TV-Nostalgie (36): „Stromberg“ und die Gipfel der Peinlichkeit

Nanu? Fernseh-Nostalgie von anno 2004? Tja, das ist immerhin auch schon wieder 13 Jahre her. Und man muss nicht immer zwei bis fünf Jahrzehnte zurückblicken, um auf etwas zu stoßen, was man womöglich vermisst. Nehmen wir zum Beispiel „Stromberg“, die phänomenale Büroserie, die von 2004 bis 2012 in fünf Staffeln mit 46 Folgen beim sonst nicht allzu schätzenswerten Privatkanal ProSieben gelaufen ist.

Bürohengst Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst). (Screenshot aus http://www.myspass.de/shows/tvshows/stromberg/Umstrukturierung--/900/)

Bürohengst Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst). (Screenshot aus http://www.myspass.de/shows/tvshows/stromberg/)

Doch halt! Manchmal sind gerade die Privatsender Risiken eingegangen, die man in den gremienfrommen Chefetagen bei ARD und ZDF scheut. Just auf dem Gebiet der Komik haben werbefinanzierte Sender die besten Leute der letzten beiden Jahrzehnte geschickt promotet und prominent gemacht – von Harald Schmidt bis Olli Dittrich. Unterdessen haben die Gebührensender Innovationen vorwiegend in Nachtstunden oder Spartenkanäle ausgelagert.

Er verscherzt es sich mit allen

Zurück zu Bernd Stromberg, der Figur, die diesen Vornamen gründlich diskreditiert hat. Der linkische Mittvierziger ist fachlich und im sozialen Umgang eine Katastrophe, in der (immer mal wieder erschütterten) Selbstwahrnehmung freilich eine allseits beliebte „Kanone“ mit dem Zeug zur steilen Karriere.

Stromberg ist bei der fiktiven Capitol-Versicherung anfangs Abteilungsleiter Schadensregulierung für die Buchstaben M bis Z. Doch er geht stets auf äußerst dünnem Eis und verscherzt es sich mit sämtlichen Untergebenen und Vorgesetzten. Als Zuschauer erhält man dabei erhellende Einblicke in den Sozialkosmos eines Großraumbüros. Die Typen, die ihr kennt…

Der Fiesling Stromberg tritt in jedes, aber auch wirklich jedes Fettnäpfchen. Wenn man ihn fragt, kommt er immer ganz „locker vom Hocker“, doch in Wahrheit ist er grässlich verkrampft. Mit brachialem Schenkelklopfer-Humor lästert er sexistisch und rassistisch über sämtliche Minderheiten – und über Frauen sowieso.

Dabei hätte er endlich mal eine richtige „Beziehung“ nötig, wie er in einem lichten Moment sogar zugibt. Ansonsten hält er sich für einen smarten Kerl, wenn nicht für einen Don Juan. Doch ungeschickter und peinlicher als er kann man sich nicht anstellen, weder beruflich noch privat. Mehr noch: Hier treibt einer die Peinlichkeit auf geradezu quälende Gipfel. Dafür könnte man sich pausenlos „fremdschämen“.

Plumpe sexuelle Anspielungen

Da gibt es Scharmützel ohne Unterlass: Mit einem behinderten Mitarbeiter legt er sich beim Kampf um einen günstig gelegenen Firmenparkplatz ebenso an wie mit dem Kantinenkoch um den unzumutbaren „Fraß“ und mit dem türkischstämmigen Konkurrenten um die Gesamtleitung A bis Z, plumpe Anspielungen auf Südländer und Schwanzlänge inbegriffen. Die eigene Abteilung führt er wie ein Elefant den Porzellanladen. Manchmal ertappt man sich freilich bei dem Gedanken, Stromberg sei vielleicht genau der Richtige für diesen stinkfaulen Sauhaufen…

Doch nein! Er leistet sich dermaßen viele Grobheiten, dass die Vorgesetzten nicht mehr anders können, als Stromberg in den trostlosen Außenposten Finsdorf zu versetzen, wo die einzigen Mitarbeiter (aus seiner Sicht) eine unfähige Polin und ein Dorfdepp sind. Letzterer verbringt mehr Zeit bei der Freiwilligen Feuerwehr als im winzigen Büro. Na, die beiden will Stromberg aber auf Vordermann bringen!

