Südsee-Glamour und politische Utopie: Paul Abrahams Operette „Blume von Hawaii“ in Hagen

Frank Wöhrmann (Jim Boy) und Penny Sofroniadou (Raka) in Paul Abrahams „Blume von Hawaii“ in Hagen. (Foto: Klaus Lefebvre)

Was der Gentleman im Dschungel zu tun hat, erfahren wir nicht so richtig. Aber dass ihm bei einem möglichen Rendezvous die Affen zuschauen, der Tiger brüllt und jede Menge „uh uh“ dabei ertönt, macht uns Paul Abraham in diesem herrlichen Nonsens-Song ausgiebig bewusst.

In Hagen, wo die Operette zum Glück noch eine Heimstatt hat, gibt es mit der „Blume von Hawaii“ eine prickelnde Mischung aus höherem Blödsinn, kitschtriefender Südsee-Romantik und behutsamen politischen Anspielungen – also eine Melange wie geschaffen für eine wirkungsvolle Unterhaltungs-Show. Doch die musste coronabedingt mager ausfallen: Bei der Premiere im Oktober letzten Jahres war Abstand nötig und weder große Chorauftritte noch opulente Tanznummern möglich.

Regisseur Johannes Pölzgutter reduziert folgerichtig bis nahe ans Kammerspielformat, in dem jedoch die Personen mit ihren Nöten und Konflikten schärfer gefasst sind. Die Tableaus treten zurück, mit denen Abrahams Operette im Berlin der Wirtschaftskrise und des Verfalls der Weimarer Republik die vergnügungssüchtige Gesellschaft in eine exotische Märchenwelt einlullte. Pölzgutter dagegen hebt auch durch behutsame textliche Retuschen den Konflikt zwischen den Amerikanern als kolonialer Besatzungsmacht und der hawaiianischen Opposition hervor: Die letzte Anwärterin auf den Thron von Hawaii, Prinzessin Laya, kehrt inkognito aus einem durchaus vergnüglichen Pariser Exil in ihre Heimat zurück, verliebt sich nicht nur in den Kapitän ihres Dampfers, sondern auch in Volk und Vaterland und soll statt zur harmlosen „Blume von Hawaii“ zur richtigen Regentin gekrönt werden. Klar, dass der amerikanische Gouverneur not amused ist und die politische Demonstration zu verhindern versucht. Dank der Liebe hat er Erfolg, und die Operette könnte nach dem zweiten Akt in einer Tragödie enden. Doch dem stehen eherne Gesetze des Genres entgegen. Im dritten Akt löst sich alles in liebestolles Wohlbehagen auf und gleich vier Paare finden sich.

Hawaii-Glamour auf Distanz

Prinzessin Laya (Angela Davis) steht im Spannungsfeld zwischen politischen Forderungen und privaten Gefühlen. Kanako Hilo (Insu Hwang) will sie für den Widerstand gewinnen. Die Hochzeit mit Prinz Lilo-Taro (Richard van Gemert) soll die Monarchie von Hawaii festigen. (Foto: Klaus Lefebvre)

Pölzgutter erfindet, um den Hawaii-Glamour durch Distanz erträglich zu machen, eine Rahmenszene: Zu Beginn hängt der unglückliche Kapitän Stone in einem Varieté erinnerungs- und alkoholtrunken mächtig in den Seilen, während eine leicht derangierte Diseuse „ein Schwipserl“ hat und vergeblich um die Aufmerksamkeit des abgetakelten Seemanns buhlt. Dann öffnet sich die Bühne und lässt eine billig aufgemachte Hawaii-Show sehen: Unter Goldpalmen präsentiert sich das „Paradies am Meeresstrand“, bevölkert von Yankees mit Plastik-Blumenkränzen und auf naiv getrimmten Locals.

Doch die Show verliert zunehmend ihren inszenierten Touch; der Bühnenrahmen verschwindet und wir sind mitten in einem Traum, in dem es um Liebe und Verzicht, Macht und Intrige geht. Wirkungsvoll arbeitet Pölzgutter den Konflikt heraus, in dem sich die eindrucksvoll spielende Angela Davis als Laya unversehens wiederfindet: Sie hat nicht damit gerechnet, das politische Faustpfand der Unabhängigkeitsbewegung unter dem wild entschlossenen Kanako Hilo (eine undurchsichtige Gestalt: Insu Hwang) zu werden; sie hat auch nicht damit gerechnet, dem ihr schon als Kind zugesprochenen Bräutigam, Prinz Lilo-Taro (kernig und altväterlich: Richard van Gemert) zu begegnen und sogar Empfindungen jenseits von Pflichtgefühl für ihn zu entwickeln.

