,,Meine Zeit mit Cézanne“ – ein berührender Film über Freundschaft und Egozentrik

Noch läuft er in ausgewählten Programmkinos der Republik: „Meine Zeit mit Cézanne“, dieser berührende Film über eine Männerfreundschaft und über die zerstörerische Egozentrik eines Malergenies.

Paul Cézanne, Kind aus reichem Hause, und der später berühmte Schriftsteller Emile Zola lernten sich als Schuljungen in Aix en Provence kennen und behielten ihre Freundschaft bis ins Alter, allerdings nicht bis zum Schluss, denn an der fast pathologischen Egozentrik Paul Cézannes zerbrach die Verbindung.

Der französische Film wurde an den Originalschauplätzen der beiden Künstler-Biographien gedreht. Emile und Paul mussten sich jeweils auf ihrem Gebiet – in der Literatur und der Malerei – als Neuerer gegen massive Widerstände durchsetzen. Zudem kämpften sie zeitweise in der Liebe um dieselbe Frau.

Scheitern musste die Freundschaft schließlich an Cézannes totaler Ichbezogenheit. Allerdings lässt der Film von Danièle Thompson an dieser Stelle eine etwas andere Wendung zu als das damalige wahre Leben. Immerhin soll Cézanne nach Zolas Tod trotz des Zerwürfnisses mehrere Tage geweint haben.

Die Faszination im Kino geht natürlich nicht nur von dieser Geschichte aus, sondern mehr noch von der schauspielerischen Leistung der beiden Hauptdarsteller: Guilllaume Canet als Emile Zola und Guillaume Gallienne als Paul Cézanne spielen sehr facettenreich – nicht umsonst gehören sie zur ersten Reihe der französische Film- und Theaterschauspieler.

Für die Kulturgeschichte unseres Nachbarlandes haben die beiden dargestellten Künstler eine herausragende Bedeutung. Und obwohl sie bei uns nicht diese Bekanntheit erreichen, war der Kinosaal an einem normalen Wochentags-Nachmittag ausverkauft. Das lässt hoffen.

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Der Film ist derzeit (bis mindestens Mittwoch, 19. Oktober) in folgenden Ruhrgebiets-Kinos zu sehen:
„Camera“ (Dortmund): 16:30 Uhr
„Casablanca“ (Bochum): 15:00 und 18:30 Uhr
„Filmstudio Glückauf“ (Essen): 14:45 und 20:00 Uhr.




Sich in Faultiere und Birnen einfühlen – ja, selbstverständlich geht das!

Weckerbrüllt! Uff… nur… ne Viertelstunde noch… konzentriert schlafen (jawoll, das geht)…

»Schorsch (nach Picasso)« Scherl, 2015

»Schorsch (nach Picasso)« © Scherl, 2015

…wenn dann Kater Schorsch sein aggro-beleidigtes MRRRRRAAUU! MRRRRRAAUU! MRRRRRAAUU! raushaut ohne Luft zu holen, weil er der Meinung ist, daß er sogleich Hungers stirbt, wenn ich ihn nicht sofort fütter (Essenszeit für ihn in zwei Stunden!), hau ich mein 100% aggro RUHEJETZTVERDAMMTESCHEIßE! raus, daß die metallenen Bettpfosten mitsingen.

Es kümmert ihn zwar keinen feuchten Kehricht, aber immerhin hab ich das erhebende Gefühl, daß mir wenigstens ein Ding auf Erden Resonanz gibt – und wenn’s nur die Bettpfosten sind.

Wenn ich dann allerdings zB versuche, mich in ein Faultier einzufühlen, weil ich einen Faultiershirtentwurf machen muß und das Vieh so richtig schön faul werden soll oder das gleiche in drei Birnen für eine Auftragszeichung, damit da auch wirklich die richtige Geschichte erzählt wird mit dem Obst (ja freilich kann man sich in Birnen einfühlen. Bin ich Künstler oder Hobby-?) und der schwarze Pelzsatan legt dann los mit seinem Geschrei (wofür er in 99% aller Fälle exact (ja, mit »c«)) den richtigen Zeitpunkt findet und auch nicht eher aufhört, bis ich entweder keine Zeit mehr hab oder mir auch noch das letzte bissl Muse zerrüttet ist), packt mich einfach nur noch tiefste Verzweiflung und eine Stimme fragt in mir:

»Was hätt Picasso an meiner statt getan? Oder Matisse? Oder Cezanne? Oder Christian Schad? Oder…« (Zwischenruf einer anderen Stimme: »Charles Manson?«) und es antwortet: »Sie wären ins Atelier gegangen und wenn sie da schon gewesen wären, in ’n anderes.«, dann kommentiert die nächste: »Thomas, schreib auf deinen ‹Ziele 2016›-Zettel ganz oben, ganz groß: ‹1. Viel Geld verdienen, 2. Atelier mieten›.«

Done.

