Eine Begegnung mit dem großen Journalisten Georg Stefan Troller (96) – und ein verdienstvoller Verleger aus Köln

Unser Gastautor Heinrich Peuckmann über eine Begegnung mit dem vorbildlichen Journalisten Georg Stefan Troller, der inzwischen 96 Jahre alt ist. Anlass war die Verleihung des Hermann-Kesten-Preises in Darmstadt:

Diesjähriger Träger des Hermann-Kesten-Preises, gestiftet von der Autorenvereinigung PEN und vom Land Hessen, ist der Kölner Verleger Thomas B. Schumann, der in seinem Verlag Edition Memoria ausschließlich Bücher verfolgter Schriftsteller herausbringt, die vor den Nazis fliehen mussten und die nach dem Ende der Nazizeit oftmals nicht mehr die Anerkennung fanden, die sie vorher gehabt hatten.

Von links: der legendäre Journalist Georg Stefan Troller, der Verleger Thomas B. Schumann und unser Gastautor, der Schriftsteller Heinrich Peuckmann. (Foto: Tanja Kinkel)

Von links: der legendäre Journalist Georg Stefan Troller, der Verleger und Kesten-Preisträger Thomas B. Schumann und unser Gastautor, der Schriftsteller Heinrich Peuckmann. (Foto: Tanja Kinkel)

Es ist eine höchst verdienstvolle Arbeit, die Schumann da für die deutsche Literaturgeschichte leistet und die ihn oft genug an finanzielle Grenzen gebracht hat. Die Laudatio bei der Preisverleihung in Darmstadt war etwas ganz Besonderes, denn sie hielt zur Freude der Veranstalter der Fernsehjournalist Georg Stefan Troller, der, inzwischen 96 Jahre alt, extra aus Paris angereist war.

Troller ist unter den Journalisten eine Institution, sein „Pariser Journal“ im Fernsehen ist unvergessen. Der Bezug zwischen Preisträger und Laudator ist schnell geklärt. Troller veröffentlicht noch jedes Jahr ein neues Buch, gerne in Schumanns Edition. Entsprechend persönlich fiel Trollers Rede aus, in die er das Schicksal einiger der verfolgten Schriftsteller einflocht. Eingeleitet hat er sie aber mit einem schönen Zitat. Nach viel Lob bei seiner Vorstellung zitierte er seinen Vater, einen jüdischen Pelzhändler, der mal zu ihm gesagt hat: „Also Georgie, dass aus dir noch was geworden ist, ich hätte es nicht gedacht.“

Für die US-Army gegen die Nazideutschland gekämpft

Troller ist als österreichischer Jude selbst ein Opfer der Nazis, musste über die Tschechoslowakei und Frankreich in die USA fliehen, wurde dort eingezogen und kämpfte in der US-Army gegen Nazideutschland. Nach dem Krieg blieb er in Europa, fand aber, wie viele Exilierte, keinen Anschluss mehr in seiner alten Heimat und blieb daher in Frankreich. Auch dies ist ein Faktum, dass es zur Kenntnis zu nehmen gilt, genau wie die Tatsache, dass hauptsächlich im Westen die Exilautoren wenig bis gar nicht beachtet wurden, in der DDR dagegen schon.

In der Reihe seines Pariser Journals, in dem er mit sonorer Stimme seine Kommentare vortrug, hat er großartige Sendungen produziert und dabei oft verfolgte Autoren vorgestellt. Dazu gehörte Georg K. Glaser, dessen großartiger Roman „Geheimnis und Gewalt“ etwa alle zwanzig Jahre wiederentdeckt wird. Seine kommunistische Jugend schildert Glaser darin in einer großartig-kraftvollen Sprache, die an Luther erinnert. Von den Nazis wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt, floh nach Frankreich, kam als französischer Soldat in deutsche Gefangenschaft, aber die Nazis fanden nicht heraus, wer dieser vermeintliche Franzose in Wirklichkeit war. Später blieb auch er in Frankreich und betrieb bis zu seinem Tod 1995 eine Silberschmiede in der Nähe der „Place de la Concorde“.

An Glasers Roman ist die Schilderung seiner Abkehr vom Stalin-Kommunismus besonders interessant, die er beeindruckend schildert. Auch entlarvt er anhand von eindrucksvollen Erlebnissen diese Ideologie. Eines der wenigen Bilddokumente über diesen völlig unterschätzten Autor hat Troller produziert.

Gespräche mit Ezra Pound und William Somerset Maugham

Troller war es auch, dem der große Ezra Pound ein Interview gab, das einzige nach Pounds vielen Jahren in der Psychiatrie. Groß war Pound in zweifacher Hinsicht, in seiner Lyrik nämlich, den Pisaner Elegien – und in seinem schrecklichen Irrtum bei seinen Hetzreden im italienischen Rundfunk für Mussolini. Wie ein solcher Autor beides zusammen bringen konnte, diese großartigen Gedichte, dazu seine absolute Hilfsbereitschaft für andere Autoren und dann die rassistischen Nazireden, wird vielleicht nie ganz zu klären sein. Troller hat er gesagt, dass er nach seinem Irrtum schweige, das sei es, was ihm übrig geblieben sei. Aber er hätte das Schweigen nicht gesucht, es sei zu ihm gekommen. Nach der Preisverleihung hatte ich Gelegenheit, mit Troller darüber zu sprechen. Eine tiefere Erklärung für Pounds Handeln hat auch Troller bis jetzt nicht.