Und dann gibt es da noch die Amerikaner, die sich fröhlich und machtbewusst durch die Szenerie steppen: Der pfiffige John Buffy (Alexander von Hugo) überlebt vokal nur mit Mikroport, hat aber dank eines gut geölten Mundwerks das Glück auf seiner Seite. Ebenso Frank Wöhrmann als Jim Boy, dem man seinen Song „Bin nur ein Jonny“ gestrichen hat, um eilfertig jedem Vorwurf von „Rassismus“ zu entgehen, und der damit vom melancholischen „Nigger“ zur frohgemuten Nebenfigur abgewertet wird. Einen mondänen Auftritt hat die verwöhnte Bessie Worthington, die der Gouverneur als gute Partie für den Hawaii-Prinzen importiert hat, die sich aber im saftigen Spiel und Gesang von Alina Grzeschik rasch emanzipiert.

Utopie statt Desaster

Wären wir nicht in der Operette, das Ende käme als Desaster: Die Krönung der Königin vereitelt, Laya gefangen, Lilo-Taro auf dem Weg zum Selbstmord auf offenem Meer, der wackere Kapitän Stone (unstet und unfrei: Kenneth Mattice) wegen Befehlsverweigerung entlassen, Buffy, Jim und das kleine, süße Hawaii-Girl Raka vor dem Vakuum ihrer gescheiterten Liebe. Doch der dritte Akt, in Paris, richtet es: Das Varieté kehrt wieder. Penny Sofroniadou als frischstimmige Raka wandelt sich vom radebrechenden Naivchen zur Strippenzieherin, die studiert hat und drei Sprachen beherrscht. Paar für Paar wird die Liste des Begehrens abgearbeitet; zum Schluss bekommt Buffy auch seine Bessie. Und Pölzgutter erfindet zur Krönung noch eine politische Utopie: Versehentlich unterschreibt Gouverneur Harrison (Götz Vogelgesang) ein Papier, in dem er auf sämtliche Rechte auf Hawaii verzichtet. Schöne, heile Operettenwelt!

Auch in Hagen verwendet man die „bühnenpraktische Rekonstruktion“ der vor etwa 15 Jahren zufällig wiedergefundenen Original-Partitur von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn. Sie stellt die ursprüngliche Instrumentation aus dem Geist der Zwanziger Jahre wieder her, gespeist aus genauer Kenntnis des Notentextes und der alten Aufnahmen. Das gibt ein lebendiges, facettenreiches Klangbild, doch die die Musiker des Philharmonischen Orchesters Hagen legen sich unter Andreas Vogelsberger allzu mächtig ins Zeug und werden zu laut, was auf Kosten der Differenzierung geht und den Sängern Probleme bereitet. Wenn das Schlagzeug nicht überbetont ist, erinnert der swingende Rhythmus – allerdings ohne die Stütze des Sousaphons – an die Schellack-Zeugnisse von Paul Abrahams Stil. Spaß macht es, wenn es gelingt, die vibrierende Energie, die Farbwechsel, den melodischen Schmelz auszuspielen. Dann wird der Sound einer fiebrig-ausgelassenen Zeit lebendig, die ahnungsvoll und besinnungslos in ihren Untergang tanzte.

Buchtipp: Der in Witten lebende Autor Klaus Waller hat 2014 eine Biographie über den Komponisten veröffentlicht, die 2021 in einer Neuauflage erschienen ist: Paul Abraham. Der tragische König der Operette: Eine Biographie. 384 Seiten, 196 Abbildungen. starfruit publications, Fürth, 28,00 Euro.

 




Operetten-Passagen (1): Paul Abrahams „Die Blume von Hawaii“ in Dortmund

Großes Ensemble, große Finali: Paul Abrahams "Blume von Hawaii" scheut keinen Aufwand. Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Großes Ensemble, große Finali: Paul Abrahams „Blume von Hawaii“ scheut keinen Aufwand. Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Erlebt die Operette eine Renaissance? Teile des Feuilletons sehen die Morgenröte für Omas bevorzugte Theatersparte aufdämmern, weil Barrie Kosky an der Komischen Oper in Berlin mit rasanten Inszenierungen wie Paul Abrahams „Ball im Savoy“, Nico Dostals „Clivia“ oder Oscar Straus‘ „Eine Frau, die weiß, was sie will“ Furore gemacht hat.

