Revierpassagen-Texte wurden bühnenreif: Rolf Dennemanns Krankenhausreport „Unterwegs mit meinem Körper“

Wenn ein gelegentlicher Mitarbeiter der „Revierpassagen“ ein Bühnenprogramm entwickelt und aufführt; wenn noch dazu sehr lesenswerte Textvorlagen zu diesem Projekt als Beiträge in den Revierpassagen gestanden haben – dann, ja dann machen wir umso lieber ein bisschen Reklame dafür.

(Foto: d-man)

Eine Station der Krankenhaus-Odyssee (Foto: d-man)

Die Rede ist von Rolf Dennemann und seiner szenischen Lesung „Unterwegs mit meinem Körper“, die kürzlich erfolgreich Premiere hatte. Der Autor, Regisseur und Schauspieler schildert seine Odyssee durch diverse Krankenhäuser des Landes. Es halten sich dabei erzkomische und durchaus ernsthafte Aspekte die Waage. Anders gesagt: Sie folgen einander in aberwitziger Weise.

Hand aufs hoffentlich nicht allzu kranke Herz: Wann habt ihr zuletzt über die Rolle des Hagebuttentees in deutschen Kliniken nachgedacht? Und was haltet ihr von der künstlerischen Ausstattung unserer Krankenhäuser? Und das sind nur die harmlosesten von vielen, vielen Fragen…

Einen gewissen Vorgeschmack erhält man, wenn man sich noch einmal – ebenso schaudernd wie genüsslich – Rolf Dennemanns dreiteiligen Revierpassagen-Text „Krankenhausreport“ (Links stehen am Ende dieses Beitrags) zu Gemüte führt. Doch natürlich hat Rolf Dennemann seine Erlebnisse für die Bühne noch einmal ganz anders bearbeitet.

Auch darf man sicher sein, dass die Präsenz Rolf Dennemanns und der Schauspielerin Elisabeth Pleß den Texten noch einige weitere Dimensionen verleiht, zumal auch Bild- und Videoprojektionen zum Repertoire gehören.

So. Ich denke, jetzt haben wir genügend Vorfreude auf die weiteren Auftritte geweckt. Der nächste begibt sich am Freitag, 17. April (20 Uhr), im Dortmunder „Theater im Depot“, ein weiterer am 29. Mai in Gelsenkirchener Consol Theater. Da ahnt man schon: Unter den Absurditäten des stationären Gesundheitswesens ächzen auch ansonsten scharf rivalisierende Revierstädte gemeinsam.

Weitere Infos auf Rolf Dennemanns Internet-Seite: www.artscenico.de

Die drei Teile des „Krankenhausreports“, erschienen im Februar 2014:
http://www.revierpassagen.de/23415/der-krankenhausreport-teil-1-ich-nehme-dann-das-einzeldoppel/20140209_1733

http://www.revierpassagen.de/23421/der-krankenhausreport-teil-2-wir-sind-die-gruenen-damen/20140211_1004

http://www.revierpassagen.de/23424/der-krankenhausreport-teil-3-das-bekommen-sie-jetzt-alles-von-uns/20140212_1217




Krasser „Sanierungs“-Vorschlag: Kunst aus dem Hagener Osthaus-Museum verkaufen…

Im Sommer stach mir beim Einkauf ein Plakat ins tränende Auge, worauf die famose Gruppierung namens „Hagen aktiv“ die Forderung aufstellte, man möge sich doch durch Verkauf des Schumacher-Museums und der mit ihm verbundenen Kosten einiger Gelsorgen entledigen.

Ziemlich überflüssiger Gedanke, weil ohnehin nicht bis an sein finanzielles Ende durchdacht, dachte ich damals und schrieb es auch. Und, was ich noch dachte: Sie sind zwar aktiv, attestieren sie sich selbst, aber wie so häufig ist bloße Aktivität noch weit entfernt davon, vernünftige Gedanken zu entwickeln.

Nun dachte ich, das wär’s gewesen und nach Jörg Dehm, der mal Ferdinand Hodlers „Der Auserwählte“ über Christie’s vom Hohenhof auf den internationalen Kunstmarkt werfen wollte (10 Millionen Bruttoerlös taxierte man damals) und den „aktiven“ Hagenern käme niemand mehr auf Schnapsideen wie den Verkauf von Hagener Kunstwerken. Weit gefehlt: Nun muckt doch tatsächlich ein hoch erfahrener Politiker wie Dietmar Thieser (SPD) auf und merkt an, man könne ja den Verkauf von Magazin-Beständen des Osthaus-Museums ins Auge fassen, von Werken, die weder ein Hagener kennt noch so schnell zu Gesicht bekäme.

