Zum Tod von Claus Peymann – ein paar Worte von „damals“

Claus Peymann, seinerzeit Intendant des Berliner Ensembles, im Mai 2013 bei der Berliner Konferenz „Theater und Netz“ der Heinrich-Böll-Stiftung. (Wikimedia Commons, Foto Stephan Röhl) – Link zur Lizenz:
https://www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Mit Claus Peymann (geb. 7. Juni 1937 in Bremen, gest. 16. Juli 2025 in Berlin-Köpenick) ist einer der wirkmächtigsten deutschsprachigen Theatermacher der letzten 60 Jahre gestorben. Hier noch einmal eine kurze Würdigung zu seinem 60. Geburtstag, erschienen in der Westfälischen Rundschau und eben auch schon 28 Jahre her. Um jetzt spontan einen Nachruf zu schreiben, wenn nichts von langer Hand Vorbereitetes in der Schublade (sprich: Festplatte) schlummert, ist „man“ denn doch zu bewegt. Auch darum dieser Rückgriff:

Von Bernd Berke

Es war die „Publikumsbeschimpfung“, mit der Claus Peymann erstmals weithin Aufsehen erregte. Doch der Regisseur, der 1966 Peter Handkes Stück im Frankfurter Theater am Turm uraufführte, hat sich eigentlich nie mit den Zuschauern, sondern viel lieber mit Politikern angelegt. Morgen wird Peymann, noch Intendant der Wiener „Burg“, ab 1999 dann Chef des Berliner Ensembles, 60 Jahre alt.

Theaterkundige Revierbewohner trauern natürlich besonders Peymanns Bochumer Ära (1979 bis 1986) nach. Als er nach Wien wechselte, gab es sogar Leute, die für seine Premieren bis an die Donau pilgerten – ganz ähnlich, wie ihm Anhänger aus Stuttgart (wo er von 1974 bis 1979 als Schauspieldirektor arbeitete) nach Bochum nachgereist waren.

Peymann hat vermeintlich staubtrockenen Klassikern wie Goethes „Iphigenie“ frisches Leben eingehaucht. Stücke, die man für gar nicht mehr spielbar hielt, etwa Kleists „Hermannsschlacht“, gerieten unter seiner Ägide zu aufregenden Abenteuern. Doch das Theater verdankt Peymann auch wegweisende Uraufführungen, zumal der Stücke von Thomas Bernhard („Vor dem Ruhestand“, „Minetti“ , „Ritter, Dene, Voss“) und Peter Handke („Der Ritt über den Bodensee“, „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“).

Trunken vor lauter Spielfreude

Ohne grandiose Schauspieler wie Gert Voss, Kirsten Dene, Traugott Buhre oder Martin Schwab, wäre Peymann wohl nicht erklärter Favorit der Feuilletons geworden. Doch eine seiner größten Leistungen besteht ja just darin, hochkarätige Ensembles zusammengeführt, inspiriert und lange beieinander gehalten zu haben. Peymanns oft herrlich spieltrunkener Inszenierungsstil war nie „Regietheater“ in dem Sinne, daß die Darsteller durch starre Konzepte an den Rand gedrängt worden wären.

Feinde hat er sich auch gemacht. Als er in Stuttgart Spenden für die zahnärztliche Behandlung der inhaftierten RAF-Terroristin Gudrun Ensslin sammelte, kam es zum politischen Eklat. Mißtrauisch empfing man ihn später auch in Wien. Österreichs Kulturkonservative fürchteten, der „Piefke“ Peymann (Sohn eines Bremer Studienrats) werde die Traditionen am Burgtheater gefährden.

Wie er auch das Burgtheater eroberte

Immerhin: Er hob die Preise für bessere Plätze drastisch an und verbilligte die anderen. Das galt besonders der giftigen Wiener Presse schon als sozialistische Untat. Doch als Peymann das Publikum mit grandiosen Inszenierungen wie „Richard III.“ von Shakespeare auf seine Seite zog, konnte man ihm nicht mehr so viel anhaben. Nun wagte er es auch, im November 1988 (zum 100jährigen Bestehen des Burgtheaters) Thomas Bernhards „Heldenplatz“ auf die Bühne zu bringen, jenes Stück, in dem die NS-lastige Historie des Hauses bohrend zur Sprache kam.

Im „Heldenplatz“-Umfeld kam es gar zu einer Art Regierungskrise in Wien. So etwas gibt es eben nur in Österreich, wo Theater und Oper eine geradezu staatsbildende Rolle spielen wie sonst wohl nirgendwo auf der Welt. Vielleicht wird Peymann einen Hauch dieser Atmosphäre im nüchternen Berlin vermissen.




Dies und das in schmalen Spalten: Michael Angeles Buch „Der letzte Zeitungsleser“

Vom Buch mit dem Titel „Der letzte Zeitungsleser“ hatte ich mir einiges versprochen. Eine kulturgeschichtliche, womöglich auch ansatzweise literarische „Aufarbeitung“ des leidigen Themas war zu erhoffen.

Michael Angele, stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Der Freitag“, hat sich – vielleicht auch aus beruflicher Drangsal – der Malaise des gedruckten journalistischen Wortes angenommen.

9783869711287

Sein Buch ist in zeitungshafter Spaltenbreite von nur rund 30 Anschlägen pro Zeile gesetzt. Auf die Weise bringt man sehr schnell einige Buchseiten hinter sich. Furchtbar viel Text steht also nicht in diesem Band.

