Deutschland-Premiere für den bleichen Mann vom Mars: David Bowies Musical „Lazarus“ am Düsseldorfer Schauspielhaus

Szene aus „Lazarus“
(Foto: Lucie Jansch)

Die Außerirdischen leben mitten unter uns: Doch leider bleiben sie uns fremd und wir ihnen. Daher sind sie einsam und traurig und wünschen sich hinweg in eine andere Welt – ob dies ihre Heimat ist oder das Jenseits bleibt offen. Zumindest in dem Musical „Lazarurs“ von David Bowie und Enda Walsh, das jetzt im Schauspielhaus Düsseldorf seine Deutschland-Premiere feierte.

Die Story basiert auf dem Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“ von 1976, in dem Popstar David Bowie die Hauptrolle spielte. Er verkörpert darin einen seltsam blassen, androgyn schönen Mann vom Mars, der auf die Erde geschickt wurde, um Wasser zu finden. Denn auf dem Mars herrscht eine schreckliche Dürre; um seine Heimatzivilisation zu retten, möchte Thomas Newton gemeinsam mit menschlichen Wissenschaftlern einen Weg finden, das Wasser auf den Mars zu transportieren. Doch stattdessen wird er Opfer medizinischer Experimente und seine Liebe zum Erdenmädchen Mary Lou geht auch schief. Der Rückweg bleibt ihm versperrt, er verfällt dem Gin.

Melancholie vor dem Ende des Lebens

Hier setzt nun die Handlung des Musicals ein, das im Dezember 2015 (wenige Wochen vor David Bowies Tod) in New York uraufgeführt wurde. In der Entstehungszeit war David Bowie bereits krebskrank, so dass die Auseinandersetzung mit dem Sterben der Hauptfigur Thomas Newton als Alter Ego des Künstlers einen ebenso existenziellen wie verzweifelten Zug verleiht. Musikalisch korrespondiert beispielsweise der Titelsong „Lazarus“ mit Bowies letzter CD Blackstar, die zwei Tage vor seinem Tod herauskam: Auch hier bricht sich die Melancholie des Lebensendes Bahn; zugleich spürt man den genialen, wandelbaren Künstler, der sich immer wieder verändert und nicht nur ausdrückt, was er fühlt, sondern auch seismographisch die Zeit erspürt, in der er lebt.

(Foto: Lucie Jansch)

Im Schauspielhaus sitzt der norwegische Performer und Sänger Hans Petter Melo Dahl alias Newton in einer Art Raumschiff-Kuppel auf einem Stuhl, den der Filmliebhaber als den Sessel der medizinischen Experimente wiedererkennt. Dahl sieht dem alternden Bowie verblüffend ähnlich, seine Stimme klingt allerdings ein wenig tiefer, männlicher als man Bowies in Erinnerung hat. Aber vielleicht ist das auch der Bronchitis geschuldet, die Regisseur Matthias Hartmann zu Beginn dem Publikum ankündigt und für die er um Verständnis bittet.

Auch Hartmann ist ein wenig älter geworden, als man ihn als Intendant am Bochumer Schauspielhaus in Erinnerung hatte – kein Wunder, denn das ist ebenfalls 13 Jahre her. Dazwischen liegen das Burgtheater und der Finanzskandal, der zu seiner Entlassung führte. Außerdem hat Hartmann aktuell auch noch eine Art MeToo-Debatte am Hals, in der es aber eigentlich um das autoritäre System des Stadttheaters und unpassende Herren-Witze bei Proben geht – doch das führt hier gerade zu weit…

Ein Ring aus lauter Ginflaschen ums Bett herum

Newton vom Mars jedenfalls lebt in einem New Yorker Penthouse, sein Bett umringt mit Ginflaschen. Er ist so einsam, dass er ein feenhaftes Mädchen (Lieke Hoppe) imaginiert – vielleicht kann sie ihm helfen, zu seinem Planeten zurückzukehren? Ferner umsorgt ihn noch Assistentin Elly (Rosa Enskat), die sich mit einer Ehekrise herumplagt und ihren Chef vergöttert. Das geht so weit, dass sie sich als seine verflossene Geliebte Mary Lou verkleidet, um ihrem unnahbaren Marsmenschen näher zu sein.

Die Rolle des Dämons übernimmt Valentine (André Kaczmarczyk), ausstaffiert als eine Mischung aus Drag-Queen und Todesengel mit schwarzen Flügeln. Er scheint geradewegs Bowies Song „Valentine’s Day“ entstiegen zu sein, der sich um einen Amokläufer dreht. Sie alle singen nun abwechseln David Bowies Hits von „Absolute Beginners“ über „Changes“ und „Life On Mars?“ bis hin zu „The Man Who Sold the World“ – eine Hommage an den Popstar, die dadurch gewinnt, von verschiedenen Figuren performt zu werden. Doch obwohl alle tolle Stimmen haben: An das Original reicht irgendwie keiner heran.

