„Geh nicht durchs Gewischte!“ – Torsten Sträters „Heimspiel“ in der großen Westfalenhalle

Mit der weithin berühmten Mütze: Torsten Sträter (Aufnahme vom Januar 2020). (Foto: © Harald Krichel / Wikimedia Commons – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Torsten Sträter war spürbar und eingestandenermaßen richtig gerührt, als er jetzt vor Tausenden in der Dortmunder Westfalenhalle 1 (also in der „Großen“) aufgetreten ist. Beim „Heimspiel“ ließ er sich nicht lumpen und stand solo beachtliche zweieinhalb Stunden auf der Bühne, Pause nicht mitgerechnet. Allein das war schon eine reife Leistung.

Die veranstaltungslose Zeit der Pandemie, so bekannte der Comedian, habe ihn in wirkliche Depressionen gestürzt. Und überhaupt: Für den gebürtigen Dortmunder (Jahrgang 1966, aufgewachsen im stark vom Bergbau geprägten Ortsteil Eving) war gerade dieser Abend etwas Besonderes. In jungen Jahren sei ihm Dortmund immer wie die „große weite Welt“ erschienen, auch heute hänge er an dieser Stadt. Ja, hömma!

Der Titel des Programms („Schnee, der auf Ceran fällt“) tat nicht viel zur Sache, Sträter hatte ihn des geschmeidigen Klangs wegen gewählt. Ansonsten war von Schnee und Ceran keine Rede.

Aus zahlreichen Fernsehauftritten kennt man ihn mit der typischen Wollmütze. Diesmal legte er sie zu fortgeschrittener Stunde ab und offenbarte damit sein „eigentliches“ Aussehen. Dazu nur dies: Er kann sich durchaus auch ohne Mütze blicken lassen. Trotzdem würde man sein Markenzeichen auf Dauer vermissen. Ein Herbert Knebel geht ja auch nicht ohne Kappe auf die Bühne.

Torsten Sträter begann nicht um Punkt 20 Uhr, sondern etwas später. Dennoch sickerten immer und immer wieder noch zahlreiche Nachzügler (gegendert: Nachzügelnde???) in die Halle, als das Programm schon längst lief. Sträter begrüßte sie allesamt einzeln oder grüppchenweise, äußerte einerseits Verständnis (wg. langwieriger Parkplatzsuche), hatte aber auch einige Anmeier-Sprüche parat. Was tun Spaßmacher nicht für einen Gag! Aber nichts ist bös gemeint. Echt nicht.

Der Meister der Abschweifung kam mal wieder verbal von Hölzchen auf Stöckchen. Bemerkenswert: Es gibt beileibe nicht viele Comedians, die auf der Bühne erwähnen, wie ihr Vater sie einst verdroschen hat. Auch Sträters heute 19jähriger Sohn („Der ist viel schlauer als ich“) kam vor, beispielsweise mit genüsslich zitierten Äußerungen wie: „Ich hab‘ gottlos Bock auf Pommes.“ Solche Wendungen muss man sich merken.

Worum ging’s noch? Um alles oder nichts – in bunter, kaum vorhersehbarer Reihenfolge. Zum Exempel um hassenswerte Nahrung (Kürbis, Knäcke, Spekulatius) oder einen Tesla, den Sträter als Leihwagen fahren durfte. Gewiss, das Spaltmaß beim Tesla ähnele dem eines chinesischen Hochzeitsschranks. Doch das hochtechnisierte Modell zeige so viel auf dem Riesendisplay, dass man gar nicht mehr zum Fenster rausschauen müsse; eine veritable Vergünstigung, wenn man etwa durch Bottrop fahre… Überdies zeichne der Tesla mit seinen Kameras rundum fast alles auf, z. B. wenn „sein“ Fahrer mal ans Raststätten-Gebüsch pieseln geht, um die elende Sanifair-Gebühr nicht bezahlen zu müssen.

In einer der stärksten Passagen grub Sträter familiäre Redensarten von früher aus – von der 20-Watt-Funzel, die stets geradezu ehrfürchtig die „groooße Lampe“ genannt wurde, bis hin zur dringlichen Aufforderung an Putztagen: „Geh nicht durchs Gewischte!“ Zugegeben: Schriftlich kommt das gar nicht so eminent rüber, doch w i e Sträter das live vorbringt, ist wirklich zum Gackern.

Sträter kann sehr kalauerhaft und albern zum Wortwerk gehen, er ist aber auch durchaus nachdenklich und reflektiert. Eine gute Mischung. Da lässt sich auch darüber hinwegsehen, dass eines seiner gar zu häufig eingestreuten Lieblingsworte „Pimmel“ lautet. Und wenn man mit teils trivialen Kinofilmen nicht so vertraut ist wie er, versteht man auch die eine oder andere Anspielung nicht so gut. Aber dennoch hat sich Bolle (und nicht nur er) ganz prächtig amüsiert.

Am Samstag, 12. November, gastiert Torsten Sträter in Duisburg (Mercator-Halle im CityPalais), am 14. 11. in der Stadthalle Neuss und am 15.11. in der Essener Lichtburg. Danach geht’s kreuz und quer durch die Republik.  Für die NRW-Termine gilt: Alles um 20 Uhr, jeweils nur noch vereinzelte Restkarten oder schon ausverkauft (mit vager Hoffnung auf zurückgegebene Tickets).




