Frech und weltläufig: „Ball im Savoy“ von Paul Abraham am Theater Hagen

Eleganter Bohemièn: Johannes Wollrab als Aristide in "Ball im Savoy" in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Eleganter Bohemièn: Johannes Wollrab als Aristide in „Ball im Savoy“ in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Nein, einen besonders guten Ruf genossen die Operetten von Paul Abraham nach dem Zweiten Weltkrieg nicht: Am ehesten tauchte noch „Viktoria und ihr Husar“ auf den Spielplänen auf, weil sie mit dem Schlager „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ dem Zeitgeschmack entsprechend recht gut zu sentimentalisieren war.

Aber „Die Blume von Hawaii“ hielt man spätestens in den siebziger Jahren für grenzwertig bis unspielbar, und „Ball im Savoy“ war seit dieser Zeit so gut wie völlig verschwunden – trotz eines prominent besetzten Films von 1955 mit Nadja Tiller, Caterina Valente, Bully Buhlan und Bibi Jones und einer TV-Produktion von 1971 mit Gritt Boettcher, Christiane Schröder, Klaus Löwitsch und Theo Lingen.

Das scheint sich seit einigen Jahren zu ändern: Den Kolonial-Exotismus der „Blume von Hawaii“ sieht man heute aus einer anderen Perspektive. Die rekonstruierte Partitur, wie sie an der Wiener Volksoper erklang, erwies die genialen Fähigkeiten Abrahams als Instrumentator. „Viktoria und ihr Husar“ wurde durch Florian Ziemen in Gießen gründlich entstaubt. Und „Ball im Savoy“, dem noch Operetten-Spezialist Volker Klotz nicht viel gute Worte schenkte, weckte der WDR 2010 mit einer konzertanten Aufführung – ebenfalls in rekonstruierter Form – aus dem Dornröschenschlaf.

Rekonstruierten die Partitur von "Ball im Savoy": Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Foto: Werner Häußner

Rekonstruierten die Partitur von „Ball im Savoy“: Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Foto: Werner Häußner

Die phänomenale, opulente Premiere an der Berliner Komischen Oper im Juni 2013 markierte nicht nur die Rückkehr von Paul Abrahams Musik an den Ort ihrer Entstehung, sondern offenbar auch eine Trendwende in der Rezeption. „Ball im Savoy“ erschien in den letzten beiden Jahren in Plauen-Zwickau und Gera-Altenburg, kommt im Mai 2015 in Halle/Saale heraus und wird derzeit in Hagen gespielt. Nicht zu vergessen: In Dortmund steht mit „Roxy und ihr Wunderteam“ eine weitere Abraham-Operette auf dem Spielplan, die nicht zur Trias der Erfolge der Weimarer Zeit gehört, sondern erst 1936 entstand, als der aus Ungarn stammende, aus Deutschland vertriebene Jude Paul Abraham in seiner Heimat an seine Berliner Erfolge anzuknüpfen versuchte.

In Hagen führen Regisseur Roland Hüve und Ausstatter Siegfried E. Mayer einen Kampf gegen die Armut des Theaters, den sie nur zum Teil gewinnen. Das Bühnenbild mit seinen von Ulrich Schneiders Licht gnädig geschönten Vorhängen kann das mondäne Flair nicht beschwören, ist aber klug konzipiert. Denn es lässt Raum für die Choreografien und wirkt als unauffälliger Horizont für Mayers wirklich atemberaubende Kostüme. Sie lassen die verschwenderische Revue ahnen, die im Dezember 1932 die Berliner Theaterunternehmer Rotter im Großen Schauspielhaus (in DDR-Zeiten der alte Friedrichstadtpalast) ausstatteten, um den dringend benötigten finanziellen Erfolg zu erzielen.

Nur scheinbar ein Paar - oder doch nicht? Marilyn Bennett als mondäne Tangolita und Johannes Wollrab als Aristide in "Ball im Savoy" in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Nur scheinbar ein Paar – oder doch nicht? Marilyn Bennett als mondäne Tangolita und Johannes Wollrab als Aristide in „Ball im Savoy“ in Hagen. Foto: Klaus Lefebvre

Mayer lässt es glitzern und funkeln, in Weiß und Rot, Gold und Violett. Ronald Bomius und seine Mitarbeiter in der Maske verwandeln das Ballett, den Chor und die Statisterie in bubiköpfige Damen und pomadig gescheitelte Herren – die ganze demí-monde des Berlin der zusammenbrechenden Weimarer Republik gibt sich tanzend und swingend ein Stelldichein.