In der Tat lassen sich Indizien sammeln: Ein Symposion in Berlin hat deutlich gemacht, wie die Operette auch in der (Musik-)Wissenschaft angekommen ist. Die Staatsoperette Dresden, die sich schon seit Jahren auch um vergessene Werke kümmert, hat im Dezember ein neues Haus bezogen – ein dauerhafter Standort für das oft gering geschätzte Genre.

Das Operetta Research Center des Spezialisten Kevin Clarke in Amsterdam führt unter anderem ein Online-Archiv mit einer aktiven Website und viel Hintergrund. Und in Chemnitz wurde sogar jüngst wieder einer neue Operette uraufgeführt: „Südseetulpen“ von Benjamin Schweitzer.

Verfemte, vertriebene, ermordete jüdische Komponisten und Librettisten rücken wieder ins Blickfeld, werden endlich wissenschaftlich seriös und kritisch gewürdigt. Dirigenten wie der ab Mitte 2017 amtierende Hildesheimer GMD Florian Ziemen setzen sich explizit für Aufführungen ein, die den Originalen angenähert sind. Es gibt Operetten-Festspiele, Mörbisch oder Bad Ischl.

Auf dem einen oder anderen Spielplan schimmert dann auch eine Perle, die am Meeresgrund des Vergessens verblasst war. „Axel an der Himmelstür“ von Ralph Benatzky an der Volksoper Wien ist so ein Beispiel, aber auch „Die Herzogin von Chicago“ von Emmerich Kalman in Koblenz. „Lady Hamilton“ von Eduard Künneke in Dessau oder „Der Carneval in Rom“ von Johann Strauß in Baden.

Dennoch sind Zweifel angebracht. Immer noch verabschiedet sich die Operette still und unbeweint aus den Spielplänen. Große Häuser wie Essen und Frankfurt meiden sie seit Jahren. An anderen führt sie ein Nischendasein, gekennzeichnet durch eine bemerkenswerte Monotonie der Spielpläne: „Fledermaus“, „Lustige Witwe“, „Csardasfürstin“, daneben etwas Offenbach.

An den Stadttheatern sind die Operetten-Ensembles, die früher die Häuser vollgespielt haben, abgebaut. Und wer auf die Suche nach Darstellern geht, erlebt sein blaues Wunder. Einen Operettentenor? Eine Diva? Eine Tanzsoubrette? Fehlanzeige.

Unendlich schwer: das leichte Genre

Wie unendlich schwer das leichte Genre ist, lässt sich derzeit in Dortmund studieren. Immerhin hat sich das Haus unter Jens-Daniel Herzog, der 2018 nach Nürnberg geht, mit einzelnen Projekten profiliert – so mit Paul Abrahams Fußball-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ 2014, einer deutschen Erstaufführung.

Abraham, der von den Nazis vertriebene und ruinierte ungarische Virtuose der „leichten Muse“, war auch jetzt angesagt: Mit „Die Blume von Hawaii“ zeigt Dortmund eines der drei beliebtesten Abraham-Werke, mit denen er zwischen 1930 und 1933 in Berlin ungeheuren Erfolg einheimste, bis der braune Ungeist dem „unarischen“ Treiben ein jähes Ende bereitete.

Die „Blume von Hawaii“ galt schon in den siebziger Jahren als unerträglicher Kitsch. Ein Bild, das gefördert wurde von Bearbeitungen im Geschmack der fünfziger Jahre, von Plattenaufnahmen wie derjenigen mit Rudolf Schock und Anneliese Rothenberger oder gar Roy Black, Wencke Myhre und dem Medium Terzett. An den Theatern hielt man sich fern von dem Stück, das ungeniert exotische Sentimentalität und Schaulust, Sehnsucht nach der Ferne und Südsee-Klischees bedient.

Dennoch widerstanden Paul Abrahams geniale Melodie-Erfindungen dem Zeitgeist: Zähneknirschend gab so mancher kritischer Theaterleiter dem Publikum den verachteten süßen Sirup: „Du traumschöne Perle der Südsee“, „Ich hab ein Diwanpüppchen“, „Wir singen zur Jazzband“ oder „My little boy“ schienen unsterblich.

Thomas Enzinger. Foto: Theater Dortmund

Regisseur Thomas Enzinger. (Foto: Theater Dortmund)

Auch in Dortmund entschied sich das Team um Regisseur Thomas Enzinger und Dirigent Philipp Armbruster, der Musik Abrahams ihren Raum zu lassen: Die Songs und Tanznummern kommen vollständig, die groß angelegten Finali leiden nicht unter dem Rotstift.