Neustart bei den „Mitternachtsspitzen“: Da geht noch was…

Einladend: Christoph Sieber, der neue Gastgeber der „Mitternachtsspitzen“. (Foto: WDR/Melanie Grande)

Soso. Ein Schwabe also. Christoph Sieber (51), geboren in Balingen (etwa auf halbem Wege zwischen Stuttgart und Bodensee), fungiert nun als neuer Gastgeber der WDR-„Mitternachtsspitzen“. Als lediglich reingeschmeckter Rheinländer mit Wohnsitz in Köln.

Die altvertraute Kabarett-Comedy-Mixtur, ab jetzt also ohne den gewohnten, bei allem kritischen Sinn immer noch irgendwie „gemütlichen“ und menschenfreundlichen Colonia-Tonfall von Jürgen Becker, ohne Herbert Knebels ruhrischen Zungenschlag („Boah ey, glaubsse…“) und ohne die dröhnend entnervten Schlussmonologe von Wilfried Schmickler. Und da soll man sich gleich heimisch fühlen? Der Mensch braucht doch auch in solchen Dingen seine Rituale.

Zweimal gab’s Anspielungen darauf, dass Sieber und/oder die Zuschauer mit seinem neuen Job womöglich fremdeln könnten. Anfangs wollte so eine groteske Möhre den hierorts Unbekannten gar nicht erst in den Kölner Wartesaal ‚reinlassen. Später hatte er (als coronabedingt beschäftigungsloses Funkenmariechen) erst einmal ordentlich kölsche Tön‘ zu lernen. Tja.

Und was gab’s sonst?

Die beiden Schweinepuppen von Michael Hatzius nervten schon jetzt, bei ihren Debüt; besonders, wenn das Wildschweinchen Torsten unentwegt stotterte und einzelne Worte fast gar nicht herausbrachte. Mit bestenfalls durchwachsener, brav abgespulter „Ach Was!“-Komik wartete Philip Simon auf, der Scherzvorlagen wie den Vergleich zwischen US-Wahlen und Bundesliga zum x-ten Mal nachkaute. Wie Trump es gerne gehabt hätte, so auch Bayern München: Sobald sie führen, soll das Spiel vorbei sein.

Christian Ehring plauderte recht nett über das gepflegte Mittelmaß des Armin Laschet, die eher humorfrei wirkende Sarah Bosetti lieferte mal wieder 1 a politisch korrekte Minuten ab (diesmal über den mehr als latenten Rassismus in der unsäglichen WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“). Sie drückte dabei weit offen stehende Türen ein.

Darstellerisch gleich doppelt hervorstechend: Susanne Pätzold als tief in seinem Machtwillen gekränkter Friedrich Merz auf der Couch des Psychiaters (einer Echsenpuppe, wiederum geführt von Michael Hatzius) und final im „Homeschooling“-Musical à la „Abba“. Das hatte echten Schwung.

Christoph Sieber (re.) mit Helge Schneider und dessen Sohn Charly. (Foto: WDR/Melanie Grande)

Bekanntester Gast war Helge Schneider mit einem Song über jenen „Boss“, der seinem geknechteten Mitarbeiter so gut wie nix bezahlt, denn – so die diabolisch vorgetragene Ansage: „Ich will reich werden!“ Am Schlagzeug saß übrigens Helges offenbar hochtalentierter Sohn Charly. Von wem er die Begabung wohl hat?

In seinen Überleitungen rechnete Christoph Sieber mit Figuren wie Verkehrsminister Scheuer oder Kardinal Woelki ab – wahrlich zwei Watschenmänner, wie sie zu Recht im Musterbuche aller Witzbolde stehen. Unfassbares legte Siebers knappes Aufklärungsstück über NSU-Morde und Verfassungsschutz bloß, es hätte auch gut in „Die Anstalt“ (ZDF) gepasst. Dort hatte Sieber ja schon einige Auftritte.

Kurzum: Die etwas zusammenhanglose Nummernrevue hatte zum Auftakt vereinzelt passable, doch selten wirklich starke Elemente zu bieten. Hinderlich wirkt sich freilich aus, dass man sich nach wie vor nicht vor Live-Publikum entfalten kann. Da kommt einfach keine Saalstimmung auf, es fehlt die Rückkopplung, die die Leute auf der Bühne beflügeln könnte. Auch Becker, Knebel und Schmickler hatten zum Schluss ihrer Ära mit diesem Manko ihre liebe Not.

Vorläufiges Fazit:  Sieber und seine Gäste werden sich warmspielen und es sicherlich bald noch etwas besser machen. Am liebsten demnächst mit leibhaftig anwesendem Publikum, und sei’s auch erst einmal reduziert.




TV-Nostalgie (36): „Stromberg“ und die Gipfel der Peinlichkeit

Nanu? Fernseh-Nostalgie von anno 2004? Tja, das ist immerhin auch schon wieder 13 Jahre her. Und man muss nicht immer zwei bis fünf Jahrzehnte zurückblicken, um auf etwas zu stoßen, was man womöglich vermisst. Nehmen wir zum Beispiel „Stromberg“, die phänomenale Büroserie, die von 2004 bis 2012 in fünf Staffeln mit 46 Folgen beim sonst nicht allzu schätzenswerten Privatkanal ProSieben gelaufen ist.

Bürohengst Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst). (Screenshot aus http://www.myspass.de/shows/tvshows/stromberg/Umstrukturierung--/900/)

Bürohengst Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst). (Screenshot aus http://www.myspass.de/shows/tvshows/stromberg/)

Doch halt! Manchmal sind gerade die Privatsender Risiken eingegangen, die man in den gremienfrommen Chefetagen bei ARD und ZDF scheut. Just auf dem Gebiet der Komik haben werbefinanzierte Sender die besten Leute der letzten beiden Jahrzehnte geschickt promotet und prominent gemacht – von Harald Schmidt bis Olli Dittrich. Unterdessen haben die Gebührensender Innovationen vorwiegend in Nachtstunden oder Spartenkanäle ausgelagert.