Ehrwürdig: der Altbau des Hagener Osthaus-Museums. (Foto: Bernd Berke)

Ehrwürdig: der Altbau des Hagener Osthaus-Museums. (Foto: Bernd Berke)

„Um den maroden städtischen Haushalt zu sanieren, hat Dietmar Thieser, heute Bezirksbürgermeister von Hagen-Haspe (und früherer Oberbürgermeister der Stadt), einen Verkauf von Kunstwerken aus dem Karl-Ernst-Osthaus-Museum ins Spiel gebracht. Darüber müsse man angesichts des Spardrucks und der von den Sportvereinen geforderten Hallennutzungsgebühr diskutieren: ,Es darf keine Tabus geben.’“ So heißt es im WAZ-Portal www.derwesten.de.

Flugs hat Thieser eine populäre Vokabel zur Hand, weil er mit dem energischen Schritt „Transparenz“ in den Magazin-Kellern herstellen wolle, flugs auch noch einen griffigen Vergleich, nicht weniger populär: Nur 7,8 Millionen Euro stecke die Stadt derzeit in die Sportförderung, 28,7 Millionen in Wissenschaft und Kulturförderung. Und nun wolle man die Sportler auch noch mit Nutzungsgebühren für ihre Sportstätten belasten. Wenn das nicht kracht.

Ich schrieb unlängst an anderer Stelle, dass es glatter Blödsinn sei, sich mit der Einführung von erfahrungsgemäß ziemlich erlösschwachen Sportstättennutzungsgebühren eine unselige öffentliche Diskussion an den Hals zu laden. Da isse! Klar, es verbietet sich, Ausgaben für Schule, Sport oder Kultur gegeneinander aufzurechnen. Wer so was beginnt, der wird mit der gestaltenden Politik alsbald aufgeben müssen, weil dann nämlich jede Gruppe mit subjektiv für unverzichtbar gehaltenen Einzelinteressen mit demselben Unsinn begänne.

„Es darf keine Tabus geben“, mahnt Dietmar Thieser via Medien. Natürlich nicht, aber dann gilt diese Aussage auch umgekehrt. Es darf dann auch keine Tabus bei der Sportförderung geben, es darf keine bei öffentlichem Nahverkehr geben, es darf keine bei den Grünflächen geben… usw. Wo hören wir denn da auf? Beim Hasper Kirmeszug? Ja, unbedingt, denn der ist meiner Ansicht nach ein unverzichtbares Stück Hagener Lebens. (Das meine ich ernst!)

Aber, Kunst, Kultur, innovative Sprünge in einer städtischen Lebensqualität, auch sie gehörten stets zu Hagen. Karl Ernst Osthaus, dessen Museumsmagazin Dietmar Thieser versilbern will, war ein Mann, der mit dem Geld seiner Bankiersfamilie viel Seliges für Hagen anstellte. Er begründete die Folkwang-Bewegung, schuf eine unvergleichliche Sammlung, ließ den Hohenhof entstehen, bescherte dem Bahnhof eine noch heute unschätzbare Glasmalerei von Jan Thorn Prikker. Renoir, Matisse, van Gogh, Czézanne, Christian Rohlfs gehörten zu seinem Bekannten- und Freundeskreis. Ohne ihn und die Muttererde Hagens gäbe es in Essen kein Folkwang-Museum.

Nein, wir dürfen keine Tabus setzen. Wir dürfen vor allem keine Angst davor haben, den götzenanbetenden Schwarzzahlenverehrern in Berlin zu sagen, dass sie es sind, die Städte und Gemeinden (namentlich in NRW) wortbrechend veröden lassen, dass sie es sind, die ihnen Lasten auferlegen, die der Bund zu tragen hätte, dass sie es sind, die versuchen, den eigenen finanziellen Sumpf trockenzulegen und gleichzeitig den Kommunen das Wasser bis zum Halse stauen.

Täte der Bund zeitnah das, was er den Städten und Gemeinden nach der zurückliegenden Wahl versprach, müsste in Städten wie Hagen niemand auf so blöde Ideen kommen, Sportstättengeühren als Zwietracht säendes Folterinstrument zu erheben, müsste andererseits auch kein Sportsfreund sich auf die unfaire Vergleichsdiskussion einlassen, wieviel Geld für was und wen ausgegeben wird in einer einstigen Kulturstadt von europäischem Rang.

Langer Rede kurzer Sinn: Macht lieber Vollfront gegen den Unsinn im Bund als darüber nachzudenken, was man alles versilbern könnte, das dann aber unwiederbringlich weg sein wird.