(Also das mit dem Zettel.)




Gütiger Genius: Wuppertal zeigt Camille Pissarro als Vaterfigur der Impressionisten

Dieser Mann mit dem Ehrfurcht gebietenden weißen Bart, den man da auf historischen Fotografien und gemalten Selbstporträts sieht, muss eine Leitfigur, ja ein Vorfahre beinahe biblischen Zuschnitts gewesen sein.

Und tatsächlich: Es ist kaum übertrieben, Camille Pissarro (1830-1903) als „Vater des Impressionismus“ zu bezeichnen. Als solcher firmiert er jetzt in einer sehenswerten Schau des Wuppertaler Von der Heydt-Museums.

Camille Pissarro: Selbstbildnis (1903, Öl auf Leinwand) (Tate, London / presented by Lucien Pissarro, the artist's son, 1931)

Camille Pissarro: Selbstbildnis (1903, Öl auf Leinwand) (Tate, London / presented by Lucien Pissarro, the artist’s son, 1931)

Lange Zeit blieben sie in den Pariser Salons verpönt, ja, das Wort „Impressionisten“ geriet gar zum Spottnamen, mit dem sich bornierte Kritiker das damals ungeahnt Neue der Freilichtmalerei vom Leibe hielten. Es waren ja „nur“ flüchtige Impressionen, nichts Ausgeführtes…

Einige Künstler wollten deshalb schon aufgeben, doch just Camille Pissarro hielt die Bewegung zusammen. Er beschwor die Kollegen, den Fehdehandschuh aufzunehmen und den Spottnamen zum Markenzeichen umzudeuten.

Pissarro in seinem Atelier in Eragny (Fotografie, Musée Camille Pissarro, Pontoise)

Pissarro in seinem Atelier in Eragny (Fotografie, Musée Camille Pissarro, Pontoise)

Allerdings war Geduld gefragt, bis der Kunstmarkt endlich dafür bereit war. Auch der immens fleißige Pissarro lebte lange Zeit mit Frau und acht Kindern in ärmlichen Verhältnissen. Erst um 1890 waren die meisten Impressionisten finanziell aus dem Gröbsten heraus.

70 Pissarro-Gemälde, rund 70 seiner Arbeiten auf Papier und 30 Gemälde seiner Freunde und Zeitgenossen (u. a. Cézanne, Courbet, Degas, Van Gogh, Manet, Monet, Rodin, Seurat, Signac) bietet das Museum auf. Ohne die Jackstädt-Stiftung, die die Ausstellung mit einem namhaften Betrag gefördert hat, wäre ein solcher Aufwand undenkbar. Städte allein können sich so etwas nicht mehr leisten.

Raum für Raum wird beim Rundgang deutlich, wie Pissarro, der stets offen für neue Strömungen blieb, sich phasenweise an anderen Künstlern orientiert und mit ihnen ausgetauscht hat – in Farbstimmungen und Komposition, teilweise auch bis in Feinheiten der Pinselführung hinein. So hat er etwa mit Cézanne und Renoir intensive künstlerische Zwiesprache gehalten. Museumsleiter Gerhard Finkh, der die Schau selbst kuratiert hat, entwickelt solche Einsichten nicht durch direkte Gegenüberstellung, sondern vertraut auch auf Spürsinn und Entdeckerfreude des Publikums.

"Bauernmädchen mit Strohhut" (1881, Öl auf Leinwand) (National Gallery of Art, Washington - Alisa Mellon Bruce Collection, 1970.17.52)

Camille Pissarro: „Bauernmädchen mit Strohhut“ (1881, Öl auf Leinwand) (National Gallery of Art, Washington – Alisa Mellon Bruce Collection, 1970.17.52)

Pissarro wurde auf der damals dänischen Antillen-Insel St. Thomas (heute zu den britischen Virgin Islands) geboren und war dänischer Staatsbürger. Frühe Bilder aus den 1850er Jahren sind romantische Inselansichten mit karibischem Flair. Ab 1855 studierte er Kunst in Paris, wo er sich dauerhaft niederlässt. Hernach hing Pissarro, der sich in der Nachfolge Camille Corots sah, einem dunkel getönten Realismus an, der seinerzeit auch nicht allzu marktgängig war. Man liebte es damals weithin akademisch und heroisch.