Zum Inhalt. Als besonderer Gewährsmann der früher weit verbreiteten Zeitungsleidenschaft wird der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard herangezogen, der beispielsweise kein Caféhaus gelten ließ, in dem man die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) nicht hielt. Einmal soll er 350 Kilometer gereist sein, um endlich eine NZZ zu bekommen.

Gleich das einleitende Zitat erfasst einen Moment, in dem der Sänger Udo Jürgens entgeistert feststellte, dass ihm gegenüber just Thomas Bernhard saß. Beide aßen Wurst und lasen dabei Zeitung. Welch eine Gleichzeitigkeit. Damals blätterten eben (fast) noch alle Leute.

Als Bernhards Gegenpol gilt ein weiterer Österreicher: Peter Handke, der Zeitungen und Journalismus verachtete, sich aber gleichwohl angelegentlich nach der einen oder anderen Rezension erkundigte.

Durchaus nostalgisch gestimmt, erinnert sich Angele, ehemaliger Macher der „Netzeitung“, an die entschleunigte Tageslektüre jener Zeiten, in denen es kein atemloses Internet mit wahnwitzigen Live-Tickern und allfälligen Hasskommentaren („Shitstorm“) gegeben hat. Selbst wenn es mal ein paar böse Leserbriefe hagelte, dann wurden sie in Form und Inhalt stark kanalisiert.

Bis in die mittleren 90er Jahre hinein (auch schon wieder rund 20 Jahre her), eröffnete die Zeitung noch einen hauptsächlichen Zugang zur Welt, die besten Blätter waren wahrhaft kosmopolitisch, aber eben noch nicht „globalisiert“. Überdies war die Zeitung eine ideale Tarnung für Menschenbeobachter, hinter der man sich gut verstecken konnte. Nicht der geringste Vorzug…

Besagter Thomas Bernhard tat in einem Interview kund: „…es ist ja in den Zeitungen überhaupt alles zu finden, was es gibt (…) Mehr kann man nicht finden.“ Gerade im boulevardesken Bereich lag eine wesentliche Stärke des Mediums, das merkwürdige Vorfälle aus aller Welt festhielt, welche oft genug literarische Werke anregten. Ja, Heinrich von Kleist brachte mit den „Berliner Abendblättern“ selbst eine Vorform späterer Boulevardblätter heraus.

Auch nicht völlig neu, aber immer noch gültig ist, dass die Zeitung mit dem Journalisten „einen recht windigen Menschenschlag hervorgebracht hat“, wie es zuerst in dieser Schärfe Honoré de Balzac in „Verlorene Illusionen“ beschrieben hat.

Von der „Renovierung“ der Süddeutschen Zeitung, insbesondere der Wochenendausgabe, ist noch en passant die Rede, von der sonntäglichen FAZ und der ungemein umfänglichen, durch schiere Fülle geradezu belastenden „Zeit“. Kann man nur einen Bruchteil lesen, bleibt ein Ungenügen, ein schlechtes Gewissen zurück. Wozu man sagen muss, dass auch die „Zeit“ früher noch dicker gewesen ist und längere Artikel enthalten hat.

Andererseits findet Angele die Schritt-für-Schritt-Erklärseite des „Tagesspiegel“ eher deprimierend. So sieht es aus, wenn man die Leser – wie die abgenudelte Formel lautet – „da abholt, wo sie sind“.

Geradezu rührend die Episode um den Vater einer Freundin, der tagtäglich das „Trostberger Tagblatt“ las, am Wochenende aber den Ehrgeiz aufbrachte, die Süddeutsche Zeitung ausgiebig zu absolvieren. Eine Hommage an den unbekannten Leser. Tempi passati.

Und auch das Klo als vielfach bevorzugter Ort der Zeitungslektüre bekommt seine pflichtgemäßen Zeilen. Warum denn nicht?

Um dem Buch doch noch etwas mehr namentliches Gewicht zu verleihen, hat Angele noch Franz Xaver Kroetz (inzwischen vorwiegend Online-Leser) und Claus Peymann befragt. Peymann sagt, er lese 10 bis 15 Zeitungen täglich. Wann inszeniert der Mann eigentlich noch?

Und so hangelt sich Angele von Einfall zu Einfall, vermeldet dies und das, als gelte es, einen längeren Beitrag für eine ambitionierte Wochenendbeilage zu bestreiten, nicht aber ein Buch. Gewiss, ein paar hübsche kleine Passagen und Anekdoten kommen da zusammen. Doch wird man nicht so richtig satt.

Michael Angele: „Der letzte Zeitungsleser“. Verlag Galiani Berlin. 160 Seiten (153 Seiten reiner Text), 16 €.




Peymann inszeniert „Dantons Tod“: Posen mit Standbein und Spielbein

Rebellion – so weit das Auge reicht. In den arabischen Ländern werden Diktaturen hinweg gefegt. In den kapitalistischen Metropolen besetzen Aktivisten Banken und Börsen. Das Gespenst der Revolution geht um, und während sich Marx im Grab die Hände reibt, meckert der olle Brecht, dass ein Gespräch über Bäume derzeit schon fast ein Verbrechen ist. Wer in dieser Situation Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ aus dem Theaterfundus holt, hat Großes, auf jeden Fall Politisches im Sinn. Sollte man meinen. Vor allem wenn der Regisseur Claus Peymann heißt. Schließlich will er doch mit seinem Berliner Ensemble zeitgenössisch brisantes Theater liefern, das zum „Reißzahn im Hinterteil der Herrschenden“ werden soll.