Er verscherzt es sich mit allen

Zurück zu Bernd Stromberg, der Figur, die diesen Vornamen gründlich diskreditiert hat. Der linkische Mittvierziger ist fachlich und im sozialen Umgang eine Katastrophe, in der (immer mal wieder erschütterten) Selbstwahrnehmung freilich eine allseits beliebte „Kanone“ mit dem Zeug zur steilen Karriere.

Stromberg ist bei der fiktiven Capitol-Versicherung anfangs Abteilungsleiter Schadensregulierung für die Buchstaben M bis Z. Doch er geht stets auf äußerst dünnem Eis und verscherzt es sich mit sämtlichen Untergebenen und Vorgesetzten. Als Zuschauer erhält man dabei erhellende Einblicke in den Sozialkosmos eines Großraumbüros. Die Typen, die ihr kennt…

Der Fiesling Stromberg tritt in jedes, aber auch wirklich jedes Fettnäpfchen. Wenn man ihn fragt, kommt er immer ganz „locker vom Hocker“, doch in Wahrheit ist er grässlich verkrampft. Mit brachialem Schenkelklopfer-Humor lästert er sexistisch und rassistisch über sämtliche Minderheiten – und über Frauen sowieso.

Dabei hätte er endlich mal eine richtige „Beziehung“ nötig, wie er in einem lichten Moment sogar zugibt. Ansonsten hält er sich für einen smarten Kerl, wenn nicht für einen Don Juan. Doch ungeschickter und peinlicher als er kann man sich nicht anstellen, weder beruflich noch privat. Mehr noch: Hier treibt einer die Peinlichkeit auf geradezu quälende Gipfel. Dafür könnte man sich pausenlos „fremdschämen“.

Plumpe sexuelle Anspielungen

Da gibt es Scharmützel ohne Unterlass: Mit einem behinderten Mitarbeiter legt er sich beim Kampf um einen günstig gelegenen Firmenparkplatz ebenso an wie mit dem Kantinenkoch um den unzumutbaren „Fraß“ und mit dem türkischstämmigen Konkurrenten um die Gesamtleitung A bis Z, plumpe Anspielungen auf Südländer und Schwanzlänge inbegriffen. Die eigene Abteilung führt er wie ein Elefant den Porzellanladen. Manchmal ertappt man sich freilich bei dem Gedanken, Stromberg sei vielleicht genau der Richtige für diesen stinkfaulen Sauhaufen…

Doch nein! Er leistet sich dermaßen viele Grobheiten, dass die Vorgesetzten nicht mehr anders können, als Stromberg in den trostlosen Außenposten Finsdorf zu versetzen, wo die einzigen Mitarbeiter (aus seiner Sicht) eine unfähige Polin und ein Dorfdepp sind. Letzterer verbringt mehr Zeit bei der Freiwilligen Feuerwehr als im winzigen Büro. Na, die beiden will Stromberg aber auf Vordermann bringen!

Beichten und Lügen vor der Kamera

So weit das grobe Gerüst. Besonderer Kunstgriff ist ein Kamerateam, das den Versicherungsalltag beobachtet. An diese nahezu allgegenwärtige Instanz wenden sich die Hauptfiguren immer wieder. Mal beichten sie ihre Hintergedanken und heimlichen Strategien, mal machen sie sich schlicht und einfach selbst etwas vor. Dieses häufige Beiseite-Sprechen außerhalb der eigentlichen Szenen würde man in den allermeisten Fällen nicht goutieren, hier aber verleiht es den – jeweils rund 25 Minuten kurzen – Episoden eine weitere Dimension.

Nicht nur der großartige Christoph Maria Herbst als Stromberg prägt die Serie, sondern insgesamt eine mit glücklicher Hand gecastete Crew; allen voran vielleicht Bjarne Mädel als Berthold (genannt „Ernie“) Heisterkamp, bevorzugtes Mobbing-Opfer der Abteilung, der wie ein fünfjähriger Junge allzeit von seiner Mami und gottserbärmlichen Alltagskleinigkeiten faselt. Widerpart ist der Rustikal-Charmeur Ulf (Oliver Wnuk), der die Kollegin Tanja (Diana Stehly) erobert, aber arg ins Schleudern gerät, als diese zu seiner Chefin aufsteigt. Das verkraftet der Macho einfach nicht.

Autor Ralf Husmann aus Dortmund

Ich gehöre nicht zu den regelmäßigen „Stromberg“-Zuschauern der ersten Stunde, sondern habe die Reihe erst jetzt (durch einen Streaming-Dienst) zur Gänze für mich entdeckt. Wenn es Kennzeichen einer gelungenen Serie ist, dass man halt wissen will, wie es mit diesen Figuren weiter geht, so muss man sagen: „Stromberg“ übt einen Sog sondergleichen aus, hat enormes Sucht-Potenzial. Man will immer noch eine Folge sehen. Und noch eine. Und noch eine. Und dann gleich die nächste Staffel.

Und wer hat’s erfunden, wer hat’s geschrieben? Es war der gebürtige Dortmunder Ralf Husmann (Jahrgang 1964). Die von ihm ersonnenen Situationen und Dialoge erschöpfen sich nicht in bloßer Komik, sondern reichen darüber hinaus, sie lassen Widersprüche und Weiterungen aufscheinen. Brachiale Scherze wechseln mit Szenen, die unversehens Empathie und Verständnis wecken. In gewissen Momenten kann man sogar richtig Mitleid mit Stromberg haben. Was für ein armes Schwein!