Den Damen bleibt er nichts schuldig: Madeleine (Veronika Haller), die so gerne treu und häuslich wäre, hat in Weiß und Goldblond einen rauschenden Auftritt. Eine Affäre aus den Dandy-Zeiten ihres Ehemanns Aristide (Johannes Wollrab), die schöne Tangolita (Marilyn Bennett), tritt als rauchig-rote Versuchung in die Arena der Verwicklungen, an deren Ende die Unschuld der beinahe betrogenen Betrügerin Madeleine feststeht.

Den Trick zum Beweis hat sich Daisy Darlington alias Kristine Larissa Funkhauser ausgedacht. Diese Frau sprengt so ziemlich jede zeitgenössische Heimchen-am-Herd-Ideologie: Eine amerikanische Komponistin (!) von Jazz (!), die sich ein männlichen Pseudonym zulegt, um ihrem Vater zu beweisen, dass sie das Zeug zum Erfolg hat, um sich ihre Unabhängigkeit (!) zu sichern und der Heirat mit einem unterbelichteten Schokoladenfabrikanten zu entgehen.

Dass die Nazis mit diesem Prototyp einer selbstsicheren Frau nichts anfangen konnten, liegt auf der Hand. „Ball im Savoy“ verschwand schon im Frühjahr 1933: die jüdischen Gebrüder Rotter waren pleite, der Jude Abraham aus Deutschland geflohen. Für die saubere, deutsche Operette, wie sie sich die NS-Kulturpolitik wünschte, war das freche, weltläufige Werk Abrahams nicht geeignet.

Regisseur Roland Hüve – er hat unter anderem in Bielefeld Cole Porters „Anything goes“ in Szene gesetzt – kennt die Herausforderung der großen Szene, des präzisen Timing und des hohen Tempos auf personenreicher Bühne. Da spielen das Ballett und der Opernchor (musikalisch einstudiert von Wolfgang Müller-Salow) wacker mit. So ganz können sie die bräsigen Bewegungsmuster der üblichen Operettenroutine nicht überwinden; schuld daran sind auch Andrea Danae Kingstons mäßig originellen Choreografien. Der Augenweide fehlt manchmal das Augenzwinkern: Ironie ist eben schwer …

Von Damen umschwärmt: Bernhard Hirtreiter als "Salontürke" Mustafa Bei. Foto: Klaus Lefebvre

Von Damen umschwärmt: Bernhard Hirtreiter als „Salontürke“ Mustafa Bei. Foto: Klaus Lefebvre

Auf der anderen Seite lässt Hüve den Solisten Raum, sich zu entfalten: „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ wird so zur ganz großen Nummer Veronika Hallers, und Bernhard Hirtreiter darf als ganz im Nachtclub-Milieu assimilierter türkischer Attaché Mustafa Bei mit Esprit erzählen, wie es ist, wenn „wir Türken küssen“.

Dass in Hagen mit Microport gesungen werden muss, ist nicht recht einzusehen, zumal die Stimmen durch die Verstärkung entstellt werden: Veronika Haller hat auf einmal ein grelles Vibrato und Marilyn Bennett klingt ältlich verzerrt. Mag sein, dass ihnen David Marlow nicht vertraute, über das Abraham-Orchester zu kommen.

Die üppige Instrumentierung ist von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn rekonstruiert. Das Dortmunder Duo verwendete viel Sorgfalt bei der Sichtung der Quellen, geht aber – wie auch bei der Aufführung an der Komischen Oper Berlin zu registrieren – am Sound der frühen dreißiger Jahre vorbei. Mir scheint der Schlagzeugeinsatz zu aufdringlich, und die harte, grelle Intonation der Blechbläser erinnert eher an amerikanischen Bigband-Sound als an die schmeichelnd-lasziven Klänge der Tanzkapellen dieser Zeit, wie sie uns von Schellack-Platten entgegentönen.

Das Hagener Orchester macht sich den Tonfall, den Witz im Rhythmus, die Tanztempi und die instrumentalen Farben schnell zu eigen; in dem kleinen Haus hätte Zurückhaltung bei der Lautstärke der Finesse der Musik gut getan. Dafür gelingen intime Nummern wie „Ich hab einen Mann, der mich liebt“ expressiv und empfindsam.

