So herrlich radikal und eigenmächtig – Kolumnist*innen drehen durch

Was haben wir denn da? Das schwache Licht der Aufklärung? Na, hoffentlich. (Foto: Bernd Berke)

Was haben wir denn da? Beinahe erloschene Lichter der Aufklärung? (Foto: Bernd Berke)

Wenn man so kreuz und quer in Texten stöbert, merkt man sich bestimmt nicht alle. Aber die richtig radikalen Sachen, die gehen einem vielleicht noch ein Weilchen nach. Mööönsch, hast du gelesen, wie rabiat diese(r) XYZ wieder polemisiert hat? Deshalb werden solche heftigen Zeilen überhaupt geschrieben: damit sie bemerkt werden und damit die Verfasser(innen) so richtig geil abheben können – ein Effekt, der sich freilich schnell abschleift.

Ob solche Beiträge nachvollziehbaren Sinn ergeben, ist bestenfalls zweitrangig. Dieser Tage sind mir zwei hanebüchene Artikel begegnet. Auf der Internet-Seite von Deutschlandfunk Kultur (überhaupt eine Speerspitze politisch „korrekter“ Denke, die oft alles andere als „korrekt“ ist) ist eine rotzfreche Selbstermächtigung von Vladimir Balzer zu lesen, der nichts Geringeres als die sofortige und komplette Abschaffung aller Autos postuliert und alle Leute möglichst umgehend aufs Fahrrad zwingen will. Auch Elektro reicht ihm nicht. Das ganze Zeug soll weg – vielleicht in ein großes, großes Loch? Vielleicht schon morgen früh?

Der Heilsbringer ruft: Alle Autos abschaffen!

Zitat aus dem besinnungslosen, von keinerlei Ironie angekränkelten Elaborat, sämtliche Automobile betreffend: „Ich sehe nur eine Möglichkeit: Alle aus dem Verkehr ziehen. Alle!“ Hach, wie herrlich radikal! In seiner glorreichen Eigenschaft als Pedalist verlangt der Verfasser auch noch, dass man ihm quasi huldigt: „Ich als Fahrradfahrer bringe den Frieden. Ich erwarte dafür (…) auch etwas Dankbarkeit.“ Von dem Zeug, das dieser Friedens- und Heilsbringer mutmaßlich geraucht hat, möchte mancher Freund des gepflegten Rausches vielleicht auch etwas haben… Übrigens soll es auch aggressive Radfahrer geben, denen die Unversehrtheit von Fußgängern schnurz ist.

Kruden Machteroberungs- und Beiseiteräum-Phantasien lässt auch die TAZ-Kolumnistin Johanna Roth (Eigen-Kennzeichnung: „Schreibt am liebsten über Innenpolitik und Abseitiges“) die Zügel schießen. Sie schlägt allen Ernstes vor, nicht nur „unten“ das Wahlalter herabzusetzen, also mehr Jugendliche mitentscheiden zu lassen, sondern auch „oben“ zu kappen, sprich: Rentner bzw. über 60-Jährige sollen kein Wahlrecht mehr haben, sie sollen es abgeben – wie manche den Führerschein.

Bloß kein Wahlrecht mehr für Rentner…

Maßlos regt sich Roth in ihrem mit verkrampften Gender-Fügungen („er*sie“) verzierten Text über Unfälle auf, die in ihrer arg begrenzten Weltsicht offenbar fast ausschließlich von Senioren verursacht werden. Geradezu schwachsinniger Kurzschluss: Senioren gefährden nicht nur den Verkehr, sie gefährden auch unsere Zukunft, indem sie etwa konservativ wählen (was meines Wissens noch nicht verboten ist, aber auch längst nicht auf alle Älteren zutrifft). Aufblitzende Selbsterkenntnis, die allerdings gleich wieder beiseite gewischt wird: „Das kann man jetzt demokratiefeindlich finden…“ Jo. Kann man.

Die Alten mithin nicht mehr an die Urnen, sondern möglichst bald in die Urnen? Irgendwie muss sich doch die eigene Meinung an die Macht zwingen lassen. Klar, dass nach solchem (Un)-Verständnis eh die vielzitierten „alten weißen Männer“ an allem schuld sind. Dumm nur, dass es auch um betagte Frauen und just um die Generation geht, die Frau Roths Schulzeit und Studium mitfinanziert hat. Sollte das denn alles vergebens (allerdings nicht: „umsonst“) gewesen sein?