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Themen der vorherigen Folgen:
“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” mit Manfred Krug (5), “Der Kommissar” mit Erik Ode (6), “Beat Club” mit Uschi Nerke (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10).

Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20).

“Columbo” mit Peter Falk (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30).

“Lassie” (31), “Ein Platz für Tiere” mit Bernhard Grzimek (32), „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner (33), Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (34), Talkshow „Je später der Abend“ (35)

Und das Motto bei all dem:
“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




RebellComedy: Der harmlos coole Humor für die Kinder der Gastarbeiter

Kennen Sie RebellComedy? Nein? Dann sind Sie vermutlich über 40 und haben nur deutsche Vorfahren. RebellComedy gelingt, woran sich Kulturveranstalter in ganz Deutschland seit Jahren die Zähne ausbeißen: Sie erreichen die Kinder und Enkel der Migranten. Ihr Markenzeichen: coole Harmlosigkeit. Eine erstaunliche Erfolgsgeschichte:

»Ich liiiebe Deutschland«, sagt der junge Mann und legt dabei die Hand aufs Herz. »Ich bin keiner von diesen Typen, die sagen: Scheiße Deutschland. Wallah, Deutschland voll der Hurensohn. Neeeein! In keinem anderen Land könnte jemand wie ich 15 Minuten vor so einer Menge von Leuten stehen und einfach Blödsinn von sich geben.«

Der Mann heißt Pu: 27 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Münster, geprägt gleichermaßen durch seine iranischen Eltern und die aus den USA auch nach Westfalen importierte HipHop-Kultur. Seit seiner Jugend rappt er und kombiniert seinen schnellen Sprachwitz auf der Bühne gewinnbringend mit der Unfähigkeit, auch nur eine halbe Minute still zu stehen.

Pu ist, könnte man sagen, ein typischer Deutscher seiner Generation. Nur würde das in Deutschland kaum jemand so sagen. Wer Pu auch nur den Bruchteil einer Sekunde anschaut, hat in der Regel zuallererst dieses eine Wort im Kopf: Ausländer. Pu kennt das, natürlich. Er verdient sein Geld damit.

Foto: Mirza Odabasi

Foto: Mirza Odabasi

»Wenn ich im Iran so eine Menge Scheiße von mir gäbe, könnte ich nichts erreichen. Obwohl, doch. Wenn ich wirklich, wirklich viel Scheiße von mir gebe … könnte ich Präsident im Iran werden«, geht seine Nummer weiter.

Pu ist einer von zehn Mitgliedern der RebellComedy. Wie die anderen bastelt er an seiner Solo-Karriere, absolviert Auftritte bei »TV Total«, doch die Marke »RebellComedy« ist größer als er. Wenn sie gemeinsam auf Tour gehen – ab Mai ist es wieder soweit –, sind die Hallen meist ausverkauft. Sie haben einen Moderator dabei, der zwischen den Auftritten der Comedians überleitet, und einen DJ. Sie posten und twittern, machen Selfies mit dem Publikum und mischen sich nachher unters Volk. Ein bisschen erinnert ihre Show an Breakdance: eine große Crew, von der immer mal jemand anders im Mittelpunkt steht, während die übrigen vom Rand Respekt zollen.

Und dann steht sie da mit den Eintrittskarten in der Hand, vor dem Bahnhof Langendreer, vor der Bonner »Springmaus«, vor dem Kölner Gloria-Theater oder dem Bielefelder Theaterlabor: diese schwer erreichbare Zielgruppe junger Menschen mit Migrationshintergrund, an der sich Kulturveranstalter seit Jahren die Zähne ausbeißen. Kein noch so gut gemeintes Stück über Diskriminierung konnte sie in die Theater locken. Selbst die erste Generation der Ethno-Comedians erreichte sie kaum: Im Publikum von Kaya Yanar, Bülent Ceylan oder Fatih Cevikkollu sitzen überwiegend gebürtige Deutsche. Junge Frauen mit Kopftuch, die hat nur RebellComedy. Warum?

Usama Elyas, Mit-Gründer von  RebellComedy. Foto: Mirza Odabasi

Usama Elyas, Mit-Gründer von RebellComedy. Foto: Mirza Odabasi

Das Verrückteste an ihrer Erfolgsgeschichte ist vielleicht die Chuzpe, mit der sie sich aufmachten, die Kleinkunstbühnen der Republik zu erobern. RebellComedy startete künstlerisch unerfahren bis unprofessionell, dafür mit theoretischem Unterbau, gutem Marketing und dem aus dem HipHop geborgten Selbstbewusstsein eines Underdogs, der ganz nach oben will: Denen zeigen wir es.

Die Geschichte beginnt im beschaulichen Eschweiler und im benachbarten Aachen. Hier wachsen die Gründer der Gruppe auf: Babak Ghassim, heute RebellComedy-Regisseur, und Usama Elyas. Als Usama 13 Jahre alt war, wurde sein Vater zum wohl prominentesten Gesicht des Islam in Deutschland: Dr. Nadeem Elyas war 12 Jahre lang Vorsitzender des Zentralrates der Muslime. Ein konservativer Mann, der seine Kinder religiös erzog. Usama und Babak spielten in ihrer Jugend erfolgreich Basketball, wuchsen in die HipHop-Szene hinein. Der Freundeskreis war groß, die beiden begnadete Alleinunterhalter.