So die Theorie. In der Praxis unternimmt Peymann zusammen mit seinem langjährigen Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann einen nächtlichen Ausflug ins Kunstmuseum und fuchtelt ein bisschen mit der Theatertaschenlampe im Dunkeln herum. Infiziert vom artifiziellen Bühnendesign eines Robert Wilson und der expressionistischen Stummfilmästhetik eines Friedrich Wilhelm Murnau, agieren die französischen Revolutionshelden in manieristischen Standbein-Spielbein-Posen auf einer halsbrecherischen Schräge. Die kargen Stühle und Tische wirken mit ihren schief abgesägten Beinen wie Zeichenstriche in einer fragilen Kunstlandschaft.

Danton (Ulrich Brandhoff, links) und Robespierre (Veit Schubert). (Foto: BE / Monika Rittershaus)

Danton (Ulrich Brandhoff, links) und Robespierre (Veit Schubert). (Foto: BE / Monika Rittershaus)

Ob der tugendhafte Robespierre (Veit Schubert) mit schneidender Stimme Schrecken und Tod verbreitet oder der von Lebensekel erfasste Danton (Ulrich Brandhoff) der Revolution überdrüssig ist und sich in den Untergang fügt, alles geschieht im Lichtkegel scharf geschnittener Lichtbahnen und in grellem Schwarz-Weiß. Die Gesichter der revolutionären Massen clownesk geschminkt, die Gebärden ein stiller Schrei. Robespierre und seine verbiesterten Anhänger tragen tödlich-schwarze, Danton und seine genussfreudigen Freunde weiße Kleidung. Alles ist hübsch übersichtlich, jede Geste vorausschaubar und jedes Wort ein offenes Geheimnis. Und wenn im Konvent die Abgeordneten den Revolutionshymnen Robespierres ergeben lauschen, rühren sie ihre weiß behandschuhten Hände zum nur angedeuteten, stummen Applaus.

Die Revolution frisst ihre Kinder. Das tut weh. Und wir erleben es gerade wieder aufs Neue in Ägypten und anderswo. Doch was Peymann an diesem blutigen Abgesang auf die Entgleisungen der Revolution und die Lügen der Weltverbesserer interessiert haben könnte, bleibt unklar. Alles nur Theater, garniert mit sanfter, leer laufender Ironie. Doch dann gibt es doch noch ein, zwei berührende Momente. Der von Todesangst gepeinigte Danton kuschelt sich wie ein kleines Kind in den Schoß seiner Gattin Julie (Katharina Susewind) und lässt sich trösten. Und wenn Angela Winkler sich in die schlampige Hure Marion verwandelt und den Revolutionskitsch einfach verlacht und vernuschelt, wird man Zeuge eines kleinen Schauspielwunders. Es ist allerdingsz zu wenig für einen fast dreistündigen Abend.

Berliner Ensemble, nächste Vorstellungen am 16., 21. Januar, Karten unter 030/28408155.




Peymann-Inszenierung bei den Ruhrfestspielen: Am Ende bleibt „Nathan“ schmerzlich allein

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wer Lessings „Nathan der Weise“ spielen lässt, darf dunkelste deutsche Vergangenheit nicht ausblenden. Ein Regisseur wie Claus Peymann weiß das natürlich.

Peymanns „Nathan“-Version gastiert jetzt bei den Ruhrfestspielen. Ihre Premiere am Berliner Ensemble hatte die Inszenierung bereits im Januar 2002, sie stand damals im Bann der Terroranschläge vom 11. September 2001.

Tatsächlich taugt das Stück (daszur Zeit der mittelalterlichen Kreuzzüge in Jerusalem spielt) auch heute noch, um fundamentalistische bzw. tolerante Haltungen dreier großer Religionen zu untersuchen: Judentum, Christentum, Islam. Man muss den Holocaust hinzudenken, wenn man sich an diesen kühn konstruierten Text wagt.

Ein Vorschein des Schreckens findet sich bei Lessing: Nathans Familie ist, bevor die Handlung einsetzt, von Christen umgebracht worden. Sein dringlicher Ruf nach allseitiger Versöhnung zwischen den Glaubensrichtungen ist – vor diesem Hintergrund – geradezu unfassbar human und aufklärerisch. In diesen heil’gen Hallen kennt er die Rache nicht…

Bühnenbildner Achim Freyer hat ein Spielfeld mit allerlei Bodenlinien entworfen: Es ist sozusagen ein Ort für Zwangsneurotiker, die nicht vom einmal vorgezeichneten Wege abweichen können. Und eine Art Schachbrett, auf dem zuweilen hinterlistige Strategien verfolgt werden.

Peymann wahrt respektvoll den historischen Abstand, einzelne Lessing-Wörter wie „itzo“ und „kömmt“ bleiben fremdartig stehen. Hie und da neigt der Regisseur zur karikierenden Überzeichnung, doch man versteht’s: Er misstraut den Lippenbekenntnissen und erst recht der großen finalen Versöhnung.