Wollte man ähnlich radikal sich gerieren wie die beiden selbstgerechten Tastatur-Maniaks, so müsste man vielleicht Berufsverbot für sie fordern. Oder Umerziehungs-Maßnahmen. Was hier selbstverständlich nicht geschieht. Denn wie schon angedeutet: Derlei rücksichtslose Forderungen lassen sich eben nur mit rigider Bevormundung, also mit undemokratischen, wenn nicht gar diktatorischen (oder im Extremfall faschistoiden?) Mitteln durchsetzen. Mit solchen Umtrieben sollte sich niemand gemein machen. Nicht mal ansatzweise.




Adieu, Mittelwelle! – Der Deutschlandfunk hat alte Radios arbeitslos gemacht

IMG_6277

Das ist das gute Stück: Philips Sirius, gut 65 Jahre alt und bis Ende letzten Jahres noch Deutschlandfunk-Empfänger (Foto: Pfeiffer)

Dieses Radio ist älter als ich. Tante Else und Onkel Otto haben es um 1950 herum gekauft, so weit ich weiß, ein Philips Sirius, hochmodernes Bakelit-Gehäuse in Schwarz und Nußbaumoptik. Die Ultrakurzwelle gab es zunächst nur als Nachrüstsatz, ein zum Zwecke der Belüftung durchlöchertes Blechkästlein im Gehäuseinneren, in dem zwei Röhren vor sich hinglühten, ohne daß indes je UKW mit dem Radio empfangen worden wäre. Irgendein entscheidendes Drähtchen muß da fehlen; aber um UKW soll es hier ja auch nicht gehen.

Nein, ich möchte an dieser Stelle und aus gegebenem Anlaß der Mittelwelle einige traurige Gedanken hinterherwerfen, genauer gesagt der Frequenz 549 KHz, auf der der Deutschlandfunk seit dem Jahreswechsel nicht mehr sendet. Die Langewelle hatten sie vorher schon abgeschaltet, aber die war eh nur etwas für ganz hartgesottene Dampfradio-Aficionados.

Die Mittelwelle jedoch, satter Sound, nur mäßig verrauscht, ließ sich recht gut hören. Auch mit dem Radio von Tante Else und Onkel Otto, weshalb es hier zu ausdrücklicher Erwähnung gelangt. Der Deutschlandfunk war allerdings (tagsüber, bei Dunkelheit verbessert sich der Empfang) auch der einzige Sender, den man mit dem alten Schätzchen noch kriegte.

Es wäre wohl mal eine Kondensator-Kur erforderlich gewesen, bei der die alten teertriefenden Bauteile ausgelötet und durch neue ersetzt werden. Aber so weit ging meine Liebe nicht, und auch beim Ersatz des Magischen Auges zauderte ich. Es ist tatsächlich noch zu bekommen, aus amerikanischen oder russischen Armeebeständen und mit abweichender Typenbezeichnung (steht im Internet), und man muß am Röhrensockel nur zwei Drähte umlöten, weil die Heizung anders gepolt ist. Eine Zeitlang hatte ich das durchaus erwogen, aber nun, wo es nichts mehr zu empfangen gibt, hat sich das Thema erledigt.

IMG_6276

Auch im Graetz „Flirt“ herrscht seit dem 1. Januar Funkstille. (Foto: Pfeiffer)

Mittelwelle war das Original

Deutschlandfunk auf Mittelwelle, ich will den neuen Mißstand noch ein wenig beklagen, das war das Original. Der sparsame Umgang mit Tönen und Erkennungsmelodien, der (leider abgeschaffte) minimalistische 1000-Hertz-Piepser als Zeitzeichen zur vollen Stunde, die sonoren Männerstimmen, die stets erstaunlich verständlich blieben und im dunklen Klangbild ganz viel Autorität ausstrahlten – das alles gehörte unverzichtbar dazu, bildete gleichsam den Markenkern, ein unverwechselbares hochseriöses Ganzes.

Das UKW-Signal des Senders ist hingegen vielerorten schwach, auch in Dortmund. Es war ein Kampf (jawoll!), bis alle Radios in der Wohnung auf mittelwellenfreien Empfang umgerüstet waren. Es galt, optimale Positionen für Wurfantennen zu finden (eine hängt jetzt an der Wand, es ging nicht anders), im Wohnzimmer dient der Kabelanschluß nun auch zum analogen Radioempfang, und in einem Raum kommt gar ein neues, kleines Digitalradio zum Einsatz. Seine Lautsprecherqualitäten, dies am Rande, sind mäßig, mit guten Ohrhörern jedoch bietet es ein bis dato unbekanntes Stereoerlebnis. Auch beim Deutschlandfunk.

Das Internet hat seine Tücken

Es ging nicht mehr anders, sagen die Verantwortlichen des Senders, Mittelwelle sei nicht mehr zeitgemäß, viel zu teuer im Betrieb und auch vom Energiebedarf her. Sie verweisen auf Digitalverbreitung und Internet-Radio, und wahrscheinlich haben sie recht, wenngleich ich hinsichtlich der Energieeffizienz des Internets mit vielen, vielen Servern und Computern im Standby so meine Zweifel habe.