Das recht umfangreiche Frühwerk Pissarros ist größtenteils in den Wirren des deutsch-französischen Krieges 1870/71 verloren gegangen, vielfach wohl durch Plünderung. Nur rund 50 von 1400 Bildern aus seiner Anfangszeit sind noch erhalten. Über den Verbleib der meisten Werke weiß man so gut wie nichts.

Mit einer Straßenansicht von 1871, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses von Auguste Renoir entstanden ist, beginnt sozusagen die impressionistische Zeit.

"Aufsteigender Rauch an der Pont Boieldieu" (1896, Öl auf Leinwand) (bpk / RMN - Grand Palais / Rouen, Musée des Beaux-Arts / Hervé Lewandowski)

Camille Pissarro: „Aufsteigender Rauch an der Pont Boieldieu“ (1896, Öl auf Leinwand) (bpk / RMN – Grand Palais / Rouen, Musée des Beaux-Arts / Hervé Lewandowski)

Ein großartiger Raum zeigt Bildnisse einfacher Menschen, denen sich Pissarro zeitlebens zugewandt hat. Er gleitet dabei nie in Genremalerei ab, sondern versteht es, die Würde dieser Menschen nicht nur zu wahren, sondern zu verdichten. Ein Blick in eine Metzgerei gehört ebenso zu diesen Darstellungen wie eine fegende Magd oder das famose Porträt „Bauernmädchen mit Strohhut“ (1881). Es sind Bilder, vor denen man lange verweilen kann.

Eine weiterer Saal ist pointillistischen Experimenten gewidmet. Auch diese mühselige Punkt-für-Punkt-Malerei hat Pissarro zeitweise verfolgt, sie aber bald wieder beiseite gelassen. Ein pointillistisches Bild von Brügge hat er später sogar übermalt.

Überhaupt zeigt die Ausstellung auch Um- und Irrwege, ja sogar ausgesprochene Schwächen des Künstlers, die freilich auch nur nebenher abgehandelt werden. Ersichtlich hat er auf dem Gebiet des Stilllebens wenig und auf dem der Aktdarstellungen noch weniger vermocht.

Camille Pissarro: "Boulevard Montmartre bei Nacht" (um 1897, Öl auf Leinwand) (The National Gallery, London / Bought, Courtauld Fund, 1925 / The Bridgeman Art Library)

Camille Pissarro: „Boulevard Montmartre bei Nacht“ (um 1897, Öl auf Leinwand) (The National Gallery, London / Bought, Courtauld Fund, 1925 / The Bridgeman Art Library)

Doch wie sind ihm mit der Zeit die Landschaften geglückt! Wie trefflich hat er (zuweilen auch für anarchistische Publikationen) Szenen des entbehrungsreichen Landlebens vor Augen geführt. Industriell geprägte Hafenansichten und schließlich die Boulevards von Paris sorgen für unvergessliche Schlussakkorde der Schau. Über Wochen, manchmal über Monate hat der inzwischen arrivierte Künstler sich Freiraum von der Familie gegönnt, in Hotels logiert und vom Zimmer oder Balkon aus Plätze und Straßen gemalt, bevorzugt rings um den Louvre. Waren alle Blickwinkel erschöpft, stieg er im nächsten Hotel ab.

Camille Pissarro: "Aveneue de l'Opéra" (1898, Öl auf Leinwand) (Reims, Musée des Beaux-Arts / Giraudon / The Bridgeman Art Library)

Camille Pissarro: „Aveneue de l’Opéra“ (1898, Öl auf Leinwand) (Reims, Musée des Beaux-Arts / Giraudon / The Bridgeman Art Library)

Es sind freilich keine triumphal strahlenden, auftrumpfenden Bilder, sondern es ist eher ein verhaltenes Leuchten, ein stiller Glanz, der die Arbeiten auszeichnet. Wie einem denn überhaupt dieser Mann – trotz geschichtlicher Distanz – auch menschlich sympathisch werden kann, wenn man ahnt, wie vielen Künstlern (vor allem Van Gogh in dessen größter Krise) er geholfen hat und wie er sich auch für die Malweisen jüngerer Künstler begeistern konnte. Ja, er war nicht nur ein Künstler von hohen Graden, sondern offenbar auch so etwas wie ein gütige Vaterfigur.

