Über allem schwebt ein Licht: Zwei Ausstellungen über Christian Rohlfs – Münster sticht Hagen deutlich aus

Von Bernd Berke

Münster/Hagen. Viele, viele Jahre hat der Künstler Christian Rohlfs in Hagen gelebt, 1938 ist er hier gestorben. Man sollte denken, dass ihm, der längst zum Ehrenbürger der Stadt ernannte wurde, an diesem Ort eine Retrospektive ausgerichtet wird, weil sich sein Geburtstag (22. Dezember 1849) zum 150. Mal jährt.

Doch die Hagener lassen es im Hohenhof beim relativ knappen Einblick in den reichen Eigenbesitz bewenden. Derweil präsentiert das Landesmuseum in Münster die weitaus umfangreichere Schau – übrigens auch mit einigen Leihgaben aus Hagen. Absprachen wurden ansonsten offenbar kaum getroffen, denn gestern luden beide Häuser zur Vorbesichtigung ihrer Rohlfs-Ausstellungen ein – auf die Minute zeîtgleich.

Bearbeitung mit der Drahtbürste

Hagens „Heimvorteil“ ist leider dahin: Bevor man sich also der Kunst wegen in zwei Teile zerreißt, sollte man die prachtvolle Münsteraner Auswahl (Koproduktion mit der Kunsthalle Emden) vorziehen. Unter dem poetischen Titel „Das Licht in den Dingen“ sind hier rund 170 Arbeiten zu besichtigen, mehrheitlich Tempera-Bilder aus dem ungeheuer leuchtenden Spätwerk.Der Künstler bevorzugte mit zunehmendem Alter diese wasserlösliche Farbsorte, weil sie es ihm erlaubte, seine Bilder lichter und transparenter zu gestalten. Er wusch manche Bildpartien regelrecht aus und rückte ihnen gar mit einer Drahtbürste zuleibe, um jenes ganz besonders helle „Schweben“ der Farben zu erzielen. So gerieten vor allem die überaus zahlreichen Blumenmotive zu schwerelosen Erscheinungen.

Christian Rohlfs gilt gewissen Kunstlexika immer noch als Parteigänger des Expressionismus, doch mit derlei Einordnung erfasst man sein allzeit experimentierfreudiges Wesen nimmer. Er war ja auch schon in seinen 50ern. als die Künstlergruppe „Die Brücke“ gegründet wurde, und damit eher eine Vaterfigur für die Expressionisten. Der Mann mit dem Faible für Freiluftmalerei hatte bereits naturalistische und impressionistische Werkphasen abgeschlossen. Schon 1901 war er, auf Bitten des Mäzens Karl-Ernst Osthaus, von Weimar nach Hagen umgesiedelt. Später zog es ihn oft nach Ascona, und er verbrachte meist nur noch die Wintermonate in Westfalen.

Vielleicht war es ein psychologischer Impuls für das Spätwerk, dass der fast 70-Jährige (übrigens im damaligen Hagener Folkwang-Museum) 1919 die um vieles jüngere Helene Vogt heiratete. Neue Liebe, neue Schaffenskraft.

Eigentlich alle Werke, die nun in Münster zu sehen sind, zeugen von tief empfundener Liebe zum Dasein, zu den kristallinen Momenten des Wachsens und Werdens in der Natur. Hier darf der Betrachter meist in sanften Harmonien schwelgen und zum bildnerischen Augenblicke sagen: „Verweile doch, du bist so schön…“

Doch nicht alle Bilder wirken ätherisch. Rohlfs konnte durchaus „zupacken“ und bedrohliche Szenarien („Mondschein mit schwarzer Wolke“, 1934) aufragen lassen.

Etwas letztlich Ungreifbares waltet über all den Blumensträußen, Gebirgs- und Seenlandschaften. Farbklänge und sprühender Lichteinfall setzen pure Energieströme frei, die weit über das jeweilige Motiv hinausweisen. Auf solche Art scheinen gar ganze Kirchen auf einem Lichtpolster gen Himmel zu streben.

Die Rituale der Ausdruckstänzerin

Formidabel auch der „Tatjana“-Zyklus, jetzt in seltener Vollständigkeit versammelt. Er zeigt, mit einer feinsinnigen Neigung zur asiatisch inspirierten Stilisierung, die Bewegungs-Rituale einer Ausdruckstänzerin, mit der sich Rohlfs angefreundet hatte.

Bescheiden und konzeptionslos wirkt demgegenüber der Hagener Griff in die eigenen Bestände (auch hier lockt freilich ein lyrischer Titel: „Musik der Farben“).

Vereinzelte Temperabilder sind in Hagen gleichfalls zu sehen. Allerdings lernt man eine ganz andere Seite des Christian Rohlfs kennen, der offenkundig auch einen Sinn fürs Karikaturistische hatte. So entwarf er – willkommen im üblen Club – per Holzschnitt gar ein „Stinkbock-Diplom“. Wem er’s wohl zugeeignet hat?

Landesmuseum Münster (Domplatz 10). Bis 13. Februar, Di-So 10-18 Uhr, Eintritt 10 DM, Katalog 48 DM.