Die ehemaligen Autorenfreunde, die Pound vor der Nazizeit hatte, haben ihn übrigens alle fallen gelassen, Ausnahmen waren William C. Williams, obwohl Pound ihn in seinen Hetzreden auch noch verleumdet hatte – und Ernest Hemingway. Was dann doch für die Menschlichkeit dieser beiden Autoren spricht.

Somerset Maugham hat Troller ebenfalls ein Interview gegeben und dabei tiefe Einblicke in sein Seelenleben gegeben. Das war halt die Stärke von Troller, dass er den Nerv seiner Interviewpartner traf und sie ihm vertrauten. Maugham, der über 80 Bücher schrieb, die fast alle Bestseller wurden, vertraute Troller an, dass er selten in seinem Leben glücklich gewesen sei. An ihm nagten bis ins hohe Alter (auch er wurde über 90) die Demütigungen aus der Jugendzeit, denn Maugham war Stotterer. Der Spott, den er als Kind deswegen ertragen musste, hat ihn lebenslang verletzt.

Wenn das Gegenüber tiefes Vertrauen fasst

Das war es, was Trollers Reportagen so einzigartig macht, der tiefe Einblick in die porträtierten Menschen. Es war seine große Kunst, sein Gegenüber so gut zu verstehen, dass der Vertrauen zu ihm fasste.

Troller ist den damaligen Verantwortlichen in den Sendern dankbar, dass sie ihm die Chance gaben, bei ihnen mitzuarbeiten. Wenigstens hier hat der Exilautor wieder Tritt fassen können. Er hat es den verantwortlichen Redakteuren mit unvergesslichen Reportagen gedankt. Troller hat sich immer dem deutschen Sprachraum zugehörig gefühlt, nur hier wieder heimisch zu werden, das hat er nicht geschafft.

So bleibt ein geteilter Blick auf Troller. Einmal die Freude über seine journalistische Arbeit und der Respekt davor, dann die Wehmut, dass solche Sendungen heute fehlen. Einen zweiten Georg Stefan Troller müsste es geben, habe ich gedacht, als ich ihm in Darmstadt begegnete. Der Original allerdings, das konnten alle Zuhörer bei der Darmstädter Preisverleihung erleben, ist trotz des hohen Alters noch erstaunlich fit. Weitere Bücher in Schumanns Edition Memoria sind bestimmt noch zu erwarten.




Eberhard! (Schlotter…)

Schlotter "Schwarzer Lappen", 1962, Mischtechnik, Foto CL

Schlotter "Schwarzer Lappen", 1962, Mischtechnik, Foto CL

Ich bin ja sehr tolerant. Und grundsätzlich historisch interessiert. Wenn mich also jemand fragt, ob ich mitkäme in den Kunstverein einer mittelgroßen Gemeinde (wart ihr schon mal in „Darmstadt“ (sic)? Liegt südlich von Wixhausen (sic). Kein Scherz; die Hessen sind bekannt für poetische Namensgebungen.) Also jedenfalls, wenn mich jemand sowas fragt und mir die Besichtigung der Ausstellung eines neunzigjährigen Malers in Aussicht stellt, sag ich natürlich gequält aber aufgeschlossen „kann’s kaum erwarten“ – oder sowas in der Richtung. Meister der Moderne muss man sich schließlich unermüdlich draufschaffen, weil wie wir wissen, ist besagte Moderne ja unsere Antike und so.

Dass mir der Name Eberhard Schlotter (tja, auch Niedersachsen können poetisch) noch nie begegnet ist, obwohl eingedenk unserer ansehnlichen Lebensspannen eigentlich Zeit genug gewesen wäre, bremst meinen Enthusiasmus zusätzlich. Dann aber erinnere ich mich an meine inbrünstig demokratische Lasst-mal-die-Kleinen-nach-vorn-Mentalität, und an meine Schimpftiraden hinsichtlich der immergleichen Hypes der üblichen Verdächtigen. Also halte ich mir einen pädagogisch wertvollen Vortrag, um mich von der These zu überzeugen, dass die Tatsache, dass ein Maler offensichtlich neunzig Jahre lang in der Pre-Emerging-Schleife verbracht hat, nur seine konsequente Mainstream-Inkompatibilität beweist, und hier aufrechter Widerstand gegen zeitgenössischen Anpassungsdruck zu erwarten ist.

Auf dem Weg zum Tatort weiß ich genau, welche Art von Malerei die nächste halbe Stunde meine geballte Selbstdisziplin (= Verdrängung hartnäckiger Fluchtimpulse) fordern wird. Wenn er 1921 geboren wurde, ist er aller Wahrscheinlichkeit nach in den 1950er Jahren zu Hochform aufgelaufen und hat demnach sein kreatives Potential in die unausweichlich informelle Malerei jener Epoche investiert. Gegen die hab ich auch gar nichts. Und gerade deswegen inzwischen dann doch häufig genug gesehen. Abbildungen in einer Zeitung bestätigen mein sorgfältig differenziertes Vorschussurteil: „Ach, so einer.“ Na denn: Auf zur Vollstreckung des Bildungsauftrags.