(Der Text ist zuerst in Rudi Bernhardts Blog http://dasprojektunna.de erscheinen)




Dynamik und Ästhetik – preisgekrönte Pressefotos in Dortmund

Die Afghanin Bibi Aisha. Foto: Jodi Bieber

Das Bild ist um die Welt gegangen: Bibi Aisha, Afghanin, 18 Jahre alt, gewaltsam entstellt, ohne Nase. Bestraft, weil sie aus dem Haus des Ehemannes geflohen war. Der südafrikanischen Fotografin Jodi Bieber wurde mit diesem Porträt der Preis „World Press Photo of the Year“ (2011) zuerkannt. Wohl auch deshalb, weil trotz aller innewohnenden Grausamkeit das Bild eine Ästhetik ausstrahlt, die der jungen Frau ihre Würde lässt.

Im Dortmunder Depot sind nun (bis zum 8. März) alle prämierten Fotos zu sehen, 160 an der Zahl, preisgekrönte Werke in neun verschiedenen Kategorien, sowohl Einzelaufnahmen als auch Bilderserien. Sie sind überwiegend an Brennpunkten dieser Welt entstanden, dokumentieren auf teils erschreckende Weise des Menschen Kriege, sein Unglück, sein Leid. Aber auch Skurriles ist zu sehen, neben einigen schönen Naturfotos.

So kann es wohl zum eingangs erwähnten Bild der jungen Afghanin keinen größeren Kontrast geben als das Porträt der beiden schrulligen alten Damen, die auf einem irischen Jahrmarkt in die Linse des Fotografen Kenneth O’Halloran schauen. Die eine mit kauzig-grimmiger Miene, die andere mit einem sanften Lächeln, das etwas Fürsorgliches hat. Beide haben sich, in ihrer Art, schick gemacht – das Bild lebt nicht zuletzt von den sich beißenden Farben.

Wieder ein Kontrast: Der Blick fällt auf zwei Menschen, die in großer Distanz voneinander entfernt sitzen. Es sind nicht irgendwelche Personen, sondern ranghöchste Politiker Nordkoreas: Staatschef Kim Jong-il, der nach links auf seinen Sohn und designierten Nachfolger Kim Jong-un schaut. Ein skeptischer Vater blickt in Richtung seines Sohnes, dessen bulliges Gesicht wie versteinert wirkt. Fast wollen wir glauben, es menschelt zwischen den beiden.

Zwei Damen auf einem irischen Jahrmarkt. Foto: Kenneth O'Halloran

Viele Fotos, blickt man nur genau hin, sind trotz aller Schrecknisse von einem Funken Hoffnung erleuchtet. Ein junger Mann, der in der Westsahara für die Unabhängigkeit der Saharauis streitet, blickt gedankenverloren in den hellen Sternenhimmel. Oder betrachten wir nur die Schwarze, die in einer von Wellblech umzäunten Parzelle Cello übt, als Mitglied des Kinshasa Symphony Orchestra, das inzwischen weltweit Beachtung findet.

Erwähnt werden soll aber auch der deutsche Fotograf Uwe Weber, Preisträger für ein Dokument über die Duisburger Love Parade. Menschen dicht an dicht, nackte Angst in vielen Gesichtern. Es scheint, als würde sich die Masse im Bild bewegen. Ein Beispiel für viele Aufnahmen, die eine ungeheure Dynamik entfalten. Nicht zuletzt durch die Brillanz der Farben.

Ein Tölpel im Landeanflug auf eine Brutkolonie. Foto: Thomas P. Peschak

Schließlich wollen wir aber die Schönheit dieser Welt preisen. Thomas P. Peschak gelang das beste Foto in der Kategorie Natur. Ein Tölpel im Landeanflug auf eine Brutkolonie. Die Gesichtszeichnung des Tieres ist von größter Plastizität. Peschak, in Deutschland geboren und in Südafrika lebend, macht uns staunen.

www.depotdortmund.de




Die im Dunkeln sieht man nicht…: Bis zu 90 Prozent deutscher Museumsschätze schlummern in Depots – Beispiel Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Kaum zu fassen, was in den Kellern der Museen schlummert: Je nach Art des Hauses lagern etwa 40 bis 90 (!) Prozent der Besitztümer in den Depots. Beileibe kein Gerümpel, sondern vielfach Reichtum, der praktisch nie gezeigt wird.

Man kann es allerdings nur schätzen, denn vielfach sind die Bestände gar nicht aufgearbeitet. Die im Dunkeln sieht man nicht. Selbst Museumsdirektoren wissen oft nicht genau Bescheid – oder wollen nichts verraten. Eine komplette Erfassung wäre jedenfalls ein aufwendiges, kostspieliges Unterfangen.