Hohenhof Hagen (Stirnband 10). Bis 30. Januar 2000. Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 5 DM. Kein Katalog.

 




Malerei als immerwährendes Experiment – Werkschau zu Christian Rohlfs in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Vor genau zwei Jahren stellte das Dortmunder Ostwall-Museum die Druckgraphik von Christian Rohlfs (1849—1938) aus. Da zeigte sich, daß Rohlfs auch im Graphischen „malerisch“ verfuhr, indem er allzu harte Linienführungen oft nachträglich mit dem Pinsel milderte. Jetzt ergibt sich im Westfälischen Landesmuseum zu Münster, wo mit über 90 Rohlfs-Gemälden die bislang größte Retrospektive dieses Künstlers zu sehen ist, gleichsam ein umgekehrter Effekt: Viele Ölbilder sind auf beinahe graphische Weise behandelt, indem Rohlfs pastose Farbschichten mit dem Spachtel aufriß, somit jede gefällige Glätte vermeidend. Rohlfs — ein stets unzufriedener Künstler, dem keine Technik genügte, der unablässig „nachbesserte“?

Tatsächlich hat Rohlfs nie den bequemen Weg gewählt.. Zunächst hätte er durchaus als Salonmaler auf dem Markt reüssieren können. Das wies er weit von sich. Und: Erst um 1890 lernte er Bilder französischer Impressionisten kennen. In den Jahren zuvor hatte er sich auf eigene Faust eine dem Impressionismus verwandte Farb- und Licht-.Sprache“ langwierig errungen, ja erkämpft — obwohl die Grundlagen im Nachbarland längst „entdeckt“ waren.

Rohlfs, später sozusagen ein Expressiver ohne das Pathos der Expressionisten, hat zeitlebens nur ein einziges Selbstporträt gemalt. Er war ein zurückhaltender „Eigenbrötler“, der sich nie in den Hauptstrom äußerer Einflüsse begab. In Münster kann man nun seine ganze Entwicklung nachvollziehen. Das war nur in engem Kontakt mit DDR-Museen möglich, da dort die prägnantesten Beispiele für das Frühwerk (bis 1890) vorhanden sind, während das mittlere und späte Werk fast nur bei uns verfügbar sind. Was lag da näher, als sich zusammenzutun? Besonders die Kunstsammlungen in Weimar, wo die Münsteraner Ausstellung von März bis Mai 1990 Station macht, haben aufschlußreiche Exponate beigetragen. Aber auch die Museen in Dortmund und Hagen zeigten sich großzügig.

Es beginnt mit einem „akademischen Schinken“. Titel: „Der Schutzflehende“ (1880). Eine Auftragsarbeit, ersichtlich ohne Passion gemalt. Daß Rohlfs schon zu jener Zeit „ganz anders konnte“, läßt das Bild „Römische Bauleute“ (1879) ahnen: bewußt „banales“ Thema, gewagter Anschnitt der Figuren, eigenwillige Farbgebung. Da zeigt sich bereits der Mann, der konsequent seinen Sonderweg gehen wird, der unermüdlich experimentiert, dabei zu „Abstürzen“ ebenso fähig wie zu großartigen Aufschwüngen.

Rohlfs, gebürtiger Holsteiner, war innig mit Westfalen verbunden. In Soest hat er wichtige Zyklen gemalt, vor allem aber seit 1901 in Hagen gelebt. Hier war es Karl-Ernst Osthaus, der den späteren Hagener Ehrenbürger Rohlfs mit internationalen Tendenzen bekannt machte — mit Manet, Cézanne, van Gogh. Um 1903/04 erprobt Rohlfs, etwa in den Bildern „Sonnenblumen“ und „Weiden“, Ausdrucksformeln à la van Gogh. Die Farbe wird zunehmend autonom, befreit vom Gegenstand. Aber auch im nachahmenden Versuch behält Rohlfs Kunst eigenes Gepräge. Lag es an dieser ständigen Offenheit fürs Experiment, daß Rohlfs — im Gegensatz zu den meisten Expressionisten — auch ein beachtliches Alterswerk vorweisen konnte?

Sodann einige Akte und das Bild „Getreidefeld“ (1911): Rohlfs „verletzt“ die Malfläche, wahre Farbhügel und Gräben ergeben eine rissige Oberflächenstruktur. Fast scheint es, als wolle die Farbe stellenweise aus dem Bild heraus spritzen.

1914 dann der Schock des Krieges: düstere Bilder („Sklavenhalter“, „Der Gehetzte“, 1918) und biblische Motive, Themen wie Sünde und Erlösung. Großartiges Beispiel aus dem Spätwerk Rohlfs‘, der von den Nazis als „entartet“ verfemt wurde: „Alter Turm“ (1935), aquarellhaft-ätherisches Blau, fast meditativ.

Christian Rohlfs – Gemälde. Westfälisches Landesmuseum Münster, Domplatz. Bis 11.2.1990. Tägl. (außer mo) 10-18 Uhr. Katalog 35 DM.