Schlotter "Die graue Tür", 00, Mischtechnik, Foto CL

Schlotter "Die graue Tür", 00, Mischtechnik, Foto CL

Beim Betreten der Halle erleide ich einen Anfall akuter Maulsperre: Der Unterkiefer sackt und lässt mich eine Weile intelligenzfrei an die Wände starren. Der Wow-Faktor hat zugeschlagen.

Trotz aller Vielfalt lässt das Panorama aus abstrakten und veristischen – d.h. ins Groteske übersteigerten figurativen – Gemälden eine eigenartige Übereinstimmung erkennen:

Noch die scheinbar ungegenständlichsten Arbeiten erweisen sich als in Farbe und Form reduzierte Darstellungen wiedererkennbarer Motive: Architektur in Landschaft, Gebäudeteile, Licht und Schatten auf Mauerwerk und Holz.

Schlotter "Die kleine Stadt Huayacan", 01, Mischtechnik, Foto CL

Schlotter "Die kleine Stadt Huayacan", 01, Mischtechnik, Foto CL

Der Verzicht auf Einzelheiten aber bedeutet keine wirkliche Reduktion, sondern bietet Raum für einen erstaunlichen Detailreichtum der Struktur einer Oberfläche, die keine ist. Aus einer Mischung von Sand, Gips und Farbe (oder so) entstehen Reliefs, die den Blick vollständig vom Inhalt („Leeres Kaufhaus“, „Das große Wäscheproblem“ etc.) auf die Form lenken. Das Auge kriecht in Furchen und stolpert über die Leinwand verkrustende Plateaus, deren Fülle erdfarbiger Nuancen einem denkbar unbunten Spektrum entstammt. Schlotters Palette beschränkt sich so konsequent auf Farbfamilien, wie sie allenfalls oberhalb der Vegetationsgrenze oder 40° Celsius in der Wüste vorkommen, dass es nicht überrascht, dass der Maler seit 1960 einen zweiten Wohnsitz im spanischen Alicante unterhält.

Schlotter "Gropius was here", 1999, Mischtechnik, Foto CL

Schlotter "Gropius was here", 1999, Mischtechnik, Foto CL

Die Personendarstellungen aus den 1950er bis 70er Jahren hingegen sind bunter, aber nicht farbenfroh, denn Dunkles dominiert – in jeder Hinsicht. Auch hier lenkt das weggelassene Beiwerk die Aufmerksamkeit auf die psychogrammartigen Porträts. Nahezu alle Gesichter erinnern auf ihre Weise an Masken: das bizarre Makeup Jugendlicher Mitte der 80er Jahre, der bevorstehende Tod im aufgelösten Gesicht eines Heroinabhängigen, das subtile Sabbern des angetrunkenen Lustmolchs im Frack.

Schlotter "Der selbständige Sohn des Metzgers", Öl auf Leinwand, Foto CL

Schlotter "Der selbständige Sohn des Metzgers", Öl auf Lwd., Foto CL

Eine allgegenwärtige physiognomische Asymmetrie lässt auf die zwei Seelen, ach, der ProtagonistInnen schließen. Gesichts- und Körperhälften sind selten synchron: ein Auge ist müde, das andere lüstern, ein Mundwinkel hebt, der andere senkt sich.

Schlotter "Die Frau des Metzgers", 1958, Öl auf Lwd., Foto CL

Schlotter "Die Frau des Metzgers", 1958, Öl auf Lwd., Foto CL

Szenarios ohne Personen hingegen wirken symbolisch, dabei aber polyvalent – eher Pittura Metafisica als bedeutungsschwangere Redseligkeit. Zurückgelassene Gegenstände und leere Interieurs erzählen von etwas, das wir nie erfahren werden. Angesichts der Verteilung von lesbaren Details und freien – nicht leeren – Flächen drängt sich ohnehin der Eindruck auf, dass es dem Maler weniger um den rekonstruierbaren Plot ging als darum, das Geplauder der Einzelheiten räumlich einzudämmen und den größten Teil der Leinwand dem freien Spiel von Farbe und Schatten zu widmen.

Schlotter "Herein ohne anzuklopfen", 04, Mischtechnik, Foto CL

Schlotter "Herein ohne anzuklopfen", 04, Mischtechnik, Foto CL

Fazit: Normalerweise bin ich nicht so freigiebig mit Beifallsstürmen, aber diese Ausstellung ist faszinierend. Dabei hab ich die ganze Druckgrafik gar nicht erwähnt. Und das ist gut so, denn ein Blog ist kein Katalog und Schlotter muss man offline sehen. Fahrt mal nach Darmstadt (sic)!

Eberhard Schlotter „unterm Strich“ bis 22.8.11 in der Kunsthalle Darmstadt