„Pissarro. Vater des Impressionismus.“ Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Turmhof 8. Vom 14. Oktober 2014 bis zum 22. Februar 2015. Geöffnet Di/mi 11-18, Do/Fr 11-20, Sa/So 10-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro. Katalog 25 Euro, DVD 15 Euro. www.von-der-heydt-museum.de




Als Gernhardt die traurigen Tropen sah

Wird Robert Gernhardt (1937-2006) jetzt das posthume Schicksal gewisser Rockstars zuteil? Wird man fortan jede klitzekleine Notiz oder Skizze publizieren, die er je zu Papier gebracht hat?

Es gibt tatsächlich ein paar banale, nichtssagende Abschnitte in seinen Reisenotizen „Hinter der Kurve“, die einen solchen Argwohn nahelegen könnten, etwa diesen Absatz: „Die Thai können in der Tat kein ‚R’ aussprechen: ‚You have loom foltyfoul’ oder ‚Hello, Mistel! Der Thai liebt Inschriften und versteht es nicht, Karten zu lesen.“ Ach so.

Gernhardt selbst hätte für eine solche Buchausgabe bestimmt strenger ausgewählt, er hätte mehr verworfen, als sich die Herausgeberin Kristina Maidt-Zinke getraut hat. Offenbar mochte sie keine Gernhardt-Sätze antasten. Auch musste der Band ja einen ordentlichen Umfang erreichen. Und so fanden auch ein paar schwächere Passagen Einlass.

Robert Gernhardts Erdenwallen habe ich bislang immer hauptsächlich in und um Frankfurt am Main bzw. in der Toskana verortet. Welchen Lesern war schon bewusst, dass dieser begnadete Schriftsteller und Maler auch Kanada, die USA, Jamaica, Brasilien, Indonesien, Thailand, Südafrika und Botswana bereist hat? Um nur die außereuropäischen Destinationen zu nennen. Somit wird es also doch wieder interessant: Was hat einer wie Gernhardt aus fernen Ländern zu berichten?

Das Buch beginnt freilich in Europa – und dort mit Gernhardts Geburtsstadt Reval (Estland). Alsbald erfahren wir, warum Reisen trotz allem immer noch bildet und ermuntert: „(…) weil der durch lange Seßhaftigkeit bereits schwerfällig Gewordene sich auf einmal wieder als Möglichkeitswesen begreift…“

Man ahnt es schon: Gernhardt sucht, wenn überhaupt, dann eher widerstrebend die touristisch überlaufenen Sehenswürdigkeiten auf und beobachtet statt dessen lieber Tierwelt, Landschaft oder den Alltag der Menschen, soweit man dies als Fremder überhaupt vermag.

Doch gerade an entlegenen Orten erfasst ihn das touristische Weh und Ach. Grundmuster: Der Westler beute quasi mit jedem Blick die „Dritte Welt“ aus, im Gegenzug werde er übers Ohr gehauen, wo es nur geht.

Unentwegt reflektiert Gernhardt seine Rolle als Reisender. Seit den 50er Jahren, als er nach Italien und Griechenland aufgebrochen war, zählte er zu jenen, die Gelände erkundet haben, das später Mengen oder gar Massen anzog. Auf diese Weise blieb nichts mehr „unberührt“. Doch auch Kritik an allzu wohlfeiler Tourismus-Kritik gehört hier zum Lieferumfang. Ständige Zerknirschung bringt eben auch keinen sonderlichen Ertrag. Also wird der „sensible Tourist“ seinerseits zur komischen Figur.

Und überhaupt. Versäumt man nicht eh immer das Beste, weil man ein prinzipiell Zuspätgekommener ist? „Je länger man lebt, häufen sich solche Geschichten, in denen einem das Gefühl vermittelt wird, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein: Berliner Künstlerbälle direkt nach dem Krieg…Bali vor 1970…Die Welt vor der Revolution 1789…“

