Schwankender Koloß des Unrechts – „Der zerbrochene Krug“ in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Draußen Schnee, drinnen auch. Wer am Mittwoch abend zur Premiere von Kleists „Der zerbrochene Krug“ in Essens GrilloBau kam, hatte dieses realtheatralische Doppelerlebnis. Leise rieselte es im Bühnenhintergrund, vor kahler Landschaft mit Weidenbäumen.

Das Spiel hebt an auf einer kreisrunden, schmutzig-weißen Platte, um die sich ein Graben zieht. Das erinnert an eine Raubtierinsel im Zoo. Von oben kommt gleichmäßiges, die Szene analytisch ausleuchtendes Licht aus gleichfalls kreisrunder Öffnung. Hier also wird der Dorfrichter Adam entlarvt.

Das Stück zählt natürlich zu den „All time greats“, es ist unverwüstlich, wenn man den Dorfrichter richtig besetzen kann. Dafür bietet Regisseur Hansgünther Heyme in Essen Peter Kollek auf. Damit ist die Aufführung bereits weitgehend gerettet.

Kollek gibt den Adam als wahres Ungetüm der Ungerechtigkeit, als kantigen Koloß, der ins Wanken gerät. Wie er sich mit Händen und Füßen aus allen peinlichen Lagen herauswinden will, ist famos. Seine grotesken Körperverrenlcungen geben eine sinnliche Vorstellung von Rechtsverdrehung.

Jedoch: Dieser Adam beugt das Recht zwar in eigener Sache, steht aber auch für eine Rechtsauffassung der vor-juristischen Art. Es wird ganz deutlich, wenn er mit den streitenden Parteien der Dorfbewohner kungeln will. Da bereinigt man Mißhelligkeiten sonst wohl mit gesundem Menschenverstand und aus gegenseitiger Kenntnis – notfalls mit Augenzwinkern und Handschlag. Nur im Fall des zerbrochenen Krugs will das nicht gelingen, denn da ist Adam ja selbst verwickelt.

Hingegen ist Gerichtsrat Walter (Jean-Pierre Cornu), der sich als strenger Revisor den Adam vorknöpft, hier kein edler Herold des Rechts, sondern ein Karrierist, der per Intercity und mit Attachékoffer angereist sein könnte. Er steht für den Einheitsstaat, für die Metropole, die sich über die Provinz hermacht – und es ist sehr die Frage, ob seine schriftlichen Gesetze die menschlicheren sind. Walter würde sich von den Dörflern am liebsten wie ein Kardinal die Hand küssen lassen, er zuckt erst im letzten Moment vor einer solchen Geste zurück.

Als Adam seinen Offenbarungseid leisten muß, gerät auch Walter in Versuchung, einfach über den dörflichen Schwank mitzulachen. Doch brüllend bringt er sich dann selbst zur (Staats)-Raison.

Heyme läßt zwei Stunden ohne Pause spielen. Das ist richtig, denn eine Unterbrechung würde das Gespinst von Rede und Widerrede zerreißen. Allerdings nimmt die Regie öfter das Tempo heraus und läßt die Darsteller in spannungslosen Tableaus schweigen. Eigentlich sollte man in einem raschen Zug durchspielen, vielleicht sogar rasend. Zudem sind manche Figuren nur richtig „da“, wenn sie gerade sprechen. Besonders mit dem Gerichtsrat Walter weiß Heyme phasenweise wenig anzufangen, er läßt ihn dann unablässig Notizen machen.

Überdies sind die Kostüme der Frauen etwas zu albern. Sie charakterisieren nicht recht, sondern hängen den Figuren bunte Flicken an. Das macht es den Schauspielerinnen schwer, ihren Rollen Gewicht zu verleihen. Am besten gelingt dies Susanne Tremper als Marthe Rull.




Die Angst des Dorfrichters vor der Revision – Kleists „Zerbrochener Krug“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Der zerbrochene Krug“ steht und fällt – wörtlich wie im übertragenen Sinn – mit dem Dorfrichter Adam. Wird auch nur diese eine Rolle unzureichend besetzt, kann man Kleists Lustspiel-Klassiker, salopp gesagt, „vergessen“.

Ein Glück also, daß die Wuppertaler Bühnen Horst Fassel haben. Er verleiht dem fleischgewordenen Justizskandal, der ausgerechnet am Prüftag des Revisors über seine eigenen Eskapaden zu Gericht sitzen muß, das unabdingbare Komik-Profil, ohne in die Klamotte abzugleiten. Wie Fassel, bis in Haar- und Fingerspitzen elektrisiert, zwischen selbstgefälliger Seligkeit des Nicht-Ertapptseins und flatternder Angst hin und her hastet, ist sehenswert.

Daß Petra Dannenhöfers Inszenierung auf die Hauptfigur bauen muß, zeigt sich gegen Schluß. „Adam“ ist endgültig entlarvt und betritt die Bühne nicht mehr. Was folgt, ist ein langatmiges Aufdröseln nebensächlicher Aspekte. Die Luft ist ‚raus. Hier hätte man, zum Wohle des Stücks, Textkürzungen vornehmen sollen. Außer der Komik arbeitet diese Wuppertaler Einstudierung nur wenig „Überschuß“ heraus. Die herbe Justizkritik Kleists etwa, die das Recht als zwischen vielerlei Interessen relativiert und zerrieben beschreibt, wird eben nur „mitgeliefert“.

Die Darsteller lassen ihre Figuren mit unterschiedlicher Fortune lebendig werden. Während Maria Pichler mit Elan die resolute „Frau Marthe“ gibt und Gregor Höppner („Schreiber Licht“) als junger Ehrgeizling seine Aufgabe löst, bleiben René Schönenberger („Gerichtsrat Walter“) und besonders Sabine Schwanz („Eve“) eher blaß.

Das Bühnenbild Sigrid Greils ist (was die Aufbauten betrifft) zweckmäßig und schlicht. Reichlich herbeigezerrt scheint mir jedoch die Bedeutung zu sein, die dem Bühnenboden beigemessen wird. Vier Keile weisen, abwechselnd rot und blau, ins Zentrum. Sie sind, wie sich erst bei Lektüre des Programmhefts enthüllt, dem Papierfalt-Spiel „Himmel und Hölle“ abgeguckt und sollen offenbar eine optische Entsprechung zum Hin- und Hergerissensein der Handelnden abgeben.