich an den Besuch der historischen Schau „Preußens Aufbruch nach Westen“ vor vier Jahren. Etwas abseits der großen Zentren wie Köln, Düsseldorf oder Dortmund bedeutet Lüdenscheid dem Sauerland etwa das, was Münster dem Münsterland bietet.

Das ist natürlich auch übertrieben, denn schließlich ist Münster immer schon sich selbst genug gewesen, ein Zentrum der „Poahlbürger“ eben. Trotzdem: Es lebe die Provinz!




Zwischen Landtagswahl und Fußballfesten: Das Propaganda-Dilemma

Was würden die Menschen nur machen, wenn man ihnen die Rituale nehmen würde, wenn es keine Identifikationen gäbe mit dem Ort, wo man seine wertvolle Zeit verbringt und lebt? Was wäre die Welt ohne Massenbewegungen? Was wäre das Leben ohne Fußball und ohne Parlament? Wir brauchen Begeisterung und Bewunderung, Schimpf und Schande, Leid und Freude, besonders, wenn man ein Leben führt, das in einem Umfeld stattfindet, das nicht zu den paradiesischen gehört – im Ruhrgebiet. Derzeit befinden sich zum Beispiel in Dortmund die Plakate, Banner und sonstige weit sichtbare Werbung in einem engen Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit: Meisterfeier und Wahl zum nordrhein-westfälischen Parlament.

An der Wand des Hauses, in dem ich wohne, hängt ein Banner zum Ruhm des ehrenwerten Ballsportvereins Borussia Dortmund, dargebracht durch ansässige Firmen, die ihre Wärme zum hiesigen Verein demonstrieren wollen. Warum nicht? Auch der Liverpooler, der Manchester, der Römer, der Madrilene, sie alle identifizieren sich mit ihrem Heimatverein. Da sieht man Fußballbrötchen und Meisterwürste, kleine, gelbe Herzen und T-Shirts, die die Liebe aus dem Bauch bedecken.  Und dazwischen stehen und hängen die Wahlplakate und – je nach Zuneigung – frohlockt der Genosse und sein Wähler.

Die Parteien sind vom Wähler abhängig, sowie der Wähler letztendlich von den Parteien abhängig ist. Und wer abhängig ist, flucht gern und entzieht sich dem Gedanken, sich der Abhängigkeit zu entledigen. Immerhin kann man sich mehr oder weniger aussuchen, von wem man denn abhängig sein will. Das gilt auch für den Fußballer und seine Fans, die ja im Falle einer Meisterschaft kurzfristig zu einer großen Masse anschwellen. Da will jeder mal den Lewandowski oder den Hummels anhimmeln. „Unsere Jungs“, heißt es dann. Es gibt ganze Städte, ja, Regionen, die vom Fußball abhängig sind. Er ist das Aushängeschild und das Tor zur Welt. Das gilt mindestens für Dortmund und erst recht für Gelsenkirchen (dort gibt es den Verein Schalke 04). Wir lassen uns auf die Abhängigkeit ein, oft mangels Alternativen.

Wenn man jedoch ein griesgrämiger Zeitgenosse ist, dann wird der Fall schwierig, denn für ihn oder sie ist das Propaganda. Er fühlt sich überdeckt von all den gleichen Meinungen und Feierstimmungen, seien es die des ungeliebten Fußballvereins, oder die der ungeliebten Partei. Das geht zu weit. Man solle ihn in Frieden lassen mit diesen Massenverehrungen, erste recht wenn er, wie in einem angenommenen Fall, einer anderen Partei zuneigt als der, die gerade feiert, oder wenn die Mannschaft, zu der er neigt, eine andere ist, zum Beispiel die aus Gelsenkirchen. Aber bei einem Bierchen und mehr kann er darüber nachsinnen, wenn es denn mal anders kommt, wenn seine Partei und erst recht seine Mannschaft die Liebesbekundungen ganzer Regionen zu spüren bekommt. Dann ist er Teil des Ganzen und freut sich gnaden- und rücksichtslos nur über seine Freude. Da schlägt die monogame Identifikation durch, wie jetzt für alle anderen in dieser Stadt, wo an jenem Haus, in dem er wohnt, ein Banner mit Liebeserklärungen das Leben verklärt.




