Pläne im Museum Folkwang: Digitale Abenteuer, Ideen für Krisenzeiten

In der digitalen Welt: Rafaël Rozendaal „much better than this, 2006″, Multimedia-Installation, Times Square, New York City, 2015. (© Rafaël Rozendaal / Upstream Gallery, Amsterdam)

Das Jubiläumsjahr neigt sich dem Ende zu: Essens Museum Folkwang besteht seit 100 Jahren und hat den Anlass vielfältig begangen, u. a. mit der opulenten Kunstschau „Renoir, Monet, Gauguin“, aber auch mit etlichen Festivitäten und Aktionen im Stadtgebiet, worauf Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter besonderen Wert legt – ebenso wie auf Nachhaltigkeit, die sich neuerdings in Photovoltaik auf den Flachdächern des Museums manifestiert.

Derart viel „Wumms“ (sagt man heute manchmal so) wird es 2023 wohl nicht geben können. Derweil erfordert es einige Phantasie, um sich Details zum einen oder anderen Projekt überhaupt vorzustellen.

Da wäre etwa eine Ausstellung des Niederländers Rafaël Rozendaal (21. April bis 20. August 2023), der in New York lebt und als Digital-Künstler von sich reden macht. Als eines der ersten Institute wagt sich das Museum Folkwang dabei aufs Terrain der „NFT“-Kunst, die sich aus der ihrerseits nicht leicht zu begreifenden Blockchain-Technologie herleitet und sich noch im Pionierstadium befindet.

Die Abkürzung NFT steht für „Non Fungible Token“ (ungefähr: „nicht austauschbare Wertmarke“) und bezeichnet digitale Dateien, denen vertragsähnliche Merkmale implementiert werden, so dass die entsprechenden Kunstwerke nicht frei im Netz schweben, sondern als Besitz existieren, der eindeutig zugeordnet werden kann. Einstweilen klingen die Pläne etwas kryptisch, so werden im Museum „Transit-Räume“ eingerichtet. Lassen wir uns überraschen, was sich hinter all dem verbirgt und wie es zu vermitteln ist. Thomas Seelig vom Folkwang-Leitungsteam (Spezialgebiet: fotografische Sammlung) findet jedenfalls, dass sich die Museen zur aufkommenden NFT-Kunst positionieren sollten, es betreffe ja auch die Zukunft ihrer Sammlungs-Tätigkeit. Wir werden sehen.

Henri Matisse: „Icare“ (Ikarus), Blatt 1 aus dem Portfolio „Jazz“ (1947), Druckgrafik, 42 x 65,5 cm (© Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Beinahe konventionell mutet demgegenüber eine Ausstellung an, die wiederum mit drei berühmten Künstlernamen umschrieben wird: „Chagall, Matisse, Miró – Made in Paris“. (1. September 2023 bis 7. Januar 2024). Aber was heißt in diesem Kontext schon konventionell? Diese und andere Künstler erprobten seit Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls neuartige Strategien, die ihrer Zeit voraus waren. Es geht um Mappenwerke, Editionen und Künstlerbücher, deren Urheber auf weite Verbreitung (Fernziel: „Kunst für alle“) abzielten. Im Vordergrund steht Druckgraphik, die u. a. durch Zeitschriften in hohen Auflagen verbreitet wurde. Herausragende Beispiele sind Henri Matisse mit seiner Scherenschnitt-Mappe „Jazz“ oder Marc Chagall mit einem Zyklus um die antiken Gestalten „Daphnis und Chloé“. In jenen Jahren wurden, zumal in Paris, immer mehr auf künstlerische Druckgraphik spezialisierte Werkstätten gegründet, die unternehmerisch arbeiteten und Gewinn anstrebten. Vereinzelt existieren sie bis heute. Auch dieser Aspekt soll ausführlich dargestellt werden.

Die vielleicht aufwendigste Ausstellung des nächsten Jahres erfordert wiederum Vorstellungsvermögen, sie heißt „Neue Gemeinschaften“ (ab 24. November 2023) und blickt zurück auf utopische Lebensentwürfe in den Künsten und sozialen Bewegungen der letzten 120 Jahre. Vielleicht sind ja Energien zu entdecken, die auch in der heutigen Krisenzeit Impulse geben können. Es erhebt sich also die gewaltige Frage, wie wir künftig leben wollen, ohne den Planeten weiter zu zerstören.

