„DGB muß der Kultur mehr Stellenwert geben“ – WR-Gespräch mit dem scheidenden Geschäftsführer der Ruhrfestspiele

Von Bernd Berke

Recklinghausen. „Der Deutsehe Gewerkschaftsbund muß der Kultur endlich mehr Stellenwert einräumen als bisher.“ Das forderte gestern, in einem Gespräch mit der Westfälischen Rundschau, der scheidende DGB-Geschäftsführer der Ruhrfestspiele, Dr. Fred Eckhardt.

Mit seiner Forderung benennt Eckhard, der nach zwölf Jahren in Recklinghausen um Lösung seines Vertrags bat (WR berichtete), zugleich einen Hauptpunkt, der ihn zu diesem Schritt bewogen hat. Seine Entscheidung, so Eckhard, habe subjektive und objektive Gründe. Subjektiv: Als künftiger Leiter einer Berufsfachschule für Theatertanz und Theaterpädagogik könne er in seine alte Heimatstadt Hamburg zurückkehren und endlich wieder vorwiegend künstlerisch tätig sein.

Doch nicht nur persönliche Interessen sind der Grund für den Wechsei. Eckhard: „Die Sparzwänge bei den Ruhrfestspielen sind in den letzten Jahren immer mehr gewachsen. Dieser Druck schlägt auf die künstlerischen Ergebnisse durch.“ Seit Jahren müsse man mit einem gleichbleibenden Etat stetig steigende Kosten bewältigen. Sogar längst zugesagte Gastspielreisen – z. B. in die UdSSR – müßten mangels Finanzmasse auf die lange Bank geschoben werden.

Die beiden Träger der Ruhrfestspiele (Stadt Recklinghausen und DGB) hätten gewiß ernsthafte Geldsorgen. Doch sei die finanzielle Ausstattung der Festspiele zunächst auch eine Frage des Bewußtseins. Eckhard: „Im Grundsatzprogramrn des DGB steht, daß sich die Gewerkschaften auch für kulturelle Belange der abhängig Beschäftigten einsetzen sollen“. Dies sei, obgleich es Zeichen eines Umdenkens gebe, noch nicht ausreichend der Fall. Die Basis in den Einzelgewerkschaften, aber auch der DGB-Bundesvorstand müßten dringend darüber reden, ob sie hauptsächlich eine „Tarif-Maschine“ sein oder ob sie auch kulturelle Zeichen setzen wollten.

Der große Apparat des DGB erweise sich in Kulturfragen oft als schwerfällig, man müsse viel schneller auf die Herausforderungen der „Freizeitgesellschaft“ reagieren. Die mißliche Situation der Ruhrfestspiele, die „endlich wieder eine Perspektive brauchen“, vergleicht Eckhard mit der eines leckgeschlagenen Ozeanriesen: „Da kann man doch auch nicht sagen: ,In vier Wochen laufen wir Singapur an, dann wird alles repariert‘.“

Eckhard nennt Zahlen: Zehn Mio. DM wären für eine halbwegs vernünftige Renovierung des Festspielhauses (vorsintflutliche Bühnentechnik, 23 Jahre alte Bestuhlung) und anderer Festspieleinrichtungen vonnöten. Und: „In der Jubiläumssaison 1986 hatten wir ausnahmsweise eine Million Mark Zusätzlichen Jahresetat“. Stoßseufzer: „Damit konnten wir tolle Sachen veranstalten. Wenn wir nur diese Zusatz-Million in jedem Jahr hätten…“

Einen Hoffungsschimmer sieht Eckhard im Gutachten des Berliner „Deutschen Instituts für Urbanistik“ (DIFU). Die Expertise entsteht unter Leitung von Prof. Dieter Sauberzweig und soll im Frühjahr vorliegen. Die Studie, so Eckhard, könnte den Ruhrfestspielen gangbare Wege in die Zukunft weisen. Dann dämpft er freilich die eigenen Erwartungen. Bis das Gutachten alle Gremien passiert habe und „greifen“ könne, würden auch die Festspiele 1990 ins Land gehen – eine kaum noch erträgliche Durststrecke.

Eckhards Appell: „Wir sind es den Gründern, die in der Hungerzeit nach dem Krieg kulturellen Weitblick bewiesen haben, schuldig, die Festspiele zu stärken“.




„Freizeitkunst“ aus der DDR: Mehr als nur ein Hobby – Frucht des deutsch-deutschen Kulturaustauschs bei den Ruhrfestspielen

Von Bernd Berke

Erste Früchte des 1987 vereinbarten Kulturaustauschs zwischen Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) und dem DDR-Gewerkschaftverband FDGB: „Engagierte Freizeitkunst der DDR“ ist jetzt (bis 10. Juni) im Rahmen der Ruhrfestspiele zu sehen; im Gegenzug werden ab Juni Arbeiten von Laienkünstlern des Reviers in Frankfurt/Oder ausgestellt.

Das Wort „engagiert“ führt in die Irre: Wer explizit politische Aussagen in Bildform erwartet, wird von den rund 400 Exponaten enttäuscht sein. Lediglich eine Arbeit, die sich anklagend auf eine ganz eigene Art von „Engagement“ bezieht, nämlich auf jenes der USA in Vietnam, Grenada und Nicaragua, mag dem einen oder anderen Amerika-Freund sauer aufstoßen.