»Er war lustig«, erinnert sich auch Dieter Rehder, Usama Elyas‘ Professor für Grafikdesign an der Fachhochschule Aachen. Mehr noch erinnert sich Rehder aber daran, dass sein Student das Seminar freitags stets um 12 Uhr verließ, um zum Freitagsgebet zu gehen. Auch an Elyas’ Diplomthema erinnert sich Rehder gut: Es ging um eine Fernsehshow für StandUp-Comedy namens »Fladenbrot«. Die Comedians: allesamt junge Leute mit Migrationshintergrund, die aus ihrem Leben erzählen – davon, wie das Leben eben so ist, wenn die Eltern oder Großeltern aus dem Iran, der Türkei, Marokko stammen.

»Eher weniger« habe er an den Erfolg eines solchen Formats geglaubt, gibt Rehder zu. Usama Elyas weiß das. »Der Prof fand es schrecklich; er meinte, das sei ein Nischenprodukt. So, als würden Behinderte Witze über ihre Behinderung machen.« Doch der heute 33-Jährige ließ sich nicht beirren: »Das ist keine Nische, das ist eine ganze Generation, die hier aufwächst. Die werden morgen nicht auswandern. Ich bleibe hier! Und von mir gibt es Millionen.«

Man kann es nicht anders sagen: Er hatte recht. Und er hatte seinen besten Freund Babak, der inzwischen deutsche Sprache und Literatur studierte und Hausarbeiten über »Sprache und Humor bei StandUp-Comedy« schrieb. Heute promoviert Babak Ghassim, schreibt Film-Drehbücher und Texte für Poetry Slams.

"Pu" von Rebell Comedy. Foto: Mirza Odabasi

„Pu“ von Rebell Comedy. Foto: Mirza Odabasi

Die Idee, zusammen eine Comedyshow zu machen, war schon länger in der Welt. »Niemand, den wir kannten, schaute deutsche Comedy. Das war uns zu platt.« Im Freundeskreis dagegen ergab eine Pointe die andere, Abende wurden durchgelacht – »ganz ohne Alkohol«, so Elyas, wieder breit grinsend.

Dass Deutsche Alkohol brauchen, um locker zu werden – ein Klischee-Klassiker. Doch Klischees auf die Bühne bringen, das wollten sie gerade nicht. Das machten schon die anderen.

»Comedy für Deutsche, die endlich über Ausländer lachen dürfen, weil der Ausländer den Witz selbst macht – das ist eine andere Perspektive. Ich schäme mich fremd, wenn ich das sehe.«

Tatsächlich verstecken sich hinter dem Humor der Ethno-Comedy-Pioniere häufig Bewältigungsstrategien. Im Magazin „Der Spiegel“ verglich der Autor die Herkunft der Komiker mit dem Hängelid eines Karl Dall: Die Rolle als Witzbold helfe, mit Ausgrenzung und Ablehnung klarzukommen.

»Diejenigen Situationen veranlassen den Menschen zum Lachen oder Weinen, auf die er keine adäquate Antwort weiß, zu denen er sich nicht mehr sinnvoll verhalten kann«, schreibt der niederländische Soziologe Anton C. Zijderveld in seiner »Soziologie des Humors«. Lachen entspannt und bringt Entlastung.

Kollektive Therapie? Das weisen die Comedy-Rebellen von sich. Sie wollen nicht, dass ihre Herkunft im Vordergrund steht. Sondern? »Themen! Erzählt auf eine natürliche Art und Weise. Authentisch«, beschreibt es Usama Elyas.

Die Comedians schlüpfen nicht in Rollen, wie es etwa die Berlinerin Idil Baydar als türkische Proll-Tussi »Jilet Ayshe« tut. Sie erzählen on stage genauso, wie sie es backstage tun, und sie erzählen gut, sehr gut. Wirklich komisch sind ihre Texte eigentlich nur in Kombination mit der Performance.

Usama Elyas’ Themen auf der Bühne drehen sich häufig um die Familie. Er redet darüber, wie viel Überwindung es ihn gekostet habe, einem anderen Mann gegen dessen Willen etwas in den Hintern zu schieben – nämlich seinem Sohn ein Zäpfchen. Der Ethno-Dreh versteckt sich im Subtext, und in dem geht es um Homophobie. Elyas weiß genau, dass er bei einem überwiegend muslimischen Publikum jeden Nerv trifft. Schwule lösen bei vielen Muslimen ähnliche Reflexe aus, wie Ausländer bei vielen Deutschen: Ab- und Ausgrenzung. Man ist tolerant, aber … Homophobie und der Umgang damit sind Dauer-Themen der RebellComedians.

Humor ist eigentlich selten rebellisch. Er spiegelt und festigt die Normen und Werte einer Gruppe, die sich lachend ihrer selbst vergewissert. Wer mitlacht, gehört dazu. Das stärkt die Gemeinschaft. Viele Zielgruppen haben ihre humoristischen Helden: Männer und Frauen, Landbewohner und Großstädter, Lehrer und Schüler, Gläubige, Linke, Grüne. Die Nische für die Kinder der Migranten war noch frei – eine allerdings inhomogene Zielgruppe, von extrem konservativ bis äußerst liberal. Mit Hass-Kommentaren im Internet oder Anfeindungen hatten RebellComedy trotzdem kaum je zu tun. Das liegt auch an ihrer Harmlosigkeit. Usama Elyas redet vom Taktgefühl, das ein Comedian haben müsse, von Sympathie, die er wecken soll. Dass er »niemandem weh tun« will. Darf Satire alles? »Nein«, sagt Babak Ghassim, ohne zu zögern.

