Ring frei zum großen Ehekrach – „Offene Zweierbeziehung“ von Dario Fo in Wuppertal

Von Bernd Berke

Keine Frage, daß eine Premiere von Dario Fos Ehekrach-Stück „Offene Zweierbeziehung“ zum Silvesterabend paßt, denn es brennt am letzten Tag des Jahres eben nicht nur Feuerwerk ab, auch in „Zweierkisten“ wird’s da zuweilen brenzlig.

Auf die Honigmond-Fassade, die übers Jahr die Risse im Beziehungs-Gebälk oft besser verbirgt, spielt Rosemarie Krines‘ Bühneneinrichtung der Wuppertaler Inszenierung (Regie: Helmut Palitsch) sattsam mit Kitsch- und Harmonie-Signalen an: Die Aufbauten leuchten rosarot und himmelblau, auch ein Tannenbäumchen fehlt nicht; die beiden Akteure bewegen sich gar durch ein Bodengewölk von zahllosen Bettfedern, die freilich im Eifer des Streitgefechts aufgewirbelt werden und bis weit in den Zuschauerraum driften. Doch derlei wattierte Niedlichkeit täuscht natürlich: Die Souffleuse schlägt immer mal wieder auf einen Gong: Ring frei zur nächsten Runde im Ehekampf!

Die Geschichte ist schnell erzählt: Der Mann will endlich ungestraft fremdgehen, nennt dies aber – mit pseudolinken Sprüchen gewappnet – „die Zweierbeziehung öffnen“. Allerdings soll die „Öffnung“ nur auf seiner Seite erfolgen. Kaum macht seine Frau ebenfalls Ernst, wird ihm mehr als mulmig zumute. Garniert ist das Ganze mit turbulenten Einblicken in den alltäglichen Geschlechterkampf, wobei die einander zausenden Eheleute zuweilen episch aus ihren Rollen fallen und das Publikum zum Zeugen anrufen.

Maria Pichler und Erich Leukert lassen sich das Spiel-„Futter“ des Stücks nicht entgehen und sorgen für herrliches Lachtheater, das auch nicht eine Minute langweilig wird. Bewundernswert auch ihre physische Leistung: Zu Silvester spielten sie das temporeiche Zweipersonen-Stück gleich zweimal hintereinander.




„Hohn der Angst“: Gag-Potential weidlich ausgeschöpft

Von Bernd Berke

Wuppertal. Auf die rundum weiß verhangene Bühne wird ein gigantischer Lastwagen (Marke: Fiat) gewuchtet. Das Riesenspielzeug enthält sämtliche Bühnenaufbauten für die kommenden Szenen. So gebiert der Blech-„Bauch“ des Konzerns die ganze Farce.

Um Fiat-Boß Agnelli geht es in Dario Fos „Hohn der Angst“. Scheinbar von Terroristen entführt, ist Agnelli ausgerechnet von einem seiner stramm kommunistischen Arbeiter, Antonio, gerettet und in der Klinik abgeliefert worden. Während Antonio sich aus Angst vor allgemeiner Hatz versteckt, wird das zur Unkenntlichkeit zerschundene Gesicht Agnellis nach dem Paßbild des Arbeiters chirurgisch modelliert. Das Foto steckte in der Jacke, die Antonio ihm vor dem Krankenhaus überwarf. Der Herr als Doppelgänger des Knechts – das Verwechslungsspiel kann beginnen.

In der Wuppertaler Aufführung (Regie: Helmut Palitsch) wird das kaum zu verfehlende Gag-Potential weidlich ausgeschöpft. Das Unterhaltungspensum, kein Zweifel, wird absolviert. Leider nicht immer im wünschenswerten Wahnsinns-Tempo, sondern gelegentlich breit und genüßlich auswalzend. Immerhin gelingen besonders nach der Pause einige Szenen, in denen heller Irrsinn wetterleuchtet.