Die Kennzeichnung „engagierte Freizeitkunst“ bezieht sich eher auf den Zeitaufwand und die Intensität, mit der sich viele DDR-Berufstätige der Kunst widmen. Rund 40000 FDGB-Mitglieder erhalten in Kunstzirkeln der Gewerkschaft fundierten Unterricht von Berufskünstlern – eine Aufgabe, die bei uns nicht die Gewerkschaften, sondern allenfalls die Volkshochschulen wahrnehmen. Die weitaus überwiegende Anzahl der im Recklinghäuser Festspielhaus gezeigten Arbeiten weist folglich qualitativ deutlich über das hinaus, was man billigerweise von reiner „Freizeitkunst“ erwarten kann. In den meisten Fällen waren eben keine bloßen Hobbyisten am Werk.

Die Güte verdankt sich auch einem mehrfachen Auswahlvorgang: Zuerst in der DDR, dann – gleichfalls von DDR-Seite vorgenommen – aus Platzgründen für die Zusammenstellung in Recklinghausen. Zwar sieht man im Saal des Festspielhauses auch biedere Webarbeiten oder jene Holzpyramiden mit rotierenden Nußknackern, wie sie in unseren Kaufhäusern zur Weihnachtszeit als erzgebirgisches oder thüringisches Kunsthandwerk feilgeboten werden, doch bleiben solche unverbindlichen Nettigkeiten eine Randerscheinung, die nur das breite Spektrum vervollständigt.

Ansonsten sind ähnliche Tendenzen erkennbar wie bei den DDR-Berufskünstlern: Spielarten des Realismus (und hier wiederum besonders des Porträts) genießen eindeutig Vorrang. In Malerei, Zeichnung, Druckgraphik und skulpturalem Schaffen sind vielfach Ansätze zu einer bunteren Stilpalette sichtbar. Der sogenannte „Sozialistische Realismus“ ist passé. Vielmehr wird der Realismus-Begriff erweitert in Richtung kritischer Sichtweisen. Auch Foto-Realismus und Anklänge an die Pop-Art haben da durchaus ihren Platz.

Ist auch vielfach noch der arbeitende Mensch Bildthema, so fehlt doch jeder falsche Heroismus. Arbeit, das sieht man vielen Porträts deutlich an, bedeutet auch im real existierenden Sozialismus Mühsal. Und auch Umweltsünden werden in der DDR offenbar zunehmend bildwürdig – einschließlich der finalen Apokalypse, deren Zuckungen auf einem Gemälde („Das letzte Bild“) nur noch kurz auf dem Fernsehschirm aufblitzen.




DGB sucht nach neuen Wegen in der Kulturarbeit – Beispielhaftes Projekt mit Jugendlichen

Von Bernd Berke

Hattingen. Neue Wege in seiner Kulturarbeit mit Jugendlichen soll der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beschreiten – wenn es nach dem Team geht, das gestern in Hattingen den Abschlußbericht eines ungewöhnlichen Projekts vorgelegt hat, bei dem nicht – wie so oft – typische Gewerkschaftsthemen (35-Stunden-Woche usw.) nur noch umgesetzt wurden, sondern bei dem Erfahrungen und Bedürfnisse Jugendlicher den Anstoß gaben und Themen, Medien und Darstellung bestimmten.

Ilse Brusis, als Mitglied des DGB-Bundesvorstands an dem Modellversuch interessiert, nannte gestern den Hauptgrund für die Aktivitäten, an denen 12 Gruppen mit insgesamt rund 150 Jugendlichen beteiligt waren: Immer mehr Jugendliche gehen, so Frau Brusis, auf vorsichtige Distanz zur Gewerkschaft, die sie oft genug nur noch als Institution mit zahllosen bürokratischen Gremien erleben. Also müsse sich der DGB auch auf dem kulturellen Sektor etwas einfallen lassen, um attraktiver und lebendiger zu werden. Das Projekt (Kosten für drei Jahre: 380.000 DM) solle ein erster Schritt sein, die vorliegende Bilanz eine Anregung.

Von traditioneller Gewerkschafts-Kultur sind die meisten Gruppen in der Tat weit entfernt: Manchem altgedientem Gewerkschafter mag z. B. die Art nicht gefallen, wie sich eine Bergkamener Projektgruppe jugendlicher Bergarbeiter kritisch äußerte: Unter Anleitung eines Künstlers entwarfen sie eine Gipsfigurengruppe, die zeigt, wie lebenswichtige Solidarität unter Bergleuten zwar „vor Ort“ funktioniert, in der Freizeit aber nicht mehr. Da herrscht Vereinzelung. Die Bergkamener bauten auch ein bizarres „Traumauto“, einfach weil sie gerade alle den Führerschein machten und das Thema deshalb akut war. Und sie drehten einen Videofilm, der direkt in der Arbeitswirklichkeit ansetzt und u. a. einen „Kumpel“ unter Tage zeigt, der sich durch den Berg zur Freiheit vorarbeitet und plötzlich an einem Südseestrand steht.

Weitere Projektgruppen: Junge Bergarbeiter in Gelsenkirchen spielten ein Stück über Südafrika, eine Jugendgruppe von Opel in Bochum absolvierte einen Theaterkursus. und in Herne erarbeiteten deutsche und türkische Jugendliche gemeinsam ein Stück über Ausländerfeindlichkeit. Prinzip war jeweils, daß den Beteiligten keine gewerkschaftlichen Thesen vorgegeben wurden.

Projektleiter Jürgen Krings vom „jungen forum“ der Ruhrfestspiele glaubt dennoch, daß das Mißtrauen „orthodoxer“ Gewerkschafter unbegründet sei, denn: „Hier werden gewerkschaftlich wichtige Fähigkeiten wie Miteinander-Reden ganz nebenbei entwickelt.“ Freiere kulturelle Arbeit nach Art dieses Projekts schaffe „ein Stück sozialer Heimat“. Zwei beteiligte Jugendliche aus Bergkamen bestätigten das. Die Gewerkschaft, so sagten sie gestern, sei ihnen durch das Kulturprojekt nähergerückt.