Im Publikum kommt diese Haltung an. Zum Beispiel bei Yasmin Ejjyied, 25, Gelsenkirchenerin mit marokkanischen Wurzeln. »RebellComedy machen Witze über sich selbst, nicht über andere Menschengruppen«, sagt sie. »Kaya Yanar fand ich zu aggressiv. Er hat eine Frau aus dem Publikum bloßgestellt.« Zu RebellComedy sei sie eigentlich wegen Enissa Amani gegangen, habe dann Tränen gelacht und sich gleich Tickets für die nächste Tour gesichert.

Enissa Amani, einzige weibliche Comedian bei RebellComedy. Foto: Mirza Odabasi

Enissa Amani, einzige weibliche Comedian bei RebellComedy. Foto: Mirza Odabasi

Enissa Amani, derzeit einziges weibliches Mitglied der RebellComedy, ist so ziemlich das Gegenteil der Berlinerin Idil Baydar, die die türkische »Cindy aus Marzahn« verkörpert. Amani ist schön wie ein Model. Perfekt frisiert und manikürt, in kurzem Rock und hohen Stiefeln erzählt sie mit ihrer Kleinmädchenstimme, wie sie ihrem Freund die Koffer packt, wenn er zu lange braucht für den Weg von der Arbeit nach Hause – und dass auch ihr Freund mega-eifersüchtig sei, sogar auf den Paketboten (»der Bastard«). Enissa Amani, inzwischen Kölnerin mit iranischen Wurzeln, ist das Role Model vieler junger Frauen. »Sie sieht aus wie ne Tussi. Aber Tussis werden unterschätzt!«, formuliert es Amani-Fan Yasmin Ejjyied.

Amani, Elyas, Ghassim und die anderen, sie sind die Stimme einer Generation, die in Schule und Ausbildung zwar das Gleiche gehört und gelernt hat wie die deutschen Freunde, aber häufig ganz anders erzogen wurde. Wenn Comedian Benaissa erzählt, wie er zum ersten Mal bei seiner ersten deutschen Freundin zu Hause ist, von deren Vater kumpelhaft begrüßt wird und dennoch Angst hat, jede Minute verhaftet zu werden – dann johlt das Publikum ein Johlen des Erkennens.

Schön und gut, könnte man einwenden – aber was ist nun das Rebellische an RebellComedy? Die Antwort von Babak Ghassim ist wirklich witzig – und bezeichnend. Er erfindet kurzerhand eine neue Übersetzung für »Rebell«. Das leitet sich zwar vom lateinischen »bellum«, Krieg, ab, aber »belle steckt ja auch darin, französisch für »schön«. »Wir renovieren Comedy, machen sie wieder schön«, sagt er. Es ist lustig und lehrreich, dabei zuzusehen.

(Der Beitrag erschien zuerst in der April-Ausgabe des NRW-Kulturmagazins K.West)




Kaputtlachen in Dortmund

Dortmund hat sich als Metropole des Humors entwickelt, zumindest innerhalb der Metropole Ruhr.

Da können die Essener noch so scherzen, die Herner noch so fröhlich sein oder die Gelsenkirchener den schwarzen Humor noch so hervorfördern, in Dortmund wird das ganze Jahr gelacht, und zwar überwiegend gegen  Bezahlung. Da geben sich die Humorfestivals die Klinke in die bereitwillig winkende Hand.

Von Juni bis Oktober kann man sich alle schlechten Wetter weglachen, wenn man ins Spiegelzelt lustwandert, um das „RuhrHochDeutsch“-Programm zu besuchen. Da wird sich gefreut, dass sich die Balken biegen und die Spiegelbilder verzerren.

Eines von mehreren Dortmunder Comedy-Ereignissen: "Geierabend"-Plakat von 2012 auf einer Tür des Lokals "Tante Amanda". (© Geierabend/Ablichtung Bernd Berke)

Eines von mehreren Dortmunder Comedy-Ereignissen: „Geierabend“-Plakat von 2012 auf einer Tür des Lokals „Tante Amanda“. (© Geierabend/Ablichtung Bernd Berke)

Sind wir so – wie wir es von der Bühne hören? Ist die Comedy nicht der wahre Spiegel der Gesellschaft? Muss wohl so sein, denn der Dortmunder und die Besucher aus dem landwirtschaftlichen Umfeld freuen sich über jeden Spaß, selbst, wenn sie ihn schon zigmal gehört haben. Das muss doch auch die Stimmung in der Stadt spiegeln.

Und weil die Herbstabende dunkler werden, folgt „Watt‘n Hallas“, das nächste Festival , das uns bei der Stange hält, denn ansonsten gibt es ja kaum Lachenswertes im Leben, in der Politik, im Zoo oder zuhause auf der Couch.

Im Schauspielhaus gibt’s auch nicht viel zu lachen. Da wirft man mit Senf. Und die Oper ist nicht für laute Äußerungen aus dem Publikum gedacht. Das Lachen ist in Dortmund eine ernste Sache. Deshalb gibt es auch noch eine dritte Reihe, die uns durch den Winter führt: den „Geierabend“. Es wird also hier im Revier fast ganzjährig durchgegeiert.