(Foto: Lucie Jansch)

Schade, dass die Dialoge ein wenig platt daherkommen, vielleicht um den amerikanischen Musical-Geschmack zu treffen? Auch bleibt die Handlung stellenweise verrätselt: Es geschehen beispielsweise zwei Morde, deren Motive im Dunkeln liegen. Andererseits gehört das Skurrile, Dunkle, Sinnfreie bzw. Hintersinnige eindeutig zu Bowies Werk. Genauso wie die Liebe zu den Sternen und zum Weltall. Den ganzen Abend habe ich deswegen auf „Major Tom“ (aus Space Oddity) gewartet, doch das Lied kam nicht. Stattdessen schwebt Mr. Newton mit seinem erfundenen Girl zu den Klängen von „Heroes“ in seiner Raumkapsel am Ende gen Himmel. Erlöst und befreit von der Erdenschwere dieser Welt.

P.S. Das Bühnenbild von Volker Hintermeier und die Kostüme von Su Bühler waren übrigens großartig: Da kam richtiges 70er Jahre Feeling auf.

Termine und Karten:
www.dhaus.de




Ungemein wandelbar, unstillbar neugierig – zum Tod von David Bowie

Als er neun Jahre alt war, hatte er eine Begegnung mit „Gott“, wie er es später beschrieb. Der kleine David Robert Jones aus Londons Stadtteil Brixton hörte Little Richards Version von „Tutti Frutti“ verzückt rauf und runter – und war seinem Vater Haywood endlos dankbar, dass der ihm die Rille geschenkt hatte.

Im Klang von Little Richards Stakkato erwachten der Sinn für die Musik, die Kreativität, das Sinnliche am Machbaren beim Jungen, aus dem später David Bowie werden sollte. Er wurde zur Ikone des Pop und zu einem Künstler, dessen Einfluss auf die Entwicklung des Genres ungeheuer wurde. David Bowie, das Multitalent mit dem androgynen Äußeren, ist jetzt mit 69 Jahren an Krebs gestorben.

David Bowie am 8. August 2002 bei einem Auftritt im Tweeter Center (Tinley Park bei Chicago). (Foto: Adam Bielawski/Wikipedia Commons)

David Bowie am 8. August 2002 bei einem Auftritt im Tweeter Center (Tinley Park bei Chicago). (Foto: Adam Bielawski/Wikipedia Commons) – Link zur Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Bevor aus ihm der gefeierte Star mit 140 Millionen verkauften Tonträgern wurde, war er aber erstmal Dave Jay, der bei einer weniger gefeierten Combo namens „The Kon-Rads“ sang und Saxophon spielte. Aber immerhin. Er war es, der den Titel „I Never Dreamed“ mit komponierte, den die Decca aufnahm. Allerdings blieb der kommerzielle Erfolg zunächst aus.

David machte auf Solo, spielte und sang in anderen Gruppen, machte einen Ausflug in die Pantomime, deren Einfluss bei späteren Bühnenauftritten sichtbar blieb, wurde kurzfristig zu „Davy Jones“, was er aber alsbald aufgab, weil einer der „Monkees“ so hieß. Also wurde David Bowie geboren, und beim Nachnamen stand Amerikas Nationalheld Jim Bowie Pate.

„Ground Control To Major Tom“, das war das erste, was ich von diesem schillernden Künstler wahrnahm. Immer wieder mal kreuzte der Titel meinen Weg im Auto, wenn es aus den schwindsüchtigen Lautsprechern plärrte, was der einsame Astronaut und die Bodenstation miteinander besprachen. Ein Jahrzehnt später bestätigte David Bowie meine spontane Assoziation mit psychedelischen Halluzinationen, outete Major Tom als Junkie.

Seine unstillbare Neugierde, sein Hunger nach neuen Einflüssen, seine chamäleoneske Wandlungsfähigkeit sorgten dafür, dass David Bowie anscheinend unaufhaltsam aufstieg. Als Musiker wurde er vorübergehend „Ziggy Stardust“ (Madonna sah ihre Welt verändert, nachdem sie ein Ziggy Stardust-Konzert besucht hatte), Andy Warhol und dessen Follower weckten seine Leidenschaft, bei Auftritten mit Geschlechterrollen zu spielen.

Dem Aufstieg konnte er nur selbst im Weg stehen. In seiner durchaus kreativen „Berliner Phase“ durchlebte er einen kalten Entzug. In der „Hauptstadt des Heroins“, wie er Berlin taufte, säuberte er Geist und Körper, machte unter anderem einen Abstecher zum deutschen Film. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sah ihn in einem Kurzauftritt, der gesamte Soundtrack stammt von ihm.

Ohnehin ist Davids Filmografie beeindruckend. Mit Cathérine Deneuve und Susan Sarandon wirkte er in „Begierde“ von Tony Scott mit. In „Der Mann, der vom Himmel fiel“ habe er eigentlich nur sich selbst gespielt, gestand der damalige Debütant – er war zu der Zeit schwerst süchtig nach Kokain. Martin Scorsese stellte ihn neben Willem Dafoe und Harvey Keitel in „Die letzte Versuchung Christi“.