Auf europäischen Pfaden durchstreift der Augen- und Sinnenmensch Gernhardt natürlich auch die wichtigen Museen. Dabei ist ihm ein von Vermeer, Frans Hals oder Velázquez gemaltes Detail im Zweifelsfalle lieber als eine noch so triumphale „Siegesallee der Moderne“. In der National Gallery zu London hält er fest: „All diese Konzeptmaler, die kein gescheites Handwerk mehr erlernt oder es über Bord geworfen hatten, um ihre Persönlichkeit zu verwirklichen (…) Van Goghs rohe Farben, Cézannes Unfähigkeit, nackte Weiber zu zeichnen bzw. sie so zu gruppieren, daß aus dem Sujet nicht eine unsägliche Arsch- und Ballonparade wird – welch ein Niedergang!“ Ein couragiertes Urteil, fürwahr. Es mündet in den Stoßseufzer: „Schade, daß es so enden mußte. Daß nicht Manets Fackel weitergetragen wurde, sondern Cézannes fragwürdiger Kienspan…“

Dann also weit, weit hinaus; dorthin, wo museale Kultur so gut wie keine Bedeutung hat. In Indonesien verspürt Gernhardt Momente wahrer Fremdheit und buchstäblicher Exotik, was ihn bei aller Faszination nicht hindert, auch solche nüchternen Feststellungen zu treffen: „Das Meer schlägt hier mit tödlicher Gleichmäßigkeit an den Strand – eigentlich ein dämliches Geräusch.“ Die über allem schwebende große Gleichgültigkeit, die fließenden Geschlechter- und Körpergrenzen werden ihm zu Signaturen einer gänzlich anderen Welt. Er spricht von düsteren, traurigen Tropen. Zugleich sieht er einen schmerzlich grellen Kontrast zwischen den schönen, anmutigen Einheimischen und überwiegend hässlichen Besuchern aus reichen Ländern.

Gernhardt standen bekanntlich nicht nur die Feinheiten sprachlicher Beschreibung zu Gebote. Die eingestreuten Illustrationen belegen abermals seine zweite Begabung. In schwungvoller zeichnerischer Linienführung erfasst er das Wesenhafte eben auf andere, unmittelbar einleuchtende Art.

In Thailand beschleicht ihn der schon fast ketzerische Gedanke, was ihn eigentlich diese ganze buddhistische Kultur anginge? Dann aber der Zwiespalt: „Und doch könnte er den Moment nicht ertragen (…), in welchem ihm einer sagt: Du warst in Bangkok und hast den Smaragd-Buddha nicht gesehen?“ Ferner geht ihm das Klischee auf den Geist, in Bangkok herrsche chaotischer Verkehr und mittendrin stünden immer Tempel. Doch genau darin bestehe ja „das spezifisch Bangkokische“ (…) Wahnsinnsverkehr und Mittendrintempel“. Es ist vertrackt.

In Botswana fällt ihm auf, wie sehr das Fernsehen mit seinen Tierfilmen die Wahrnehmung geprägt hat. Europäer oder Nordamerikaner wollen folglich “nicht lediglich Tiere sehen, sondern Tiere in Ausnahmesituationen. Wie sie gezeugt, geboren, getötet oder gefressen werden. Bzw.: Wie sie kämpfen oder spielen.“ Die Wirklichkeit bei der Jeep-Safari sieht dann meistens etwas stumpfer aus: „Da stehen die Tiere rum, gucken, fressen.“

Robert Gernhardt: „Hinter der Kurve. Reisen 1978-2005“. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main. 302 Seiten. 19,99 €




Solche Farben können einen Menschen ändern – Zur grandiosen Cézanne-Ausstellung in Tübingen

Von Bernd Berke

Tübingen. Am Ende scheint diese Frau eine wächserne Maske zu tragen. Immer mehr, von Bild zu Bild, hat sich ihr Gesicht verhärtet. Die Liebe des Malers zum Modell erkaltet zusehends. Auch als Betrachter friert man ein wenig vor diesen eisig-objektiven Porträts.

Die Schrecknisse des genauen Blicks – auch dafür steht das Lebenswerk von Paul Cézanne (1839-1906), der seine Geliebte und spätere Frau Hortense Fiquet derart ansah. In einer grandiosen Überblicksausstellung – seit Paris anno 1936 (!) ist es die umfassendste überhaupt – wird sein malerisches Oeuvre jetzt von der Kunsthalle Tübingen präsentiert.