Mit „Ball im Savoy“ hat Hagen zweierlei bewiesen: Entgegen allen Unkenrufen lebt die Operette, wenn sie mit Sorgfalt und Liebe reanimiert wird. Und wieder einmal ist eine Hagener Produktion ein erfolgreicher Nachweis, wie unverzichtbar die Stadttheater auf der kulturellen Landkarte sind. Daher: Hände weg von diesem Erbe! „Ball im Savoy“ ist zudem ein Argument für eine Idee, auf die man in Hagen sonst schwerlich kommt: „Es ist so schön, am Abend bummeln zu geh’n ….“.

Info: www.theater-hagen.de




Heiterkeit und Melancholie: Donizettis „Don Pasquale“ am Theater Hagen

Der Bruch der Zeiten ist überdeutlich: Norina und Ernesto, das sind zwei junge Leute von heute, Jeans, Jacket, hübsches Top. Don Pasquale lebt in einer anderen Welt, im „Damals“: Kniehosen, bestickte Weste, reich ornamentierter Hausmantel. Er sitzt in einem altertümlichen Rollstuhl und starrt in seinen herrschaftlichen Salon, in dem die Möbel mit weißen Tüchern verhängt sind. Ein gelebtes Leben.

Wer so jemanden auf seine alten Tage noch heiraten will, muss sich anpassen. Und so schlüpft Norina am Theater Hagen in eine ausladende Robe: Krinoline drunter, Stoffschichten zwischen bonbonrosa und veilchenlila drüber, Rüschen, Reffungen und Schleifchen. Kurz, eine Fassade, die dem heiratslüsternen Alten signalisieren soll: Hier kommt eine Frau, die in deiner Welt aufgehen wird, die genau in die Ausstattung deines Haushalts passt.

Schein und Wirklichkeit: Norina (Maria Klier) stellt sich Don Pasquale (Rainer Zaun) als schüchterne Klosterschülerin vor. Foto: Stefan Kühle

Schein und Wirklichkeit: Norina (Maria Klier) stellt sich Don Pasquale (Rainer Zaun) als schüchterne Klosterschülerin vor. Foto: Stefan Kühle

Kostümbildnerin Lena Brexendorff – auch für die Bühne zuständig – hat in ihren Kostümen eine der Kernfragen von Donizettis letzter komischen Oper „Don Pasquale“ sichtbar gemacht: die Frage nach Wirklichkeit und Täuschung, aber auch die Selbsttäuschung, die erst möglich macht, dass sich Don Pasquale von der Intrige seines zweifelhaften Freundes Malatesta – der Name meint einen „bösen Kopf“ – irreführen lässt. Und Annette Wolf deutet in ihrer Inszenierung an, dass die sexuellen Gelüste des Titelhelden – von Malatesta mit den bekannten, blauen Pillen angeheizt – nicht unbedingt das erste Motiv seines Treibens sind: Die Einsamkeit des Eröffnungsbildes verweist deutlich tiefer in die Psyche.

Es gab Regisseure, die „Don Pasquale“ konsequent der buffonesken Einkleidung entledigt und das Drama des einsamen, alten, grausam getäuschten Mannes herausgeschält haben. So weit wollten Wolf und Brexendorff nicht gehen: Die Tannenzapfen-Gewichte einer Kuckucksuhr hängen riesig vom Schnürboden herab in die Bühne und erinnern sachte daran, dass Donizettis Oper ihre Wurzeln in der alten „Commedia“ mit ihren mechanisch-schematisch agierenden Figuren hat. Oder eben auch an die verzopfte Puppenstuben-Welt, in der Pasquale nach dem Leben schmachtet – das mit dem Einzug der vermeintlichen, schüchternen Klosterschülerin „Sofronia“ auch einkehrt: Ein prachtvoller Hirsch wird ausgepackt und der Hausherr verlässt mit Schwung den Rollstuhl.

Doch das Verstellungsspiel funktioniert nur teilweise: Die Begegnung zwischen der getarnten Norina und dem leichtgläubigen Don Pasquale gleitet in witzig gemeinten, aber abgestandenen Klamauk ab, statt psychologisch glaubwürdig ausgeformt zu werden. Rainer Zaun ist ein Komödiant alter Schule, der sich auf die abgelebten Tricks des Genres verlässt. Maria Klier als Norina agiert heftig und kann das Blümchen, das hinter klerikalen Mauern aufgewachsen sein soll, nicht recht glaubwürdig machen. Im Publikum lacht kaum jemand: Die ollen Kamellen kommen nicht mehr an.

