Wie Werte entstehen und schwinden – „Kunst und Kapital“ im Lehmbruck-Museum

Afrikanischer Schrottsammler in Griechenland - Filmstill aus Stefanos Tsivopoulos: "History Zero" (2013), Film in drei Episoden (© Künstler, Kalfayan Galeries und Prometeogallery di Ida Pisani)

Afrikanischer Schrottsammler in Griechenland – Filmstill aus Stefanos Tsivopoulos: „History Zero“ (2013), Film in drei Episoden (© Künstler, Kalfayan Galeries und Prometeogallery di Ida Pisani)

Künstler haben manchmal so ihre Schliche, um die gängigen Praktiken des Kunstmarkts zu unterlaufen.

Mal wird nur ein wenig origineller Stempel als Signatur verwendet, so dass der Wert des zugehörigen Werkes auf einmal zweifelhaft ist. Mitunter wird gleich gezielt dafür gesorgt, dass keinerlei oder wenigstens kein einmaliges oder bleibendes Objekt vorhanden ist, an das sich zählbare Wertschöpfung knüpfen könnte.

Um solche (teilweise vertrackten) Strategien dreht sich im Duisburger Lehmbruck-Museum die Ausstellung des Akzente-Festivals. „Hans im Glück – Kunst und Kapital“ handelt davon, wie wir den Dingen Wert beimessen – auch über den Kunstmarkt hinaus, auf dem derlei Wertzuschreibungen oft vollends irrational sind.

In Grimms Märchen „Hans im Glück“ geht es bekanntlich darum, dass ein junger Mann anfänglich Gold eintauscht und nach und nach immer geringere Werte erzielt, was aber nicht beklagenswert erscheint, sondern als Befreiung von einer Last. Eine schöne, herzige Utopie der Loslösung vom schnöden Mammon. Und so hält auch die Duisburger Ausstellung hie und da Ausschau nach Tauschwerten jenseits des Geldes. Am sinnfälligsten gelingt dies Hans-Peter Feldmann, der auf runden Tabletts kleine Weizenfelder angelegt hat, die gleichsam vor den Augen der Besucher staunenswert wachsen und eine ungeheure Energie ohne sonderliches Kapital ahnen lassen.

Es herrscht aber nicht rundum Verweigerung. Selbst die Fluxus-Künstler der 60er und 70er Jahre (in der Ausstellung vertreten: Robert Filliou, Daniel Spoerri, Ben Vautier, Dieter Roth) wollten von ihrem Tun leben und haben Auflagenkunst (Multiples) hergestellt, die sich dann doch leidlich verkaufen ließ. Allerdings widersprachen sie damit bereits dem Unikat-Gedanken. Überhaupt wehrten sie sich mit oft ausgeklügelt hintersinnigen Arrangements gegen den Fetischcharakter der (Kunst)-Ware. Ohne gewisse Widersprüche ist auf diesem Spannungsfeld schwerlich zu operieren.

Apropos Widersprüche, die aber auch zu Übereinstimmungen gerinnen können: Daniel Spoerri blendete „ärmliche“ Kunstmaterialien und schieren Luxus ineins, als er einen Filzanzug à la Beuys zusammen mit einem Designeranzug à la Cardin in Goldfolie präsentierte. Um die Wirrnis der Werte zu steigern, tauschte er die Vornamen aus und nannte die Herren Pierre Beuys und Joseph Cardin. Wobei zu sagen wäre, dass Beuys’ Schöpfungen einen finanziellen Vergleich mit Cardin durchaus bestehen würden. Aus dem Ärmlichen erwuchs Reichtum…

Handel und Wandel, ganz konkret und zugleich spielerisch: Die Deutsch-Japanerin Takako Saito hat einen ganzen Shop im Museum aufgebaut, den „You and me shop“, in dem man sich zur Kunst ernannte Objekte zusammenstellen und erwerben kann. Auch ein Dutzend Duisburger Künstler darf auf Saitos Wunsch hierbei mitwirken, ohne dass Galeristen von den Verkäufen (allesamt unter 50 Euro) profitieren.