Die „bühnenpraktische Rekonstruktion“ von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn stellt die ursprüngliche Instrumentation aus dem Geist der Zwanziger Jahre wieder her, gespeist aus genauer Kenntnis des Notentextes und der alten Aufnahmen. Das gibt ein lebendiges, facettenreiches Klangbild – und die Dortmunder Philharmoniker legen sich mächtig ins Zeug, um den swingenden Rhythmus, die Farbwechsel, den melodischen Schmelz auszuspielen.

Philipp Armbruster hat den lockeren und dennoch präzisen Rhythmus drin, scheut den ironischen Seitenblick auf dick aufgetragenen Schmelz nicht, zwinkert mit den schrägen „Exotismen“ eines Songs wie „Was hat ein Gentleman im Dschungel zu tun“ – einem Lied in bester Tradition der skurril überdrehten Schlager dieser fiebrigen, ausgelassenen Zeit.

Problematischer Sound durch Einsatz von Microports

Leider war von den Subtilitäten des Orchesters über weite Strecken kaum etwas zu hören, denn in Dortmund wurden die Sänger per Microports verstärkt. Marc Schneider-Handrup hat es mit seiner Tontechnik – zumindest für die vorderen Reihen des großen Dortmunder Hauses – wohl zu gut gemeint. Die Stimmen dröhnen das Orchester zu, das sich im Piano- und Mezzoforte-Bereich profilieren will.

Die Annäherung der Operette an die Ästhetik des modernen Musicals ist ein Unding – aber die Ensembles, die diese Partien leicht und dennoch gut in den Raum projiziert singen konnten, sind ausgestorben. Von wegen Renaissance der Operette also.

So tanzt sich Karen Müller zwar höchst attraktiv durch ihre Partie der Bessie Worthington, doch ihr Stimmchen kapituliert schon in „My little Boy“: Wenn sie in starken Händen happy enden will, landet sie in fadendünner Höhe. Jens Janke, eigentlich ein solider, bewährter Musical-Sänger, wird als John Buffy so ordinär verstärkt, dass er selbst das Intermezzo zwischen zweitem und drittem Akt, in dem er schale Witzchen erzählen muss, gnadenlos zerschießt.

Für die Operette braucht es eine mondäne Diva: Emily Newton hat den großen Auftritt im Griff. Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Für die Operette braucht es eine mondäne Diva: Emily Newton hat den großen Auftritt im Griff. (Foto: Björn Hickmann, Stage Picture)

Für das „hohe Paar“ kannte auch die herkömmliche Operetten-Ästhetik den opernhaften Gestus der Stimme – für das Mikro meist problematisch, wie in Dortmund zu erleben ist: Emily Newton hat in ihrer Doppelrolle als Prinzessin Laya und Chansonnière Suzanne Provence den Charme und den mondänen Auftritt der First Lady des Ensembles. Aber ihre Stimme knallt unangenehm grell in den Raum und offenbart Schwächen, etwa in die Nase gedrückte Vokale, als vergrößere man ein Detail mit der Lupe. Marc Horus, ein smarter hawaiianischer Prinz Lilo-Taro, scheitert voluminös an seiner Tenorpartie: Er stemmt die Töne derart verzweifelt in ihre Position, dass er einen guten Teil nicht richtig trifft. Nur Verena Barth-Jurca als niedliches, liebesseliges Hawaii-Girl Raka, kann mit einem tadellosen leichten Sopran auch aus der Beschallung überzeugen.

Nicht ganz so aufdringlich ziehen sich die anderen Männer im Ensemble aus der Affäre: Fritz Steinbacher hält sich als hoffnungslos in die Südsee-Prinzessin verliebter Kapitän Stone sehr nobel zurück – obwohl er aus tiefer Liebe sogar den Befehl verweigert. Ian Sidden ist in der Konzeption des Stücks zur Nebenrolle verdammt, obwohl er als Anführer einer Untergrundbewegung der Einheimischen gegen die amerikanischen Besatzer politische Brisanz in das schwüle Melodram bringt.

Der Komponist imaginiert sein Geschöpf

Aber Thomas Enzinger hat nicht den Kolonialismus zum Aufhänger seiner Inszenierung gewählt. Der im Unterhaltungstheater erfahrene Regisseur – er wird 2017 Intendant des Lehár Festivals in Bad Ischl – verwebt Paul Abrahams tragische Lebensgeschichte mit dem Stück: Träume und Imaginationen des Komponisten, der ein Jahrzehnt psychisch krank im Creedmoor State Hospital auf Long Island/USA verbrachte, materialisieren sich; die Operette entsteht aus der Vorstellung.