So bleibt Nathan (von Christen, und Moslems gleichsam kalt lächelnd aus der menschlichen Familie hinausgedrängt) am Ende schmerzlich allein, wenn alle anderen einander umarmen. Und der Bühnenboden beginnt zu brennen.

Es ist ein Abend edler Schauspielkunst, die sich nicht eitel spreizt, sondern innig dem Stück dient, das hier nie zum drögen Lehrtheater missrät. Zwei Namen nur: Der famose Peter Fitz als Nathan lässt den seelischen Zwiespalt, die Brüche und Verletzungen dieser Figur in jedem Moment spüren. Hans-Peter Korff als Sultan Saladin ist ein bis in die Fingerspitzen windungsreicher Komödiant.

Rauschender Beifall – ganz so, als wolle das Publikum den einstigen Bochumer Theaterchef Peymann endlich wieder dauerhaft in unseren Breiten behalten. Schön wär’s ja.

Termine: 20., 21., 22. Mai. Karten: 02361/92 18-0.




Theater kann ein schönes Abenteuer sein – Zum 60. von Claus Peymann

Von Bernd Berke

Es war die „Publikumsbeschimpfung“, mit der Claus Peymann erstmals weithin Aufsehen erregte. Doch der Regisseur, der 1966 Peter Handkes Stück im Frankfurter Theater am Turm uraufführte, hat sich eigentlich nie mit den Zuschauern, sondern viel lieber mit Politikern angelegt. Morgen wird Peymann, noch Intendant der Wiener „Burg“, ab 1999 dann Chef des Berliner Ensembles, 60 Jahre alt.

Theaterkundige Revierbewohner trauern natürlich besonders Peymanns Bochumer Ära (1979 bis 1986) nach. Als er nach Wien wechselte, gab es sogar Leute, die für seine Premieren bis an die Donau pilgerten – ganz ähnlich, wie ihm Anhänger aus Stuttgart (wo er von 1974 bis 1979 als Schauspieldirektor arbeitete) nach Bochum nachgereist waren.

Peymann hat vermeintlich staubtrockenen Klassikern wie Goethes „Iphigenie“ frisches Leben eingehaucht. Stücke, die man für gar nicht mehr spielbar hielt, etwa Kleists „Hermannsschlacht“, gerieten unter seiner Ägide zu aufregenden Abenteuern. Doch das Theater verdankt Peymann auch wegweisende Uraufführungen, zumal der Stücke von Thomas Bernhard („Vor dem Ruhestand“, „Minetti“ , „Ritter, Dene, Voss“) und Peter Handke („Der Ritt über den Bodensee“, „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“).

Trunken vor lauter Spielfreude

Ohne grandiose Schauspieler wie Gert Voss, Kirsten Dene, Traugott Buhre oder Martin Schwab, wäre Peymann wohl nicht erklärter Favorit der Feuilletons geworden. Doch eine seiner größten Leistungen besteht ja just darin, hochkarätige Ensembles zusammengeführt, inspiriert und lange beieinander gehalten zu haben. Peymanns oft herrlich spieltrunkener Inszenierungsstil war nie „Regietheater“ in dem Sinne, daß die Darstellet durch starre Konzepte an den Rand gedrängt worden wären.

Feinde hat er sich auch gemacht. Als er in Stuttgart Spenden für die zahnärztliche Behandlung der inhaftierten RAF-Terroristin Gudrun Ensslin sammelte, kam es zum politischen Eklat. Mißtrauisch empfing man ihn später auch in Wien. Österreichs Kulturkonservative fürchteten, der „Piefke“ Peymann (Sohn eines Bremer Studienrats) werde die Traditionen am Burgtheater gefährden.

Immerhin: Er hob die Preise für bessere Plätze drastisch an und verbilligte die anderen. Das galt besonders der giftigen Wiener Presse schon als sozialistische Untat. Doch als Peymann das Publikum mit grandiosen Inszenierungen wie „Richard III.“ von Shakespeare auf seine Seite zog, konnte man ihm nicht mehr so viel anhaben. Nun wagte er es auch, im November 1988 (zum 100jährigen Bestehen des Burgtheaters) Thomas Bernhards „Heldenplatz“ auf die Bühne zu bringen, jenes Stück, in dem die NS-lastige Historie des Hauses bohrend zur Sprache kam.

Im „Heldenplatz“-Umfeld kam es gar zu einer Art Regierungskrise in Wien. So etwas gibt es eben nur in Österreich, wo Theater und Oper eine geradezu staatsbildende Rolle spielen wie sonst wohl nirgendwo auf der Welt. Vielleicht wird Peymann einen Hauch dieser Atmosphäre im nüchternen Berlin vermissen.




Handke im Sonnenschein – Claus Peymann inszeniert „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ am Wiener Burgtheater

Von Bernd Berke

Wien. Auf der Bühne des Burgtheaters war am Samstag viel von Vorfrühlings-Hoffnung die Rede. Und als die Uraufführung von Peter Handkes „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ nach vier Stunden vorüber war, funkelte eitel Sonnenschein: Der Dichter, sonst allen Auftritten vor der Menge abhold, kobolzte – nach kurzer Verlegenheitsfrist – mit Regisseur Claus Peymann vor dem frenetisch jubelnden Publikum.

Zwei Herren, die schon einige Kapitel Theatergeschichte geschrieben haben, benahmen sich für ein paar Sekunden wie zwei fröhliche kleine Knaben.

