Das Konzept ist die Kunst: Die Sammlung Fischer in Düsseldorf

Ach, Verklärung tut ja so gut! Einhellig schwärmen selbst konservative Bürger, Politiker und Lobbyisten für die späten 1960er-Jahre, als der leicht verkrachte Künstler Konrad Fischer in einem Torbogen an der Neubrückstr. 12, mitten in der Düsseldorfer Altstadt, diese winzige Avantgarde-Galerie aufmachte.

Mag sein, dass damals kaum einer hinguckte. Mag sein, dass spätere Kunst-Superstars wie Gerhard Richter und Bruce Nauman bei einer Vernissage mit dem Galeristen allein dastanden und resigniert ein Bier trinken gingen. Heute will jeder, der alt genug ist, dabei gewesen sein. Und die Jungen erschauern vor Ehrfurcht.

Die Kunstsammlung, neu gemischt: "25 Blocks and Stones" von Carl André aus der Sammlung Fischer vor Jackson Pollocks monumentalem Bild "Number 32" von 1950. (© Kunstsammlung NRW / Foto: Birgit Kölgen)

Die Kunstsammlung, neu gemischt: „25 Blocks and Stones“ von Carl André aus der Sammlung Fischer vor Jackson Pollocks monumentalem Bild „Number 32“ von 1950. (© Kunstsammlung NRW / Foto: Birgit Kölgen)

Wie eine Offenbarung wird die wilde Zeit gefeiert. Und wie ein Zeichen dieser Offenbarung leuchtet ein pinkfarbenes Neonröhren-Denkmal von Dan Flavin am Eingang der Ausstellung „Wolke & Kristall“ in der Kunstsammlung NRW. Auf 2000 Quadratmetern beschwören über 200 Werke der Sammlung Fischer die Öffnung der Kunst hin zum Konzept. Die Idee ist dabei wichtiger als das Werk selbst, dessen Bestandteile unter Umständen sogar austauschbar sein können.

Aus den einstigen Versuchen ist ein Schatz geworden

Nicht gerade ein populäres Feld, aber das Publikum der Landesgalerie sollte sich daran gewöhnen. Denn das renommierte Museum hat den größten Teil der Sammlung und des Archivs von Konrad Fischer (1939-1996) und seiner 2015 mit 78 Jahren verstorbenen Frau Dorothee erworben. Kaufpreis: eine diskret verschwiegene Summe im, wie es heißt, „niedrigen zweistelligen Millionenbereich“. 7,7 Millionen zahlte jedenfalls das Land, das übrige Geld wurde von Stiftungen und Sponsoren aufgebracht.

Marion Ackermann, die scheidende Direktorin, führte schon vor über sechs Jahren die ersten Gespräche mit Dorothee Fischer, schloss den Deal jetzt mit den Kindern Berta und Kasper Fischer ab und betont die „unglaublich faire Verabredung“. Lediglich die Hälfte des unteren Schätzwertes für die gesamte Sammlung musste gezahlt werden, die andere Hälfte ist ein Geschenk der Fischers an die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, die dadurch zum Museum auch der spröderen Moderne wird. In der von 1962 bis 1990 dauernden Ära des Gründungsdirektors Werner Schmalenbach wäre das nicht passiert. Er verachtete neue Trends, kaufte nur die abgesegneten Meisterwerke der klassischen Moderne und bescherte den Düsseldorfern einige der berühmtesten Bilder von Paul Klee, Max Ernst, Picasso oder Modigliani.

Das Format und das Feeling der Original-Galerie

Deren betörende Wirkung hat die Sammlung Fischer nicht. Aber sie öffnet den Blick für die Entwicklung der Kunst und der Gesellschaft in der zweiten, freieren Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es lohnt sich, genauer hinzusehen, zumal Kuratorin Anette Kruszynski für eine originelle Inszenierung sorgte. Etliche der 16 Ausstellungsräume haben das Format und damit das Feeling der Original-Galerie: drei mal elf Meter. Auf dieser bescheidenen Fläche legte der New Yorker Carl André zur Eröffnung im Herbst 1967 hundert gleich große, industriell gefertigte Stahlplatten aus. Das war die begehbare Bodenskulptur „5×20 Altstadt Rectangle“. So mancher lief über die Kunst und erkannte sie nicht. Derlei spitzbübische Effekte waren durchaus im Sinn des Galeristen, der selbst künstlerische Ambitionen hatte und sich als serieller Maler Konrad Lueg nannte.