Der Reigen beginnt mit frühen Lebensreform-Ideen (Stichwort Kolonie Monte Verità) im erhofften Einklang mit der Natur. Ferner geht es um die kristalline Bauweise der Architektur-Gruppierung „Gläserne Kette“ in den 1920er Jahren, um die Hippie-Kultur der späten 1960er Jahre, um „Afro-Futurismus“ und um Überwindung des Menschen-Zeitalters („Anthropozän“). Ganz recht: Was all das zu bedeuten habe, wird sich – so oder so – wohl erst vollends in der Ausstellung zeigen können. Die Pläne klingen nach geistigem Abenteuer und nach tastender Suche.

Übrigens wird auch noch in diesem Jahr eine bemerkenswerte Ausstellung eröffnet: Am 2. Dezember beginnt im Museum Folkwang eine Retrospektive zu Helen Frankenthaler (1928-2011), die als eine Leitfigur der Farbfeldmalerei und des Abstrakten Expressionismus gilt.

Weitere Infos, auch zu Plänen der fotografischen Abteilung:
www.museum-folkwang.de

P. S.: Und wie wappnet sich das Museum gegen Attacken mit Kartoffelbrei und sonstigen Substanzen? Mit Taschenkontrollen – und mit weiteren Maßnahmen, die man nicht öffentlich ausposaunt. Außerdem, so heißt es, stehe man im vertrauensvollen Dialog mit Klima-„AktivistInnen“.




Wenn die kulturelle Mischung stimmt – Wuppertaler Ausstellung „Russisch Paris“ häuft Beispiele für internationalen Einfluss an

Von Bernd Berke

Wuppertal. Wenn zwei Kulturen aufeinandertreffen, so können sich die schönsten und buntesten Mischformen ergeben. Das gilt nicht nur unter lebendigen Menschen, sondern auch auf dem Felde der Malerei: „Russisch Paris“ heißt die neue Wuppertaler Ausstellung, die schon im Titel eine neue „Legierung“ schimmern lässt.

Gemeint ist der Einfluss russischer Künstler in der französischen Metropole, welche wiederum die Neubürger prägte. Die Schau erfasst den langen, wechselvollen Zeitraum zwischen 1930 und 1960. Vor allem aus politischen Gründen gab es seinerzeit etliche russische Einwanderungswellen in Paris.

Flucht vor Stalin an die Seine

In den 1930er Jahren lebten über 80 000 Russen an der Seine – darunter zahllose Maler, Bildhauer und Komponisten. Eine kreative Kolonie also. Sie kamen, als der stalinistische Terror tobte, als in der Sowjetunion nur noch „realistisch“ dienstbare Kunst im Sinne des Systems geduldet wurde.

Die selbstbewussten Franzosen haben den ästhetischen Zuwachs lange geflissentlich ignoriert und ihn später als eine erste „Ecole de Paris“ (Pariser Schule) flugs vereinnahmt. So geht’s auch.

Wuppertal ist einzige deutsche Station der mit über 270 Arbeiten sehr umfangreichen Auswahl, die noch nach Bordeaux (aber nicht nach Paris) wandert. Zusammengestellt als Beitrag zu den 300-Jahr-Feiern in St. Petersburg, stammen die Bilder und Skulpturen vor allem aus dem dortigen Staatlichen Russischen Museum. Heute ist man dort also stolz auf Namen wie Kandinsky, Chagall, Gontscharowa, Archipenko, Lipchitz, Poliakoff oder Zadkine; und auf Künstler, die bei uns noch zu „entdecken“ wären, wie z. B. Boris D. Grigorieff. Manchen merkt man die Herkunft nicht namentlich an: Auch die ruhmreiche Sonia Delauney, Schöpferin pulsierender Farbrhythmen, stammte aus Russland.

Sämtliche Exponate sind in Paris entstanden. Die Summe wirkt, trotz Kapitel-Gliederung, etwas diffus und wenig trennscharf. Katalog-Studium tut not.

„Freunde vom Montparnasse“

Fast alle Stilrichtungen sind im Mix der Ungleichzeitigkeiten vertreten –von erzkonventioneller Abbildnerei bis zu entschiedener Avantgarde oder heftiger Provokation (Chaim Soutine: „Schweine“, 1941).