Kein Gegenwartsautor, ausgenommen Botho Strauß, hat sich so sehr dem weihevollen Ton verschrieben wie Handke. Auch im neuen Stück spricht er oftmals wie ein Seher oder Prediger. Dies wird wieder Scharen von Spottdrosseln auf den Marktplatz rufen. Doch nach Peymanns Uraufführung werden sie’s nicht leicht haben.

Schwere Passagen wirken federleicht

Denn der hat vorgebaut. Er hat mit seinem Ensemble diesem hie und da zum monologischen Vortrag neigenden Text wundersames Bühnenleben eingehaucht. Ohne ironisch zu denunzieren oder die Sache herabzustufen, läßt er selbst schwerste Passagen federleicht und gelöst erscheinen.

Schutt- und Aschelandschaft, schräg zum Zuschauerraum hin gekippt (Bühnenbild: Achim Freyer): Dies ist die namenlose, lang isolierte, dann von fremder Macht kriegerisch unterworfene Enklave. Man hat schon gerätselt, welche Ländereien Handke meint. Österreich, von Deutschland beherrscht? Anspielungen auf Ex-Jugoslawien? Halten wir’s mit Goethe: Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen.

Verheißungsvolle Augenblicke sammeln

In der Enklave, die später aufblüht, lebt ein Volk, das in seine Niederlagen immer vertieft und vernarrt war, das nie einen Helden oder nennenswerte Historie hervorgebracht hat. Fruchtbarer, gleichsam jungfräulicher Humus also für völligen Neubeginn. Und damit ein Nährboden für das fortwährende Projekt des Peter Handke: Durchs wahrhafte, gänzlich unvoreingenommene Anschauen der Dinge Raum, Ziel und Maß zu gewinnen für ein würdigeres Erdendasein. Dies sind denn auch „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“: beständiges Ansammeln verheißungsvoller Dinge und Augenblicke, um, wenn schon nicht gleich zum Sinn, so doch vorderhand zum „Nicht-Unsinn des Lebens“ (Stückzitat) vorzudringen.

Zwei merkwürdige Helden, die in der Enklave geboren werden, sollen die neue Ära ins Werk setzen: die Vettern Pablo (Gert Voss), stets drangvoll kampf- und siegbereit, und Felipe (Johann Adam Oest), ein ewig fröhlicher Versager. Jeder hat seinen Teil der Wahrheit. Der eine pulvert auf, der andere besänftigt. Grandios, wie Voss und Oest diese eher als Prinzipien entworfenen Wesen als Charaktere von Fleisch und Blut gestalten.

Das weitere Personal wirkt wie ein fernes Nachglühen praller Shakespeare-Welten: Die Erzählerin (Anne Bennent), als holde Elfe im regenbogenfarbenen Röckchen, mit taubeglänzter Sprache und träumerischen Gesten alle beschwingend; ein Idiot (Urs Hefti) als gelegentlich weiser Narr; das durch eine einzige Figur dargestellte Volk (Martin Schwab), allergisch gegen Botschaften, mit bescheidenem Wohlstand zufrieden…

Zwischen Drachen und Fabeltieren

Sprachmächtiges Künden, aber auch Clownerie wechseln mit Passagen wortloser Begebenheiten, bei denen das „ganz Andere“ als Möglichkeit aufscheint. In der herrlich wandelbaren Szenerie, in der Drachen aufsteigen, Vögel fleuchen oder Fabeltiere einherziehen, entfaltet sich ein kaum erschöpfliches Denk- und Sinn-Spiel, ein eigentümlicher Sagen- und Legendenstoff von neuem, unerhörtem Königtum und Gesetzgebung zum ewigen Frieden.

Lauscht man genau, hat freilich schon Handke selbst dem Pathos immer wieder die Spitze geknickt. Das „Königsdrama“ (Untertitel) handelt weniger von Gekrönten als vom Königsweg zur befriedeten Menschlichkeit. Es ist von hier und jetzt, auch wenn es entschieden übers „Heute“ hinaus will. Und jene allzeit die Enklavenbewohner bedrohende „Raumverdränger-Rotte“, die mit „1-D-Brillen“ und Echo-Saugern alle räumlichen oder zeitlichen Staffelungen (und damit jede Sehnsucht) von der Erde tilgen will, kann man sich gut als Vorhut einer entseelten, technisch-virtuellen Zukunft vorstellen.




„Waldheim hat mich in den Nacken geküßt“ – furioses Interview mit Claus Peymann in der „Zeit“

Wien/Hamburg. (bke) In die vollen gegangen ist Wiens Burgtheaterdirektor Claus Peymann in einem gestern veröffentlichten Interview mit der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Schon der Einstieg ist stark. Peymann über Wien: „Wenn Sie wüßten, was für eine Sch.. . ich hier erlebe! Man müßte dieses Theater… abreißen lassen. Vielleicht schmeiße ich morgen schon alles hin.“

Peymann, der sich selbst als einen „Vergewaltiger auf der Probe“ bezeichnet, der „brutalste Gewalt“ anwende, um Schauspieler auf seine Linie zu zwingen, schont auch seine Regie-Kollegen nicht. George Tabori danach „eine absolute Sau in der Arbeit“, „ein Tyrann erster Güte.“ Klaus Michael Grüber (Schaubühne Berlin) sei eh nur „dauernd besoffen“, Dieter Dorn (Kammerspiele München) sei jemand, der „eine Inszenierung nach der anderen hinwichst“. In diesem Stil zieht Peymann, der sich in dem Gespräch „weitaus gebildeter als die meisten Regisseure“ nennt, munter weiter vom Leder. Kritiker, Autoren, Schauspieler – alle bekommen ihr Fett ab.