Im Dortmunder Ostwall-Museum ist die Lage allerdings in diesem Punkt günstiger. Hier kennt man auch die „unsichtbaren“ Kunstwerke recht genau. Vor etwa zwei Jahren gab’s einen herben Wasserschaden im Stammhaus. Folge: Das Depot musste an drei Behelfs-Standorte ausgelagert weiden, in denen die sorgsam verpackten Kunstwerke in drangvoller Enge verwahrt werden. Die Adressen sind natürlich geheim, fotografieren ist dort strikt untersagt.

Die Dortmunder haben die Umzüge notgedrungen zur gründlichen Inventur genutzt. Rosemarie Pahlke, stellvertretende Museumsleiterin: „Aufräumen ist immer gut. Jetzt kennen wir uns aus.“ Dabei konnte man die Bilder nach Dringlichkeit ordnen: Welche müssen zuerst restauriert werden?

Wasserschaden zur Inventur genutzt

Rund 1200 Bilder und Skulpturen besitzt das Ostwall-Museum. Hinzu kommen fast 4000 graphische Blätter, die wegen ihrer Lichtempfindlichkeit meist drunten bleiben. Nur rund zehn Prozent der Bestände können ständig gezeigt werden.

Dortmund macht daraus eine Tugend: Seit zwei Jahren zeigt das Haus im Rotations-Verfahren immer wieder andere Werke, die aus dem Depot geholt werden. Titel der Reihe, die etwas Licht in die Finsternis bringt: „Sammlung in Bewegung“. Bis zum 4. März ist Teil III zu sehen, Museumsleiter Kurt Wettengl bereitet Teil IV vor und verspricht weiterhin Qualität: „Es lohnt sich immer noch.“

Gibt es auch Depot-Stücke, die er am liebsten abgeben würde? Wettengl verneint entschieden: „Alles hat seinen Wert!“ Selbst Kunstrichtungen, die heute weniger geschätzt werden, könnten später einmal Furore machen. Auch gelte es, das Museum mit seiner eigenen Sammlungsgeschichte als Ort des Gedächtnisses zu erhalten.

Ans Thema Depot knüpfen sich Nebenaspekte. Zu denken wäre an NS-Raubkunst, nach der immer intensiver gefahndet wird – oft auf Betreiben von Anwälten, die für die Erben tätig wrden. Was mag sich in dieser Hinsicht noch in deutschen Depots befinden? Museen in Hagen, Wuppertal und Duisburg sind mit derlei Rückgabe-Forderungen konfrontiert worden, Dortmund (noch) nicht.

Filzanzug und Lollis in der Werkstatt

Ein weites Feld ist just die Restaurierung. Selbst bei guten Bedingungen können im Depot auf Dauer Schäden entstehen. Das Ostwall-Museum hat wiederum Glück im Unglück. Erstmals gibt es hier eine feste Stelle für eine Restauratorin. Anke Klusmeier versieht den spannenden Dienst zwischen Chemie, Materialkunde, Handwerk und Kunstgeschichte. Derzeit überprüft sie einige monochrome Bilder mit Argusaugen auf winzige Schadspuren. Zuweilen trügt der Schein: Ein Bild von Anselm Kiefer zeigte arge Kratzer. Recherchen ergaben freilich, dass der Künstler sie willentlich erzeugt hat.

Spezielle Sorgen bereitet „Fluxus“-Kunst der 1960er Jahre, die sich aus Stoffen des Alltags nährte. So musste in Dortmund ein löchrig gewordener Filzanzug von Joseph Beuys „geflickt“ werden. Für ein Bild von Wolf Vostell, zu dem Dauerlutscher gehören, brauchte man Ersatz. Die Lollis waren schmierig ausgelaufen. Allerdings gibt es kaum noch Lutscher, die den „historischen“ Exemplaren entsprechen. Viele Süßwaren-Firmen mussten passen. Eine konnte schließlich helfen.

Eine Dauerlösung ist das verstreute Dortmunder Depot schon wegen der weiten Wege nicht. Eine Rückkehr in den Ostwall-Keller ist ausgeschlossen. So hoffen die Museumsleute auf den großen Wurf: Falls der frühere Brauereiturm „Dortmunder U“ eines Tages zum Museum umgebaut würde, wäre wohl auch die Depotfrage gelöst.

