Der massenkompatible Krach der Republik: „Die Toten Hosen“ in Dortmund

Man soll seine Rituale ja pflegen. Zumal in der Weihnachtszeit. Wie es sich für eine anständige Familie gehört, geht man Weihnachten zusammen in ein Konzert. Gut, wenn die Herren Söhne so groß und mit vernünftigen musikalischen Vorlieben ausgestattet sind, so dass man den Ballast der Weihnachtsgans beim Krach der Republik mit den Toten Hosen (kurz DTH) wegschwitzen kann.

die toten Hosen in Dortmund, 27.12.12

Los ging es mit der bewährten Vorgruppe, den „Broilers“ aus Düsseldorf und der Frage Tanzt Du noch einmal mit mir? Das machen DTH-Fans mit dieser Band besonders gerne. Sie ließen sich mitnehmen auf dem harten Weg zurück zum Beton. Sänger Sammy Amara machte direkt klar: Nicht nur die Erwartungshaltung des Publikums an diesem Abend war eine hohe, sondern auch die der Künstler. Schließlich war das Konzert am 27.12.12 eins der Konzerte, die schon zwei Wochen vor dem offiziellen Vorverkauf über die Fanseite (aus)verkauft wurden, so dass davon ausgegangen wurde, dass sich an diesem Abend eine eingefleischte, langjährige Fangemeinde treffen würde. Der irrsinnige Erfolg des Gassenhauers An Tagen wie diesen – das Stück, welches es fast nicht aufs Album geschafft hätte – zog an anderen Abenden wohl reichlichst Leute an, die sich vorher und auch jetzt nicht ernsthaft mit dem Phänomen dieser Band beschäftigt hatten.

Die Toten Hosen haben ein unglaubliches Jahr hinter sich. Ihr Album Ballast der Republik stand wochenlang auf Platz 1 und auch im Jahreschart halten sie die Spitzenposition. Da kann man es nur mit Udo Lindenberg sagen „Hinterm Lebenswerk geht’s weiter„! 30 Jahre Tote Hosen und so erfolgreich, aber auch so massenkompatibel wie nie. Punk war nicht nur gestern, sondern schon vorgestern. Schon lange sind die Hosen mehr eine Rock- denn eine Punkband. Klarer, geradliniger Rock. Texte, die zum Nachdenken anregen.

Es ist schon länger zu beobachten, dass die Fangemeinde der Toten Hosen beständig wächst. Die alten, langjährigen Fans (so wie ich) halten der Band die Treue und erkennen erleichtert an, dass sie sich musikalisch weiter entwickelt und man auch die neuen Stücke sehr schnell mag. Die neuen Fans (so wie meine Söhne) finden gerade in den Texten Fragen wieder, die sie bewegen und manchmal sogar Antworten darauf. Was natürlich die Gefahr birgt, dass auch die Hosen-Konzerte, wenngleich schon seit sehr langem in großen Hallen, von der Wohnzimmertour mal abgesehen, massenkompatibler werden.

Nun, am Tag nach Weihnachten war alles, wie es immer ist, wenn die Toten Hosen um diese Jahreszeit ein Konzert geben. Wenn man davon absieht, dass es nach „You’ll never walk alone“ tatsächlich noch einen Zugabenblock gab. Auf nichts kann man sich mehr verlassen.

Dass die Akustik in der Westfalenhalle nicht die Beste ist, weiß man vorher. Dass die Toten Hosen nicht gerade die begnadetesten Musiker sind, weiß man auch. (Immerhin, das erspart einem wenigstens die Endlos-Soli, mit denen von ihrer eigenen Genialität hingerissene Musiker gerne auf anderen Konzerten nerven.) Darum geht es dem DTH-Fan nicht, ging es nie. Es ging immer um Gemeinschaft, um über die Jahre hinweg eingeübte Rituale wie das unvermeidliche Stage Diving des Frontmannes, um Ansagen und gemeinsam bekräftigte Aussagen wie „Nazis raus“. Weil sie eben Freunde sind, ein bißchen auch unsere.

Die Toten Hosen haben nach über 30 Jahren ein riesiges Repertoire und können bei der Songauswahl aus dem Vollen schöpfen. Setlist-Studien der anderen Konzerte nutzen nichts, jedes Konzert ist eine neue Wundertüte. Man weiß nie, was man auf die Ohren kriegt. Für mich hätten es diesmal noch gerne mehr Stücke aus dem neuen Album sein dürfen. Der Ballast der Republik ist neben den ausgekoppelten Singles ein absolut hörenswertes Album, welches sich wirklich mit dem beschäftigt, was dieses Land an Ballast mit sich rumschleppt.

Im Konzert ist das allerdings nicht so gefragt. Die Erwartungshaltung des Publikums ist klar eine andere, zumal um die Jahreszeit. Party will man feiern, Gassenhauer will man gröhlen. Enttäuscht wurde die Konzertgemeinde nicht. Campino und seine Mannen wissen, was ihr Publikum will und sie lassen sich nicht lumpen. Ein illusorisches Feuerwerk zu Tagen wie diesen, Alex, Wünsch Dir was, die Opel Gang. Das Bayern-Lied mit ironischer Ansage ist natürlich gerade in Dortmund der Brüller. Die Stimmung bis zum Schluss euphorisch, Pogen bis beinahe der Arzt kommt, aber durch besonnene Security und wohlgesetzte Breaks bleibt alles im Rahmen.