Grotesk schließlich, was der Ex-Bochumer Schauspielchef über Österreichs Bundespräsidenten Kurt Waldheim verrät. Das umstrittene Staatsoberhaupt habe ihn, Peymann, „neulich überraschenderweise in den Nacken geküßt.“ Damit habe Waldheim – nach einer Aufführung von „Richard III.“ – überfallartig seine Bewunderung für Peymanns Arbeit bekunden wollen. Peymann: „Es war eine Vergewaltigung.“




Die Bühne, das monströse Wahnsystem – Thomas Bernhards „Theatermacher“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Ein fast dreistündiger Wahnwitz-Monolog, eine qualvoll in sich selbst kreisende, alles unterschleifende Haß-Litanei gegen die rundum „widerwärtige“, „absurde“, „perverse“ Welt, unter besonderer Berücksichtigung der kunstfeindlichen „Eiterbeule Österreich“ – das muß ein Stück von Bernhard sein.

Thomas Bernhards „Der Theatermacher“, in Claus Peymanns Inszenierung jüngst zu Salzburg uraufgeführt (die WR berichtete), war am Samstag erstmals an Peymanns Noch-Wirkungsstätte Bochum zu sehen. Und wenn sich auch die zahlreich wiederholten Bösartigkeiten gegen das Alpenvolk hier abstrakter ausnehmen als eben beispielsweise in Salzburg, so sind doch immerhin große Teile des Bochumer Publikums durch langjährige Aufführungspraxis „Bernhard-geschult“. Verständnisbereitschaft, ja streckenweise auch Nachsicht für diesen eher schwachen Text sind denn auch nötig.

„Der Theatermacher“ Bruscon (Traugott Buhre), der sich gern in einem Atemzug mit Shakespeare und Goethe nennt, ist mal wieder in der hinterletzten Provinz gelandet. Die von ihm tyrannisch geführte Familientruppe (Gattin mit Dauerhusten, zwei Kinder zwischen natürlicher Widerspenstigkeit und andressierter Unterwürfigkeit) soll Bruscons monströse Welthistorien-Komödie „Rad der Geschichte“ im schmutzstarrenden Saal der Dorfkaschemme von Utzbach aufführen. Hochfliegende Ideen treffen auf widrigste Umstände. Da liegt die Wut auf alles Wirkliche nah. Bruscon unterwirft jegliche Realität seiner gigantischen Schmieren-Dramaturgie, will alles seiner Scheinwelt einverleiben. Er formt alles zum künstlichen Zeichen, zum Anlaß für Theatralik.

Der Wirt (hervorragend als fast stummer Widerpart: Hugo Lindinger), ein Alltagstölpel aus solcher Sicht, wird flugs zum bühnentauglichen Opfer eines „Pächterschicksals“ umschwadroniert. Jedes Ausstattungsstück muß millimetergenau nach Bruscons Willen plaziert werden – er setzt die Zeichen oder läßt sie setzen. Was nicht in dieses Wahnsystem, das letztlich in Theatervernichtung mündet, integrierbar ist, wie der nahebei stinkende Schweinestall und dito Misthaufen, wird verbal niedergemetzelt.

Traugott Bahre gestaltet seine Rolle wie ein überlebensgroßes Monument. Kirsten Dene hustet und keucht sich geradezu virtuos durch ihre wortlose Rolle, Josefin Platt als „Tochter Sarah“ und Martin Schwab als „Sohn Ferruccio“ sind Musterbilder der Gespaltenheit. Aus diesem scheinbar nur nörgeligen Stück so viel herauszuholen, ist bewundernswert. Darsteller (besonders Buhre und Lindinger) und Regisseur Peymann bekamen verdientermaßen einen donnernden Schlußapplaus.




Bochums OB: Aussichten für Peymanns Bleiben gestiegen – „Krisensitzung“ mit Kultusminister Schwier

Von Bernd Berke

Bochum/Düsseldorf. Ist er mit dem Wiener Burgtheater handelseinig geworden, oder bleibt Claus Peymann doch am Bochumer Schauspielhaus? Es darf weiter gerätselt werden – auch nach der dreistündigen „Krisensitzung“, zu der Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck Peymann und (als Vermittler) NRW-Kultusminister Hans Schwier am späten Montagabend nach Wattenscheid gebeten hatte.

Manfred Gutzmer, Pressesprecher der Stadt Bochum: „Der Oberbürgermeister ist optimistisch und beziffert die Chancen dafür, daß Peymann bleibt, jetzt wieder auf über 50 Prozent.“ Das Gespräch mit dem OB und dem Kultusminister habe „Eindruck auf Peymann gemacht“.