Nach Carl Andrés Boden-Installation "Wolke und Kristall" wurde die Ausstellung benannt. Der Spruch an der Wand stammt von Lawrence Weiner. (© Kunstsammlung NRW / Foto: Birgit Kölgen)

Nach Carl Andrés Boden-Installation „Wolke und Kristall“ wurde die Ausstellung benannt. Der Spruch an der Wand stammt von Lawrence Weiner. (© Kunstsammlung NRW / Foto: Birgit Kölgen)

Aber sein wahres Lebenswerk war die Entwicklung der Galerie, die zunächst, in Ermangelung wirtschaftlicher Erfolge, vom Lehrerinnengehalt seiner Frau Dorothee finanziert wurde. Konsequent präsentierte Fischer, was vom bürgerlichen Publikum als Spinnerei abgetan wurde. „He made things possible“, er machte Dinge möglich, sagt der heute als Videokünstler weltbekannte Amerikaner Bruce Nauman, dessen Installation „Six Sound Problems for Konrad Fischer“ von 1968 man jetzt in der Kunstsammlung betrachten – und vor allem hören kann. Mit einem Tonband, aufgespannt zwischen einem Stuhl und einem authentischen Wiedergabegerät, wird da ein jaulendes Geräusch erzeugt, während sich eine leere Spule dreht.

Mit Fantasie, Konsequenz und Spürsinn

Sinnlos? Gewiss. Aber schon damals erzeugte Nauman durch penetrante Wiederholung eine Aufmerksamkeit, die ihn schließlich berühmt machte. Und er weckte das Empfinden für unsere eigenen verrückten Wiederholungen und Zwangshandlungen. Ganz anders ging der britische Land-Art-Neuling Richard Long zu Werke, als er die kleine Galerie Fischer mit Streifen aus fein beschnittenen Weidenstöckchen auslegte. Lothar Baumgarten fantasierte mit einer poetischen Diashow „Ein Reise mit der MS Remscheid auf dem Amazonas“. Von April bis Juli 1969 schickte der japanische Konzeptkünstler On Kawara täglich eine Postkarte aus New York mit der Mitteilung: „I got up“, ich bin aufgestanden. Die vergilbenden Karten werden zum zarten Hinweis auf die vergehende Zeit – wie sechs Telegramme, die On Kawara 1970 schickte: „I am still alive“, ich lebe noch. Man liest es – und spürt die Vergänglichkeit.

Langsam, aber sicher, erreichte Konrad Fischer die Beachtung der Zeitgenossen und konnte 1974 mit der Galerie in bis heute existierende Räume an der Platanenstraße ziehen. Auch die Sammlung wurde repräsentativer. Viele Stücke passen ausgezeichnet in den Zusammenhang des Museums – geradezu magisch wirkt das schwarze Tier („Black Animal“) das Mario Merz, der italienische Meister der Arte Povera, in den 1990er-Jahren aus Papier und Leuchtzahlen konstruierte. „25 Blocks & Stones“, 25 Betonklötze mit aufgelegten kleinen Natursteinen, die Carl André 1973 erstmalig arrangierte, liegen wie selbstverständlich unter einem monumentalen Werk des Abstrakten Expressionismus aus den 1950er-Jahren: Jackson Pollocks 1964 von Schmalenbach erworbenes Bild „Number 32“. Mit knarrenden grauen Dielen, einer verschlossenen Tür, einem verhangenen Fenster und einer rätselhaft gruseligen Atmosphäre öffnet sich unvermittelt der „Raum für einen Tag“, den Gregor Schneider erst 1999 für die Galerie Fischer konzipierte.

Da war Konrad Fischer schon nicht mehr auf der Welt. Sein Tod 1996 hatte die Künstler erschüttert und zu besonderen Werken inspiriert. Thomas Schütte malte zwölf berückend schöne „Blumen für Konrad“ und schuf einen Keramikkopf nach Zeichnungen, die am Totenbett des Freundes entstanden waren. Carl André, der Partner der ersten Stunde, konzipierte aus zwei mal 144 Bleiblöcken, die er auf dem Boden auslegte, ein stummes Requiem für den Galeristen: „Wolke & Kristall. Blei Leib Leid Lied“. Die dunklen Klötze, nach Andrés Plan im Raum verteilt und angeordnet, zeigen, wie eindringlich Konzeptkunst wirken kann. Sie fordert das Denken und die Empfindung heraus.

„Wolke & Kristall – Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer“: ab 24. September bis zum 8. Januar 2017 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K20, Düsseldorf, Grabbeplatz. Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr. Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Der Katalog kostet 48 Euro.
www.kunstsammlung.de

Extra:

„Ich habe große Dinge vor“

„Lieber Kasper König“, schrieb Konrad Fischer im Juli 1967, an seinen in New York arbeitenden Freund: „ich habe große Dinge vor … Ich mache eine Galerie auf.“ König sorgte für erste Kontakte, und im Herbst 1967 eröffnete Fischer mit einer Bodenskulptur des New Yorkers Carl André seine Mini-Galerie an der Neubrückstr. 12, gleich neben dem legendären Künstlerlokal Creamcheese.

Fischer, 1939 in Düsseldorf geboren, hatte selbst an der Kunstakademie studiert, mit den Kommilitonen Gerhard Richter und Sigmar Polke einige Experimente gemacht und sich unter dem Namen Konrad Lueg als Maler profiliert. Die Mission seines Lebens aber fand er mit der Galerie, die Konzeptkunst, Minimal Art und Arte Povera gesellschaftsfähig machte.