Slowenische Künstlergruppe IRWIN: "Golden Smile" (Fotografie, 2003) (© Courtesy of Galerija Gregor Podnar, Foto: Tomas Gregorič)

Slowenische Künstlergruppe IRWIN: „Golden Smile“ (Fotografie, 2003) (© Courtesy of Galerija Gregor Podnar, Foto: Tomas Gregorič)

Das slowenische Künstlerkollektiv IRWIN, das jede individuelle Schöpfung und Signatur ablehnt, enthüllt mit einigem Witz die oft irrsinnige Preisfindung für Kunstwerke. In der dreiteiligen Arbeit „Namepickers“ wird eine Kreation der berühmten (und somit besonders teuren) Marina Abramovic durch Kopie und Ent-Persönlichung sukzessive im Wert geschmälert. Ohne Überhöhung und ohne Aura, so zeigt sich, schwindet gleichsam das Kapital der Kunst. Und gar vieles ist ohnehin nur lächerliches Blendwerk, wie das IRWIN-Lächelbild mit gebleckten goldenen Zähnen vor Augen führt.

Renommierte Gegenwartskünstler sind an der gleichwohl übersichtlichen Duisburger Schau beteiligt. Felix Droese, Katharina Fritsch, Per Kirkeby und Wolf Vostell stillen ein etwaiges Bedürfnis nach Namedropping. Der griechische Biennale-Teilnehmer Stefanos Tsivopoulos ruft in einer beziehungsreichen Videoinstallation die Krise in seinem Heimatland auf. Die gleichfalls Biennale-erprobten Rumänen Alexandra Pirici und Manuel Pelmus wählen das Mittel der Performance, um der Kunst die materielle Basis zu nehmen und sie flüchtig zu machen wie vergängliches Theater. Da gibt’s nichts zu kaufen.

Salvador Dalí: "Kopf Dante" (1964), Bronze, grünlich patiniert, vergoldete Silberlöffel auf Marmorsockel (Lehmbruck Museum, Duisburg - © VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Britta Lauer)

Salvador Dalí: „Kopf Dante“ (1964), Bronze, grünlich patiniert, vergoldete Silberlöffel auf Marmorsockel (Lehmbruck Museum, Duisburg – © VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Britta Lauer)

Sehr weit haben sie sich somit von älteren Positionen der Moderne entfernt. Salvador Dalís Dante-Kopf, geschmückt mit vergoldeten Löffeln als Lorbeer, ist – verhaltener Ironie zum Trotz – ein eitles Sockel-Kunstwerk par excellence. Und auch Andy Warhols Waschmittel-Box („Brillo“) verdoppelte einst ja nur den götzenhaften Warencharakter; eine damals in jedem Wortsinne blendende Idee, die man freilich nicht endlos variieren sollte. Durchaus bemerkenswert, dass eine Arbeit von Man Ray heute zeitgemäßer wirkt als Warhols Warenzeichen.

Übrigens passen nicht alle Exponate so recht zum Thema der Ausstellung. Manches (zumal die schon öfter gezeigten Stücke aus Eigenbesitz) wird eher notdürftig in den Kontext gezwängt. Man muss schon sehr umständlich erklären, warum Skulpturen von Otto Pankok oder Wilhelm Lehmbruck („Bettlerpaar“) in diesen Zirkel gehören sollen.