Und eigentlich ist sowieso der Kalte Krieg schuld, beziehungsweise dessen Ende. Früher nämlich, bevor die Mauer fiel, gehörte es zu den Aufgaben der Radiosender der „freien Welt“ (wie auch zu denen der Gegenseite), ihre Botschaften weit ins Feindesland hineinzutragen – direkt und (wenngleich oft verbotenerweise) ohne die Infrastruktur eines Internets empfangbar. Gleiches galt natürlich im stärkeren Maße noch für die Kurzwelle, auf der sich die Deutsche Welle weltweit und vielsprachig verströmte. Auch vorbei. Wenn nun aber wiederholt zu hören ist, daß autoritäre Staatenlenker ungeliebte Netzadressen sperren lassen, dann drängt sich der Gedanke auf, daß das freie Versenden des Rundfunks durchaus seine Vorteile hatte.

Adieu, Flirt

Abschließend möchte ich noch auf mein „Flirt“ zu sprechen kommen, genauer auf meinen eleganten „Flirt“ Sechs-Transistor. Wenngleich der Herstellername Graetz auf dem Gehäuse steht, vermute ich stark, daß die Innereien nicht aus Bochum, sondern (damals noch) aus Japan kamen. Solche kleinen Radios mit – eben – sechs Halbleitern im Inneren waren in den 60er Jahren sehr beliebt, klein, leicht und einfach zu bedienen. Sie bildeten eine erste Klasse von elektronischen Kompaktgeräten, die man problemlos mit sich führen konnte, um beispielsweise überall Bundesliga zu hören. Jetzt aber, wie gesagt, hört man eigentlich gar nichts mehr, höchstens noch einen ausländischen Sender, bei Nacht.

Hier sollte an sich Schluß sein, aber das Ende klingt mir jetzt zu depressiv. Denn die Verbreitung ist ja nur Form, viel wichtiger sind doch die Inhalte! Lob und Preis denn also für die fleißigen Nachrichtenmagazine morgens und mittags, für die Presseschauen und für die Diskussionen, in denen Teilnehmer tatsächlich noch ausreden dürfen. Und einen besonderen Dank für das historische „Kalenderblatt“, das nach den 9-Uhr-Nachrichten definitiv seinen optimalen Sendeplatz hat.

Aber auf Mittelwelle hat es eben auch sehr schön geklungen.




Musik-Erlebnisse im Halbschlaf: Johnny Halliday und Nive Nielsen & The Deer Children

Hier mal ganz außer der Reihe einen herzlichen Dank an die Redaktion des Kulturmagazins „Fazit“ im Deutschlandfunk bzw. Deutschlandradio Kultur. Natürlich auch für den einen oder anderen Bericht zu den künstlerischen Zeitläuften. Doch just jetzt habe ich anderes zu verdanken, nämlich zwei Hinweise auf unverhofft grandiose Musik.

Auf den französischen Altrocker Johnny Halliday habe ich nie sonderlich geachtet, also habe ich auch nichts auf ihn gegeben. Seit Jahrzehnten ist er zugange – und ich habe kaum jemals richtig hingehört. Ich Ignorant habe ihn für den französischen Peter Kraus gehalten. Ein arges Missverständnis und Versäumnis?

Da braucht es wohl besondere Umstände: ein reifes Alterswerk – und die Stunde zwischen Tag und Traum. So kann’s gehen: Mitternacht ist vorbei, man ist beim Radiohören unversehens eingeschlafen und merkt plötzlich auf: Da haben halb verwehende Klänge ins Verdämmern hinein gespielt. Und nun ist man auf einmal wohlig wach und wird gewahr, wer da singt.

halliday

Zwischen den Wortbeiträgen spielt „Fazit“ das eine oder andere Musikstück. Man muss sagen: Es sind oft ausgesuchte Interpreten und Stücke darunter. An jenem späten Abend war es eben das neue, am 12. November herausgekommene Halliday-Album, das so heißt wie jenes berühmte Buch von Stendhal: „De l’amour“ („Über die Liebe“). Man höre zur Einstimmung vor allem in den krass lautenden Titel „L’amour me fusille“ (etwa: „Die Liebe erschießt mich“) hinein.