Seit 100 Jahren: „Biene Maja“ begleitet den BVB

Wie oft habe ich mitgesummt, wenn der „Biene Maja“-Titelsong durchs Stadion klang. Das war fröhlich und stimmte uns wie die Spieler auf optimistischen Tatendrang ein, Tore, Punkte, Tabellenplätze – natürlich vorn, ganz vorn. Heute Morgen entstieg ich dem Zug in Unna, Winni bestieg ihn schweren Koffers. Blind im Verständnis rief ich hinter ihm her: „Viel Spaß in Berlin!“ Es tönte aus dem Abteil zurück: „Ich bin Montag mit dem Pokal wieder da!“

Schwarz-Gelbe Ringelsocken, „Biene Maja“-Titelsong, grenzenlose Zuversicht und fröhliche Feste glücklicher Fans. Doch, was hat eigentlich diese Fernsehsummse mit dem BVB zu tun? Die Biene Maja wurde vor 100 Jahren geboren, nur etwas später als der BVB. Sie war in der Fantasie ihrer Leserinnen und Leser damals schon schwarz-gelb – der BVB lief anfangs noch in Blau auf.

PIlgerstätte (Foto: Bernd Berke)

PIlgerstätte (Foto: Bernd Berke)

Maja schaffte es beinahe aus dem Stand an die Spitze, der BVB brauchte ein wenig länger. Dafür war der BVB bereits ein Fernsehstar mit viel Auf und Ab, als das Bienchen die TV-Mattscheibe betrat und zu Karel Gotts Tenor eroberte.

Ein gewisser Waldemar Bonsels hatte vor einem Jahrhundert im eigenen Verlag den Kinderroman veröffentlicht, nannte ihn „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“. Nein er hieß nicht „… und ihr Freund Willi“, der kam erst viele Jahre später dazu, war eine Erfindung des ZDF-Redakteurs Josef Göhlen, der die Schwarmtierchen 1975 zu Fernsehstars machte. Herr Bonsels war gebürtiger Schleswig-Holsteiner, den es nach München zog und der als gelernter Kaufmann so etwas wie ein Bestseller-Autor seiner Zeit wurde. Dass sein größter Erfolg ein Kinderroman wurde, mag ihm nicht behagt haben, gut gelebt hat er dennoch davon, bis er 1952 starb und seine Maja fortfuhr, ganze Kindergenerationen zu begeistern.

Waldemar Bonsels, dessen heimelige Tiergeschichte selbst Soldaten vor Verdun fesselte, hatte allerdings den Makel, ein erklärter Antisemit zu sein. Er wurde ihn auch nie los, schmückte sich gar damit und textete in zuschlagenden deutschen Zeiten auch gern heroisches Versgedrechsel auf einen „Führer“.

Das konnte Majas Weltruhm indes nicht beschädigen, der Biene und ihrem Freund Willi, der inzwischen zum Urbestandteil der Geschichte gehört, flogen weiter die Herzen zu und immer neue Geschichten ins Drehbuch.

Und natürlich dieser Titelsong. Ich musste ihn mit anhören, wenn am Wochenende die unvermeidlichen Maja-Abenteuer über den Bildschirm flimmerten. Und ich durfte ihn mit anstimmen, wenn er unsere Schwarz-Gelbe Truppe beflügeln half. Und nun summe ich ihn am Samstag in einer Fernseh-bestückten Kneipe mit, dulde einen Marler neben mir und genehmige mir den grenzenlosen Optimismus, dass niemand den BVB daran hindern kann, den Pokal nach Dortmund zu holen.




Schwarzgelb getränkt

Vor Jahresfrist war hier schon die Rede davon, dass – als Grundzug im Leben – gleich hinter der Erfüllung ein kaum merklicher Anflug der Enttäuschung lauern mag. Damals war die siebte deutsche Fußballmeisterschaft von Borussia Dortmund der Anlass, diesmal ist es die achte, die ein paar Worte hervorruft. Wer hätte das vor drei oder vier Jahren für möglich gehalten?

Wenn man seine ersten Dortmunder Stadionbesuche noch als Kind in der „Roten Erde“ absolviert hat, freut man sich natürlich zutiefst. Doch manchmal hätte man es jetzt gern eine Spur verhaltener. Die Regionalzeitungen im Dortmunder Dunstkreis haben es übertrieben. Sie sind heute von vorne bis hinten schwarzgelb getränkt und komplett durchjubelt. Ein Overkill. Bereits jetzt laufen ziemlich viele Leute (und längst nicht nur Kinder) alltags in BVB-Farben durch die Stadt, als wär’s die normalste Kleidung. Von der Klitsche bis zum Konzern will jede Firma bekunden, dass auch sie mit den Borussen schwerstens sympathisiere. Eine Stadt dreht durch. Vorerst bis zum Pokalfinale am 12. Mai.