Kunsthallen-Chef Götz Adriani hat die millionenschwere Schau auch errechnet, nicht nur finanziell: Jedes Genre (ob Landschaft, Porträt, Badeszenen oder Stilleben) ist fast exakt mit dem Prozent-Anteil vertreten, den es im Gesamtwerk einnimmt. Adriani will damit verzerrten Gesamteindrücken vorbeugen. Doch vor allem hat er, der 1978 an gleicher Stelle Cézannes Zeichnungen und 1982 die Aquarelle zeigen konnte, erneut Leihgeber aus aller Welt zu beispielloser Großzügigkeit bewegt. Die 97 Gemälde aus den Jahren 1865 bis 1906 sind fraglos die Krönung der Tübinger Cézanne-Trilogie. Viele Arbeiten waren noch nie in Deutschland zu bewundern, und Schwabens idyllische Uni-Stadt ist die einzige Station. Gründe genug, um auch von weither anzureisen.

War er im Grunde phantasielos?

Cézanne war der wohl wirksamste Geburtshelfer der Moderne überhaupt, obwohl er ein erzkonservativer Traditionalist (und sogar ein schlimmer Antisemit) gewesen ist. Manet, Renoir, Matisse und Picasso besaßen Bilder von ihm. Doch während beim unerschöpflichen Picasso plötzlicher „Wurf“ und Genieblitz kennzeichnend sind, hat sich Cézanne alles mühsam erarbeitet. Seine Bilder wirken wie erkämpft und gebändigt. Oft hat er künstliche Blumen als Vorlage benutzt, denn er malte so langsam, daß die natürlichen vor der Zeit verwelkt wären. Ohne dauerhafte Vorlage ging er selten zu Werke. Adriani: „Im Grunde war Cézanne phantasielos.“

Anfangs überwiegt noch das Erotisch-Anekdotische: Beim Nacktbaden überraschte Frauen oder jener „Nachmittag in Neapel“ – ein schwarzer Diener eilt einem lustvollen Paar zur kulinarischen Hilfe. Unschwer ist das Vorbild Delacroix („Algerische Frauen im Harem“) zu erkennen, dessen Farbskala Cézanne sich zunächst ebenso anverwandelt wie etwa die Dramatik eines Goya (im Bild „Der Mord“, sozusagen einer Vorform des Reality-Fernsehens) oder die Lichtregie eines Caravaggio.

Ein großartiges Selbstporträt von 1875 zeigt dann, wie ernst es um den Meister stand: Da ist er, jener barsche Blick, die unterkühlte Objektivität des von der Mitwelt (einschließlich des Schulfreundes Emile Zola) Enttäuschten und Verkannten. Man meint es mit Händen greifen zu können, obwohl Cèzanne überhaupt nicht psychologisiert. Es ist einfach eine Sache der Farben. Sie sprechen für sich, sie sprechen miteinander. Sie sagen viel. Der Dichter Rilke schrieb seinerzeit gar, es sei, „als ob diese Farben einem die Unentschlossenheit abnähmen ein für allemal“.

Die Gestalten sind einfach da

Auch für die anderen Porträts gilt: Die Gestalten tun oder wollen eigentlich nichts, kein Beiwerk lenkt von ihnen ab; sie sind schlicht ganz und vollends da. Und dann die Landschaften. Mal eng und dunkel unter den Gewölben von Baumkronen, mal endlos weit und ins gleißende Licht der Provence getaucht. Es ist wie Ein- und Ausatmen. Mit kurzen, quer gesetzten Pinselstrichen baut Cézanne die Naturszenen wie Puzzles oder Mosaiken auf. Das Bild erwächst aus kleinen Farbflächen. Im Detail abstrakt und wildwüchsig, sind sie im Ganzen auf wunderbare Weise „richtig“. Man denkt und fühlt: So und nicht anders.

Auch in den Stilleben gibt Cézanne Zentralperspektive und Raumflucht auf, läßt jedem Punkt des Bildes die gleiche Bedeutung angedeihen. Alles tritt rundum überdeutlich hervor und kippt gleichsam auf den Betrachter zu wie eine zweite Natur, die die erste noch überbieten will.

In den Badeszenen versuchte Cézanne eine in Wahrheit längst verlorene Einheit zwischen Mensch und Natur wieder „herbeizumalen“, sie in der Kunst zu retten. Es war eine Arbeit für Jahrzehnte, die immer nur annähernd gelingen konnte. Aber welch eine geradezu heroische Anstrengung steht dahinter!

Paul Cézanne. Gemälde. Kunsthalle Tübingen, Philosophenweg 76. Ab sofort bis 2. Mai (tägl. außer montags 10-20 Uhr). Katalog in der Ausstellung 39 DM (im Buchhandel 86 DM).