Besonders interessant wird es, wenn just neue Mischungen sichtbar werden, wenn also Russen die französisehen Traditionen oder Atmosphären aufgreifen und sie sich so anverwandeln, dass ein „Drittes“, wahrhaft Übernationales entsteht.

Die anfangs häufig spätimpressionistisch und aus touristischem Blickwinkel dargestellte Stadt wirkt eher fade. Wenn östliche Motiv- und Gefühlswerte einfließen, kann der Zauber walten. Fast eine Regel: Wer immer sich Paris allzu sehr ausgeliefert hat, verlor ebenso an Spannkraft wie alle, die nur auf dem Hergebrachten beharrten. Und die Ausnahme: Marc Chagall, der sich fern der Heimat treu blieb.

1962 malte Maria Marevna ein melancholisches Gruppenporträt zwischen Kubismus und Ikone: „Freunde vom Montparnasse“. Da war die große Zeit der Russen in Paris vorüber. Die Schwerpunkte der Weltkunst lagen bereits in New York.

10. August bis 26. Oktober. Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Turmhof 8). Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Eintritt 5 Euro, Katalog 29 Euro.




Als russische Malerei noch zur Avantgarde gehörte

Von Bernd Berke

Köln. Vergleiche drängen sich auf. Man glaubt fast jede Phase dessen wiederzuerkennen, was sich zu Beginn unseres Jahrhunderts in der westeuropäischen Kunst bewegt hat. Man steht aber vor Bildern russischer Künstler.

Daß diese – im Gegensatz zu heute – zwischen den 1890er Jahren und dem Vorabend der Russischen Revolution keinen Vergleich mit ihren französischen oder deutschen Zeitgenossen zu scheuen brauchten, zeigt die Ausstellung „Meisterwerke russischer Malerei“, die gestern von Botschafter Waldimir Semjonow in der Kölner Kunsthalle eröffnet wurde.

Während in einschlägigen Handbüchern die russische Kunst eher als Randphänomen abgehandelt wird, entsteht beim Betrachten der in Köln gezeigten 72 Werke von 34 Künstlern (darunter auch Chagall, Kandinsky, Malewitsch) eher der Eindruck eines intensiven, gesamteuropäischen Austauschs: Matisse und der Futurist Marinetti trugen 1911 und 1913 ihre Kunstauffassungen in Rußland vor, die russischen Künstler wiederum reisten häufig nach Westeuropa oder ließen sich (Kandinsky) sogar dort nieder.

Die in Köln gezeigten Bilder, ansonsten im „Staatlichen Russischen Museum“ (Leningrad) und der Tretjakow-Galerie (Moskau) zu sehen, repräsentieren nahezu sämtliche Strömungen der Klassischen Moderne – vom lichtflutenden Impressionismus bis hin zum Futurismus und zum Suprematismus, bei dem die russische Avantgarde sich mit Malewitsch sogar an die „Spitze“ der Moderne setzte.

Wahlverwandtschaften zuhauf: Natalia Gontscharowas „Bauern, Äpfel auflesend“ von 1911 erinnern in der monumentalen Figuration stark an Picasso-Bilder aus derselben Zeit, ihr „Radfahrer“ von 1913 entstand im Geiste des Futurismus. Qualitativ fällt dagegen Michail Wrubel, dem Vernehmen nach heute Lieblingsmaler der Sowjetbürger, ab.

Wie der Generaldirektor der Kölner Museen, Prof. Hugo Borger, mitteilte, findet der Austausch UdSSR – Köln mehrfache Fortsetzung. Zuerst wird ein Großteil der Bestände des Römisch-Germanischen Museums im Moskauer Puschkin-Museum und in der Leningrader „Eremitage“ gezeigt, gegen Ende des Jahres 1984 gehen Teile der Ludwig-Sammlung und 1985 Exponate des Wallraf-Richartz-Museums auf die Reise.

„Meisterwerke russischer Malerei“. Josef-HaubrichKunsthalle Köln, 7. Februar bis 25. März, geöffnet tägl. 10 bis 17 Uhr, di/fr 10 bis 20 Uhr, Katalog 16 DM.