Beichten und Lügen vor der Kamera

So weit das grobe Gerüst. Besonderer Kunstgriff ist ein Kamerateam, das den Versicherungsalltag beobachtet. An diese nahezu allgegenwärtige Instanz wenden sich die Hauptfiguren immer wieder. Mal beichten sie ihre Hintergedanken und heimlichen Strategien, mal machen sie sich schlicht und einfach selbst etwas vor. Dieses häufige Beiseite-Sprechen außerhalb der eigentlichen Szenen würde man in den allermeisten Fällen nicht goutieren, hier aber verleiht es den – jeweils rund 25 Minuten kurzen – Episoden eine weitere Dimension.

Nicht nur der großartige Christoph Maria Herbst als Stromberg prägt die Serie, sondern insgesamt eine mit glücklicher Hand gecastete Crew; allen voran vielleicht Bjarne Mädel als Berthold (genannt „Ernie“) Heisterkamp, bevorzugtes Mobbing-Opfer der Abteilung, der wie ein fünfjähriger Junge allzeit von seiner Mami und gottserbärmlichen Alltagskleinigkeiten faselt. Widerpart ist der Rustikal-Charmeur Ulf (Oliver Wnuk), der die Kollegin Tanja (Diana Stehly) erobert, aber arg ins Schleudern gerät, als diese zu seiner Chefin aufsteigt. Das verkraftet der Macho einfach nicht.

Autor Ralf Husmann aus Dortmund

Ich gehöre nicht zu den regelmäßigen „Stromberg“-Zuschauern der ersten Stunde, sondern habe die Reihe erst jetzt (durch einen Streaming-Dienst) zur Gänze für mich entdeckt. Wenn es Kennzeichen einer gelungenen Serie ist, dass man halt wissen will, wie es mit diesen Figuren weiter geht, so muss man sagen: „Stromberg“ übt einen Sog sondergleichen aus, hat enormes Sucht-Potenzial. Man will immer noch eine Folge sehen. Und noch eine. Und noch eine. Und dann gleich die nächste Staffel.

Und wer hat’s erfunden, wer hat’s geschrieben? Es war der gebürtige Dortmunder Ralf Husmann (Jahrgang 1964). Die von ihm ersonnenen Situationen und Dialoge erschöpfen sich nicht in bloßer Komik, sondern reichen darüber hinaus, sie lassen Widersprüche und Weiterungen aufscheinen. Brachiale Scherze wechseln mit Szenen, die unversehens Empathie und Verständnis wecken. In gewissen Momenten kann man sogar richtig Mitleid mit Stromberg haben. Was für ein armes Schwein!

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Themen der vorherigen Folgen:
“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” mit Manfred Krug (5), “Der Kommissar” mit Erik Ode (6), “Beat Club” mit Uschi Nerke (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10).

Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20).

“Columbo” mit Peter Falk (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30).

“Lassie” (31), “Ein Platz für Tiere” mit Bernhard Grzimek (32), „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner (33), Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (34), Talkshow „Je später der Abend“ (35)

Und das Motto bei all dem:
“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Ansichten eines Hörbuch-Junkies (3): „Er ist wieder da“

Schwarz auf Weiß, ein Seitenscheitel, der die Strähne von rechts nach links über die Stirn schwenkt, da, wo man das albern-kurze Bärtchen vermutet, steht der Titel geschrieben: „Er ist wieder da“.

Das weltbekannteste Piktogramm, gleichauf mit dem des Comandante Che Guevara, gibt Timur Vermes‘ Erstling den Titel und dem darauf folgenden Hörbuch die Covergrafik. Das weckt eine gewaltige Spannung auf unmittelbar bevorstehende Inhalte, die im Falle des Hörbuches nur von einer mit dem Grimme-Preis gekrönten Stimme eingelöst werden können: der von Christoph Maria Herbst. Und sie tut es brillant.