Nach Auskunft von Michael Rüdell, Pressesprecher des Kultusministeriums, sind Peymann von keiner Seite aus bindende Zusagen gemacht worden. Insbesondere Peymanns kostspielige Forderung nach einer zweiten Schicht seiner Technik (nötig für häufige Auswärts-GastspieIe) könne vom Land ebensowenig erfüllt werden wie sein Wunsch, die Bühne zu einem höher bezuschußten „Staatstheater“ zu machen. Rüdell: „Zur Bereitstellung von ein paar Hunderttausend Mark würden sich Mittel und Wege finden.“ Man könne, um die notwendigen Mittel freizumachen, notfalls den gesamten Haushalt des Kultur-Ressorts auf Einsparmöglichkeiten durchforsten oder auch beim Finanzministerium sogenannte „überplanmäßige Mittel“ beantragen. Die Hauptlast der finanziellen Zugeständnisse müsse gegebenenfalls aber die Stadt Bochum tragen. Dort war zu erfahren, daß man sich „über gewisse Steigerungsraten“ beim 17,5-Mio.-Zuschuß fürs BO-Theater durchaus verständigen könne.

Bochums OB Eikelbeck ging gestern auf Reisen – dem Vernehmen nach nicht in Richtung Wien, sondern rein privat nach Paris. In Wien jedenfalls gehen alle beteiligten Stellen davon aus, daß Peymann an die „Burg“ kommt; es ist gar von einer „Zusage“ die Rede, wobei in der Schwebe gelassen wird, ob bereits Unterschriften geleistet wurden.

Schwiers Sprecher Rüdell faßt die in Wattenscheid gewonnenen Eindrücke bündig zusammen: „Ein Pokerspiel, und zwar auf fallen Seiten.“ Minister Schwier, der in Begleitung eines Finanzexperten erschienen war, habe Peymann nahegelegt, sich genau zu überlegen, „was er da eigentlich gegen seine Tätigkeit in Bochum eintauschen würde.“ Der Kultusminister wolle Peymann zwar in NRW halten, werde dem Intendanten aber „nicht nachlaufen“. Schwier habe mit seiner Vermittlerrolle Oberbürgermeister Eikelbeck „eine Gefälligkeit erweisen wollen“. Nun erwarte man in Kürze eine von Peymann angekündigte Erklärung. Da Peymann Eikelbeck versprochen hat, zuerst ihn persönlich von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen, wird die Erklärung vermutlich frühestens nach der Rückkehr Eikelbecks am 5. April erfolgen. Bis dahin soll Rolf Paulin, Verwaltungsdirektor des BO-Theaters, mit Schwiers Finanzexperten Vorverhandlungen aufnehmen.




Peymann bleibt doch bis August 1986 in Bochum – SPD-Meinungskorrektur nach Spar-Zusage des Schauspieldirektors

Von Bernd Berke

Bochum. Gegen 21 Uhr waren die Würfel gefallen. Bochums SPD-Fraktion korrigierte ihr Votum vom Montag und entschied sich „mit großer Mehrheit“ dafür, den Vertrag des Schauspieldirektors Claus Peymann doch um zwei weitere Jahre zu verlängern.

Es gilt damit als sicher, daß Peymanns Vertrag nunmehr bis zum 31. August 1986 läuft und nicht bereits am 31. August 1984 endet. Wie Peter Hampel, der die Geschäfte der Bochumer SPD führt, gegenüber der WR erklärte, kann das Thema Peymann höchstens dann noch einmal zum Gegenstand der Ratssitzung am 10. Februar werden, wenn eine andere Fraktion – etwa die CDU – einen ausdrücklichen Antrag stellt. Andernfalls verlängere sich Peymanns Vertrag automatisch. Sollte wider Erwarten eine Abstimmung im Rat nötig werden, werde die SPD-Fraktion, so Hampel, sich ihrem gestern gefaßten Beschluß entsprechend verhalten.

Wie weiter zu erfahren war, war der gestrigen Abstimmung der SPD-Fraktion eine dreistündige, „sehr harte und hitzige“ (Hampel) Debatte vorausgegangen. Den Ausschlag hat schließlich vor allem die Tatsaehe gegeben, daß Peymann zuvor dem Bochumer Oberstadtdirektor Herbert Jahofer (SPD) zugesagt hatte, kooperativ an dem von der Stadt angepeilten Finanzkonzept für das Bochumer Theater mitzuwirken. Dies Konzept sieht nach einem ebenfalls in dieser Woche erfolgten Beschluß des Haupt- und Finanzausschusses vor, für 1983 den Zuschußbedarf der Bühnen bei 17,33 Mio. DM festzuschreiben. Das bedeutet, daß die Zuschüsse – verglichen mit 1982 – auf dem alten Stand „eingefroren“ werden. Mittelfristig sollen weitere Einsparungen durch Einnahme-Steigerungen bzw. Ausgabenkürzungen erzielt werden. Zielvorstellung: Einsparungen von einer bis 1,5 Mio. DM.

Peter Hampel wertete das Votum für Peymann in einer ersten Stellungnahme als „mutige Entscheidung“ angesichts der schlechten Finanzlage. Daß diese Entscheidung vertretbar sei, habe auch einzelnen Mitgliedern der SPD-Fraktion „erst noch vermittelt werden müssen“.




Bochums Ensemble stellt sich hinter Peymann – Hektische Betriebsamkeit nach SPD-Abstimmung

Von Bernd Berke

Bochum. Hektische Betriebsamkeit hat gestern am Bochumer Schauspielhaus die Nachricht ausgelöst, daß die SPD-Fraktion sich – wie berichtet – mit einer Mehrheit von 20:19 Stimmen gegen eine Vertragsverlängerung für Schauspieldirektor Claus Peymann aussprach.