In so einer Stadt will man doch wohnen und die Zahlen zeigen es. Es gibt Zuwanderung aus anderen Teilen der Republik, Menschen, die sich am Lachen beteiligen wollen. Aber es gibt auch Gelegenheit, das subtile Lächeln zu pflegen, wenn man durch die Stadt geht. Ich, zum Beispiel, habe auch meine Freude. Jedes Mal, wenn ich das Dortmunder „U“ betrete, kann ich ein Grinsen nicht verhindern, vor allem, wenn wieder so einiges geschlossen oder nicht betretbar ist.

Heute habe ich wieder lachen können, als ich sah, wie die gesamte Innenstadt zu einem Kirmesbetrieb umgestaltet wurde. Das ist doch komisch, wenn der traditonsreiche Fahrbetrieb „Raupe“ sich, zusammen mit dem Kettenkarussell und einem Gauklerwagen mit der Aufschrift „Charlatan“, in die Innenstadt schmiegt und gleichzeitig verschiedene Schlager zu hören sind, bevor der Weihnachtsmarkt die Schlagerbühne übernimmt.

Wenn ich Segelboote auf dem Phoenixsee sehe, muss ich auch lächeln. Allerdings gehöre ich nicht zu den Leuten, die bei Spielen des BVB den Gegner auslachen. Wer nun gar nichts findet, um die Griesgrämigkeit loszuwerden, der beschäftige sich mit kommunaler Bürokratie, wo immer er oder sie auch sein mag. Das ist die beste Quelle fürs Totlachen.




Otto ist jetzt die Otto-Waalkes-Coverband

Gitarre her, Finger fliegen, Ulkgesicht, Gag, Gag, Stimme hoch, runter, Zack, Pfiff, Schnalz, Gag, Gag, Gitarre in die Ecke rumpeln und weiter geht’s.

Das war Otto damals – in den 70ern. Es wird Nacht, Señorita, klonk-zisch-kuckuck-pfeif, und ich habe kein Quartier…

Solche Dinge Lacher halt. Rasant, anarchisch, chaotisch. Unerreicht.

 

Die alten Stücke – nur langsamer

Otto 2011 ist anders. Otto 2011 ist: Hollerahitti, schaut mal, wen das kleine Ottili euch mitgebracht hat. Louis Flambé, Harry Hirsch, die Ottifanten und Robin Hood, der Rächer der Enterbten. Puh, war das anstrengend – erst mal ’ne Pause!

Otto Waalkes ist gewissermaßen eine Otto-Waalkes-Coverband geworden. Er spielt die alten Stücke nur an, selten zu Ende, viel langsamer als damals, dafür mit mehr Pausen und viel mehr Publikums-Beteiligung.

Hallo Dooortmund. – Hallo Oootto.

 

Das Publikum singt selbst

Dreist wird es, als sich Otto die Gitarre schnappt, rhythmisch anschlägt und singt: „Weine nicht, wenn der Regen fällt.“ Der Saal antwortet mit „Dam dam“, mit dem ganzen Rest von „Marmor, Stein und Eisen bricht“. Waalkes treibt das Spiel weiter. „Er gehört zu mir“, „Wahnsinn“, „Das geht ab“, „Ein Stern“ – Otto spielt Gitarre, das Publikum singt minutenlang. Jede Coverband würde sich freuen, so leicht ihr Geld zu verdienen.

Dann hätte ja eigentlich er Eintritt bezahlen müssen, witzelt Otto. Der Saal lacht. Zwei Stunden später denkt manch ein Zuschauer sicherlich: Stimmt, Otto, das hättest du tatsächlich.

 

Imitieren, improvisieren, grimassieren

Otto kann immer noch schnellsprechen, imitieren, grimassieren, die Stimmlage nach Belieben wechseln. Wenn etwas schiefgeht, improvisiert er gekonnt. Er platziert neue Gags punktgenau. Das Handwerkszeug beherrscht er.

Waalkes (63) geht auf Nummer sicher. Mario Barth, Lady Gaga, Satellite-Lena und Unheilig sind bekannt genug, dass er ihnen Platz im Programm gibt. Ansonsten tun’s halt wieder Peter Maffay, Reinhard Mey, Udo Lindenberg.

 

Hingehen? Höchstens deshalb

Also hingehen? Waalkes wählen? Otto onschauen? Höchstens aus zwei Gründen:

  1. die gelungene Zeichensprachen-Nummer. „Schwerte“, „Obercastrop“, „Langendreer“, „Lütgendortmund“ und „Hombruch“ werden anzüglich und mit zwei Fahnen dargestellt.  Wer seinen Ort mal so sehen will – ab an die Restkarten.
  2. Ottos Status. Waalkes Superstar. Er ist nun einmal der Comedy-Urahn in Deutschland. Wer denkt „den muss man doch irgendwann mal live gesehen haben“, der sollte ihn mal live sehen gehen.

 

Allen anderen: www.youtube.com

Oder – noch besser: „Live im Audimax“, am allerbesten aus der alten Plattensammlung.




Der verzerrte Spiegel

Ich konnte es noch nie leiden, wenn zum Kabarett Sekt gereicht wird und dies ohne Ironie. Aber offenbar wird dies weiterhin an die kommenden Generationen weitergereicht. Man braucht eine Ausstellung, einige Redner und Sekt. Manchmal trägt noch ein Künstler was vor, vorzugsweise Musik. Ein Ritual. Wenn es dann noch kleine Schnittchen gibt, stimmt alles. Im Ruhrgebiet werden zahlreiche Ausstellungen und all das eröffnet, was eine Eröffnung braucht – wie anderswo in der Republik auch. In Polen gab es allerdings warmen Weißwein und Wodka, in der Slowakei süßen Likör und in Tallinn Orangensaft mit Keks. Aber ich schweife ab.