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INFO

In Siegen wird der Platz schon knapp

  • Weiteres Beispiel: das Museum für Gegenwartskunst in Siegen, das von Eva Schmidt geleitet wird. Hier enthält das Depot u. a. Teile einer wertvollen, stetig wachsenden Privatsammlung. Der Platz wird allmählich knapp.
  • Siegen hat ein reguläres Depot mit idealen Bedingungen: konstante Temperatur (18 bis 20 Grad), optimale Luftfeuchtigkeit von 58 Prozent.
  • Im Regelfall lagern hier beispielsweise auch Bilder des Hagener Malers Emil Schumacher, die allerdings derzeit (bis zum 20. Mai) im Hause ausgestellt sind.
  • Weitere Spitzenstücke im Depot sind einige Großformate von RupprechtGeiger. Sie verschwinden dort freilich nicht für Jahrzehnte, sondern werden immer mal wieder(als Leihgaben) irgendwo präsentiert. (bw/bke)

 




Nach mancher Qual doch noch Glanzlichter – Ruhrfestspiel-Ensemble fünf Stunden lang im „Depot“

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Gleich vier neue Produktionen stellte jetzt das Ensemble der Ruhrfestspiele vor – und das erstmals in seiner neuen Spielstätte, einem ehemaligen Straßenbahndepot.

Das Depot ist ein vorzüglicher Ort fürs Theater. Es umfaßt eigentlich drei Spielstätten, so daß zur Einweihung zwei Stücke zeitlich parallel gegeben werden konnten (im „Magazin“ und in der „Werkstatt“). Das fünfstündige Mammutprogramm startete jedoch im Theatersaal des früheren Tramschuppens, und zwar mit „Prometheus und Herakles 5″ von Heiner Müller. An diesem gewichtigen Brocken hat man sich überhoben. Mag sein, daß die wahre Fließbandarbeit des Ensembles, deren erste Ergebnisse hier im Zusammenhang zu sehen waren (künftige Aufführungen erfolgen separat), einen Großteil jener Energie aufgesogen hat, die Müllers Aischylos-Bearbeitung kosten müßte.

Wolfgang Lichtensteins Inszenierung konzentrierte kaum, brachte wenig „auf den Punkt“. Im Prometheus-Teil (Hauptrolle: Bernd Köhler) mühte man sich, nicht immer sinnvermittelnd, mit Müllers hochkomplizierter, klassizistischer Sprache ab. Dann kam Herakles 5 (Meinhardt Zanger) mit Blaumann und Schutzhelm, befreite den Lichtbringer Prometheus und setzte zu einem Solo über die Reinigung des Augias-Stalls an, das wohl als Kabinettstückchen zu werten wäre, mit dem Beginn aber so gut wie nichts mehr zu tun hatte. Durch den allzu jähen Sturz auf die Alltagsebene wurden kaum fruchtbare Widersprüche aufgetan. Statt sich dialektisch zu entfalten, geriet das ganze Stück gleichsam in Schieflage.

Weiter ging’s mit „Die Wende“, einer mit Bochumer Opel-Arbeitern entwickelten Produktion, Szenen zum Thema Arbeitszeitverkürzung. Da zeitgleich „Antreten zum Doppelbeschuß“ (Produktionsleitung: Jürgen Fischer) lief, mußten sich die Besucher entscheiden. Meine Wahl fiel auf den „Doppelbeschuß“. Die Qual folgte prompt. Neckische Vergleiche gewisser Beate-Uhse-Produkte, die den Pershing-Raketen in punkto Stab-Form ähneln, mit eben jenen Atomwaffen, waren da noch das – in jeder Hinsicht – Harmloseste. Die gemeinsam mit Oberhausener Gewerkschaftern erarbeitete Szenenfolge läßt zwar hie und da „die Muskeln spielen“, erwägt gar Generalstreik gegen Stationierung, bleibt aber im Grunde bieder. Über die zentrale, immer wiedergekäute These „Kapitalismus = Krieg“, an der gewiß „etwas dran“ ist, kommt das nicht hinaus. So bleiben gut gemeinte Ansätze flach und eindimensional.

Doch noch ein versöhnender Ausklang: Im Hauptsaal beendet die 100-Minuten-Revue „Wer andern eine Grube gräbt“ (Leitung: Wolfgang Spielvogel) den Marathon. Schwachpunkte fallen hier weniger ins Gewicht. Mit insgesamt 20 „Nummern“, Texten so unterschiedlicher Autoren wie Loriot, Franz Xaver Kroetz oder Peter Alexander (seine Bergmannsschnulze „Schwarzes Gold“ wird der verdienten Lächerlichkeit preisgegeben), werden immer wieder Glanzlichter gesetzt. Vielleicht liegt in solchen Produktionen eine ganz spezielle Stärke und Zukunft des Ensembles.