„Der Parasit“: Komödie zum Saisonauftakt am Düsseldorfer Schauspielhaus

Die Büromöbel stehen noch halbausgepackt auf Plastikfolie, das Vorzimmer des Ministers sieht in prekärer Pressspanoptik aus wie die neuen Räumlichkeiten eines IT-Startups: Ach, und da wird auch schon der erste gefeuert. Buchstäblich auf die Straße geworfen wird der arme Teufel mit der Nerd-Brille, weil sein Kindheitsfreund Selicour (Florian Jahr) ihn ganz übel ausgebootet hat. Doch La Roche (Christian Ehrich) ist nicht das einzige Opfer des „Parasiten“, im Laufe der nächsten anderthalb Stunden bringt der eiskalte Karrierist Selicour noch einige Kollegen zu Fall – bis er selber stürzt.

Foto: Kurt Michel/pixelio

Foto: Kurt Michel/pixelio

Zum Saisonauftakt zeigt das Düsseldorfer Schauspielhaus die von Friedrich Schiller übersetzte französische Komödie „Der Parasit“ im kleinen Haus. Regisseur Nurkan Erpulat hat die Schillersche Bearbeitung von 1803 in die Gegenwart geholt und inszeniert Bürotypen von heute beim Mobben und Gemobbtwerden. Das allerdings mit pointensicherem Rhythmusgefühl, exzellenten Schauspielern und treffendem Witz, so dass ein fluffiger Abend von leichter Hand dabei herauskommt. Als wäre noch Sommer.

Der smarte Selicour im feingestreiften Anzug mit rosa Innenfutter ist zunächst einmal ein Kommunikationsgenie und verkörpert das Klischee eines Marketing-Fritzen, wie sie heutzutage in Wirtschaft, Kultur und Politik sphärenübergreifend herumhampeln. Er quatscht mit jedem, kann mit der Mutter des Ministers (Verena Reichhardt) ebensogut wie mit jenem selbst und empfindet das durchaus als seinen Verdienst: Networking muss man eben beherrschen, wenn man Karriere machen will und wer die richtige Performance nicht drauf hat, bleibt halt auf der Strecke, das ist ja nicht sein Problem.

Außerdem ist der Parasit ziemlich gut im Delegieren, auch das muss ein Manager können. So luchst er dem braven, langgedienten Beamten Firmin (Dirk Ossig) das Memorandum ab, das er abends abliefern muss und gibt es als seines aus. Mal ehrlich, machen Chefs das nicht immer? Da ihm fürs Songschreiben das Gefühl fehlt, bequatscht er den scheuen Retro-Hippie Karl (Marian Kindermann), sein Liedchen abzutreten, mit dem die Tochter des Ministers (Patrizia Wapinska) bezirzt werden soll. Na, und? Er bringt ihn ja auch groß raus auf der Party und Copyright ist sowieso passé.

In dieser Lesart wird die Rache, auf die die Betrogenen sinnen, fast schon unverständlich, da das ganze System das Parasitentum ohnehin zur Norm erhoben hat. Wer soll sich noch moralisch über Schleimerei und üble Tricks entrüsten, wenn das sowieso alle machen (sollen)? Zumal auch der Bling Bling-Minister Narbonne (Moritz Führmann), mal im Tennis-Dress, mal in Reiterkluft, mehr an sportlichen Events als an irgendwelchen Regierungsgeschäften interessiert ist. Klar, hat er lieber Leute um sich, die seinen Lebensstil kopieren als solche Aktenfresser, die ihn an die eigene Pflichtvergessenheit gemahnen. Da stinkt der Fisch vom Kopfe her.

Foto: Sassi/pixelio

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Für alle Sozialromantiker, die die Gesetze des Marktes und ihrer (verantwortungslosen) Akteure noch nicht begriffen haben, gibt’s aber im Schauspielhaus den guten alten Schiller-Schluss. Mittels List der rechtschaffenen Leute wird der Parasit überführt und der gerechten Strafe zugeführt. Die Welt hat einen Smartie weniger. Blöd nur, dass die immer so bunt nachwachsen.

Infos und Karten:
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

 




Im Fegefeuer der Intrigen – Matthias Hartmanns Bochumer Triumph mit der Schiller-Rarität „Der Parasit“

Von Bernd Berke

Bochum. Hand aufs Herz: Wer kennt Friedrich Schillers „Der Parasit“? Nein, nein. Keine Ballade ist’s, sondern ein richtiges Theaterstück. Und doch taucht es noch nicht mal im zweibändigen Hensel-Schauspielführer („Spielplan“) auf, der sonst fast immer Rat weiß. Es ist eine Rarität, die Bochums Intendant Matthias Hartmann zum Bühnenleben erweckt. Und zwar fulminant!