Nun warnen – von außerhalb – nicht wenige Journalisten vor den Gefahren der Übersättigung. Da wird geunkt, die Dortmunder Mannschaft sei künftig womöglich nicht mehr „hungrig“ und gierig genug, um einen weiteren Titel anzusteuern. Eine Formel, auf die man sich vielfach geeinigt hat, einer plappert sie dem anderen nach. Wir werden sehen. Wenigstens international muss der BVB ja noch einiges zurechtrücken.

Die Süddeutsche Zeitung aus München hält es (etwa aus schierer Missgunst?) allerdings nicht einmal für nötig, die Entscheidung um die Meisterschaft auf ihrer heutigen Titelseite auch nur zu erwähnen. Souverän ist das nicht. Das Thema bleibt allein dem Sportteil vorbehalten. Diese absurde Abstinenz hat das Blatt, das jüngst abermals die ganze graue Ruhrgebiets-Tristesse auf seiner Seite 3 lang und breit geschildert hat, sozusagen exklusiv. Vielleicht folgt ja noch der übliche Bericht, in dem bescheinigt wird, wie überaus nötig die geschundene Revierseele solche Erfolg im Fußball brauche.




Revierderby

Über das Derby an und für sich ist eigentlich alles gesagt. Die Formkurvenverläufe von Borussia Dortmund und Schalke 04 sind ebenso bekannt wie die jeweilige Verletztenliste. Alle Statistiken wurden abermals umgewälzt und liegen abrufbereit in den Datenspeichern. Mit teils absurdem Zahlenstoff füllen TV- und Hörfunkreporter dann wieder das Vakuum, wenn eine Palaver-Pause „drohen“ sollte. Ach, wie gut könnte man da auf manchen Wortschwall verzichten!

Auch die Prähistorie des Fußballklassikers im Revier ist wahrlich hinreichend aufgearbeitet worden. Heute finden sich, vorzugsweise in der regionalen Presse, mal wieder Rückblicke bis in die Vorkriegszeit, als Schalke dominierte. Seit den späten 40er Jahren hatte Dortmund meist mehr Erfolg. Doch wem sage ich das?

Zum Ritual gehört das ständige Kokettieren mit der alten Rivalität. In den Tagen vor dem Derby gibt es z. B. erfahrungsgemäß bei jeder hiesigen Pressekonferenz (wovon sie auch immer handle) eine neckische Anspielungen aufs Match, auch bei den meisten anderen Zusammenkünften ist dies eine Standardsituation. Selbst fußballfernste Geister geben sich auf solch augenzwinkernde Weise leutselig und volksnah. Man muss dann nur ganz arglos Worte wie „Gelb“ oder „Blau“ sagen – und schon wird wohlig wissend gefeixt.

Gelb vs. Blau - hier mit Fingerfarben (Bild: Bernd Berke)

Gelb vs. Blau - hier mit Fingerfarben (Bild: Bernd Berke)

Mal eben Schluss mit dem preiswerten Grinsen. Um das Selbstverständliche zu sagen: Gewalt zwischen beiden Fangruppen ist von Übel. Neuerdings trifft man ja feinsinnige Unterscheidungen etwa zwischen Hooligans und Ultras. Bitte, bitte, wenn es der soziologischen Wahrheitsfindung dient… Es ist allerdings gleichermaßen schmerzhaft; egal, von wem es was auf den Schädel gibt. Schon das Unwort „Zecken“, mit dem viele Schalker den BVB belegen, müsste gebannt werden. Klar doch: Beim Widerpart klingt auch nicht alles zivilisiert.

Freilich sollte man die traditionelle Gegnerschaft nicht weichspülen oder verwässern. „Der Bessere möge gewinnen“ ist der ewige Schnarchsatz für Schlafmützen. Natürlich sollen „unsere“ den Sieg davontragen. Wer denn sonst?!




Wenn Schalke mit Borussia singt: Franz Wittenbrinks Lieder-Revue „Männer“ in Gelsenkirchen – und bald in Dortmund

Von Bernd Berke

Gelsenkirchen/Dortmund. Zum Theater geht’s über die Autobahn A 42, Abfahrt Gelsenkirchen-Schalke. Für manchen Fan der Dortmunder Borussia ist dies fußballerisches „Feindesland“ und „verbotene Stadt“. Just die uralte Rivalität der Revierclubs prägt das musikalische Bühnenspektakel „Männer“.