Nach der Pause: Das Drama spitzt sich zu

Nach der Pause spitzt Annette Wolf das Drama dann doch noch zu: Norina gibt im Leoparden-Outfit das hässliche Selbstbewusstsein einer verzogenen Wohlstandsgöre zu erkennen. Neffe Ernesto hat vorher schon den Eindruck erweckt, das „Hotel Onkel“ ziemlich bequem auszunutzen. Keija Xiong schlurft erst im Morgenmantel herein und zeigt – entsprechend seiner Rolle als schmachtender, aber wenig aktiver Liebhaber – später auch nicht viel mehr Initiative.

Die treibende Rolle besetzt Oleksandr Prytolyuk (ein stimmgewaltig dröhnender Gast aus Darmstadt für den erkrankten Raymond Ayers): ein durchtriebener Geselle, der im bürgerlichen Gewande an Mozarts Don Alfonso aus „Cosí fan tutte“ erinnert. Einer derjenigen, bei denen die Aufklärung alle Werte wegerklärt und an ihrer Stelle nur den handfesten Geldwert hinterlassen hat? Den Eindruck, an der Erfüllung einer wahren Liebe zwischen zwei jungen Menschen interessiert zu sein, weckt er nicht.

"Liebe" in Zeiten der Spielkonsole: Maria Klier (Norina) und Kejia Xiong (Ernesto). Foto: Stefan Kühle

„Liebe“ in Zeiten der Spielkonsole: Maria Klier (Norina) und Kejia Xiong (Ernesto). Foto: Stefan Kühle

Norinas durchtriebenes Spiel mit Pasquales blutleeren Alltagsidealen gipfelt in einem unerhörten Übergriff: Die Ohrfeige, die sie dem Alten verpasst, bricht das Stück endgültig ins Melancholische – eindeutig zu hören in Donizettis sensibler Musik. Für das Ende hat sich Wolf eine Überraschung ausgedacht: Das bezaubernde Liebesduett „Tornami a dir che m’ami“ verbringt das Paar mit gleichgeschalteten Bewegungen jeder für sich mit der Spielekonsole. Am Ende büchst Norina mit Don Pasquale aus: Beide verlassen ihre Lebenswelt, in der eine authentische Beziehung jenseits von Rollen- und Lebensmustern nicht möglich war. So bricht Wolf die Komödie auf, ohne Donizettis Oper ins Tragische zu ziehen: eine originelle Idee.

Auch musikalisch liegen in Hagen Heiterkeit und Melancholie nahe beieinander: Auf David Marlows Dirigat reagiert das Orchester mit wendigen Tempi und transparentem Klang, aber auch mit kantig phrasierten Melodiebögen und gepfefferter Lautstärke. Patzer und Schludrigkeiten folgen auf sensibel aufgebaute Momente in der Balance und der dynamischen Nuancierung: Theateralltag eben. Die souveräne Bühnenerfahrung gibt dem Pasquale Rainer Zauns Autorität; stimmlich zeigt er sich flexibel, wird allerdings vom Orchester immer wieder zugedeckt.

Maria Klier hat die kecken Koloraturen der Norina auf Abruf, der klanglich erfüllte Ton ist ihre Sache weniger. Keija Xiong hat ein ernstes Problem mit der Stütze seiner an sich wohltimbrierten Stimme, was vor allem in der Höhe schmerzlich bewusst wird: sie bleibt dünn und klanglos. Wolfgang Müller-Salow hat den Hagener Chor auf eleganten Klang studiert. Wozu die Choristen den berühmten Dienerchor in einer überflüssigen Großküchen-Szene singen, während sie mit Endlos-Nudeln hantieren, bleibt schleierhaft. Und das Licht ist schlichtweg Pfusch: Der Zuschauer im Parkett muss sich jedes Mal, wenn sich bestimmte Türen öffnen, vor einer grellen Scheinwerfer-Batterie schützen. Auf diese Weise blendend hat Annette Wolf ihr Konzept sicher nicht gemeint.

Die nächsten Vorstellungen: 19. und 28. Dezember 2013; weitere Termine bis März 2014 unter www.theaterhagen.de