Auf Sparflamme flackert hingegen das Feuer politischer Provokation. Wir sind eben nicht im Italien des Jahres 1981, als Fos Stück nach dem Mord an Aldo Moro die Gemüter erhitzte. Wir sind auch nicht auf dem Volksfest oder im Kneipensaal, den eigentlichen Orten für Fos dröhnenden Klamauk. Und wer macht sich denn noch, im ordentlich bestuhlten Stadttheater, so viele Illusionen, daß es nötig erscheint, mehrfach die Fiktion des Theaters zu betonen, wie dies hier geschieht (die Souffleuse kräht extra laut das Stichwort heraus, demonstrativ wird aus leerer Flasche eingeschenkt).

Bernd Kuschmann ist letztlich in jeder Rolle jungenhaft sympathisch. So auch hier als Antonio und „Doppelgänger“ Agnelli, die er zu undeutlich voneinander absetzt. Das Ensemble chargiert nach Kräften, die freilich nicht allen in gleichem Maße gegeben sind. Viele Faxen bleiben purer Selbstzweck.




Farce von Dario Fo in Dortmund: Unbequeme Fragen nach dem Tod eines Anarchisten – und scharfe Kritik am Intendanten

Von Bernd Berke

Dortmund. Mitten in der Premiere des Dario Fo-Stücks „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ hielt Claus-Dieter Clausnitzer das Programmheft in die Höhe und rief, im ironischen Brustton der Überzeugung: „Wir haben hier doch keine Zensur!“

Die Zuschauer quittierten die Anspielung mit Beifall. Gemeint war die Entscheidung des Generalintendanten Paul Hager, eine erste Fassung des Programmhefts wegen einiger, nicht gerade polizeifreundlicher Karikaturen und wegen eines Aufsatzes aus der Feder von Peter-Paul Zahl nicht zu veröffentlichen. Schon vor der Aufführung, die sich übrigens auch Paul Hager nicht entgehen ließ, kursierten im Publikum achtseitige Sonderdrucke, herausgebracht von mehreren alternativen Stadtmagazinen, in denen (neben dem von Hager gestrichenen Zahl-Aufsatz) schärfste Angriffe gegen den Intendanten selbst zu lesen waren.

Neben all dem gab es auch noch Theater, und zwar nicht von der schlechtesten Sorte. Das vor elf Jahren entstandene Stück des Italieners Dario Fo rollt die höchst zwielichtigen „Zufälle“ auf, die sich bei polizeilichen Untersuchungen gegen einen Anarchisten häufen. Ihm wird ein Attentat zur Last gelegt, das in Wahrheit von Faschisten begangen wurde. Während eines Verhörs stürzt der fälschlicherweise Beschuldigte tödlich aus einem Fenster im vierten Stock des Polizeigebäudes: Selbstmord, Unfall, unterlassene Hilfeleistung? Diese unbequemen Fragen zu stellen, setzt Dario Fo die Figur des „Verrückten“ ein, der behende in jede Rolle schlüpfen kann, auch in die eines Untersuchungsrichters, der die Polizei aus einer Verwirrung in die andere stürzt.

Dario Fo hat eine Farce geschrieben, also kommt es nicht auf subtile Charakterzeichnung, sondem auf Situationskomik an. und die entfaltete sich vor dem überwiegend jungen Publikum im Studio der Dortmunder Bühnen bisweilen so turbulent, daß der Spielraum zu eng wurde. Aber dies ist eben der Preis für den Kontakt zwischen Darstellern und Zuschauern, wie er im Studio möglich ist.

Abgesehen von einigen Text-Unsicherheiten, die wohl dem Premierenfieber zuzuschreiben sind und in dem temporeichen Stück nicht sehr ins Gewicht fallen, präsentierte sich das Ensemble (Regie: Sebastian Bissmeier) in guter Spiellaune. Allen voran, stellenweise umwerfend komisch, Claus-Dieter Clausnitzer. Hervorzuheben auch Peter Loth als Polizeipräsident. Die weiteren Mitwirkenden (Barbara Blümel, Boris Burgstaller, Jürgen Mikol) spielten solide. Günter Hüttmann als Komissar Bertozzo fiel dagegen etwas ab. Freilich bot seine Rolle auch die geringsten Entfaltungsmöglichkeiten.

Die Meinung des Publikums: langanhaltender, herzlicher, für CIausnitzer sogar frenetischer Beifall mit vereinzelten Bravo-Rufen.