„Hans im Glück – Kunst und Kapital“. Lehmbruck Museum, Duisburg (Friedrich-Wilhelm-Straße 40). Ab Samstag, 8. März (Eröffnung 16 Uhr) bis 22. Juni. Geöffnet So 11-18, Mo/Di nach Absprache, Mi 12-18, Do 12-21, Fr/Sa 12-18 Uhr.
Weitere Infos: www.lehmbruckmuseum.de




Die Freiheit der Kunst kann zur Ratlosigkeit führen – Ausstellung „Das offene Bild“ in Münster

Von Bernd Berke

Münster. „Sobald man darüber redet, wird die Sache richtig kompliziert“, befürchtet Erich Franz. Doch unbefangen und mit wortlosem Wohlgefallen kann man die Schau, die er für das Münsteraner Landesmuseum zusammengestellt hat, eben auch nicht betrachten. „Das offene Bild“ heißt sie, und sie soll mit rund 200 Beispielen von 80 europäischen Künstlern zeigen, wie man sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr von fixen und fertigen Bild-Aussagen verabschiedet hat.

Genau das macht die Deutung neuerer Kunst so schwierig, denn auch sie ist ja seither ins Offene – und häufig genug wohl auch ins gänzliche Belieben des Betrachters gestellt. Weniger eine Schau zum Schwelgen also, eher eine zum Kopfzerbrechen, sattsam mit theoretischer Fracht beladen.

Viele Wege führen zum offeneu Bild. Ein paar Beispiele nur: Bei Gerhard Hoehme schlängeln sich zaghaft kleine Tentakeln aus der geschlossenen Bildfläche heraus. Wolf Vostell öffnet Plakatbilder, indem er ihre Außenhaut verletzt. Patrick Saytours aufgehängte Tücher werden erst durch ihre Gegenwart im Museum zur Kunst ernannt. Ihr regelmäßiges, ja eintöniges Muster könnte sich unendlich, also weit über das eigentliche Bild hinaus fortsetzen.

Und weiter: Bei Blinky Palermo sind die Teile eines Bildes gleichsam explodiert – und finden sich als Einzelstücke wieder, über die Wand verstreut und in ein neues Spannungsverhältnis zueinander gebracht. Daniel Spoerri wiederum bannt mit Klebstoff ein ganzes Heimwerker-Stilleben samt Bohrer auf eine Platte – das Bild als Wirklichkeit, die Wirklichkeit als Bild.

Pures Material oder Entmaterialisierung

Zwei Grundstrategien zeichnen sich ab: Manche Künstler (wie etwa Jean Dubuffet) lassen das Bild als pures Material zur Geltung kommen, sie häufen beispielsweise die Farbe zu fingerdicken, ertastbaren Landschaften auf oder stellen gleich vollends unbehandelte Leinwände aus. Andere (wie Günther Uecker oder Lucio Fontana) erproben umgekehrt die Ent-Materialisierung, indem sie flüchtige Vorgänge wie Schatten- und Lichtreflexe oder den Prozeß des Herstellens und Betrachtens (Fluxus-Kunst) einbeziehen. Sie alle sprengen den Rahmen, vormals ein Gütezeichen der (Ab-)Geschlossenheit. Wenn in Münster dennoch einige Bilder gerahmt oder hinter Glas gezeigt werden, so hat das ausschließlich konservatorische Gründe.

Planvolle Kompositionen, souverän gestaltete Beziehungen zwischen Figur und Grund – solche akademischen Erlesenheiten gehören der Vergangenheit an. Statt dessen begegnen wir hier entgrenzten Phänomenen wie Struktur und Materie. Das Bild wird zu einer Art Körper, es will im Grunde gar nichts mehr aussagen und darstellen, sondern ist einfach da, um sich selbst zu zeigen: Hier hänge ich und kann nicht anders. Vertrackt genug! Katalog-Erwerb und/oder Teilnahme an einer Führung sind denn bei dieser Ausstellung auch ratsam, eine Video-Einführung hilft ebenfalls weiter.

Doch vielleicht entspricht eine gewisse Ratlosigkeit dieser Schau sogar am besten, denn auch die Kunst scheint ja vor lauter Freiheiten selbst immer unsicherer geworden zu sein.

„Das offene Bild“. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster. Bis 7. Februar 1993. Tägl. außer Mo. 10-18 Uhr. Katalog 48 DM.