Allerdings haben bei dieser Inszenierung (tribünentauglich gesprochen) die Schattenparker und Warmduscher das Sagen, denn es herrscht tendenziell Versöhnung zwischen Schwarzgelb und Blauweiß. Kleinere Rangeleien lösen sich rasch in Wohlgefallen auf. Es ist eben eine ausgewogene Produktion für zwei WM-Städte: Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier und das Dortmunder Schauspielhaus mögen es schiedlich-friedlich. Mit einem lauen 0:0 endet denn auch ein anfänglich geschildertes Bundesliga-Match.

In Gelsenkirchen hatte das 90minütige Sangesspiel jetzt Vorab-Premiere, teilweise noch unter Probenbedingungen. Bald wird das Ganze auch in Dortmund zu sehen sein, dann wohl hoffentlich etwas ausgefeilter. Vor allem Beleuchtung und Tontechnik wären noch zu justieren.

Notdürftig auf Revier-Verhältnisse umgemodelt

Vorlage ist einer jener Liederabende des Franz Wittenbrink, notdürftig auf Ruhrgebiets-Verhältnisse umgemodelt. Und was drängt sich da heftiger auf als das ewige Derby zwischen dem BVB und Schalke 04, das hier angereichert wird mit der alten „Romeo und Julia“- bzw. „West Side“-Story. Sprich: Liebe über die Grenze verfeindeter Clans hinweg, Borussen-Fan verguckt sich in Schalke-Mädel. Diese pikante Liaison bleibt freilich eher episodisch in all dem Sängerwettstreit, der da anhebt.

Tribüne als Bühne: Hie der Schalker Block mit fünf, dort die BVB-Ecke mit vier Fans. Im munteren Wechsel schmettern die Darsteller Schlachtgesänge, vor allem aber Evergreens: lauter Einblicke in hahnenstolze, doch oft auch waidwunde Männerseelen. Man hört Kracher von Westernhagen („Sexy“), Grönemeyer („Currywurst“, „Alkohol“), Maffay („Und es war Sommer“) oder Udo Jürgens („Mit 66 Jahren“) sowie Beatles-Songs („Yesterday“, „Let it be“).

„We Will Rock You“ mit Heintje-Text

Ausflüge in deutsche Schlager-Tradition („Ich brech‘ die Herzen der stolzesten Frau’n“) wechseln mit fetzigen Rock-Einlagen („Wild Thing“). Und dass der urzeitliche Stampf-Rhythmus des „Queen“-Klassikers „We Will Rock You“ mit Heintjes „Mama“-Text gefüllt werden kann, ist wirklich verblüffend. Auswahl, Abfolge und Arrangement sind der eigenschöpferische Anteil in Wittenbrink gut geölter Wiederaufbereitungs-Anlage.

Was ist das nun? Liederabend, Nummernrevue, Musical mit Karaoke-Charme? Von allem etwas. Jedenfalls macht es Spaß. Denn Regisseur Andreas Wrosch hat im gereiften Ensemble (Schwerpunkt bei „50 plus“) die richtigen Typen versammelt. Profis sorgen fürs musikalische Gerüst, und eigens gecastete Revier-Originale geben er Aufführung authentischen Anstrich.

Alle einigen sich auf Anti-Bayern-Song

Gerade dann, wenn sich nicht alles in glatter Perfektion erschöpft, kommt die geheime Wahrheit mancher Lieder zum Vorschein. So etwa bei Willibald Zumpe (64), früher Bergmann in Dortmund-Mengede, seinerzeit im Chor der Zeche Hansemann und jetzt auf der Bühne als BVB-Altrocker zugange.

Am Schluss haben sich die Fan-Blöcke auf zwei Nenner geeinigt. Erstens darauf: Wahre Liebe kann alle Vereins-Schranken überwinden. Und zweitens auf jene güldene Parole, die sich in bierseliger Gemeinsamkeit grölen lässt: „Wir werden nie zum FC Bayern München geh’n!“

Gelsenkirchen (Musiktheater) 22. April, 15., 29. Mai. 1., 3. Juni. Tel.: 0209/40 97 200 / Dortmund (Schauspiel) 25. April, 22., 30., 31. Mai, 7. Juni. Tel.: 0231/50 27 222.

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ZUR PERSON

Häufig nachgespielt

  • Franz Wittenbrink (Jahrgang 1948) war von 1993 bis 2000 musikalischer Leiter am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
  • Die von ihm thematisch zusammengestellten und arrangierten Lieder-Programme werden landauf landab nachgespielt, z. B. „Sekretärinnen“, „Mütter“, „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ und „Männer“ (1997 uraufgeführt).
  • Die Fassung von Gelsenkirchen/Dortmund wird musikalisch geleitet von Bill Murta und Jochen Hartmann-Hilter.