Wenn ein Text das Hörbuch geradezu herbeiruft, dann ist es der von Timur Vermes. Gleichzeitig stellt er den Sprecher, also in diesem Falle den Ich-Erzähler, vor eine besondere Herausforderung: Einerseits das Hitlerorgan so zu intonieren, dass der komödiantische Aspekt hörbar bleibt und gleichzeitig die Überzeichnung nicht so weit ins Skurrile zu treiben, dass die Parodie ins Alberne abgleitet. Herbst kann das, hält die sicher extrem anstrengende Bemühung während des gesamten Textes aufrecht und kriegt ein Kunststück hin, dass mein Magen ganz flau wird.

Adolf Hitlers Stimme trieb mich seit ich denken kann entweder in innere Wut, hassähnliche Gefühle oder Ekel. Vermes/Herbst schaffen es, nahezu sympathische Anwandlungen zu vermitteln, denn was dem schlimmsten Täter aller Zeiten im Hier und Jetzt geschieht und wie es ihm geschieht, das ist nicht mehr lustig, sondern kommt der Menschen- und Medienwirklichkeit so erbärmlich nahe, dass die Erschaffer beider Wirklichkeiten sich in Grund und Boden schämen müssten.

Adolf Hitler wird eines Tages wach, im Berlin der heutigen Zeit, übel nach Waschbenzin riechend und als erste Lektüre einen Elektromarkt-Katalog studierend – und natürlich stumm staunend, wie das Berlin sich verändert hat, das er aus bekannten Gründen freiwillig und zum Schluss Benzin getränkt nebst Gattin quasi als Lichtgestalt (so sieht er sich nach wie vor) verlassen hat. Erste Zuflucht findet er bei einem Kiosk-Inhaber, der ihm die ersten Schritte weist, ihn einkleidet und ihn überredet, seine müffelnde Uniform säubern zu lassen – bei einer migrationshintergründig geführten Reinigung.

Nach ersten kleinen „Volksreden“ und vergeblichen Versuchen, die Umgebung davon zu überzeugen, dass er wirklich Adolf Hitler sei, gilt er als kauziger Amateur-Komödiant, der seine Rolle so überzeugend spielt, dass schon bald mediales Interesse unvermeidlich wird. Vertreter einer TV-Produktionsfirma nehmen ihn unter ihre Fittiche, feilen mit ihm an seinen „Auftritten“ und dienen ihn alsbald einer Standup-Comedy-Show an, deren Frontmann, migrationshintergründig wie es sich versteht, er, der falsch-echte Adolf Hitler flugs die Schau stiehlt.

Langsam die Propaganda-Mechanismen von heute verstehend („Was Goebbels wohl daraus gemacht hätte?“) und sich listig ihrer bedienend, lässt er sich auf Kämpfe mit dem Boulevard ein, lässt vor laufender Kamera den NPD-Bundesvorsitzenden stramm stehen und bedeutet ihm wortreich, dass dieser sein Haufen auf den Müll gehöre, steckt handgreifliche Prügel von düsteren Neonazis ein und erhält nach Ausstrahlung des Filmes über seine NPD-Schelte den Grimme-Preis. Immer zwischen Grinsen und Grauen hört mensch sich das an und stellt nüchtern fest, dass es sich wohl so abspielen könnte, wenn er „wieder da“ wäre.

Weder d a s Boulevard noch Funk und Fernsehen, weder die etablierten Parteien, die samt und sonders um seinen Beitritt buhlen, noch Werbung oder die Menschen auf der Straße können sich anscheinend der ebenso simplen wie eingängig verkündbaren Botschaften entziehen, die das „R“-rollende Männlein ausstreut. Und was sie missverstehen wollen, das deuten sie um in phänomenale Satire. Das gibt gruselige Gefühle.

Gnadenlos gut, ungemein boshaft – kaum jemand, der im vermeintlich großen Spiel mitspielt, bleibt davon verschont – und entlarvend gesellschaftsspiegelnd ist Timur Vermes‘ erstes Buch. Ich bin echt mal gespannt, wie er das noch toppen will.

Timur Vermes: „Er ist wieder da“, Hörbuch, gelesen von Christoph Maria Herbst, Lübbe Audio, 6 CDs, 411 Minuten. 19,33 (!) Euro (als gedruckter Roman, gebundene Ausgabe, bei Eichborn zum selben Preis).