Um 15 Uhr begann eine Ensemble-Versammlung, die bis etwa 17 Uhr dauerte, danach tagte das Direktorium (Peymann, Kirchner, Beil, Jensen und Paulin) bis gegen 19.30 Uhr. Während das Direktorium noch keine Erklärung abgab, verfaßte das Ensemble einen Brief, der gestern abend Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck überbracht wurde. In dem Brief steht ein einziger Satz: „Die Nichtverlängerung des Vetrags von Claus Peymann wird mit Sicherheit die Bochumer Theaterarbeit zerstören.“ Unter dem Brief stehen über 60 Unterschriften. Damit hat sich beinahe das gesamte Ensemble hinter Peymann gestellt. Etwa 10 Unterschriften fehlen, weil einige Schauspieler nicht erreichbar waren. In Peymanns Umgebung wird vermutet, daß andernfalls auch diese Ensemblemitglieder unterzeichnet hätten.

Das Direktorium des Schauspielhauses werde dem lakonischen Ensemble-Brief eventuell heute eine Erklärung folgen lassen, hieß es gestern abend. Claus Peymann selbst war den ganzen Tag über zu keiner offiziellen Stellungnahme bereit.

Unterdessen hat der Bochumer Landtagsabgeordnete Georg Aigner durchblicken lassen. auf welche Weise es zu dem ablehnenden Beschluß der SPD-Fraktion gekommen sein könnte. In der achtstündigen Fraktionsdebatte am Montag war es 4 Stunden lang um Etatfragen und weitere 4 Stunden lang vornehmlich um Peymanns Person gegangen. Etatfragen scheinen auch – zumindest im Vordergrund – eine Rolle beim Abstimmungsergebnis über Peymanns Vertrag gespielt zu haben. Aigner sagte, er sei zuversichtlich, daß Peymann in Bochum bleiben könne, falls der Schauspieldirektor bereit sei, über sein Sparangebot von 1,7 Millionen DM hinaus weitere Kürzungen am Theateretat hinzunehmen. Wie Aigner ergänzend mitteilte, hätten sich aber auch einige andere Meinungsverschiedenheiten zwischen Peymann und einer großen Anzahl von Ratsmitgliedern angestaut.

Bei den angedeuteten Differenzen zwischen Peymann und Stadtrat könnte es sich zum Beispiel um Peymanns Verhalten bei der Schließung der Spielstätte „BO-Fabrik“ handeln. Peymann hatte damals die Aktion einiger Jugendlicher gutgeheißen, die das Bochumer SPD-Büro besetzt hatten und war besonders mit dem Fraktionsvorsitzenden Hossiep in Streit geraten.




Muß Peymann Bochum verlassen?

Von Bernd Berke

Bochum. Die Vertragsverlängerung zwischen dem Direktor des Bochumer Schauspiels, Claus Peymann, und der Stadt Bochum ist stark gefährdet.

Wie gestern bekannt wurde, hat sich die SPD-Fraktion mit der denkbar knappen Mehrheit von 20:19 Stimmen gegen eine Fortführung des Vertragsverhältnisses ausgesprochen. Bochums Kulturausschußvorsitzender Hans-Dieter Kaulfuß meinte gegenüber der WR, er sehe „gewisse Möglichkeiten, die Fraktionsmitglieder noch umzustimmen“.

Peymanns Vertrag läuft, falls er nicht doch verlängert wird, am 31. August 1984 aus. Die endgültige Entscheidung fällt am 10. Februar im Rat.

Der Bochumer CDU-Pressesprecher Paul Schrader glaubt angesichts der Stimmungslage in seiner Fraktion, daß jetzt kaum noch Chancen für eine Vertragsverlängerung bestehen. Vermutlich am 7. Februar wird in der CDU-Fraktionssitzung abgestimmt. Die CDU verfügt im Rat über 27 Stimmen, die SPD über 44, die F.D.P, hat eine Stimme, die „Liberale Fraktion“ drei.

Bestandteil von Peymanns Vertrag ist eine beiderseitige Mitteilungspflicht darüber, ob der Vertrag verlängert werden soll. Eine solche Mitteilung muß eineinhalb Jahre vor Vertragsende erfolgen, hier also bis Ende Februar 1983.

Das genaue Abstimmungsergebnis in der SPD-Fraktion lautete: 20 Stimmen gegen Vertragsverlängerung, eine Enthaltung und die schriftliche Äußerung eines abwesenden Fraktionsmitglieds, das für Peymanns Verbleib votierte. Kulturausschuß-Vorsitzender Kaulfuß konstatiert „eine Art Patt-Situation“ und hofft auf einen Sinneswandel. Dadurch, daß vier SPD-Fraktionsmitglieder nicht an der Abstimmung teilnahmen, gibt es noch eine geringe Aussicht.

Peymann wurde noch nicht offiziell über das Abstimmungsergebnis in der SPD-Fraktion informiert und war bis gestern Abend auch nicht zu erreichen. Es hieß, er sei nach einer Probe direkt nach Düsseldorf gefahren.

Kürzlich hatte Peymann vergleichsweise maßvoll auf inzwischen aufgegebene Erwägungen reagiert, die Kammerspiele zu schließen.