Die „Quote“ durfte man schon damals nicht ganz außer Acht lassen: Auf der Suche nach einer Komödie mit Kassen-Chancen stieß Schiller anno 1803 auf den Stoff des Franzosen Louis Benoît Picard. Er übertrug dessen Text, verwandelte die Verse in flüssige Prosa, verschob inhaltliche Akzente – und fertig war ein funkelndes, effektvoll gebautes Konversationsstück, bei dem man nie und nimmer an den sonst so ernsten Schiller denkt. Eine Gelegenheitsarbeit, kein Hauptwerk. In Bochum erweist sich freilich, dass darin eine Menge steckt.

Ein Mitläufer aller Systeme

Hartmann verlegt die Karriere-Intrigen im Dunstkreis eines Ministeriums in die Angestellten-Welt. Vor ehedem vielleicht gediegener, nun aber etwas verschlissen wirkender Kulisse (unmodische Wandfarben, verstaubter Gummibaum, schäbige Plastik-Planen / Bühnenbild: Petra Korink) betreibt jener „Parasit“ namens Selicour (einfach wunderbar präsent: Michael Maertens) seine Ränkespiele, um endlich Gesandter zu werden. Als erotische Zusatz-Trophäe lockt Charlotte (Lena Schwarz), 17jährigesTöchterlein des neuen Ministers Narbonne (Felix Vörtler).

Eminent komisch ist’s, wie dieser Selicour mit tausend Wort-, Bein- und Körper-Verdrehungen es eilfertig jedem recht machen will; wie er, wachsam in jeder Sekunde, dem Minister schmeichelt und dessen Mutter (Veronika Bayer) becirct, die darob ganz lüstern wird. Wie er jede Schwäche anderer für sich münzt, nach oben buckelt und nach unten keilt. Schon dem verwerflichen Vorgänger hat Selicour, Mitläufer (und Motor) jedes Systems, gedient. Nun schmäht er ihn. Er war ja schon immer dagegen.

Dieser Kerl ist so verflucht geschickt

Dieser Kerl ist so verflucht geschickt, dass selbst seine Gegner wankend werden. La Roche (Thomas Büchel), den Selicour kurzerhand entlassen hat und der aus Rachedurst eine Gegen-Intrige ins Werk setzen will, wird nach allen Regeln der Kunst umgarnt, als er sich beim Minister beschwert. Selicour bedient sich zudem virtuos der Fähigkeiten anderer: Dem redlichen Beamten Firmin (Ralf Dittrich) luchst er ein kluges Dossier ab, von dessen in Charlotte verliebtem Sohn Karl (Manuel Bürgin) erhält er glühende Gedichte.

Herrlich, wie Hartmann und die Darsteller den typenkomödiantisch zugespitzten Charakteren flackernde Doppeldeutigkeit ablauschen. Minister Narbonne (gestisch zwischen dem Komiker Heinz Erhardt und dem CSU-Altvorderen Franz Josef Strauß angesiedelt), hat zwar etwas Salomonisches, bei Konflikten will er stets beide Seiten hören. Doch lässt der Schelm nicht die Gegner wie Gladiatoren gegeneinander antreten?

Sogar mit Selicour, so wie Maertens ihn anlegt, kann man Mitleid haben. Aus kleinen Verhältnissen stammend, will er halt hinauf. Verzweifelt strampelt er sich ab bis zur Erschöpfung, schmort selbst gehörig im Fegefeuer seiner Intrigen. Als sich Erfolge (trügerisch) abzeichnen, kann er es nicht recht fassen, geschweige denn genießen. Wäre Selicours Seelendrang nur etwas anders gelagert, so taugte er zum guten Menschen, denn er kann sich doch so gut in alle hineinversetzen…

Drei Lösungen für das Lustspiel

Bis dahin war’s schon köstlich, man hat sich im Voraus auf jede Szene diebisch gefreut. Doch der Geniestreich folgt erst noch: Im Schnellgang spielt Hartmann drei Lösungen des Lustspiels durch – und alle scheinen irgendwie höllisch plausibel. Einmal obsiegt (der Vorlage gemäß) der seriös-zurückhaltende Firmin, dann zieht mit La Roche der nächste Opportunist seine Schleimspur, schließlich triumphiert Selicour.

Nicht etwa mutwillig aufgepfropft sind diese Varianten. sondern unmittelbar aus vorherigen Kernsätzen des Stückes geronnen. So wird’s unversehens ein ganz heutiges Drama: der Text als Spielmaterial wechselnder, einander überlagernder Bedeutungen.

Stehende Ovationen für alle Mitwirkenden. Bochum ist wieder eine zentrale Pilgerstätte des deutschen Theaters!