Westfalen 27.12.12, Campino mittendrin Die ruhigeren Stücke sind auf ein Minium reduziert. Dafür singt Campino draußen vor der Tür mittendrin in der Menge. So wird er bei diesem Lied, welches für ihn eine späte Aussöhnung mit seinem Vater ist, von der Menge nicht nur bildlich getragen.

Was natürlich kurz vor Jahresende bei einem Hosen Konzert auch nie fehlen darf: Auld lang syne in der rockigen Version. Sehr speziell, aber sehr beliebt bei den Fans.

Zwei Stücke vom Jubiläumsalbum „Die Geister, die wir riefen“ schafften es auch auf die große Bühne . Auf diesem Album coverten die Toten Hosen Stücke von musikalischen Weggefährten. Live gab es mit Heute hier, morgen dort den Tribute to Hannes Wader und den Schrei nach Liebe, angekündigt als ein Stück einer jungen aufstrebenden Berliner Band, verbunden mit der Bitte, dem Stück eine Chance zu geben. Unschwer zu erraten, wie die Antwort der Ärzte auf diese Ansage lauten dürfte.

In diesem Sinne: Irgendwann wird sie kommen. Die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft.




Schlachtrufe gegen den grauen Alltag – „Die Toten Hosen“ in der Dortmunder Westfalenhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Nebenan in der kleinen Halle 2 mühten sich die Grufties von „Black Sabbath“ um Hardrock-Stimmungsmache. Damit gab’s in der ausverkauften großen Arena gar keine Probleme. Denn dort spielten zeitgleich „Die Toten Hosen“. Wer neulich gedacht hatte, Herbert Grönemeyer habe das Dortmunder Publikum schon auf höchste Touren gebracht, der hatte nur die furiose Düsseldorfer Radau-Band noch nicht erlebt.

Die meisten „Hosen“-Titel haben kaum widerstehliche Refrains, so recht zum Mitgrölen. Ganz gleich, ob es um fröhliches Drauflosleben, Radikal-Klamauk oder um Warnungen vor Neonazis geht, es sind fast immer Schlachtruf-Gesänge, eingängige Mutmacher wie „Komm mit uns“ oder „Wir sind bereit“.

Die Bewegungen im Publikum gleichen denen in der Südkurve von Borussia Dortmund. Mit stoßweise gereckten Fäusten werden die lustvollen Remmidemmi-Hymnen begleitet. Noch ’ne Parallele zum BVB: Schon lange vor dem Konzert ist rund um die Halle alles mit Bierdosen und Flaschen übersät. Die hochgeistigen „Hosen“ feiern ja auch diverse Getränke – mit Gassenhauern wie „Eisgekühlter Bommerlunder“ und „Altbier“.

Wer Alben und Songs mit lockenden Titeln wie „Kauf mich!“, „Reich & Sexy“ oder „Wünsch DIR was“ versieht, zielt ins Herz der Leute, die mit Fernsehen und Werbung aufgewachsen sind. Unterlegt mit angepunktem Hardrock, ist das eine unschlagbare Mixtur fürs Massenvergnügen. Zumal, wenn das Ganze noch ein wenig parodierend aufgemischt wird. Besonders gut funktioniert das. wenn Klassiker wie „Azzuro“ oder „Guantanamera“ verrockt werden.

Allein schon die physische Leistung…

Wenn der Bühnenvorhang aufgeht, hängen einige Skelette überlebensgroß von der Decke herab. Dazu paßt eines der Highlights, die kleine Horrorshow von „Hier kommt Axel“. Sänger Campino & Co. starten ihren Dortmunder Auftritt aber gleich ganz steil mit „Wünsch DIR was“.

Allein die physische Leistung ist erstaunlich. Gegen neun Uhr geht’s (nach der Allerwelts-Vorgruppe „Jingo de Lunch“) los – und es dauert mit vielen Zugaben bis weit nach elf. Über die volle Distanz toben die „Toten Hosen“ herum wie Springteufel. Auch die Gitarrencrew (Breite Breitkopf, Kuddel) und Bassist Andi Meurer sausen ständig die Podeste rauf und runter. Gegen Schluß taucht die Band (bis auf Drummer Wölli Münchhausen) gar plötzlich auf einem der obersten Ränge auf, mitten im Publikum. Fast zwangsläufig bei derlei Bühnensport, daß die Leute zwischendurch zwei- bis dreimal ganz leicht aus dem rhythmischen Tritt kommen. Was soll’s.

Neben der parodistischen haben die „Toten Hosen“ auch eine pädagogische Ader. Nach dem Lied „Sascha…ein aufrechter Deutscher“ kommt aus dem Hallenrund der vielstimmige Ruf „Nazis ‚raus“. Campino prompt: „Das war die beste Stelle des Abends, und sie kam von euch“. Doch er verfügt auch über die nötige Frechheit, um sich über Konkurrenten wie Grönemeyer lustig zu machen. Jemand, bei dem das Publikum so mächtig mitgeht, darf sogar das.