Vor dem Dortmunder „U“ steht wieder das Spiegelzelt, das beim Festival RuhrHOCHdeutsch fast alles im Programm hat, worüber in Deutschland gelacht wird. Vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen über die Bullemänner, Frank Goosen und Dr. Stratmann, bis hin zur legendären Münchener Lach- und Schießgesellschaft, die ich als junger Mensch damals immer im Fernsehen verfolgen konnte. Schon damals war klar, dass Kabarett nur wirkt, wenn es etabliert ist, wenn unten im Publikum die sitzen, die auf der Bühne kritisiert oder veräppelt werden. Daran hat sich nichts geändert, ob lokal oder national. Dass heute Comedian und Kabarettist in einen Raum gesteckt werden, ist der Vielfalt geschuldet, die überall politisch korrekt ist. Und über die tatsächliche Haltung der Vortragenden kann sich der Zuschauer live ein Bild machen, wenn er dem Zuhören zuneigt.

Gleichzeitig mit der Eröffnung des atmosphärischen Spiegelzeltes wird eine Ausstellung eröffnet: 110 Jahre Kabarett. Gezeigt werden allerdings nur Tafeln aus dem Besitz des Kabarett-Archivs in Mainz aus dem Zeitraum 20er bis 40er Jahre des letzten Jahrhunderts, aus einer Zeit also, wo sich das Kabarett von Tingeltangel bis zum lebensbedrohlichen Bühnenvortrag ausbreitete. Das politische Kabarett war ein Ort des Widerstandes, der subtilen Wahrheitsvermittlung. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei – zumindest hier in Alemannia. Heute ist das Lachen kein befreiendes, sondern eher ein Mittel zur Gesundheitsförderung. Also schauen wir die Exponate an und warten auf Fröhlichkeit.

Die Betrachter halten ihr Sektglas zwischen den Fingern, auf der Bühne wird die Schönheit der Stadt Dortmund beschworen, der Veranstalter entpackt ein bei Ebay ersteigertes altes Kofferradio, was die Versammelten mit einem gemeinsamen „Oh“ quittieren. Und später wird mit dem Abendprogramm gewartet, bis die Ratssitzung zu Ende ist, damit die heimische Politik an der gemeinsamen Fröhlichkeit teilnehmen kann. Die Gags brauchen zur Bestätigung von Wirkung öffentlichen Raum und wenn gelacht wird, dann haut man sich vertraulich auf die Schultern.
Wie sagt noch der Vertreter der hiesigen Sparkasse über das Kabarett oder Cabaret (na ja): „Hier und da wird gar politisch argumentiert.“ Da muss man durch.

Zwischen Kabarett und Zeltminiaturen

Es gab schon immer Blödelbarden, überhaupt wunderbare Blödelei. Das braucht der Mensch, sonst verbittert er. Für die ernsteren lustigen Vorgänge war das Kabarett im Keller zuständig, in den alternativen Sälen der Städte. Heute ist die demokratische Gesellschaft lange schon im Konsens darüber, dass der Quatsch, die Comedy und auch das Kabarett zur Grundversorgung gehören und keinerlei ernsthafte Wirkung mehr haben, außer der, weitere Nachahmer zu finden, damit uns das Lachen nicht vergeht. Fast alles ist ja gut und man wird sehen, welche Nuancen die Programme bieten. Wie gesagt – mich stört nur der Sekt und das Gehabe. Aber das ist mein Problem, wenn ich mich den gängigen Ritualen entziehe. Der Kellerraum, in den ich zum Lachen verschwinde, ist mit Plüsch ausgelegt.

U am Zelt

Eine Eröffnung ganz anderer Art wird am Stadtgarten in Dortmund begangen: 100 Zelte – Kunst – unbehaust, eine Aktion u.a. zur Unterstützung von „Bodo“, der Dortmunder Obdachlosenzeitung. Kleine Zelte aller Art bilden unter Mitwirkung und Moderation des Schauspielchefs Kay Voges eine Minizeltstadt und wollen aufmerksam machen. Am Ende werden sie versteigert. Junge Menschen regen sich auf über die Welt, die Gesellschaft, Konsum und drücken dies aus, indem sie die Zelte entsprechend verzieren, bestücken, zerstückeln. Und man erhält Luftballons. Es hat was von Kindergeburtstag und naturgemäß spielt auch eine Band. Jede Aktion, die interveniert und auf Missstände aufmerksam macht, ist besser als keine. Ob man unbedingt von einer Kunstaktion sprechen will, ist Diskussionsstoff. Und auch hier gibt es Sekt, aber aus der Kiste in kleinen Flaschen. Prost. Hier stößt das Schauspielhaus mit seinem Slogan „Stadt ohne Geld“ wieder auf die, die Raum brauchen für Ausdruck und Werk, die jungen Naiven und Haltungssucher und -träger.

Kaputtes Zelt mit Griff

Aber diese Stadt – wie auch die meisten anderen – ist keine ohne Geld, so wie der Staat keiner ist ohne Geld. Ganz im Gegenteil. Zelt Nummer 26 hat mir gefallen. Aus dem Inneren drang eine Stimme in englischer Sprache von John Dunn. Es heißt auf der Hinweistafel: „Das ist ein komplett unorganiertes Daherreden. So mache ich keinen Fortschritt für die Gesellschaft. Ich bringe die Kunst nicht weiter. Ich bringe auch die Forschung nicht weiter. Im Grunde genommen verschwende ich meine Zeit…“

Zeltdorf

(Fotos: Dman)