Die Bandbreite seiner musikalischen Wegbegleiter reichte (beispielsweise) von Pat Metheny über Queen, Pink Floyd, Mick Jagger und Marianne Faithfull bis hin zu Bing Crosby.

Nun wird er die unterschiedlichen Szenen nicht mehr inspirieren und deren Inspirationen in sich aufsaugen. Kurz vor seinem Tod erschien sein letztes Album, „Blackstar“. Nun kommt bei der Groundcontrol ein letzter Gruß von Major Tom an. David Bowie ist auf seinem letzten Trip.




Lustvoll kneten und naschen – New Yorks freche junge Kunstszene zu Gast im Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

Köln. 17 000 Bilder in sechs Jahren hat der Amerikaner Stephen Keene gemalt. Der Fließband-Künstler ist reif fürs Buch der Rekorde. Wenn wir mal nur von Ziffern sprechen, so war – damit verglichen – der hochproduktive Picasso ein bedächtiger Mann. Keene bietet jedenfalls nur eine von vielen schrägen Attraktionen der Kunstschau „l Love New York“ im Museum Ludwig.

Dem 41jährigen Rasanz-Künstler aus der zumeist haßgeliebten US-Metropole kann man in Köln live bei der Arbeit zuschauen. Fertige Sperrholz-Bilder werden, kaum daß sie trocken sind, gleich ans Publikum verkauft: zu Spottpreisen von 3 bis 5 DM, je nach Größe; solange der Vorrat reicht.

Die witzige Attacke auf Wertmaßstäbe des Kunstmarktes deutet schon auf einen Kern der Ausstellung hin: Maßstäbe werden in der jungen New Yorker Szene (hier: 28 Künstler) kaum noch angepeilt. Bar jeder Ideologie und meist ganz entspannt im Hier und Jetzt, sprengt man Medien- und Gattungsgrenzen, wirbelt man Stile und Niveaus, Ernst und Entertainment kunterbunt durcheinander.

Museumsdirektor Jochen Potter nennt diese Kreuzungen – ganz flott – „Crossover“. Tatsache ist: Etliche Exponate haben Jahrmarkts- oder sogar Rummelplatz-Charakter. Man fühlt sich animiert, nimmt aber vielfach nur flüchtige Eindrücke mit. Eine Kunstschau für die Videoclip-Generation.

Hinein geht’s über eine flackernde Disco-Treppe

Die so gar nicht weihevollen Hallen betritt man über eine Disco-Treppe mit Flackerlichtern in den Stufen. Durch diese Arbeit von Piotr Uklanski auf „Hully-Gully“ eingestimmt, darf man ums nächste Eck auf Stühlen Platz nehmen, sich Kopfhörer überstülpen und lustbetont in rosaroter Modelliermasse kneten. „Body Study Center“ (Zentrum für Körperstudien) nennt Charles Long seine Installation.

Dermaßen auf leibhaftigen Zugang zur Kunst konditioniert, wundert man sich kaum noch, wenn man sich in Jack Piersons nachgebautem Striptease-Lokal unversehens auf der Bühne wiederfindet. Bekleidet, versteht sich wohl. Man staunt auch nur noch begrenzt, wenn man in Mark Dions marktschreierisch angekündigtem Schaustellerzelt („Zoologisches Wunder!“) ein absurd konstruiertes Tiergerippe aus Kuhrumpf und Bärenkopf besichtigte. Wer neugierig hineingeht, hat sich selbst als Voyeur entlarvt, der sich am Bizarren ergötzen will.

Also schämt man sich ein wenig. Doch schon steht man – wie zum Trost – vor einem Hügel golden eingewickelter Bonbons („Placebo II“ von Felix Gonzalez-Torres). Man soll davon naschen, auf daß das Kunstwerk allmählich schrumpfe und Schwund-Melancholie freisetze. Wenige Meter weiter erlebt man das Gegenteil von Schwund: Ein machtvoller Dinosaurier (Thom Merricks Schöpfung) versperrt, fast bis zum Platzen mit Luft vollgepumpt, einen Durchgang. Putzig.

Irgendwann ist man aber doch dankbar, daß die Ausstellung auch stille Momente be- schert. Die gebürtige Japanerin Mariko Mori entwirft die wandfüllende Vision eines Zauberwaldes mit Feen und asiatischen Schriftzeichen. Jessica Stockholder erzeugt sanfte Energiefelder zwischen textilen Dingen des Alltags. Der aus Jamaika stammende Nari Ward verstreut Dutzende geschnürter Bündel, die Brandspuren tragen und karge Habseligkeiten enthalten. Stillleben in Zeiten der Apokalypse.

Auch die Popmusik-Stars David Bowie und Laurie Anderson zählen hier zu den „Stillen im Lande“. Ihre Zeichnungen sind bei gemeinsamen Telefonaten entstanden. Beide sagen, es sei „Telepathie“ im Spiele gewesen. Nun ja. Jedenfalls haben sie schön reduzierte Rebus-Rätselbilder gekritzelt.

Museum Ludwig, Köln. Bis 31. Januar 1999. Di 10-20, Mi bis Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog 38 DM.