Nach dem Tod Fischers 1996 führte seine Witwe und Partnerin Dorothee Fischer die Galerie bis zu ihrem Tod 2015 weiter. Sie sorgte noch selbst für den Erwerb der Sammlung Fischer durch die Kunstsammlung NRW. Die Galerie Konrad Fischer wird inzwischen von seiner Tochter Berta geführt.




Die Kunst braucht eine Seele – Ausstellung über Auguste Rodin und seine Wirkung im Marler „Glaskasten“

Von Bernd Berke

Marl. Das ist Gruppen-Dynamik im ganz elementaren Sinn: Umrundet man Auguste Rodins berühmte Skulptur „Die Bürger von Calais“ (1895), so ergeben sich immer wieder völlig neue, stets aber ausdrucksstarke Ansichten dieser sechs verzweifelten Menschen, die anno 1347 die Schlüssel der Stadt Calais an die englischen Belagerer abgeben mußten.

Von der einen Seite aus sieht man zum Beispiel ein veritables Gebirge von Körperteilen, von einer anderen – höchst filigran – das Spiel einzelner Muskeln.

Das grandiose Jahrhundert-Denkmal hat zahllose Bildhauer beeinflußt und ist jetzt erstmals in Deutschland zu sehen. Im Marler Skulpturenmuseum „Glaskasten“ wird einer von vier tonnenschweren Abgüssen gezeigt, die zu Rodins Lebzeiten entstanden sind. Auch weitere Schlüsselwerke des Franzosen gehören zur teuren Schau, die sich erst ab 50000 Besuchern rentiert. Falls das Ziel nicht erreicht wird, steht der Dortmunder Energiekonzern VEW mit einer sechsstelligen Ausfallbürgschaft für Verluste gerade.

Bis hin zu Bodenplatten und einer versenkten Säule

Konzept der Ausstellung: Rund 60 Skulpturen anderer Künstler (u. a. Lehmbruck, Hoetger, Kollwitz, Giacometti, Hrdlicka) lassen die Kraft- und Wirkungslinien hervortreten, die von Rodins Oeuvre bis in die Gegenwart reichen. Am Schluß des Rundgangs wird deutlich, wie die Skulpturen tendenziell Volumen verlieren und sich schließlich in die flache Ebene ducken. Carl Andre legt nur  noch Bodenplatten aus, Jochen Gerz versenkt gar eine Säule auf Nimmerwiedersehen in einer Erdöffnung. Damit ist wahrlich einNullpunkt erreicht.

Doch zurück zum Ursprung der Moderne und zum Zentrum der Ausstellung: Rodin, der zweimal von der Pariser Akademie abgelehnt wurde und sich daraufhin zugute hielt, dort nie „verbildet“ worden zu sein, durchbrach die herrschende Tradition seelenloser klassizistischer Glätte. Er beseelte das Material. Die Büste „Mann mit gebrochener Nase“, für die ein Stadtstreicher Modell saß, steht bereits für die Auflösung idealer und intakter Körperlichkeit. Figuren wie „Johannes der Täufer“ oder „Adam“ versetzte Rodin in derart expressive Bewegungen, daß die Zeitgenossen geradezu davor erschraken.

Das erste demokratische Denkmal

Auf die Spitze getrieben hat Rodin das dynamische Prinzip im vielfältigen Zusammen- und Widerspiel jener „Bürger von Calais“, die zugleich als erstes demokratisches Denkmal gelten. Denn sie erheben sich nicht mehr auf einem Ehrfurcht gebietenden Sockel. Der Betrachter, Bürger wie die Dargestellten, soll die Plastik „von gleich zu gleich“ anschauen.

Rodin verfuhr zwar konsequenter als andere, aber er war nicht etwa der radikalste Neuerer seiner Ära. Medardo Rosso („Konversation im Garten“, um 1896) löst die redenden Gestalten bereits fast zur Unkenntlichkeit auf. Die Skulptur wird zur zerklüfteten Landschaft, auf der sich das Licht impressionistisch brechen und streuen kann. Für die damalige Zeit eine unerhört abstrakte Schöpfung.

Der Rundgang führt an etlichen Kleinoden vorbei. Vom sonst nur als Maler bekannten Edgar Degas sieht man (posthum gegossene) Tänzerinnen-Figuren, von Henri Matisse zwei weibliche Akte. Die Leiber sind so geformt, als wären sie im Nu aus einem einzigen Block hervorgegangen.

Ganz anders das Verfahren von Auguste Rodin: Der hat vor den „Bürgern von Calais“ einzelne Kopf- oder Handstellungen erprobt, die er hernach In die Gruppe „einbaute“. Zudem hat er die Figuren erst nackt modelliert, bevor er sich an den Faltenwurf der Gewänder wagte. Auch so entsteht also Avantgarde: Schritt für Schritt.

Auguste Rodin – Werk und Wirkung. Skulpturenmuseum Glaskasten, Marl (Creiler Platz). Bis 1. März 1998. Di-So 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Eintritt 10 DM, Katalog 40 DM.