So deckt Ausstatter Toto die Bühne mit einem riesigen Ausschnitt des Rumpfs der „Titanic“ – Symbol der Endzeit, der Sehnsucht, auch des Wunsches Abrahams, wieder nach Europa zurückzukehren. Vor dem Graben imaginiert sich der Komponist in die Melodien seines Geschöpfs, dirigiert in weißen Handschuhen das unsichtbare Orchester – ein Bild, das an ein überliefertes Detail aus Abrahams Leben anknüpft: 1946 soll er, in eben diesen Handschuhen, auf einer belebten Kreuzung in Manhattan ein imaginäres Orchester dirigiert haben.

Highlights sind die Tanznummern: Emily Newton, jens Janke (rechts) und das Tanzensemble. Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Highlights sind die Tanznummern: Emily Newton, Jens Janke (rechts) und das Tanzensemble. (Foto: Björn Hickmann, Stage Picture)

Enzinger integriert den großartigen Darsteller Mark Weigel in die Handlung, lässt ihn in die Rolle des amerikanischen Gouverneurs auf Hawaii schlüpfen; der Begleiter aus dem Vorspiel – er entpuppt sich am Ende als Arzt des Hospitals –  wird zum Jazz-Sänger Jim Boy. Immer wieder löst sich Weigel aus der Handlungsebene, wird zum erklärenden Conférencier, zieht biografische Parallelen zwischen Operettenhandlung und Abrahams Schicksal. Das klingt zu Beginn etwas zu langatmig nach Geschichtsstunde, zumal, wenn Enzinger auch noch jedes Handlungsdetail wortreich herleiten lässt.

Aber wenn die Blackfacing-Rolle des „Niggers“ Jim Boy als eine Chiffre für die Fremdheit interpretiert wird (das Gefühl, nicht dazuzugehören, das Abraham 1933 jählings erfahren musste, als er vom Star zur unerwünschten Person wurde), dann löst der beklemmende Moment jede der Operette gern unterstellte Harmlosigkeit auf, lässt auf einmal innere Brisanz erahnen und bringt das Lachen in gespannter Betroffenheit zum Schweigen: Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, wenn man flieht, wenn er es nicht selbst erlebt hat. Der Satz steht nicht im Libretto, aber er passt an dieser Stelle, an der Jim Boy und der Erzähler alternierend die Sätze des traurigen Slowfox „Bin nur ein Jonny singen: „Heimat, dich werd‘ ich niemals mehr sehn“ – das galt in einem existenziellen Sinn auch für den Juden Paul Abraham.

Ansonsten ist die Inszenierung ständig in Gefahr, ins Zuviel abzurutschen. Zu aufdringlich die bewusst provozierende Kitsch-Orgie Totos mit Traumstrand-Fotos als Rahmen für einen drehbare Treppenaufbau, der aussieht, als habe jemand Kartons mit billigem Glitzerpapier beklebt. Zu viel Bewegung, wenn Solisten und – im Übrigen von Manuel Pujol vorzüglich studierte – Choristen Arme und Beine schlenkern, als hätten sie jede Körperbeherrschung verloren. Zu viel auch in überdrehten Dialogen und Lachern.

Vorsichtigere Dosierung, pointierte Stilisierung hätten gutgetan und das Humor-Potenzial nicht verpuffen lassen. Ramesh Nair und seine Truppe verdienen es, extra hervorgehoben zu werden: Die großen Tanzszenen sind die Höhepunkte des Abends, weil sie strikt und konzentriert erarbeitet sind. In diesen Momenten wird der Zauber greifbar, der Abrahams Operetten damals zu märchenhaften Erfolgen und heute zu Ikonen einer besinnungslos und ahnungsvoll am Rand des Untergangs tanzenden Gesellschaft werden ließ.

Vorstellungen: 27. Januar; 5., 8., 11., 18., 24. Februar; 18., 30. März; 8. April; 5. und 26. Mai 2017. Infos: www.theaterdo.de

Buchtipp: Der in Witten lebende Autor Klaus Waller hat 2014 eine Biographie über den Komponisten veröffentlicht: „Paul Abraham. Der tragische König der Operette: Eine Biographie.“ 240 Seiten, Book on Demand, 14,90 Euro.