Etwa 24 Stunden später hatte ich – ohne allzu große Übertreibung – ein noch größeres Erweckungs-Erlebnis. Buchstäblich. Denn wieder war ich eingenickt und bin erwacht, als eine wahrhaftige Sirenenstimme sang. Gottlob wurde angesagt, was da zu hören war – und man kann halt die entsprechende Playlist im Internet aufrufen. Das sind so Angelegenheiten, für die man früher eigens Briefwechsel mit dem Sender beginnen musste…

nive

Wer da gesungen hat? Nun, eine Frau aus Grönland. Ja, richtig gelesen. Nive Nielsen und ihre Band „The Deer Children“ (ungefähr: Rehkinder/Kitze) sind ein veritables Ereignis. Das Allerfeinste, was mir in letzter Zeit zu Ohren gekommen ist. Herzschmelze sehr wahrscheinlich.

Schon ist die Platte („Feet First“, erscheint am 27. November) bestellt, schon habe ich probehalber in andere Produktionen mit ihr reingelauscht. Und ich weiß: In dieser Musik kann man sich verlieren, wenn man denn bereit ist. Und das sollte nicht nur im Halbtraum der Fall sein. Obwohl: Wahrscheinlich hat eben dieser trancehafte Zwischenzustand die ästhetischen Sinne weiter geöffnet.

__________________________________________________

P.S.: Die Links zum Versand jpc sind nicht als Empfehlung zu verstehen, sondern als Option. Allerdings sind die Leute aus Georgsmarienhütte vor allem auf dem Gebiet der Tonträger eine Alternative zu Amazon und anderen Weltherrschern…




Moden und Marotten im Journalismus (2): Stocksteife Scheinobjektivität

Beim Deutschlandfunk halten sie traditionell große Stücke auf sich. Doch auch außerhalb der eigenen Reihen gilt der Sender viel. Gar mancher glaubt, er sei die Hörfunk-Entsprechung zur FAZ. Das lassen wir mal dahingestellt.

Höchst schätzenswert sind – nehmt alles nur in allem – die thematisch breit gefächerten Hintergrundberichte des DLF. Gerade in Zeiten des sonst weithin grassierenden Dudelfunks mit seinen lachhaften Kürzestbeiträgen, sind die ausführlichen Wortstrecken, die hier gepflegt werden, umso wohltuender. Noch auf jedem meiner Radios habe ich die Station gespeichert, um sie nach einfachem Knopfdruck hören zu können. So weit, so gut.

Nun aber, ach: die Nachrichten! Diese stets offiziös, ja vielfach halbamtlich und staatstragend klingenden Bulletins. Immer mal wieder wundert man sich, welche News hier in den Vordergrund geschoben werden. Wenn nichts Gravierendes geschehen ist, so rückt hier in der Regel ein Sachverhalt nach oben, zu dem Minister(in) XYZ oder ein Spitzenverband Stellung genommen haben.

Hier zählen Politikerworte noch etwas, hier werden sie getreulich und konjunktivisch einwandfrei referiert; oft genug auch dann, wenn sie von minderem Gewicht sind. Hier schafft es zwischendurch auch schon mal der Hinterbänkler mit zwei oder drei gestanzten Sätzchen an die Spitze der Neuigkeiten. Da wird „betont“, „eingeräumt“ und „nicht ausgeschlossen“, dass es nur so seine Art hat. Zudem gewinnt man den unguten Eindruck, hier werde ängstlich vorauseilend nach Parteienproporz austariert. Nie erlauben sie sich saloppe Ausdrucksformen, niemals ein Augenzwinkern. Wo käme man da hin?

Auf den Skalen älterer Radios werden Stationen noch namentlich genannt. (Foto: Bernd Berke)

Auf den Skalen älterer Radios werden Stationen noch namentlich genannt. (Foto: Bernd Berke)

Wie soll man das steifleinene Gebaren im Rahmen unserer Reihe nennen? Um eine Mode handelt es sich bei dieser betulichen Nachrichtengebung wahrlich nicht. Eher schon um eine Marotte, um etwas Verschrobenes. Es lassen sich tatsächlich Parallelen zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung ziehen. Man schaue sich nur allwochentäglich deren staubtrockene Anti-Schlagzeilen über dem Aufmacher der Titelseite an, beispielsweise gestern: „Russland lobt Assad: Sie sind sich Ihrer Verantwortung bewusst“. Dem entspricht im drögen Duktus etwa die DLF-Nachricht vom 7. Februar um 23 Uhr: „Syriens Staatschef Assad hat zugesichert, die Gewalt in seinem Land zu beenden.“

Der Unterschied zwischen den beiden mehligen Mitteilungen: Während man der FAZ-Zeile noch einen empörenden Nebensinn ablauschen kann, tönt der DFL-Satz in seiner Scheinneutralität schmerzlich falsch. Nein, das ist keine Objektivität, das ist erst recht keine liebenswerte Knarzigkeit und Knorrigkeit mehr, sondern kritikloses Herbeten vorgegebener Positionen – welchen Ursprungs auch immer.